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Detektion von Explosivstoffen in Flugreisegepäck


In den Flughäfen mußten geeignete organisatorische Maßnahmen getroffen, Apparaturen verbessert und ergänzt sowie insbesondere völlig neue Technologieansätze gefunden werden. Man entwickelte zunächst spezielle Röntgendurchleuchtungsgeräte, mit denen sich die Metallteile verborgener Waffen erkennen ließen. Diese Geräte arbeiten heute nach dem sogenannten Scanning-Verfahren, wobei ein fächerförmig kollimierter Röntgenstrahl das Gepäck durchdringt (Bild). Die linienförmig angeordneten Detektoren auf der gegenüberliegenden Seite des Inspektionstunnels nehmen das Transmissionsbild zeilenweise auf. Durch diese Inspektionsart und insbesondere durch die hohe Empfindlichkeit der Detektoren ist die Dosisbelastung so gering, daß photographische Filme unbeschädigt bleiben (die Apparatur also filmsafe ist). Demgegenüber ist die Röntgendosis bei klassischen Röntgenaufnahmen in der Medizin etwa tausendfach höher.
Bomben aus plastischem Sprengstoff (zumeist nicht ganz korrekt Plastiksprengstoff genannt) lassen sich weit schwieriger nachweisen, da ihre Transmissionsbilder wesentlich kontrastärmer sind. Ein solcher Sprengkörper kann außerdem in jeder beliebigen Form hergestellt werden; und wie sich im Falle der Explosion eines Jumbo-Jets über der schottischen Kleinstadt Lockerbie 1988 auf dramatische Weise zeigte, ist die zur Zerstörung eines Flugzeugs benötigte Menge Plastiksprengstoff sehr gering. Moderne Röntgengeräte mit genauerer Analyse des Transmissionsspektrums haben diese Schwachstelle in der Detektion relativ bald behoben.
Durchleuchtungsgeräte dieser Art, die man für die Kontrolle von Handgepäck einsetzt, können unterschiedliche Materialgruppen in verschiedenen Farben auf dem Monitor darstellen. Mit ihnen vermag ein erfahrener Bediener beispielsweise auch mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Bombe aus Plastiksprengstoff zu erkennen, die nicht in einer bombentypischen Form vorliegt. Die Nachweistechnik sowie bedienerunterstützende Maßnahmen werden beständig weiterentwickelt.
Bleiben bei der Röntgenkontrolle Zweifel bestehen, können sogenannte Schnüffelverfahren eingesetzt werden – also Geräte, die Sprengstoffdämpfe oder -partikel aufsaugen und mittels Gaschromatographie oder Ionen-Mobilitätsspektroskopie analysieren. Wegen der aufwendigen Probennahme nimmt diese Technik allerdings relativ viel Zeit in Anspruch und eignet sich deshalb im wesentlichen nur für einzelne Nachuntersuchungen.

Meßprinzipien

Für größere Gepäckstücke, die am Check-in-Schalter aufgegeben werden, bieten sich derzeit zwei Vorgehensweisen an: Zum einen lassen sich Kontrollen direkt vor oder hinter dem Schalter vornehmen, wobei die Technik mit der für das Handgepäck eingesetzten vergleichbar ist; zum anderen können auch weitgehend automatisierte Geräte zum Einsatz kommen, die zum Beispiel in die Gepäckfördersysteme integriert sind und hohe Durchsatzraten ermöglichen.
An der Entwicklung des letztgenannten Typs waren öffentliche und private Institutionen verschiedenster Fachrichtungen beteiligt: Biologische, chemische und kernphysikalische Technologien wurden ebenso erprobt wie der Einsatz von Mikrowellen und magnetischen Verfahren.
Die erste Methode, die in Flughäfen praktisch getestet wurde, war die Thermische-Neutronen-Aktivierungsanalyse (TNA): Das Fluggepäck wird dabei mit Neutronen bestrahlt, deren kinetische Energie im Mittel 0,025 Elektronenvolt beträgt, was einer Temperatur von 300 Kelvin – also etwa Raumtemperatur – entspricht. Bestimmte Atomkerne können diese Neutronen thermischer Energie einfangen, wodurch sie zur Emission von Gammastrahlen angeregt werden; aus deren Wellenlängen läßt sich die elementare Zusammensetzung des durchstrahlten Materials ableiten.
Mit dieser Methode vermochte man beispielsweise den in den meisten Sprengstoffen in hoher Konzentration vorhandenen Stickstoff nachzuweisen. Der Stickstoff-14-Kern absorbiert nämlich ein Neutron und emittiert anschließend Gammastrahlung, die durch ihre sehr hohe Energie von 10,8 Millionen Elektronenvolt relativ leicht nachweisbar ist. Auf diese Weise ließ sich die Verteilung der Stickstoffkonzentration im Gepäckstück erkennen.
Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre schien in der Tat die TNA das Mittel der Wahl zu sein. Dennoch wurde dieses Verfahren nicht eingeführt. Als Hemmnisse erwiesen sich die zu geringe Empfindlichkeit für kleine, gleichwohl gefährliche Sprengstoffmengen, der hohe Preis der Geräte, aber auch generell die Verwendung von Neutronenquellen in Flughäfen. Zum Erzeugen des erforderlichen Neutronenflusses mußte eine Quelle mit Californium-252 zur Verfügung stehen; einen breiten Einsatz dieser radioaktiven Substanz hätte die Öffentlichkeit wohl nicht akzeptiert.
Andere Nachweismethoden mit Neutronen- oder Gammastrahlen wurden zwar erprobt, sind aber ebenfalls teuer und zudem sehr komplex, so daß sie unseres Erachtens wohl nicht für die Gepäckkontrolle zum Einsatz kommen werden. Die heute zur Marktreife entwickelten und bereits eingesetzten Verfahren zur automatischen Sprengstoff- und Bombendetektion arbeiten mehrheitlich wieder mit Röntgenstrahlen.
Röntgendurchleuchtungsgeräte dieser neuen Generation nutzen weiterhin das Scanning-Prinzip. Neu ist hingegen, daß mehrere Röntgenspektren verschiedener Endenergie erzeugt werden, die sukzessiv das Gepäckstück durchstrahlen. Die so entstandenen Röntgenbilder zeigen in Abhängigkeit von Dicke, Dichte und Atomzahl des Materials unterschiedliche Röntgenabsorption, anhand der sich die untersuchten Objekte klassifizieren und insbesondere Sprengstoffe identifizieren lassen.
Gepäckstücke enthalten in der Regel ein Sammelsurium an Gegenständen, deren Absorptionseigenschaften getrennt werden müssen, um zum Beispiel Sprengstoff hinter Kleidungsstücken oder in Behältnissen zu erkennen. Dazu nutzt man verschiedene Verfahren, die der jeweiligen Datennahme eng angepaßt sind. Moderne Parallelrechner benötigen wenige Sekunden pro Bild, um die Objekte zu trennen und zu identifizieren, so daß sich pro Stunde bis zu 1500 Gepäckstücke untersuchen lassen.
Die Anlage liefert nicht nur automatisch eine Ja/Nein-Entscheidung, sondern erstellt auch ein Röntgenbild des Gepäckstückes, in dem das verdächtige Objekt markiert ist; einige Geräte kennzeichnen zudem alle Gegenstände farblich nach ihrer Materialgruppe. Manche Konstruktionen vermögen sogar mittels Bildverarbeitungsverfahren und Analyse der Röntgenstruktur die Zünder von Sprengsätzen nachzuweisen. Alle diese Gerätypen sind für mitgeführte Filme ebensowenig schädlich wie die eingangs beschriebenen Handgepäck-Scanner.
Auch Computertomographen, deren Funktionsprinzip praktisch mit dem der aus der Medizin bekannten Geräte identisch ist, können Sprengstoffe aufgrund ihres Absorptionsverhaltens entdecken. Wegen der recht aufwendigen Technik ist der Durchsatz jedoch deutlich geringer als bei den zuvor genannten Röntgengeräten. Behörden in den USA fördern zur Zeit die Entwicklung besserer und schnellerer Computertomographen.
Noch im Prototypstadium befinden sich Geräte, welche die elastische Streuung von Röntgenstrahlen nutzen und Explosivstoffe an ihren Beugungsspektren erkennen. Mit ihnen läßt sich gleichsam ein charakteristischer Fingerabdruck erzeugen, der nicht nur das Vorhandensein von Explosivstoffen, sondern auch deren Art anzeigt.
Eine aussichtsreiche Alternative zu Röntgengeräten stellt das sogenannte Kern-Quadrupol-Resonanzverfahren dar. Es nutzt den Umstand, daß sich einige nicht kugelsymmetrische Atomkerne in bestimmten, von den Hüllenelektronen des Atoms erzeugten Feldkonfigurationen ausrichten. Ähnlich der bekannteren Kernspinresonanz läßt sich diese Ausrichtung durch von außen eingestrahlte, hochfrequente magnetische Felder stören und messen. Die für die Art der Atomkerne spezifischen Signale verraten die Anwesenheit von Sprengstoffen.

Stufenverfahren der Detektion

Seit etwa zwei Jahren setzt man Geräte der neuen Generation zur automatischen Sprengstoffdetektion in Gepäckfördersystemen ein. Dabei haben sich Stufenverfahren als günstig erwiesen:
In einem ersten Schritt kommen die neuen und schnellen Röntgendurchleuchtungsgeräte zum Einsatz. Sie gewährleisten eine gute Detektionsleistung bei hohem Durchsatz. Der Großteil des Gepäcks gelangt von hier aus direkt in den Frachtraum des Flugzeuges. Der aussortierte Rest wird in einer zweiten Stufe anhand der aufgenommenen Röntgenbilder begutachtet. In ihnen sind die verdächtigen Objekte markiert, so daß der Bediener den größten Teil der Gepäckstücke rasch als harmlos zu identifizieren vermag.
Vereinzelt werden in der zweiten Stufe auch moderne Computertomographen verwendet. Röntgenbeugung dürfte – sobald verfügbar – auch hier zum Einsatz kommen.
In einer dritten Stufe werden die wenigen noch verbleibenden Gepäckstücke entweder mit den erwähnten Schnüffelmethoden untersucht oder in Anwesenheit des Passagiers geöffnet.
Auch wenn Sprengstoffe schwieriger mit Röntgenstrahlen zu detektieren sind als Waffen, zeigen die vorgestellten Geräte, daß unter Einsatz hoher Präzision und komplexer Datennahme ein zuverlässiger, automatischer Bombennachweis in Gepäckstücken möglich ist.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1998, Seite 104
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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