Chemie: Die Babywindel und 34 andere Chemiegeschichten
Wiley-VCH, Weinheim 2000. 291 Seiten, DM 48,–
Windeln und Waschmittel, Tesafilm und Tupperware haben Entdeckungsgeschichten, die oft ebenso spannend sind wie die Storys von den Dinosauriern und den Schwarzen Löchern, die den Markt der populärwissenschaftlichen Bücher dominieren. Nur sind diese Geschichten oft nur wenigen bekannt.
Der ehemalige Verlag Chemie, jetzt Wiley-VCH, bemüht sich, diese Lücke zu schließen, sowohl mit Übersetzungen englischer Werke wie "Chemie der Zukunft" von Philip Ball und "Sonne, Sex und Schokolade" von John Emsley als auch mit deutschen Originalberichten und Lesebüchern. Von letzterer Art ist das vorliegende Buch; es handelt sich um einen Wühltisch mit 35 "Chemiegeschichten", die jeweils einen Aspekt der Chemie behandeln.
Neben produktorientierten Beiträgen über Klebstoffe, Beton, Waschmittel und die Babywindel des Buchtitels finden sich Berichte über Methoden, von der klassischen Chromatographie bis hin zur Polymerase-Kettenreaktion, sowie einige interessante Moleküle, die es noch nicht ganz bis in den Supermarkt geschafft haben, etwa die fußballförmigen Fullerene und die baumartig verzweigten Dendrimere.
Die Herausgeber haben gründlich redigiert, aber ihren 24 Koautoren auch viel Freiheit zugestanden (bis hin zur Wahl der Rechtschreibregeln), sodass die Beiträge stilistisch sehr unterschiedlich ausfallen. Die meisten enthalten eine Mischung aus allgemeinen Grundlagen und interessanten Details, von denen auch ältere Semester noch etwas lernen können. Von der beschreibbaren CD bis zum Fleckentferner wird die unsichtbare Magie vieler Alltagsprodukte in verständlicher Form erklärt. Manches ist auch geeignet, Eltern wissbegieriger Kinder das Leben zu erleichtern und der Frage: "Wie funktioniert das?" den Schrecken zu nehmen.
Manche Kapitel lösen tatsächlich das Versprechen des Titels ein mit einer Geschichte, die sich zu erzählen lohnt – etwa wie Karl Ziegler die nach ihm benannten Katalysatoren entdeckte, mit denen man heute noch den Kunststoff Polyethylen herstellt. Von dieser Art hätte das Buch mehr vertragen können. Es gibt in der glorreichen Geschichte der deutschen Chemie vor 1933 Dutzende von Entdeckern und Erfindern, deren Lebensgeschichten schon seit Jahrzehnten nicht mehr einem Laienpublikum erzählt wurden, obwohl ihre Erfindungen nach wie vor in Alltagsprodukten verwendet werden. Auch aus jüngster Zeit bringt das Buch spannende Geschichten von Zufallsentdeckungen und Konkurrenzkämpfen – man denke an die Fullerene.
Bei manchen Beiträgen ist hingegen keine Geschichte vorhanden, oder es gab keinen Geschichtenerzähler, der sie unter der Deckschicht der drögen Fakten ausgegraben hätte. In diesen Fällen wirken die Popularisierungsversuche bisweilen unbeholfen. Die inflationäre Verwendung von Anführungszeichen verrät, dass den Autoren bei der Verwendung bildlicher Ausdrucksweisen nicht ganz wohl ist. Mit entsprechender Kunstfertigkeit kann man auch eine vermeintlich trockene Episode der Wissenschaftsgeschichte an ein Millionenpublikum bringen; Dava Sobel hat da mit ihrem Buch "Längengrad" Maßstäbe gesetzt. Doch leider scheint das Geschichtenerzählen den Chemikern schwerer zu fallen als Angehörigen anderer Fakultäten.
Alles in allem ist dieses Buch eine interessante Mischung mit Stärken und Schwächen, oder in den Worten einer seiner eigenen Überschriften (mit Original-Anführungszeichen): ein bunter "Chemiemix". Geeignet vor allem für Studierende und andere Bildungshungrige, eher zum Stöbern als zum Durchlesen am Stück. Wenn ich es noch einmal lesen müsste, würde ich vielleicht mit Teil 2 (Polymere) anfangen. Das Imageproblem der Chemie in breiten Kreisen der Bevölkerung wird allerdings auch dieses Buch, so gut es gemeint ist, nicht beheben können.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 92
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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