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Die Bausch-Bibliothek

Eine Ausstellung in Schweinfurt präsentiert eine wissenschaftliche Büchersammlung aus der frühen Neuzeit, deren Grundstock ein Amtsarzt der Stadt legte.

Die Stadt Schweinfurt verwahrt zwei große historische wissenschaftliche Buchbestände. Die aus dem Nachlaß der Altdorfer Mathematikprofessoren Johannes Praetorius (1537 bis 1616) und Petrus Saxonius (1591 bis 1625) stammenden Bücher und Instrumente wurden bereits 1994 in der Aussstellung "450 Jahre Copernicus ‚De revolutionibus' – Astronomische und mathematische Bücher aus Schweinfurter Bibliotheken" vorgestellt (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1994, Seite 108). Nun präsentieren Stadtarchiv und -bibliothek Schweinfurt sowie die dortige Bibliothek Otto Schäfer mehr als 150 Titel aus einer zweiten bedeutenden Gelehrtenbibliothek jener Zeit: aus der Bausch-Bibliothek, die zwischen dem späten 16. und dem frühen 18. Jahrhundert entstanden ist.
Begründet hatte diese Büchersammlung der seit 1603 als Schweinfurter Stadtphysicus (Amtsarzt) tätige Dr. Leonhard Bausch (1574 bis 1636); sein Sohn und Amtsnachfolger Dr. Johann Laurentius Bausch (1605 bis 1665; Bild 1 links) erweiterte ihren Umfang erheblich. Im Jahre 1813 gelangte sie durch Schenkung aus Familienbesitz in die Stadtbibliothek Schweinfurt. Von den heute im dortigen Stadtarchiv nachweisbaren – seit 1995 in der Bibliothek Otto Schäfer museal präsentierten – 1828 Bänden mit etwa 5000 Titeln aus allen Wissensgebieten, davon etwa die Hälfte medizinische Werke, stammen knapp zwei Drittel aus dem Besitz des Leonhard und des Johann Laurentius Bausch. Der Rest entfällt auf die Angehörigen der Familie Schmidt, die Erben der Bibliothek. Zwei ihrer Mitglieder – Elias Schmidt (1630 bis 1690) und Johann Heinrich Schmidt (1660 bis 1723) waren ebenfalls Stadtphysici.
Damit befand sich die Bibliothek 120 Jahre lang im Besitz der jeweiligen Amtsärzte der Stadt. Die außergewöhn0liche Größe dieser Gelehrtensammlung zeigt ein Vergleich mit der Schweinfurter Ratsbibliothek: Deren Katalog von 1687 weist 1146 Titel nach, unter denen sich kaum medizinische Werke befinden. Der Bausch-Bibliothek kann demnach jenseits ihres privaten Charakters geradezu der Rang einer Physicatsbibliothek zugesprochen werden.
Für die Wissenschaftsgeschichte ist diese Büchersammlung noch wegen eines weiteren Umstands von Bedeutung: Die Analyse einer so umfassenden und nahezu vollständig rekonstruierbaren Bibliothek vermag zweifellos die Rezeption der wissenschaftlichen Umbruchperiode um 1600 im damaligen alltäglichen Wissenschaftsbetrieb beziehungsweise in der alltäglichen Praxis der Mediziner zu beleuchten; das sukzessive Eindringen neuen wissenschaftlichen Denkens in den normalen Wissenschaftsalltag läßt sich nachvollziehen.
Als besonderer Glücksfall kommt hinzu, daß dieser Rezeptionsprozeß sich auch an der Person des Johann Laurentius Bausch untersuchen läßt, der mit drei anderen Schweinfurter Ärzten – Johann Michael Fehr (1610 bis 1688), Georg Balthasar Metzger (1623 bis 1687) und Georg Balthasar Wohlfarth (1607 bis 1674) – am Neujahrstag 1652 die Academia Naturae Curiosorum gründete, die heutige weltweit renommierte Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (Bild 1 rechts; vergleiche auch Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1992, Seite 130).
Als konstitutiv für die Mediziner- und Gelehrtenbiographie Johann Laurentius Bauschs ist außer Zeitumständen und ererbter Bibliothek auch die damalige Tradition der akademischen Ausbildung anzusehen, die in aller Regel eine peregrinatio academica ins europäische Ausland einschloß, vorzugsweise an die berühmten italienischen Universitätsstädte: Seinen Vater Leonhard hatte sie von 1599 bis 1601 nach Padua geführt, Johann Laurentius in den Jahren 1628 bis 1630 ebenso. Auch für die drei Mitbegründer der Akademie ist eine solche Bildungsreise nach Italien belegt. Zweifellos wurden die vier Ärzte durch dortige Vorbilder, die wiederum auf den Akademie-Gedanken der griechischen Antike zurückgingen, zu ihrem Gründungsvorhaben angeregt.
Die von Bausch entworfenen Statuten der Akademie bezeichneten "die Ehre Gottes, die weitere Aufklärung auf dem Gebiet der Heilkunde und den daraus hervorgehenden Nutzen für die Mitmenschen" als "Ziel und einzige Richtschnur der Akademie". Erreicht werden sollte dies durch das Erarbeiten einer vielbändigen Enzyklopädie der Heilmittel, also auf literarisch-kompilativem Wege. Dieses anspruchsvolle Programm überstieg allerdings die realen Möglichkeiten der Akademie bei weitem, die im Todesjahr Bauschs nur 19 Mitglieder zählte. Als erste Veröffentlichung im Rahmen des beschriebenen Programms konnte die "Ampelographia" des Breslauer Stadtphysicus Jacob Philipp Sachs von Lewenhaimb 1661 erscheinen, eine 670 Seiten umfassende Monographie über die Weinpflanze. Bauschs eigene Abhandlungen über die Blut- und Adlersteine "De lapide haematite et aetite" folgten erst 1665. Die besonders dichte, metallisch glänzende Hämatit-Varietät nutzt man immer noch als Schmuckstein; die auch Klappersteine genannten rundlichen, hohlen Konkremente aus Braun- oder Toneisenstein (sie enthalten manchmal lose Steinchen) galten im Volksglauben als Gebäramulett und wurden seit der Antike pulverisiert zu vielen Rezepturen verwendet.
Die Schweinfurter Ausstellung präsentiert neben einer Reihe von Exponaten zur Biographie des Leopoldina-Gründers, zur Geschichte seiner Bibliothek und zur Frühgeschichte der Akademie in sieben Abteilungen – Theologie, Geschichte/Politik/Jura, Astronomie/Mathematik, Geographie, Botanik/Zoologie, Alchemie und Medizin – 140 Bücher, darunter viele bedeutende Werke der europäischen Wissenschafts- und Kulturgeschichte (Bild 2).
Die Ausstellung "Wissenschaft und Buch in der Frühen Neuzeit – Die Bibliothek des Schweinfurter Stadtphysicus und Gründers der Leopoldina Johann Laurentius Bausch (1605 bis 1665)" wird am 10. März eröffnet und ist bis zum 28. Juni 1998 in der Bibliothek Otto Schäfer, Judithstraße 16, 97422 Schweinfurt, zu sehen. Geöffnet ist sie dienstags bis freitags 14 bis 17 Uhr, samstags und sonntags 10 bis 13 und 14 bis 17 Uhr; am 10. und 13. April, 1. Mai und 1. Juni 1998 ist geschlossen. Ab Januar 1999 wird die Ausstellung in den Franckeschen Stiftungen Halle (Saale) zu sehen sein. Der reich illustrierte Katalog, in dem alle Exponate abgebildet sind, umfaßt 250 Seiten und kostet DM 48,-.Anläßlich der Ausstellung veranstaltet die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina am 19. und 20. Juni 1998 eine wissenschaftshistorische Tagung unter dem Titel "Wissenschaft und Buch. Die Schweinfurter Bausch-Bibliothek" in der Bibliothek Otto Schäfer.Dr. Müller leitet das Stadtarchivund die Stadtbibliothek Schweinfurt;er ist Initiator der Ausstellung und Herausgeber des Katalogs


Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1998, Seite 94
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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