Zwänge: Der Ursprung des Misstrauens
Das Fenster ist zu, der Wasserhahn abgedreht – den meisten reicht jeweils ein kurzer Blick, um beruhigt die Wohnung zu verlassen. Doch Menschen, die an einer Zwangsstörung leiden, müssen solche Dinge immer wieder kontrollieren. Einer neuen Studie zufolge können die Betroffenen weniger gut erkennen, wann ein Hinweisreiz Sicherheit signalisiert.
Die Forscher um die Psychologin Annemieke Apergis-Schoute von der University of Cambridge untersuchten 43 Patienten mit einer Zwangsstörung und 35 gesunde Kontrollpersonen. Zunächst sollten die Probanden lernen, dass von einem Stimulus Gefahr ausgeht. Dazu lagen sie im Magnetresonanztomografen und sahen auf einem Bildschirm im Wechsel zwei wütend blickende Gesichter. Bei einem davon setzte es hin und wieder einen leichten Stromschlag am Handgelenk. Alle Versuchsteilnehmer lernten schnell, von welchem Antlitz Gefahr drohte, was sich an vermehrtem Schwitzen an den Fingern zeigte.
Nach einer Weile jedoch änderte sich das Prozedere: Nun kamen die Stromstöße nur noch beim anderen Gesicht. Die gesunden Teilnehmer lernten wiederum mühelos, dass jetzt vom ursprünglich bedrohlichen Stimulus keine Gefahr mehr ausging. Den Patienten dagegen gelang das bis zum Ende des Experiments nicht, beurteilt anhand der Schweißproduktion.
Personen mit einer Zwangsstörung würden zwar gut abspeichern, welche Hinweisreize bedrohlich sind, schlussfolgern die Forscher – zu erkennen, wann ein Stimulus harmlos ist, falle ihnen aber offenbar schwer. Die Ursache dafür könnte in der neuronalen Verarbeitung von Sinneseindrücken liegen. Denn die Daten aus dem Scanner zeigten, dass bei den Zwangspatienten der ventromediale präfrontale Kortex beim Lernen übermäßig aktiv war. Dieser Hirnteil spielt beim emotionalen Bewerten von Reizen sowie bei Angststörungen eine wichtige Rolle. Je höher seine Aktivität, desto schlechter konnten die Probanden später zwischen gefährlichem und harmlosem Reiz unterscheiden.
Zwangsstörungen werden meist durch eine Expositionstherapie behandelt, bei der die Betroffenen zum Beispiel immer wieder Türklinken anfassen müssen, ohne sich danach die Hände zu waschen. Das stelle viele Patienten vor eine ungeheure Herausforderung, meint Apergis-Schoute. Statt solche Zwangshandlungen zu unterbinden, solle man künftig eher versuchen, etwa mit Hilfe positiver Verstärkung das Sicherheitslernen zu fördern. Auch gebe es viel versprechende erste Versuche, per Tiefenhirnstimulation die Aktivität des ventromedialen präfrontalen Kortex zu normalisieren, was ebenfalls Symptome der Erkrankung verringere.
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