Die DNA: 1953–2003: Die Doppelhelix war nur der Anfang
Der berühmte Satz von Watson und Crick, der das Interview einleitet, stellte die neugeborene Wissenschaft der Molekularbiologie vor die Herausforderung, die Erbinformation und ihre Realisierung im Detail zu ergründen.
Man glaubt es kaum: Erst jetzt nähern wir uns einem vollständigen Verständnis dessen, wie die Abfolge der Bausteine in der Doppelhelix einerseits an nachfolgende Generationen weitergereicht und andererseits tatsächlich in Funktionen umgesetzt wird. Im April 1953 war die frisch veröffentlichte Doppelhelix zwar ein außerordentlich elegantes Modell, das mit den verfügbaren Daten im Einklang stand, aber die genauen Mechanismen der Vererbung oder gar der Genfunktion blieben weiterhin im Dunkeln. Selbst der so "unmittelbar" nahe liegende Kopplermechanismus – man entzwirbele die Doppelhelix und benutze jeden Einzelstrang als Vorlage für die Synthese eines komplementären Gegenstrangs – konnte erst fünf Jahre später bewiesen werden. Matthew Meselson und Franklin Stahl erzeugten am California Institute of Technology isotopenmarkierte DNA: Nach einem Vervielfältigungszyklus entstanden zwei Doppelhelices, die jeweils einen markierten und einen unmarkierten Strang enthielten. Eine noch größere Herausforderung war herauszubekommen, wie die genetische Information realisiert wird. Eine verwirrende Vielfalt von RNA-Molekülen (der DNA chemisch ähnlich), schien ebenso wie eine Ansammlung knubbeliger Teilchen, Ribosomen genannt, an der Herstellung von Proteinen in der Zelle beteiligt zu sein. Erst in den 1960er Jahren gelang die Entschlüsselung des genetischen Codes, der jedem "dreisilbigen Code-Wort" des genetischen Textes entweder eine Aminosäure oder ein Stoppsignal zuordnet. Francis Crick hatte postuliert, dass ein Adapter nötig sei, um den Code in Aminosäuren für ein Protein zu "übersetzen". Dieser Adapter wurde tatsächlich entdeckt, es handelt sich um die Transfer-RNA. Doch selbst mit diesem Wissen um den genetischen Code blieb das Erbmaterial ein schwieriges Forschungsobjekt. Jede Zelle enthält gewöhnlich nur ein oder zwei Exemplare von jedem ihrer DNA-Moleküle – im Vergleich zu Tausenden oder mehr Exemplaren eines bestimmten Proteinmoleküls. Methoden zur Untersuchung winziger Spuren von Biomolekülen fehlten noch. So war die Struktur und Funktion von Proteinen bis in die 1970er Jahre leichter zu ergründen als die von Nucleinsäuren, also von DNA und RNA.
Erst eine ganze Reihe wichtiger Errungenschaften brachte eine Wende. Sie ermöglichte es, Gene durch Einschleusen in Bakterien zu klonieren und schließlich sogar direkt im Reagenzglas zu vervielfältigen. Dadurch bekamen die Forscher ausreichende Mengen für weitere Untersuchungen in die Hand. Erst damit begann in den 1980er Jahren – rund dreißig Jahre nach der Doppelhelix – die eigentliche Blüte der Molekularbiologie und Gentechnik. Die in der normalen Zelle vorhandene Substanzmenge bestimmte zwar nun nicht mehr die Grenzen des Erforschbaren. Doch waren die vorhandenen Methoden zum Sequenzieren und Analysieren von Genen noch viel zu langsam und teuer, gemessen an der schier unvorstellbaren Informationsmenge eines gesamten Genoms. Im menschlichen Erbgut galt es immerhin, die Abfolge von drei Milliarden Basen zu entziffern. Wenigstens konnten die Forscher zunehmend dazu übergehen, die Sequenz eines Proteins aus der seines Gens abzuleiten anstatt umgekehrt. Aber die Analyse auch nur eines einzigen Gens erforderte mühsame Handarbeit.
Neue Methoden, die sich auf hoch empfindliche Fluoreszenzmarker stützten, ermöglichten es in den 1990er Jahren, die Gensequenzierung zu automatisieren. Als 1988 die ersten Pläne zur Entzifferung des menschlichen Genoms geschmiedet worden waren, erschien ein solches Projekt noch astronomisch teuer und aufwendig. Doch die Verfahren beschleunigten und verbilligten sich noch schneller als erhofft, sodass eine wahre Flut von Gendaten einzulaufen begann. 1995 publizierte die Gruppe von Craig Venter am Institute of Genomic Research das erste vollständig sequenzierte Erbgut eines echten Lebewesens (nur bei Viren war dies vorher gelungen). Es handelte sich um einen Krankheitserreger: das Pfeiffer-Bakterium. Das verhalf der Craig’schen Methode des "Schrotschuss-Sequenzierens" zur Anerkennung. Heute, acht Jahre später, ist das Erbgut von über hundert Arten entziffert, darunter von Mensch, Maus und Taufliege, aber auch von Pflanzen wie Reis und Ackerschmalwand sowie von zahlreichen Mikroben aus allen drei Urreichen des Lebens – Archaeen (früher Archaebakterien genannt), Bakterien und Eukaryonten (Organismen mit echtem Zellkern). Angesichts dieser Informationsflut stellt die größte Herausforderung heute nicht mehr die Gewinnung von Daten dar, sondern ihre Interpretation und Einordnung. Bioinformatik ist zu einer eigenen Forschungsdisziplin angewachsen und zahlreiche Firmen bieten Produkte an, welche den Forschern beim "Datamining", beim Absuchen der Daten nach interessanten Zusammenhängen, behilflich sind. Erst heute, fünfzig Jahre nach der Entdeckung der Doppelhelix, ist die DNA ein offenes Buch geworden, aus dem Wissenschaftler die Geheimnisse des Lebens erschließen können.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 2003, Seite 78
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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