Die Abbildung der Lufträume in der Lunge mit spinpolarisiertem Helium
Die Atemluft im Körper ist mit gängigen medizinischen Verfahren nicht direkt darstellbar. Nun lieferte die physikalische Grundlagenforschung jedoch ein Gas, das als Kontrastmittel dazu dienen kann, die Belüftung der Lunge sichtbar zu machen.
Dank Röntgen- und Kernspintomographie lassen sich heute hochaufgelöste Bilder des Körperinneren gewinnen und bei Verrechnung im Computer als dreidimensionale Modelle auf dem Bildschirm darstellen. Doch für die Visualisierung bestimmter körperlicher Funktionen sind die herkömmlichen bildgebenden Verfahren schlecht oder gar nicht geeignet. Zum Beispiel läßt sich die Funktionstüchtigkeit der Lunge damit nicht zufriedenstellend ermitteln; in diesem Falle gilt es nämlich weniger, Gewebestrukturen sichtbar zu machen, als vielmehr festzustellen, wieviel Atemgas in welche Bereiche des Organs gelangt. Mit Röntgen- oder Kernspin-Verfahren ist aber in der Lunge vorhandene Luft nicht von frisch eingeatmeter zu unterscheiden.
Diese Möglichkeit eröffnet nun erstmals ein speziell präpariertes Gas, das die Mainzer Physiker Ernst Otten und Werner Heil primär für Experimente in der physikalischen Grundlagenforschung entwickelt haben. Es besteht aus dem Helium-Isotop der Masse 3, dessen Kernspin polarisiert wurde. Mit ihm lassen sich scharfe, kontrastreiche und hochaufgelöste Bilder der Lufträume in der Lunge aufnehmen, was die medizinische Grundlagenforschung und die Diagnostik wesentlich bereichern dürfte.
Spinpolarisation
Der Spin gehört wie die Ladung zu den fundamentalen Eigenschaften der kleinsten Materiebausteine. Er wird gewöhnlich als Drehbewegung veranschaulicht, und Teilchen mit Spin – zum Beispiel Neutronen – kann man gut mit rotierenden Kreiseln vergleichen. Mit der Rotation ist zugleich ein magnetisches Moment parallel zur Kreiselachse verbunden. In einer makroskopischen Materieprobe weisen die Spins normalerweise kreuz und quer in alle Richtungen, und auch der Drehsinn ist statistisch verteilt.
Wer als Physiker zum Beispiel mit einem Elektronenstrahl Atomkerne untersuchen will, sollte freilich tunlichst Ordnung in den Wirrwarr der kreiselnden Teilchen bringen; denn die Spin-Orientierung wirkt sich stark auf die Streuung des Elektronenstrahls aus, woraus sich wichtige Informationen über die Struktur der Partikel gewinnen lassen.
Eine erste Vereinheitlichung erreicht man durch Anlegen eines Magnetfeldes. Die Achsen der rotierenden Kernteilchen richten sich dann parallel zu den magnetischen Feldlinien aus. Ihr Drehsinn ist damit allerdings noch nicht festgelegt: Die beiden entgegengesetzten Spinrichtungen (links oder rechts herum) existieren etwa gleich häufig. Um die Teilchen alle gleichsinnig kreiseln zu lassen, muß man sie einem zirkular polarisierten Laserstrahl aussetzen, in dem sämtliche Photonen im Gleichtakt rotieren. Die Lichtquanten geben ihren einheitlichen Spin dann zunächst an die Elektronen weiter, die ihn schließlich durch magnetische Kopplung auch dem Kern aufprägen.
Beim Helium funktioniert dieses sogenannte optische Pumpen allerdings nur in einer Gasentladungszelle, die nach dem gleichen Prinzip wie Leuchtstoffröhren arbeitet. In ihr wird das Gas durch Zusammenstöße mit Elektronen, die aus der negativen Elektrode austreten, auf ein höheres Energieniveau angehoben, in dem es – anders als im Grundzustand – Laserlicht absorbiert.
Ladungsverteilung im Neutron
Die Mainzer Physiker wollten am Elektronenbeschleuniger MAMI (Mainzer Mikrotron) die Ladungsverteilung im Neutron bestimmen. Insgesamt ist ein Neutron zwar, wie der Name schon sagt, elektrisch neutral, doch besteht es seinerseits aus drei noch fundamentaleren Teilchen – den sogenannten Quarks. Sie sind die Träger der elementaren Ladungsquanten und erzeugen als solche eine inhomogene Ladungsverteilung innerhalb des Neutrons. Deren genaue Form wiederum gibt Aufschluß über einige der fundamentalen Naturgesetze, für die sich die Physiker verständlicherweise stark interessieren.
Quarks lassen sich zwar mit einem Elektronenstrahl abtasten, da sie aufgrund ihrer Ladung Elektronen ablenken. Doch wird der Strahl zusätzlich durch das magnetische Moment des gesamten Neutrons beeinflußt, und diese magnetische Interaktion ist viel stärker als die durch die Ladung der Quarks, so daß sie den eigentlich interessanten Effekt zu überdecken droht. Eben deshalb brauchten die Mainzer Physiker polarisiertes Helium; denn wegen der gleichgerichteten Spins gelingt es, den Einfluß des magnetischen Moments mit statistischen Verfahren aus den Streuergebnissen herauszufiltern, so daß die Ablenkung durch die Ladung der Quarks übrig bleibt.
Helium-3 verwendeten die Mainzer, weil es eines der kleinsten Atome ist, dessen Kern (außer zwei Protonen) ein Neutron enthält. (Ebenso ist das aus einem Proton und einem Neutron bestehende Deuterium für die beschriebenen Untersuchungen geeignet; mit ihm werden deshalb auch analoge Experimente für Vergleichszwecke durchgeführt.) Allerdings hat spinpolarisiertes Helium, das in Gasentladungsröhren bei einem Druck von etwa einem tausendstel Bar erzeugt wird, eine so geringe Dichte, daß es Jahrzehnte dauern würde, genügend Streuvorgänge für die genannte statistische Auswertung aufzuzeichnen. Für die anvisierte Versuchszeit von ungefähr einem Monat mußte das Gas unter Erhaltung der Spinpolarisation mindestens auf Atmosphärendruck verdichtet werden.
Dies freilich hatte sich in der Vergangenheit als extrem schwierig erwiesen; alle Versuche dazu waren fehlgeschlagen – hauptsächlich, weil die intensive Wechselwirkung mit den Wänden des Kompressors die mühsam erreichte Ordnung wieder zerstört. Jim M. Daniels und seine Mitarbeiter an der Universität Toronto (Kanada) brachen ein entsprechendes Projekt in den siebziger Jahren ab, nachdem sie sehr viel Vorarbeit dafür geleistet hatten.
In Mainz setzten Otten und Heil eine innovative Kompressionstechnik ein und vergüteten die innere Oberfläche des Glasballons, in dem das polarisierte Gas komprimiert und gespeichert wurde, mit einer nur wenige Atome dicken Lage aus Cäsium. Diese Beschichtung verhindert die störende magnetische Wechselwirkung zwischen der Gefäßwand und den Atomkernen des Heliums. So gelang es schließlich, das Edelgas unter Beibehaltung seiner Polarisation sogar auf bis zu zehn Bar zu komprimieren und es in den Speicherzellen durch ein magnetisches Haltefeld über 100 Stunden lang in seinem geordneten Zustand zu bewahren.
Ein Kontrastgas für Lungenuntersuchungen
Als die Mainzer Physiker die Technik zur Herstellung und Handhabung von spinpolarisiertem Hochdruck-Helium zur Praxisreife entwickelt hatten, hatten sie soviel Weitblick, über ihre eigenen Experimente hinaus (die erfolgreich durchgeführt werden konnten und eine Eingrenzung des Spektrums an Teilchenmodellen erlauben) an weitere Anwendungsmöglichkeiten zu denken. Deshalb fragten sie in der benachbarten Klinik für Radiologie an, ob man dort vielleicht auch an dem raren Stoff interessiert sei. Ihrer Überzeugung nach sollte das gleichsinnig rotierende Helium in der Kernspintomographie der Lunge einen Durchbruch ermöglichen.
Auch im Körpergewebe herrscht nämlich Spinchaos, und nach Anlegen eines Magnetfeldes rotieren ungefähr gleich viele Atomkerne links wie rechts herum. Weil aber Radioresonanzen, die von Kernen mit entgegengesetztem Spin ausgesandt werden, einander auslöschen, muß die Antenne des Tomographen mit minimalen Überschüssen von in eine Richtung rotierenden Teilchen auskommen. Bei Flüssigkeiten und Geweben mit ihrer hohen Dichte reicht das aus, ein dünnes Medium wie Atemgas ergibt dagegen ein viel zu schwaches Signal.
Anders bei spinpolarisiertem Helium: Obwohl die Menge an Kernen pro Volumeneinheit vergleichsweise gering ist, liefern sie doch wegen ihrer gleichsinnigen Rotation eine weitaus stärkere Resonanz als etwa umliegende Gewebestrukturen. Die Spinpolarisation zerfällt im Körperinneren zwar mit einer Halbwertszeit von wenigen Sekunden, aber bis zum Ende einer Aufnahme bleibt der Ordnungsgrad hoch genug.
Die Mainzer Radiologen Manfred Thelen und Hans-Ulrich Kauczor gingen auf das Angebot ihrer Physikkollegen denn auch begeistert ein. Schon die ersten Versuche mit Testpersonen, die das polarisierte Helium im provisorisch angepaßten Kernspintomographen einatmeten und für die Dauer der Aufnahme (etwa 20 Sekunden) den Atem anhalten mußten, ergaben hochaufgelöste Darstellungen der Lufträume in der Lunge von einzigartigem Kontrastreichtum (Bilder 1 und 2).
Schon jetzt ist absehbar, daß sich die neue Methode sowohl für die medizinische Grundlagenforschung als auch für die Diagnose von Störungen der Lungenbelüftung und für die Planung von Lungenoperationen zu einem Standardverfahren entwickeln wird. Derzeit arbei-ten die Mainzer Mediziner und Physiker, das Krebsforschungszentrum Heidelberg und die Firma Siemens Medizintechnik in Erlangen an der Optimierung und Standardisierung des neuen Meßverfahrens und loten sein klinisches und wissenschaftliches Potential aus.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 5 / 1997, Seite 16
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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