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Der Ursprung des Menschen. Auf der Suche nach den Spuren des Humanen


Dieses Buch ist nach dem Bekenntnis des ersten Autors "eine persönliche Entdeckungsreise" auf der Suche nach uns selbst. Richard Leakey, Sohn des Paläoanthropologen-Ehepaars Louis S. B. und Mary Leakey, langjähriger Direktor des Nationalmuseums von Kenia und bis vor einiger Zeit Leiter der kenianischen Naturschutzbehörde, ist als Expeditionsleiter ebenso geeignet wie sein Koautor, der Biochemiker Roger Lewin aus Washington, dessen bereits in dritter Auflage erscheinende "Human Evolution" zu den besten einführenden Lehrbüchern der Paläoanthropologie zählt.

Dieser Band ist jedoch kein Lehrbuch, sondern will nur belehrend unterhalten. Er ist in Ich-Form geschrieben und hat stark autobiographische Züge; da irritiert es etwas, daß zwei Autoren auf dem Titelblatt stehen.

Die erste "Exkursion" führt an den Turkana-See in Kenia, genauer nach Nariokotome. Dort fand Leakeys Gruppe 1984 das 1,6 Millionen Jahre alte Skelett eines Homo-erectus-Knaben, das unser Wissen von den frühen Vertretern unserer Gattung nachhaltig beeinflußt hat. Leakey beschreibt eindrucksvoll die mühevollen Vorbereitungen, die erwarteten und die unverhofften Schwierigkeiten einer Grabung; er schildert Zufall und Glück, die den Weg zum wissenschaftlichen Erfolg säumen – und den offenbar nie ausbleibenden Neid der Kollegen.

Weitere Kapitel behandeln die Geschichte der Menschwerdung im Lichte neuerer evolutionsbiologischer Hypothesen. Die beiden Insider legen die unterschiedlichen Vermutungen und Modelle über unsere stammesgeschichtliche Verwandtschaft, über die Aufrichtung zum zweifüßigen Gang, über Ernährungsweise, Gehirnentfaltung und Vergesellschaftung zwar fachkundig dar, jedoch häufig nur in flüchtigen Gedankenfetzen, eingebettet in nicht immer überzeugende urzeitliche Szenarien und Exkurse über Grabungsreisen, Kongreßerfolge, Wissenschaftsstreit und Mediendruck.

Der Verzicht auf weiterführende Literaturzitate ist ebenso zu bedauern wie der Mangel an Verweisen auf die Abbildungen, von denen einige unzureichend oder falsch beschriftet sind. So gehört der parabolische Oberkiefer auf Seite 120 nicht zu Australopithecus, sondern zur Gattung Homo, und die Kennzeichnung der Prognathie (des Grades der Vorkiefrigkeit) mit "kürzeres Gebiß" und "längeres Gebiß" ist einfach irreführend.

Außer dem breiten Spektrum der Fossilkunde behandelt das Buch auch Forschungsansätze in Paläogenetik, Paläoneurologie, Archäologie, Primatenethologie und Soziobiologie. Auf der "Suche nach dem Menschlichen" stellen Leakey und Lewin außer alten Theorien, bei denen sie eigentlich den Baseler Zoologen Adolf Portmann mit Begriffen wie "physiologische Frühgeburt" oder "extrauterines Jahr" hätten zitieren müssen, insbesondere aktuell diskutierte Hypothesen zur Ontogenese vor, wie sie die amerikanischen Anthropologinnen Dean Falk und Holly Smith sowie ihr Fachkollege Tim Bromage entwickelt haben.

Im Zusammenhang mit der ungelösten Kontroverse um den Ursprung des modernen Menschen (Arche-Noah-Hypothese gegen Kandelaber-Modell, vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1992, Seiten 72 bis 87) finden die Autoren gelegentlich grobe Worte, so wenn sie wissenschaftliche Schulen als Kampftruppen bezeichnen. Auf der Suche nach den "Spuren des Geistes" führen sie die Argumente für und gegen die Sprachfähigkeit der frühen Hominiden an und retten dabei die Ehre der so ungerechtgefertigt diskreditierten Neandertaler.

Die Suche nach den Ursprüngen von Kultur führt folgerichtig in den Zoo, denn das uralte Leib-Seele-Problem ist ohne verhaltensbiologische Studien an Primaten nicht zu lösen. "Mord im Zoo", so lautet das entsprechende Kapitel, knüpft an die intensiven Diskussionen der Soziobiologen zu Fragen der Entstehung der Kulturfähigkeit an; es folgen Exkurse zur Entwicklung von Bewußtsein, Moral und Ethik. Schließlich geht es unter dem Titel "Fenster zu anderen Welten" um die Entwicklung der Kunst.

Es wäre nicht angebracht, diesen auf den Laien zugeschnittenen Band an einem streng wissenschaftlichen Maßstab zu messen, zumal man wohl unterstellen kann, daß er seine Entstehung – außer einem offensichtlichen Sendungsbedürfnis Leakeys – primär marktstrategischen Überlegungen verdankt. Aber dagegen ist nichts einzuwenden; im Gegenteil: Zur Bewältigung der Gegenwarts- und Zukunftsprobleme der Menschheit bedürfen wir der Erklärung der Vergangenheit, und Wissen soll jedem Unvoreingenommenen zugänglich sein. Das Buch dient diesem aufklärerischen Ziel, denn es geht vielen zentralen und immer wieder aktuellen Fragen der Anthropologie nach: Ursprung und Entwicklung, Leib und Seele, Kultur und Gesellschaft, Ethik und Moral. Es ist nicht unbedingt aufregende, aber doch sicherlich recht anregende Literatur.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1995, Seite 115
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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