Wahrnehmung: Eine kurze Kulturgeschichte des Riechens
Selbst wenn nichts mehr bleibt von der Vergangenheit nach dem Tod derer, die wir kannten, und nach dem Verschwinden der Dinge, die uns umgaben, so schweben doch Geruch und Geschmack so lebendig und so flüchtig, so unverwechselbar und treu wie Seelen noch lange durch das, woran wir uns erinnern.« Ein französisches Gebäck, an einem Wintertag in Lindenblütentee getunkt, hatte in Marcel Proust Kindheitserinnerungen wachgerufen und bereicherte so 1913 seine »Suche nach der verlorenen Zeit«. »Der Duft verbindet auf sehr sinnliche Art und Weise Vergangenes mit dem Jetzt«, erklärt die französische Philosophin Annick Le Guérer. Der Geruchssinn ist ein Sinn der Erinnerung. Historikern bieten seine literarischen Erwähnungen ebenso wie damit befasste gelehrte Werke und Behördendokumente die Chance, in vergangene Epochen »hineinzuschnuppern«.
Allerdings vermitteln solche Quellen nur eine Ahnung davon, wie das Beschriebene auf unsere Nase wirken würde. Denn anders als bei Angaben zu Farbe oder Form gibt es bei Gerüchen nur sehr vage »Standards«, und es ist unklar, ob diese über geografische Räume und Epochen konstant blieben. Was uns heutzutage stinkt, haben Angehörige einer früheren Kultur vielleicht kaum zur Kenntnis genommen oder sogar als Wohlgeruch empfunden. Auch Archäologie und Naturwissenschaft geben hier keine Gewissheit: Selbst wenn Chemiker Rückstände in antiken Salbengefäßen analysieren und den Inhalt rekonstruieren, wird er nur einen Hauch jenes längst vergangenen Parfüms in unsere Gegenwart tragen …
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