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Angemerkt!: Die Affäre Stapel

Ein niederländischer Sozialpsychologe fälschte in großem Stil Untersuchungsergebnisse. Dass es so weit kam, liegt auch an unseren sehr hohen Ansprüchen an erfolgreiche Wissenschaftler.
Melanie Steffens

Ende 2011 wurde die Sozialpsychologie von einem Skandal erschüttert, der bis dahin unvorstellbar schien. Der Niederländer Diederik Stapel, einer der erfolgreichsten europäischen Forscher dieser Disziplin, gab zu, in großem Umfang seit Jahren Daten erfunden zu haben. Eine Untersuchungskommission stellte fest, dass die Fälschungen mindestens 30 Fachartikel betreffen, die er allein oder zusammen mit Kollegen publiziert hat, unter anderem in der renommierten Zeitschrift "Science". Stapel wurde von allen Ämtern suspendiert.

Wie konnte es dazu kommen? Im vorläufigen Untersuchungsbericht sticht zunächst hervor, wie sorgfältig die Fälschungen geplant wurden. Stapel stellte seinen als privilegiert geltenden Doktorandinnen und Doktoranden fertige Datensätze zur Verfügung, so dass ihnen die mühsame Datenerhebung erspart blieb. Die Schulen, an denen er seine Umfragen angeblich durchführte, besuchte er stets allein – um, wie er sagte, seine über lange Zeit aufgebauten Kontakte nicht zu gefährden. Die Fahrten dorthin täuschte er stets nur vor, den Kofferraum voll gepackt mit Fragebögen und Schokolade. Kritische Fragen wusste Stapel offenbar mit einer Mischung aus Charisma und Autorität zu unterbinden. So versagten die Kontrollmechanismen innerhalb der Arbeitsgruppe völlig. Gelang es anderen Forschern nicht, Stapels Ergebnisse in einem eigenen Versuch zu bestätigen, wurde das auf fehlendes experimentelles Geschick geschoben.

All dies ist Diederik Stapel persönlich und – in geringerem Maß – seinem unmittelbaren Umfeld anzulasten. Doch darüber hinaus fragen sich nun viele Sozialpsychologen, ob Spezifika unserer Forschungskultur und -praxis dazu beigetragen haben, dass dieser Betrug möglich war. Die Rahmenbedingungen sind hart: Die Forschergemeinde ist global vernetzt, der Konkurrenzdruck unter Nachwuchswissenschaftlern extrem hoch. Die Zahl hochklassiger Veröffentlichungen entscheidet über den Karriereerfolg, die Ablehnungsquote für Beiträge in angesehenen Fachzeitschriften beträgt oft über 90 Prozent. Eine Replikation, also die Bestätigung eines früheren Befunds, ist kaum in einem einflussreichen Journal unterzubringen; auch fehlgeschlagene Replikationen werden oft nicht publiziert. Dabei sind beide essenziell für die Wissenschaft: nicht nur, um Fälschungen zu verhindern, sondern auch, um neuartige Erklärungen unter verschiedenen Bedingungen zu testen.

Die meisten jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind trotz der unsicheren Aussichten hoch motiviert: Viele brennen regelrecht für ihre Fragestellungen, sind an Erkenntnisgewinn interessiert. Für diese Kollegen bräuchte es keine neuen Kontrollmechanismen. Leider zeigt die Affäre Stapel aber, dass es auch einen anderen Forschertypus gibt. Die Herausgebergremien vieler sozialpsychologischer Fachzeitschriften haben bereits darauf reagiert und prüfen zurzeit beispielsweise, wie man die Daten und Analysen, die Studien zu Grunde liegen, besser für unabhängige Überprüfungen zugänglich machen kann.

Darüber hinaus stützt der Fall jene kritischen Überlegungen, die ohnehin in den letzten Jahren vermehrt angestellt wurden: Sind die Standards, mit denen wir wissenschaftliche Qualität beurteilen, sinnvoll? Über Karrieren entscheiden heute die Länge der Publikationsliste, das Renommee der Zeitschriften und die Zahl der Zitationen. Doch müssen wir nicht das ureigene Wesen der empirischen Forschung wieder stärker berücksichtigen – nämlich dass Erkenntnisgewinn nicht perfekt planbar und vorhersehbar, sondern mit Unsicherheiten und Risiken behaftet ist? Dazu müssten wir dem mehr Raum geben, was der britische Biologe Thomas Huxley 1870 die große Tragödie der Wissenschaft nannte: die Ermordung wunderschöner Hypothesen durch hässliche Tatsachen.

Die Sozialpsychologie hat viele wichtige Beiträge zur Erklärung gesellschaftlicher und individueller Probleme hervorgebracht, die auch nach dem jüngsten Skandal Bestand haben. Aber indem wir unsere wissenschaftlichen Maßstäbe überdenken, geben wir schwarzen Schafen künftig noch weniger Chancen.

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