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Diagnostik: Eine scheinbare Pandemie

Hinter den meisten Fällen von Burnout stecken noch schwerere psychische Erkrankungen: Depressionen oder ­Angststörungen etwa. Werden diese dank vermeintlichem Burnout-­Befund frühzeitig erkannt, steigen die Heilungschancen.
Frau Am Laptop

Das Aus für Bernd Hinze kam schleichend. Der 38-Jährige liebte seinen Beruf als Werbetexter – eigentlich. Zuletzt nahmen die Anforderungen in der Agentur jedoch ständig zu. Immer mehr Projekte wanderten auf seinen Schreibtisch. Die Tage füllten sich sukzessive mit Besprechungen, Kundengesprächen und Präsentatio­nen. Anfangs gab ihm dieses Mehr an Aufgaben, das schnell getaktete Arbeitsleben einen gewissen Kick. Aber mit der Zeit nagte es zunehmend an seinen Ressourcen. Hinze opferte mehr und mehr Freizeit. Bereits morgens um sieben saß er am Schreibtisch, um ungestört wichtige Arbeiten zu erledigen. Gegen 19 Uhr war er erschöpft, musste jedoch von zu Hause aus noch E-Mails beantworten oder Telefonkonferenzen abhalten. Der Kontakt zu Freunden schlief nach und nach ein, seine Frau zog sich zurück, und seinen kleinen Sohn sah er praktisch gar nicht.

Zunehmend wandelte sich die Freude am Job in Abscheu – insbesondere jüngeren Kollegen gegenüber, die vermeintlich leistungsfähiger waren. Hinze konnte sich immer schlechter konzentrieren und fühlte sich schon morgens erledigt. Dazu gesellten sich körperliche Beschwerden: Kopfweh, Magendrücken, Rückenschmerzen. Urlaub – sofern er sich denn welchen gönnte – vermochte die Lage nicht mehr zu verbessern.

Irgendwann ging gar nichts mehr. Hinze verließ die Agentur früher als gewohnt und ging direkt ins Bett. Trotzdem fühlte er sich morgens wie gerädert. In der Firma war er unfähig, auch nur den Inhalt seiner E-Mails zu erfassen. Eine Kollegin sprach ihn an, sie erlebe ihn als abwesend, fast schon verwirrt. Das war der Punkt, an dem Bernd Hinze einsah, dass er Hilfe brauchte. Noch am selben Tag ging er zum Hausarzt. Der tippte auf Burnout – als Folge chronischer Arbeitsüberlastung.

Werbetexter Hinze befindet sich in bester Gesellschaft. Die Fußballer Ralf Rangnick und Sebastian Deisler, Schispringer Sven Hannawald, Rapper Eminem und das Multitalent Mariah Carey sind nur einige aus der langen Liste Prominenter, die zugaben, irgendwann in ihrem Leben unter einem Burnout gelitten zu haben. Es scheint heute viele zu treffen. Burnout gilt längst nicht mehr als Managerkrankheit und auch nicht als ein Problem, das sich auf aufreibende Pflegeberufe beschränkt, wie in der ursprünglichen wissenschaftlichen Beschreibung des Syndroms.

Ein Blick in Zeitungen und Zeitschriften der vergangenen 30 Jahre erweckt den Eindruck, Burnout sei eine Epidemie, deren Verlauf sich dramatisch zuspitzt ...

Dieser Artikel beruht auf einen am 13. Mai 2015 gehaltenen Vortrag des 19. Berliner Kolloqiums der Daimler und Benz Stiftung.

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  • Quellen

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Freudenberger, H. J.: Staff Burn-Out. In: Journal of Social Issues 30, S. 159-165, 1974

Illies, F.: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. Fischer, Frankfurt/M 2012

Kühner, C. et al.: Reliabilität und Validität des revidierten Beck-Depressionsinventars (BDI-II). In: Der Nervenarzt 78, S. 651-656, 2007

Maske, U. E. et al.: Häufigkeit und psychiatrische Komorbiditäten von selbstberichtetem diagnostiziertem Burnout-Syndrom. In: Psychiatrische Praxis 10.1055/s-0034-1387201, 2015

Maslach, C. et al.: The Maslach Burnout Inventory Manual. 3rd Edition. Consulting Psychologists Press, Palo Alto 1996

Wittchen, H.-U., Jacobi, F.: Die Versorgungssituation psychischer Störungen in Deutschland. Eine klinisch-epidemiologische Abschätzung anhand des Bundes-Gesundheitssurveys 1998. In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 44, S. 993-1000, 2001

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