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Lebensursprung: Der steinige Weg zum Leben

Außer Luft und Wasser war Gestein der einzige Rohstoff auf der Früherde. Offenbar haben bestimmte Minerale bei der Entstehung irdischen Lebens eine entscheidende Rolle gespielt.


Niemand weiß, wie auf der urtümlichen Erde Leben entstand, aber eines ist sicher: Der Ursprung des Lebens war ein chemischer Vorgang. Nachdem unser Planet sich vor 4,5 Milliarden Jahren gebildet hatte, wurde seine Oberfläche noch eine halbe Milliarde Jahre lang unablässig durch Asteroideneinschläge erschüttert und sterilisiert. Dennoch tauchte dann binnen einiger hundert Millionen Jahre bereits eine Vielfalt mikroskopischer Lebensformen auf. Irgendwann zuvor muss sich das erste Lebewesen gebildet haben – aus Luft, Wasser und Gestein.

Unter diesen drei Rohstoffen haben in hypothetischen Szenarien der Lebensentstehung lange Zeit die Atmosphäre und die Ozeane Hauptrollen übernommen; das Gestein und die Minerale, aus denen es besteht, durften nur als Stichwortgeber oder stumme Statisten mitwirken. Doch nun erkennen die Wissenschaftler dies als Irrtum. Wie zahlreiche faszinierende Experimente belegen, waren Minerale an den grundlegenden chemischen Reaktionen, aus denen das Leben hervorging, aktiv beteiligt.

Im ersten Akt des Dramas der Lebensentstehung müssen Ansammlungen kohlenstoffhaltiger Moleküle aufgetreten sein, die sich selbst zu kopieren vermochten. Bereits dieser allererste Schritt der Evolution setzte eine Abfolge chemischer Umwandlungen voraus, die einer Gruppe organischer Moleküle sukzessive immer komplexere Strukturen verlieh. Die häufigsten Kohlenstoffverbindungen auf der urtümlichen Erde waren Gase mit nur einem Kohlenstoffatom pro Molekül, nämlich Kohlendioxid, Kohlenmonoxid und Methan. Aber die wichtigsten Bausteine lebender Organismen – energiereiche Zuckerarten, membranbildende Lipide und komplexe Aminosäuren – können über ein Dutzend Kohlenstoffatome pro Moleküle enthalten. Viele dieser Moleküle müssen sich ihrerseits zu Polymerketten und anderen Molekülanordnungen verbinden, damit die chemischen Voraussetzungen für Leben geschaffen werden. Das Kombinieren kleiner Moleküle zu komplexen, ausgedehnten Strukturen muss unter den rauen Bedingungen der Früherde besonders schwierig gewesen sein, denn die intensive Ultraviolettstrahlung spaltete Molekül-Cluster fast so schnell auf, wie sie sich bilden konnten.

Minerale als aktive Mitspieler

Darum brauchten die kohlenstoffhaltigen Moleküle Schutz und Hilfe. In der Tat können Minerale mindestens fünf wichtige Funktionen – vom passiven Statisten bis zum aktiven Mitspieler – bei lebenswichtigen chemischen Reaktionen übernehmen. Winzige Kammern im Mineralgefüge bieten einfachen Molekülen Unterschlupf, während die Mineraloberfläche das Gerüst zu liefern vermag, auf dem diese Moleküle sich zusammenfügen und wachsen. Außerdem können die Kristallflächen bestimmter Minerale aktiv spezielle Moleküle auswählen, die den zum Leben notwendigen gleichen. Die Metall-Ionen in anderen Mineralen können Reaktionen auslösen, die in ähnlicher Form einst einfache Moleküle in selbst-replizierende Gebilde umgewandelt haben müssen. Vielleicht am überraschendsten sind die kürzlich gefundenen Anzeichen, dass Elemente von gelösten Mineralen in biologische Moleküle eingebaut werden können. Demnach haben Minerale nicht nur Biomolekülen geholfen, einander zu finden, sondern sind vielleicht sogar selbst Teil des Leben geworden.

Nach Charles Darwins "Entstehung der Arten" von 1859 spekulierten die Naturforscher fast ein Jahrhundert lang über die chemischen Vorstufen zum Leben. Einige erwähnten in ihren fantasievollen Szenarien sogar Gesteine und Mineralien, aber nur selten stützten sich diese Spekulationen auf empirische Befunde.

Es dauerte bis Mitte des 20. Jahrhunderts, ehe erste grundlegende Experimente durchgeführt wurden. In einem der berühmtesten versuchte 1953 Stanley L. Miller, ein begabter Doktorand des Chemikers Harold C. Urey an der Universität Chicago, in einer Flasche die Ozeane und die Atmosphäre der Urerde nachzuahmen. Miller schloss Methan, Ammoniak und andere Gase, die man für Bestandteile der frühen Lufthülle hielt, in einem teilweise mit Wasser gefüllten Glasbehälter ein. Als er elektrische Funken durch das Gas zucken ließ, um Gewitter zu imitieren, färbte sich das klare Wasser erst rosa, dann braun: Dabei reicherte es sich, wie die anschließende Analyse ergab, mit Aminosäuren und anderen grundlegenden organischen Molekülen an. Mit diesem einfachen und eleganten Versuch verwandelte Miller die zuvor rein spekulative Erforschung des Lebensursprungs in exakte experimentelle Wissenschaft. Die Sensationspresse meldete gleich, demnächst würden synthetische Käfer aus den Teströhrchen kriechen. Aber auch besonnene Forscher meinten, das größte Hindernis für die Erschaffung von Leben im Labor sei nun beseitigt.

Doch solche Erwartungen waren von kurzer Dauer. Miller hatte zwar eine Möglichkeit entdeckt, aus Wasser und Gas der Urerde viele Lebensbausteine herzustellen, aber nicht, wie oder wo diese einfachen Gebilde sich zu den komplexen molekularen Strukturen – wie Proteinen und der Erbsubstanz DNA – zusammenfügten, ohne die es kein Leben auf Erden gäbe.

Um dieses Rätsel zu lösen, zogen Miller und andere Forscher Felsen als Statisten in Betracht. Vielleicht, so spekulierten sie, gerieten im Meerwasser treibende organische Moleküle in Gezeitentümpel an Felsenküsten. Durch wiederholte Verdunstungszyklen seien diese Moleküle immer stärker konzentriert worden – wie Suppe, die auf kleiner Flamme langsam eindickt.

Lebensentstehung in der Tiefsee?

In den letzten Jahren vermuten die Forscher allerdings, die Lebensbausteine hätten sich in viel kleineren Behältern angesammelt. Einige Gesteine, etwa vulkanischer grauer Bimsstein, enthalten unzählige Hohlräume, die durch Expansion von Gasen im noch zähflüssigen Gestein entstanden. Und viele Minerale, zum Beispiel Feldspat, entwickeln durch Verwittern mikroskopisch kleine Vertiefungen. Jede winzige Kammer in jedem Stein der Früherde könnte ein eigenes Experiment zur molekularen Selbstorganisation beherbergt haben. Mit genügend viel Zeit und genügend vielen Kammern erzeugte der Zufall eine Molekülkombination, die letzten Endes die Bezeichnung "lebendig" verdiente.

Solchen Spekulationen lag die Meinung zu Grunde, Leben sei so zerbrechlich, dass es zu seinem Schutz auf Felsgestein angewiesen sei. Doch 1977 stellte eine verblüffende Entdeckung alle gängigen Ansichten über die Hinfälligkeit des Lebens – und möglicherweise über seinen Ursprung – in Frage. Bis dahin hatten die meisten Forscher angenommen, das Leben sei an oder knapp unterhalb der Meeresoberfläche als Ergebnis chemischer, vom Sonnenlicht angetriebener Prozesse entstanden. Diese Annahme wurde erschüttert, als Tiefseeforscher verschiedene Ökosysteme fanden, die an den heißen Mündungen unterseeischer Vulkanschlote gediehen. Dass solch extreme Umgebungen – fernab von jedem Sonnenstrahl – differenzierte Gemeinschaften von Lebewesen unterhalten können, hätte bis dahin niemand für möglich gehalten. In diesen dunklen Regionen beziehen die Organismen den Großteil der lebensnotwendigen Energie von der Erdwärme.

Das brachte einige Forscher auf die Idee, organische Reaktionen, die zur Lebensentstehung beitrugen, könnten unter großer Hitze und enormem Druck in solchen hydrothermalen Schloten stattgefunden haben. Miller und seine Mitarbeiter wenden gegen diese Hypothese unter anderem ein, dass Aminosäuren bei Erwärmung rasch zerfallen. Dieser Einwand gilt aber nur, solange wichtige Minerale außer Acht bleiben.

Entsprechende Experimente wurden kürzlich an meinem Institut, dem Geophysikalischen Labor der Carnegie Institution of Washington, durchgeführt. Dort ging mein Kollege Jay A. Brandes – heute am Marine Sciences Institute der Universität von Texas in Port Aransas – als Postdoc-Forscher der Frage nach, ob Minerale die empfindlichen Aminosäuren stabilisieren. 1988 zeigte ein Experiment, dass die Aminosäure Leucin in Wasser unter Druck bei 200 Grad Celsius zwar binnen Minuten zerfällt – wie Miller vorhergesagt hatte. Doch wenn Brandes dem Gemisch ein Eisensulfid-Mineral hinzufügte, wie es häufig in und um hydrothermale Schlote auftritt, blieb die Aminosäure tagelang intakt; damit bot sich reichlich Zeit für Reaktionen mit anderen bedeutsamen Molekülen.

Selbst wenn ein geschützter Ort – sei es ein Gezeitentümpel, ein mikroskopisches Grübchen auf einer Gesteinsoberfläche oder eine Stelle in der Biegung eines Tiefeeschlots – die passenden Rohstoffe enthält, treiben die einzelnen Moleküle allerdings frei im Wasser. Sie brauchen etwas, an dem sie sich festhalten und miteinander reagieren können.

Das könnte beispielsweise die ruhige Oberfläche eines Gezeitentümpels gewesen sein oder vielleicht ein primitiver "Ölschlick" aus Verbindungen, die auf dem Wasser schwimmen. Doch beides hätte für empfindliche Moleküle ein hohes Risiko bedeutet. Heftige Gewitter und ultraviolette Strahlung, die auf der Früherde viel intensiver war als heute, konnten sie rasch aufbrechen.

Chemiker mit einem Draht zur Geologie haben früh erkannt, dass die Oberfläche von Mineralen eine interessante Alternative für den Zusammenbau wichtiger Moleküle bieten könnte. Wie die Behälter-Idee ist auch diese Einsicht schon rund fünfzig Jahre alt. Damals vermuteten einige Wissenschaftler, Tone könnten organische Moleküle besonders gut anziehen (Kasten Seite 38/39). Diese allgegenwärtigen Minerale fühlen sich glitschig an, wenn sie nass sind, denn ihre Atome bilden flache, glatte Schichten. Deren Oberflächen sind oft elektrisch geladen und könnten dadurch organische Moleküle anziehen und festhalten. Spätere Experimente bestätigten diese Vermutungen. Ende der siebziger Jahre zeigte eine israelische Forschergruppe, dass Aminosäuren sich auf Tonoberflächen anreichern können und dann kurze Ketten bilden, die Proteinen ähneln. Diese chemischen Reaktionen traten auf, wenn die Forscher eine wässrige Lösung, die Aminosäuren enthielt, aus einem tonhaltigen Gefäß verdunsten ließen – ähnlich dem Austrocknen eines flachen Teichs oder Gezeitentümpels mit lehmigem Grund.

In letzter Zeit haben zwei Gruppen – unter James P. Ferris vom Rensselaer Polytechnic Institute in Troy (US-Bundesstaat New York) sowie unter Gustaf Arrhenius von der Scripps Institution of Oceanography in La Jolla (Kalifornien) – unabhängig voneinander gezeigt, dass Tone und andere geschichtete Minerale eine Vielfalt organischer Moleküle anziehen und zusammensetzen können. Wie das Rensselaer-Team in einer spektakulären Versuchsserie herausfand, eignen sich Tone als Gerüst für die Bausteine der RNA; dieses Molekül übersetzt im lebenden Organismus Erbinformationen in Proteine.

Hätten organische Moleküle sich erst einmal an ein mineralisches Gerüst geheftet, könnten daraus verschiedene Typen komplexer Moleküle entstanden sein. Aber nur einige wenige Auserwählte wurden letztlich in lebende Zellen integriert. Das bedeutet, eine Art Schablone muss diejenigen primitiven Moleküle ausgewählt haben, die biologisch wichtig werden sollten. Wiederum zeigen neuere Experimente, dass Minerale dabei vielleicht eine zentrale Rolle spielten.

Die wohl rätselhafteste Episode der Evolution sorgte dafür, dass sämtliche Organismen eine seltsame Vorliebe für einen Aminosäure-Typ entwickelten. Wie viele andere organische Moleküle kommen Aminosäuren in zwei Formen vor. Beide enthalten die gleichen Atome, sind aber Spiegelbilder voneinander. Das Phänomen heißt Chiralität; der Einfachheit halber bezeichnen die Forscher die beiden Versionen als linkshändig (kurz L) und rechtshändig (D nach lateinisch dexter für rechts). Synthese-Experimente wie die von Miller produzieren unweigerlich ausgewogene Mischungen von L- und D-Molekülen, aber in lebenden Organismen dominieren linkshändige Aminosäuren mit fast hundert Prozent.

Selektiert ein Mineral unter den Aminosäuren die Linkshänder?

Zur Erklärung dieses Rätsels sind ein Dutzend Theorien vorgeschlagen worden – manche hausbacken, andere exotisch. Einige Astrophysiker meinen, die Erde sei infolge von Prozessen in der Gas- und Staubwolke, aus der das Sonnensystem hervorging, bereits mit einem Überschuss an L-Aminosäuren entstanden.

Das Hauptproblem bei dieser Theorie ist, dass solche Prozesse in den meisten Fällen nur weniger als ein Prozent Überschuss an L- oder D-Molekülen liefern. Andererseits könnte unsere Welt mit einem 50-zu-50-Gemisch von L- und D-Aminosäuren begonnen haben, und dann sorgte irgendeine wichtige Eigenschaft der physikalischen Umgebung dafür, dass die eine Version bevorzugt wurde. Nahe liegende Kandidaten für diese spezielle physikalische Umwelt sind, wie ich glaube, gewisse Kristallflächen, deren Oberflächenstrukturen sich spiegelbildlich zueinander verhalten (Kasten Seite 38/39).

Im vergangenen Frühjahr sah ich mir Calcit in dieser Hinsicht genauer an; denn dieses häufige Mineral, das unter anderem Kalkstein und Marmor bildet, zeigt oft wunderschöne Paare spiegelbildlicher Flächen. Es ist Bestandteil vieler Weichtier-Schalen, wo es eine enge Bindung mit Aminosäuren eingeht. Darum vermutete ich, Calcit-Flächen könnten chemische Bindungsstellen enthalten, die zwischen links- und rechtshändigen Aminosäuren unterscheiden. Mit meinem Carnegie-Kollegen Timothy Filley – heute an der Purdue-Universität in West Lafayette (Indiana) – sowie Glenn Goodfriend von der George Washington University in Washington überprüfte ich diese Hypothese in mehr als hundert Versuchen.

Unsere Experimente waren im Prinzip einfach, erforderten aber penible Reinraum-Verfahren, um Verunreinigungen durch die in der Umgebung allgegenwärtigen Aminosäuren zu vermeiden. Wir tauchten einen wohlgeformten, faustgroßen Calcit-Kristall in eine 50-prozentige Lösung von Asparaginsäure, einer häufigen Aminosäure. Nach 24 Stunden nahmen wir den Kristall aus der Lösung, wuschen ihn in Wasser und sammelten sorgsam alle Moleküle, die sich an spezielle Kristallflächen geheftet hatten. In einem Experiment nach dem anderen beobachteten wir, dass die "linkshändigen" Flächen des Calcits L-Aminosäuren selektierten und umgekehrt; die jeweiligen Überschüsse erreichten in manchen Fällen 40 Prozent.

Seltsamerweise zeigten Calcitflächen mit fein gestuften Treppenstrukturen die höchste Selektivität. Dieses Resultat lässt uns vermuten, dass die Stufenkanten die L- und D-Aminosäuren zwingen, auf den jeweiligen Flächen geordnete Reihen zu bilden. Unter passenden Umweltbedingungen könnten sich diese Reihen von Aminosäuren chemisch zu proteinähnlichen Molekülen verbinden, wobei die einen zur Gänze aus L-Aminosäuren bestehen, die anderen nur aus dem D-Typ. Falls es tatsächlich zur Proteinbildung kommen kann, wird dieses Resultat sogar noch interessanter; denn jüngste Experimente anderer Forscher deuten darauf hin, dass manche Proteine sich selbst zu replizieren vermögen. In der Frühgeschichte unseres Planeten bildete sich also vielleicht ein selbst-replizierendes Protein auf der Fläche eines Calcit-Kristalls.

Da links- und rechtshändige Kristallflächen in ungefähr gleicher Anzahl auftreten, ereignete sich die chirale Selektion der L-Aminosäuren wahrscheinlich nicht überall gleichzeitig. Vielmehr entstand die erste Gruppe von Molekülen mit erfolgreicher Selbstreplikation – Vorläufer aller irdischen Lebensformen bis zum heutigen Tage – zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort. Es war purer Zufall, dass das erfolgreiche Molekül sich auf einer Kristallfläche entwickelte, die linkshändige Aminosäuren gegenüber rechtshändigen bevorzugte.

Minerale konnten somit als Behälter, Gerüste und Schablonen die Selektion und Organisation des molekularen Zoos auf der Urerde unterstützen. Doch vermutlich spielten sie eine viel aktivere Rolle: Sie wirkten als Katalysatoren für entscheidende Syntheseschritte, die das anfängliche Inventar an komplexen organischen Molekülen enorm vermehrten.

Für diese Hypothese sprechen Experimente, die Brandes 1977 an der Carnegie Institution of Washington leitete. Biologische Reaktionen erfordern Stickstoff in Form von Ammoniak (NH3), aber auf der Urerde gab es vermutlich nur gasförmigen Stickstoff (N2), der heute 78 Prozent der Luft ausmacht, in größeren Mengen. Vielleicht, so Brandes, ahmt die Umwelt der hydrothermalen Schlote ein industrielles Synthese-Verfahren für Ammoniak nach, bei dem Stickstoff und Wasserstoff bei hohen Temperaturen und Drücken über eine heiße Metallfläche geleitet werden. Als wir die beiden Gase in Gegenwart von Magnetit – einem mineralischen Eisenoxid – den für Tiefseeschlote charakteristischen Drücken und Temperaturen aussetzten, katalysierte das Mineral tatsächlich die Ammoniak-Synthese.

Pyrit als Lebensspender?

Ein besonders nachdrücklicher Verfechter der Idee, Minerale könnten dem Leben auf die Beine geholfen haben, ist Günter Wächtershäuser, ein Chemiker und Patentanwalt in München. Im Jahre 1988 stellte er eine umfassende Theorie der organischen Evolution vor, in der Minerale – vor allem Eisen- und Nickelsulfide, die in Tiefseeschloten reichlich vorkommen – als Schablone, Katalysator und Energiequelle für die Bildung organischer Moleküle dienen. Wächtershäuser meint, die primitivsten Lebensformen seien Molekülschichten gewesen, die auf positiv geladenen Flächen von Pyrit hafteten, einem aus Eisen und Schwefel bestehenden Mineral. Diese Lebewesen hätten zudem Energie aus den chemischen Reaktionen bezogen, die Pyrit erzeugen. Für die Hypothese spricht, dass einige Stoffwechsel-Enzyme, die bei der Energiegewinnung in der Zelle mitwirken, in ihrem Kern einen würfelförmigen Block – Cluster genannt – aus Metall- und Schwefelatomen bergen.

In den vergangenen drei Jahren hat Wächtershäusers eigenwillige Theorie unsere Experimente an der Carnegie Institution beeinflusst. Unser Team, dem der Geochemiker George Cody und der Gesteinskundler Hatten S. Yoder angehören, konzentriert sich auf die Möglichkeit, dass primitive Stoffwechselprozesse in Gegenwart von Mineralen – insbesondere Oxiden und Sulfiden – auch ohne Enzyme ablaufen können. Unsere einfache Strategie folgt dem Beispiel von Millers berühmtem Experiment: Wir setzen einst auf der Früherde vorhandene Ingredienzen – Wasser, Kohlendioxid und Minerale – einer kontrollierten Umwelt aus. Dabei versuchen wir die enormen Drücke und Temperaturen nachzuahmen, die für einen hydrothermalen Tiefseeschlot typisch sind. Dazu schließen wir die Ingredienzen, deren Wechselwirkungen wir erforschen wollen, meist in verschweißte Goldkapseln von der Größe einer Vitaminpille ein. Sechs solche Kapseln platzieren wir dann in Yoders "Bombe" – einer Druckkammer aus massivem Stahl, die Drücke bis zu 2000 Atmosphären und Temperaturen von rund 250 Grad erzeugt.

Eines unserer wichtigsten Ziele bei diesen Experimenten zur organischen Synthese – und eine der fundamentalen biochemischen Reaktionen – ist die Kohlenstofffixierung: die Produktion von Molekülen mit einer wachsenden Anzahl von Kohlenstoffatomen. Wie wir festgestellt haben, fördern viele häufige Minerale – unter anderem die meisten Oxide und Sulfide von Eisen, Kupfer und Zink – die Kohlenstoffanlagerung, wie sie bei der so genannten Fischer-Tropsch-Synthese stattfindet.

Chemie der Tiefseeschlote

Mit diesem gängigen industriellen Prozess lassen sich aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff kettenförmige organische Moleküle zusammensetzen. Dabei entstehen der Reihe nach zunächst Methan, das ein Kohlenstoffatom enthält, dann Ethan mit zwei Kohlenstoffatomen und so weiter. In der chemischen Industrie dient diese Reaktion zur Synthese von Kohlenwasserstoffen mit praktisch jeder gewünschten Anzahl von Kohlenstoffatomen. Wie unsere ersten Synthese-Experimente von 1996 sowie viel umfangreichere Forschungen durch Thomas McCollom von der Woods Hole Oceanographic Institution beweisen, können durch Fischer-Tropsch-Reaktionen unter Tiefseeschlot-Bedingungen in weniger als einem Tag Moleküle mit dreißig und mehr Kohlenstoffatomen entstehen. Wenn dieser Prozess in den hydrothermalen Regionen der heutigen Erde große organische Moleküle aus einfachen anorganischen Chemikalien erzeugt, dann brachte er das höchstwahrscheinlich auch in der präbiotischen Vergangenheit unseres Planeten zu Wege.

Bei Experimenten mit Nickel- oder Kobaltsulfiden erfolgte die Kohlenstoff-Anlagerung vorwiegend durch Carbonylierung – Einfügen einer Carbonylgruppe, bestehend aus einem Kohlenstoff- und einem Sauerstoffatom. Solche Gruppen binden sich bereitwillig an Nickel- oder Kobaltatome, allerdings nicht besonders stark: Sie können auf andere Moleküle überwechseln und diese so vergrößern. In einer Versuchsserie beobachteten wir die Verlängerung des Moleküls Nonylthiol, das neun Kohlenstoffatome enthält, zu Decansäure mit zehn Kohlenstoffatomen; diese Verbindung gleicht den Säuren, aus denen die fettartigen Bestandteile biologischer Membranen bestehen. Außerdem sind alle Ausgangssubstanzen für dieses Experiment – ein Thiol, Kohlenmonoxid und Wasser – in der Nähe sulfidreicher hydrothermaler Schlote reichlich vorhanden. Durch Wiederholung solch einfacher Reaktionen – Anfügen einer Carbonylgruppe hier oder einer Hydroxylgruppe da – können wir eine Vielfalt komplexer organischer Moleküle synthetisieren.

Die 1500 Experimente zur hydrothermalen organischen Synthese, die wir an der Carnegie Institution durchgeführt haben, ergänzen nicht nur den Katalog interessanter Moleküle, die höchstwahrscheinlich auf der Früherde produziert wurden, sondern offenbaren zugleich ein überraschend komplexes Verhalten von Mineralen, das bedeutsame Folgen für die frühe Biochemie gehabt haben könnte. In den meisten bisherigen Untersuchungen zur Lebensentstehung wurden die Minerale als fest und unwandelbar betrachtet – als stabile Plattformen, auf denen sich organische Moleküle zusammensetzen konnten. Doch wir haben festgestellt, dass Minerale sich in der Gegenwart von heißem Wasser unter hohem Druck aufzulösen beginnen. Die dabei freigesetzten Atome und Moleküle können zu entscheidenden Zutaten der Ursuppe werden.

Dies ergab sich aus unseren kürzlichen Katalyse-Experimenten unter Leitung von Cody. Erwartungsgemäß erzeugten Carbonylierungsreaktionen in unseren Goldkapseln aus einer Mischung einfacher Moleküle Decansäure mit zehn Kohlenstoffatomen. Aber außerdem entstanden größere Mengen von elementarem Schwefel, organischen Sulfiden, Methylthiol und anderen Schwefelverbindungen. Der Schwefel in all diesen Produkten muss aus dem Eisensulfid-Mineral freigesetzt worden sein.

Noch verblüffender war die Freisetzung von Eisen, das die wässrigen Lösungen in den Kapseln deutlich färbte: Es bildete hellrote bis orangefarbene organometallische Komplexe, in denen die Eisenatome von verschiedenen organischen Molekülen umgeben sind. Gegenwärtig untersuchen wir, bis zu welchem Grad diese möglicherweise reaktionsfreudigen Verbindungen als Enzyme wirken können, welche die Synthese komplexer molekularer Strukturen katalysieren.

Die Erkenntnis, dass Minerale auch wichtige Ausgangssubstanzen für Stoffwechselreaktionen oder Enzyme liefern, kommt nicht ganz unerwartet. Dass hydrothermale Flüssigkeiten Minerale auslaugen und deren Bestandteile zu einer hochkonzentrierten Lösung anreichern können, ist schließlich wohlbekannt. So wachsen an den Tiefseeschloten spektakuläre Sulfidsäulen mehrere Meter hoch, indem heißes und mineralhaltiges Wasser aus dem Meeresboden aufsteigt und beim Zusammentreffen mit dem kalten Wasser der Tiefsee neue Mineralschichten auf der wachsenden Säule ablagert. Deshalb nimmt es Wunder, dass gelöste Minerale in den Szenarien zur Lebensentstehung bislang keine wesentliche Rolle gespielt haben.

Alles in allem war der Ursprung des Lebens viel zu kompliziert, als dass wir ihn uns als Einzelereignis vorstellen dürfen. Vielmehr gab es wohl eine Abfolge unspektakulärer Vorgänge, deren jeder ein wenig Ordnung und zusätzliche Komplexität in die Welt der präbiotischen Moleküle brachte. Der erste Schritt muss die Synthese der grundlegenden Bausteine gewesen sein. Nach einem Jahrhundert Forschung steht nun fest, dass die Moleküle des Lebens im Überfluss produziert wurden – zunächst in dem Nebel, aus dem sich unser Sonnensystem bildete, und später an der Meeresoberfläche sowie an hydrothermalen Schloten. Die Urerde bot dem entstehenden Leben eine Fülle von Molekülarten an – viel mehr, als es überhaupt gebrauchen konnte.

Die Minerale brachten Ordnung in dieses Chaos. Indem sie erst einmal Moleküle einfingen und konzentrierten und sie dann selektierten und sinnvoll anordneten, bereiteten sie wahrscheinlich den ersten selbst-replizierenden Molekülsystemen den Weg. Diese verkörperten zwar noch nicht Leben im heutigen Sinne, verfügten aber zumindest bereits über ein entscheidendes Lebensmerkmal. In diesem Szenario begann ein selbst-replizierendes Molekülsystem die Ressourcen seiner Umgebung zu verbrauchen. Unter den geringfügig verschiedenen Varianten, die durch Mutationen entstanden, entbrannte ein Wettbewerb um knappe Ressourcen und trieb den Prozess der molekularen Selektion voran. Die Evolution von selbst-replizierenden Molekülsystemen setzte ein und schuf unweigerlich immer effizientere und komplexere Gebilde.

Unterschätzte Minerale

Letztlich wollen wir mit unserer Arbeit an der Carnegie Institution nur einfache chemische Schritte aufdecken, die zu einem selbst-replizierenden System führen könnten – vielleicht einem, das mit den Stoffwechselkreisläufen in der lebenden Zelle verwandt ist. Sicherlich sind wir noch weit davon entfernt, Leben im Labor zu schaffen, und vielleicht wird es niemals möglich sein, exakt zu beweisen, welche chemischen Umwandlungen einst zur Entstehung irdischen Lebens führten. Doch eines wissen wir: Minerale spielten eine viel wichtigere Rolle, als die meisten Forscher bisher annahmen. Wenn die Wissenschaftler bereit sind, solchen leblosen Stoffen eine Hauptrolle in den Experimenten zur Lebensentstehung zuzubilligen, werden sie der Antwort auf eine der ältesten Fragen der Naturforschung vermutlich ein gutes Stück näher kommen.

Literaturhinweise


Aus Staub geboren. Leben als kosmische Zwangsläufigkeit. Von Christian de Duve. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.

Biogenesis: Theories of Life’s Origin. Von Noam Lahav. Oxford University Press, 1999.

Emergence. From Chaos to Order. Von John H. Holland. Helix Books, 1998.

Origins of Life: The Central Concepts. Von David W. Deamer und Gail R. Fleischaker. Jones and Bartlett, 1994.


Die Kraft der Kristalle


Nichts ist lebloser als ein Stein, sollte man meinen. Wie könnten Felsbrocken – oder die darin enthaltenen Minerale – bei der Entstehung des Lebens mitgewirkt haben? Die Antwort liefert die Chemie. Durch chemische Reaktionen werden aus einfachen Molekülen geordnete mineralische Strukturen. In ähnlicher Weise verdanken alle lebenden Organismen – von Bakterien bis zu Bonobos – ihre Fähigkeit, zu wachsen und zu funktionieren, den Hunderten chemischer Reaktionen, die in den Zellen stattfinden.

Vor vier Milliarden Jahren trug die Erde kein Leben: Nicht Biologie, sondern Chemie veränderte die Oberfläche unseres Planeten. In jener Urzeit waren Minerale – neben den Meeren und der Lufthülle – die einzigen Rohstoffe, aus denen Vorläufersubstanzen biologischer Moleküle entstehen konnten. Somit müssen chemische Reaktionen die ersten Schritte auf dem Weg zum Leben gewesen sein. Eine Abfolge chemischer Umwandlungen dürfte die einfachsten Bestandteile von Luft, Wasser und Erde zu primitiven Ansammlungen kohlenstoffhaltiger Moleküle umgeformt haben, die sich selbst kopieren konnten.

Jüngste Experimente zeigen, dass die entscheidenden Reaktionen wohl nicht möglich gewesen wären ohne die Mithilfe von Mineralen, die als Behälter, Gerüste, Schablonen, Katalysatoren und Reaktionspartner fungierten.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2001, Seite 34
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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