Ethik und Medizin: Die Debatte um das therapeutische Klonen
Wie sollen Forschung und Gesellschaft mit den ethischen Herausforderungen umgehen, die mit dem Klonen von Organismen und der Züchtung menschlicher embryonaler Stammzellen verbunden sind?
Im April 2000 trat Bill Joy, Forschungsleiter der Firma Sun Microsystems, mit einer provozierenden These an die Öffentlichkeit: Drei Technologien – Gentechnik, Nanotechnik und Robotik – entwickelten sich in einer Weise, dass sie zu einer Bedrohung für die Menschheit auswüchsen. Man solle die dahingehenden Forschungen entweder gleich ganz verbieten oder doch im Rahmen einer Volksbefragung darüber abstimmen lassen, ob die Bürgerinnen und Bürger diese Entwicklungen überhaupt wollten.
Aber können Forschungsverbote eine Antwort auf die diversen Krisen unserer Zeit sein? Probleme sind eher durch mehr als durch weniger Wissenschaft zu bewältigen. Die Wissenschaftler selbst, die in dieser Art von Diskussionen befangen sind, können nur der Gesellschaft mit einem Ausmaß an Transparenz begegnen, das sie bislang nicht kannten und an das sie sich gewöhnen müssen.
Nehmen wir als Beispiel das Klonen. Vor knapp fünf Jahren haben Forscher des Roslin-Instituts bei Edinburgh erstmals ein erwachsenes Säugetier geklont. Sie übertrugen den Zellkern einer kultivierten Schaf-Euterzelle in eine "entkernte" Eizelle eines anderen Schafs. Das Resultat namens Dolly war eine wissenschaftliche Sensation – hatte man doch bis dahin angenommen, die Entwicklungsuhr einer spezialisierten Körperzelle ließe sich nicht mehr auf Null zurückstellen, das heißt auf das Niveau einer ganz frühen Embryonalzelle.
Inzwischen haben Forscher auch andere Säugetiere wie Rinder, Ziegen, Schweine und Mäuse nach dem Dolly-Prinzip geklont. Der Aufwand ist allerdings enorm, die Ausbeute gering. Für Dolly wurden mehr als 400 Eizellen von hormonell stimulierten weiblichen Schafen entnommen und – nach dem Absaugen ihrer Chromosomen – mit einer Euterzelle als Kernspender verschmolzen. Von den 277 dann entstandenen Embryonen entwickelten sich in der ersten Woche nur ein Zehntel programmgemäß weiter. Sie wurden in 13 "Leihmütter" verpflanzt, aber nur ein einziges lebensfähiges Lamm kam schließlich zur Welt.
Nach den bisherigen Erfahrungen an Nutztieren bleiben lediglich wenige Prozent der ursprünglich erzeugten Klon-Embryonen bis zur Geburt am Leben – was aber nicht gleichbedeutend mit lebensfähig ist. Viele der geklonten Tiere sind übergroß oder sonst wie geschädigt; ihre Todesrate kurz vor oder nach der Geburt liegt zwischen 40 und 75 Prozent.
Während eineiige Zwillinge – natürliche Klone – genetisch identisch und gleich alt sind, erlaubt es die Dolly-Technologie, auch Klone von bereits erwachsenen Individuen zu erzeugen, ja sogar von verstorbenen, sofern Zellen davon in einer Kultur überdauert haben. Es ist davon auszugehen, dass die Technik im Prinzip auch auf den Menschen anwendbar ist. In den USA und in Italien haben sich bereits die ersten Hasardeure gemeldet, die genau das tun wollen. Was sie aber nicht gesagt haben, ist:
- wie sie die jeweils hundert Leihmütter verpflichten wollen, die sie für ein einziges lebend geborenes Klon-Kind brauchen, weil die anderen schon vor Ende der normalen Schwangerschaftsdauer verloren gehen,
- was sie mit den vielen Kindern zu tun gedenken, die mit schwersten Defekten zur Welt kommen. Wollen sie selbst für deren Pflege aufkommen oder dies der Allgemeinheit anlasten?
Ich halte Versuche dieser Art für unwissenschaftlich und unvertretbar.
Nun spricht man indes seit einiger Zeit nicht nur vom organismischen Klonen à la Dolly, sondern auch vom "therapeutischen" Klonen. Dabei wird der nach dem Dolly-Verfahren hergestellte Embryo nur als Mittel zum Zweck erzeugt. In einem ganz frühen Entwicklungsstadium, wenn er erst ein winziges Keimbläschen darstellt, enthält seine innere Zellmasse so genannte pluripotente Stammzellen, die noch fast alle Zelltypen hervorbringen können. Unter geeigneten Kulturbedingungen, so die Zukunftsvision, sollten entnommene embryonale Stammzellen sich weiter vermehren und gezielt in die gewünschte Zell- oder Gewebeart umwandeln lassen. Das Verfahren hätte den Vorteil, dass die Zellen eines solchen Transplantats das Erbgut des Patienten enthielten und deshalb nicht abgestoßen würden.
Dass es die Cocktails bislang nicht gibt, die kultivierte menschliche Embryonalzellen gezielt zur Entwicklung eines gewünschten Gewebes oder gar Organs zwingen, wird in den Diskussionen oft verschwiegen. Ebenso ignoriert wird die Problematik, dass diese Zellen in ihrer Mehrzahl schwer wiegende Entwicklungsdefekte aufweisen müssen, wie die niedrigen Ausbeuten gesunder geklonter Organismen deutlicher nicht zeigen können. Die genetische Reprogrammierung von Körperzellen – das rätselhafte Zurückdrehen der Entwicklungsuhr – ist zwar möglich, aber wohl reines Glücksspiel.
Deshalb kann es im derzeitigen Stadium nicht angehen, Zellen aus Klon-Embryonen zu therapeutischen Zwecken einzusetzen. Die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken nach dem Dolly-Verfahren lehnt die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) daher auch in ihren neuen Empfehlungen ab, die Anfang Mai vorgelegt wurden.
Einige Wissenschaftler spielen deshalb mit dem Gedanken, ihre Therapieziele – wie etwa den Ersatz von abgestorbenem oder geschädigtem Hirn- und Herzgewebe – über Stammzellen aus anderen Quellen zu erreichen.
Schwierige Güterabwägung
Tierische embryonale Stammzellen sind seit langem ein unverzichtbares Werkzeug moderner Zellbiologie. Aus Keimbläschen von Mäusen gewonnen, werden sie als Zell-Linien in Dauerkultur unbegrenzt vermehrt. Sie behalten dabei ihre Fähigkeit, alle Zelltypen auszubilden, die in einem erwachsenen Tier auch vorkommen, inklusive der Ei- oder Samenzellen. Dies zeigt sich, wenn man sie wieder in einen sich entwickelnden Mäuse-Embryo steckt. Was sie aber nicht können: sich ganz alleine zu einem intakten Tier entwickeln. Dies vermag nur eine befruchtete Eizelle.
Embryonale Stammzell-Linien lassen sich zudem genetisch verändern. So war und ist es nach Einbau solcher Zellen in einen Mäuse-Embryo möglich, die Rolle einzelner Gene im Kontext eines Organismus zu studieren und Tiermodelle für menschliche Krankheiten zu entwickeln, beispielsweise für Krebs, aber auch für neurologische Erkrankungen.
Vor drei Jahren gelang es erstmals einem Forscherteam um James Thomson von der Universität von Wisconsin, auch menschliche embryonale Stammzellen in Dauerkultur zu züchten. Ihnen wird große Bedeutung beigemessen:
- in der Anwendung, weil embryonale Stammzellen der Maus defektes Gewebe – beispielsweise im Umfeld einer Rückenmarkverletzung – besiedeln und teilweise reparieren können, was man sich auch von den menschlichen Pendants erhofft;
- in der Forschung, weil embryonale Stammzellen in Kultur möglicherweise direkt in bestimmte Körperzellen oder gar Gewebe umgewandelt werden können, sodass sich dort die molekularen Grundlagen der Differenzierung ermitteln lassen.
Thomsons Zellen stammten aus "überzähligen" Embryonen von Reagenzglas-Befruchtungen. Die Herstellung, aber auch der Einsatz solcher Zellen zu Forschungszwecken ist in vielen Ländern verboten. Die DFG hingegen empfiehlt nun, die Verwendung "überzähliger" Embryonen dafür freizugeben.
In der hier zu Lande geführten ethischen Diskussion geht es einerseits um die grundgesetzlich geschützte Forschungsfreiheit und andererseits um die Schutzwürdigkeit des menschlichen Embryos. Der ethische und rechtliche Schutz beider Güter ist nicht absolut. Die Freiheit der Forschung kann durch die Grundrechte auf Menschenwürde sowie auf Leben und Gesundheit eingeschränkt sein. Auch der Schutz des menschlichen Embryos ist nicht absolut gewährt, da der Gesetzgeber bestimmte Verfahren der Empfängnisverhütung gestattet und auch den Schwangerschaftsabbruch unter bestimmten Bedingungen von der Strafverfolgung ausnimmt. Beide Beispiele zeigen, wie die ethische Urteilsfindung auf einem Prozess der Güterabwägung beruht, den die Gesellschaft in die eine oder andere Richtung zu lenken vermag.
Im Falle der Verwendung menschlicher Embryonen zu Forschungszwecken wird dieser Prozess an der Hochrangigkeit der Forschungsziele zu messen sein. Gewiss stellt die Aussicht auf Heilung schwerer und schwerster Krankheiten ein hohes Ziel dar, das möglicherweise den Verlust menschlicher Embryonen aufwiegen könnte – zumal solcher, die zwar zur Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt wurden, aus dem einen oder anderen Grunde aber nicht zum Einsatz kamen und damit "überzählig" sind. Im konkreten Fall müsste aber die Hochrangigkeit spezifiziert werden; zumindest bedarf es eines realistischen wissenschaftlichen Hintergrunds. Mit Heilsversprechen alleine kann es nicht getan sein. Mir scheint, dass eine solche wissenschaftliche Grundlage für das therapeutische Klonen nicht gegeben ist.
Ob wir überhaupt embryonale Stammzellen zu therapeutischen Zwecken brauchen, wird nicht zuletzt von einer Alternative abhängen: den gewebespezifischen Stammzellen. Diese dienen als Vorläufer bestimmter Zelltypen, liegen somit in ihrem entwicklungsbiologischen Potenzial irgendwo zwischen dem eines Embryos und dem einer Körperzelle. Am besten bekannt sind die Stammzellen des Blut bildenden Systems, die überwiegend im Knochenmark lokalisiert sind. Im Blut kommen sie selten vor; nur eine unter 10000 Zellen ist dort eine Stammzelle. Doch eine einzige davon vermag ein ganzes, intaktes Immunsystem aufzubauen. Bei Knochenmarktransplantationen wird dieses Potenzial mit Erfolg genutzt. Inzwischen haben Forscher Stammzellen in allen unseren Organen gefunden, selbst im erwachsenen Gehirn, das lange als nicht regenerationsfähig galt. Gewebespezifische Stammzellen lassen sich nach neuesten Erkenntnissen sogar ineinander umwandeln, Blut bildende Stammzellen etwa in solche für Muskelzellen.
Weder die embryonalen noch die gewebespezifischen Stammzellen haben bisher ihr wahres Potenzial demonstrieren können. In beiden Fällen steht die Wissenschaft noch ganz am Anfang. Immerhin hat die anhaltende Diskussion um die embryonalen Stammzellen dazu geführt, dass nun Forscher intensiv über gewebespezifische Stammzellen arbeiten.
Der richtige Umgang mit der Stammzellbiologie und mit stammzellbasierten Therapien wird zu einer Bewährungsprobe werden. Hier wird sich zeigen, ob die Biotechnologie den Dialog mit der Öffentlichkeit wirklich will und ob er ausreichende Selbstregulierungskräfte aufbringt, den richtigen Weg zu wählen. "Wo ist die Weisheit geblieben, die wir vor lauter Wissen verloren haben, wo das Wissen in der Flut von Information?", hat der Dichter T. S. Elliot einmal gefragt.
Sofern die Biotechnologie hierauf Antworten findet, wird sie so intensiv blühen, wie wir uns dies alle wünschen!
Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 2001, Seite 96
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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