Der Zahnarzt als Restaurator: Modellieren mit Kompositen
Direkte Kunststoffaufbauten eignen sich oft als Alternative zu laborgefertigten Überkronungen und Inlays. Ihre Vorteile: weniger Materialabtrag, geringere Kosten.
Zum Weltmeister im Verbrauch von Zahngold geriet die Bundes-republik Deutschland, als vor etwa dreißig Jahren der "Prothetik-Boom" einsetzte. Kronen waren gefragt, Schäden vorbeugen und Substanz erhalten zweitrangig. Doch inzwischen findet ein Umdenken statt. Dazu wurden Präparationstechniken für sehr gezielte Eingriffe in den letzten Jahren immer mehr verfeinert. Zahnhartsubstanzen werden meist entweder mit Hilfe schleifender oder schneidender Instrumente auf Diamant- oder Hartmetallbasis mechanisch abgetragen. Hinzu kommen für bestimmte Einsatzgebiete Partikelstrahler, deren Anwendung im Grunde dem Sandstrahlen von Gebäuden vergleichbar ist. Es gibt auch Gele, die karies-befallene Substanz chemisch auflösen, sowie spezielle Lasersysteme. Die hohen Erwartungen an die letzten beiden Verfahren haben sich aber bislang nicht erfüllt. Deutlicher reduzieren neue Instrumentenformen und präzise rotierende beziehungsweise oszillierende Geräte zum gezielten Materialabtrag die Belastungen beim "Bohren". Außerdem gibt es heute bessere, plastisch verarbeitbare Materialien, die sozusagen das Anfertigen von Zahnersatz direkt im Mund des Patienten erlauben; der Schritt ins Labor entfällt.
Meist sind die Materialien Verbundwerkstoffe, auch Komposite genannt, aus einer organischen Grundsubstanz und anorganischen Füllstoffen. Erstere macht etwa ein Fünftel der Masse aus und besteht meist aus Acrylatkunststoffen oder so genannten Siloxanen. Den überwiegenden anorganischen Anteil bilden beispielsweise winzige Glaspartikel von weniger als einem tausendstel Millimeter Durchmesser; eine dünne Beschichtung sorgt für ihren innigen Verbund zum Kunststoff.
Bis vor wenigen Jahren eigneten sich solche Komposite hauptsächlich zur Versorgung kleinerer und mittlerer Zahnschäden, insbesondere um Defekte in mechanisch wenig belasteten Zahnbereichen zu schließen. Mittlerweile sind sie sehr viel verschleißfester geworden. Auch gibt es bessere Techniken, die Verbindung mit den Zahnhartsubstanzen stabil zu machen. So hat sich ihr Anwendungsbereich rasch vergrößert und umfasst beispielsweise
- die langfristige Versiegelung von gefährdeten Einkerbungen im Zahnschmelz (so genannten Fissuren und Grübchen) im Rahmen der Kariesvorbeugung;
- die dauerhafte Versorgung von Schäden (zum Beispiel infolge Karies) im Front- und Seitenzahnbereich;
- Korrekturen von Farbe oder Form von Zähnen, etwa um Lücken zu schließen;
- Reparaturen an bereits vorhandenen, mittlerweile schadhaft gewordenen Restaurationen;
- das Schienen verletzter Zähne,
- ja sogar Ecken-, Höcker- und Kronenaufbauten von Einzelzähnen.
Der Zahnarzt hat somit heute mehr Behandlungsmöglichkeiten bei Zahnschäden als noch vor wenigen Jahren. Er kann bei ein- und demselben Defekt direkt versorgen wie auch eine indirekte, laborgefertigte Restauration vornehmen. Beide Methoden haben ihre Vor- und Nachteile, Patient und Arzt müssen gemeinsam den Einzelfall abwägen.
Die herkömmliche, indirekte Restauration kann schwierige Arbeitsgänge ins Labor verlagern und auf sehr bewährte Techniken zurückgreifen. Dafür ist sie aber oft mit einem erheblichen Verlust an natürlicher Zahnsubstanz und hohem Aufwand verbunden. In diesen beiden Punkten siegt die direkte Restauration mit Kompositen. Viele Zwischenschritte der Herstellung entfallen, angefangen von der Abformung präparierter Zähne über die Herstellung von Modellen und Provisorien bis hin zur Anfertigung der Werkstücke im Labor. Direkt eingebrachte zahnfarbene Restaurationen sind zwar deutlich teurer als zum Beispiel Amalgamfüllungen, aber immer noch kostengünstiger als etwa Inlays oder Überkronungen.
Von Nachteil ist allerdings die hohe Empfindlichkeit gegenüber Verarbeitungsfehlern. Schwierige Arbeitsgänge, die früher in das Techniklabor verlegt wurden, erfolgen direkt im Mund des Patienten. Das Arbeitsfeld muss vor allem übersichtlich und trocken sein, besonders bei schwer zugänglichen Bereichen oder gar unter das Zahnfleisch reichenden Defekten keine leicht zu erfüllende Forderung. Die bisherigen Erfahrungen zeigen aber, dass Kompositrestaurationen unter günstigen Voraussetzungen ihre Funktion jahrelang erfüllen können, Langzeiterfahrungen liegen aber kaum vor.
Hinsichtlich der gesundheitlichen Verträglichkeit ist es nach aktuellem Wissensstand medizinisch vertretbar, sämtliche der heute gebräuchlichen Restaurationsmaterialien wie Komposite, Keramiken und Gussmetalle am Menschen einzusetzen. Dies gilt auch für die in den letzten Jahren oft zu Unrecht attackierten Amalgame. Unverträglichkeitserscheinungen wie etwa Allergien sind insgesamt sehr selten und können durch nahezu alle zahnärztlichen Restaurationen hervorgerufen werden.
Ob eine Versorgung von Dauer ist oder nicht, entscheidet auch der Patient durch seine Hygiene. Insbesondere solche Areale bedürfen besonderer Sauberkeit, die als Nischen für bakterienhaltige Beläge in Frage kommen. Dazu zählen zum Beispiel die Zahnzwischenräume, die mit Zahnseiden oder speziellen Bürsten erreicht werden. Eine ausgewogene Ernährung und ausreichende Fluoridzufuhr tragen das ihre dazu bei, die im Lauf des Lebens eingebrachten zahnärztlichen Restaurationen bis ins hohe Alter ästhetisch ansprechend und funktionsfähig zu erhalten.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2001, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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