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Die Entstehung von Tornados

Rotierende Luftschläuche, die rüsselartig vom Himmel ragen und am Boden eine Straße der Verwüstung hinterlassen, bilden sich bei der Verwirbelung von Auf- und Abwindströmungen in besonders wohlgeordneten Gewitterzellen.

Letztes Jahr war die vom späten Frühling bis zum Sommer reichende Tornado-Saison in den Vereinigten Staaten besonders verheerend. Allein im Mai 1995 richteten 484 derartige lokale Wirbelstürme Schäden von vielen Millionen Dollar an; 16 Menschen kamen dabei ums Leben.

Tag für Tag brachen meine Kollegen und ich vom National Severe Storms Laboratory (NSSL) in Norman (Oklahoma) zu Suchfahrten in Gegenden auf, für die schwere Gewitter vorhergesagt worden waren – auch in die benachbarten Staaten Texas oder Kansas. Manchmal kehrten wir erst nachts um drei Uhr zurück und fuhren nach der allmorgendlichen Besprechung der Wetterlage um 9 Uhr gleich wieder los – erschöpft, doch getrieben von der Hoffnung, aufschlußreiche Informationen über die Entstehung der rotierenden Wolkenrüssel gewinnen zu können.

Am Dienstag, dem 16. Mai, signalisierten die Meteorologen Tornado-Gefahr in Kansas für den Nachmittag. Tatsächlich hatte sich bis 17 Uhr ein bedrohliches Gewitter zusammengebraut, gespeist von warmen, feuchtegeladenen Luftmassen aus südlicher Richtung, die in einem Aufwind hochstiegen und rotierten. Es handelte sich um eine sehr gut entwickelte Superzelle – eine ideale Konstellation für die Entstehung von Tornados.

Schon bei der Anfahrt von Südosten in unserem Meßwagen "Sonde 1" gewahrten William Gargan, ein Doktorand von der Universität von Oklahoma in Norman, und ich aus 100 Kilometern Entfernung den 15 Kilometer hohen Gewitterturm. Wie wir feststellen konnten, zog das Unwetter mit 50 Kilometern pro Stunde, einer typischen Geschwindigkeit für die Great Plains, in Richtung Ostnordost.

Als wir bis auf 15 Kilometer herangekommen waren, sahen wir erstmals die lange, dunkle Wolkenbasis. Schließlich entdeckten wir nahe Garden City auch den typischen Wirbel, der wie ein schmaler Trichter hinten vom Hauptwolkenturm zum Boden herabreichte. Während wir auf kleineren asphaltierten Straßen näher heranzukommen suchten, verloren wir den Schlauch vorübergehend aus den Augen, entdeckten ihn aber nur sechs Kilometer nordwestlich von uns wieder. Er war dünn und verlief das erste Stück hinter seiner Ausgangswolke fast horizontal, bevor er abrupt im rechten Winkel zum Erdboden hin abbog. Offensichtlich wurde er durch die kalte Luft, die aus dem Gewitter abwärts strömte, von der Wolke weggedrückt und stand kurz vor der Auflösung.

Die meisten Tornados existieren nur wenige Minuten und ziehen eine recht schmale, etwa 50 Meter breite Schneise der Verwüstung. Extrem starke Exemplare können bis zu zwei Kilometer breit sein, Geschwindigkeiten von 90 Kilometern pro Stunde erreichen und über eine Stunde bestehenbleiben. Im Wirbel selbst herrschen Windgeschwindigkeiten von 400 Kilometern pro Stunde und mehr.

Tornados sind von tropischen Wirbelstürmen zu unterscheiden, die über warmen Meereszonen entstehen und in der Karibik sowie im Golf von Mexiko als Hurrikan, im westlichen Pazifik als Taifun und an der Nordwestküste Australiens als Willy-Willy bezeichnet werden. Sie haben Durchmesser von bis zu 1000 Kilometern und erreichen Windgeschwindigkeiten zwischen 100 und 200 Kilometern pro Stunde.

Auf der Nordhalbkugel treten verheerende Tornados in den USA, dem östlichen Indien und Bangladesch auf; sie drehen sich, von oben betrachtet, fast immer entgegen dem Uhrzeigersinn. Auf der Südhalbkugel – beispielsweise in Australien – rotieren sie dagegen meistens im Uhrzeigersinn. In beiden Fällen spricht man von zyklonaler Bewegung, weil sie mit der von Zyklonen (Tiefdruckgebieten) auf der jeweiligen Hemisphäre übereinstimmt.

Superzellen

Schon im Jahre 1949 erkannte Edward M. Brooks von der Universität Saint Louis (Missouri), indem er die Luftdruckänderungen an Wetterstationen in der Nähe von Tornados untersuchte, daß sich die schlauchartigen Wirbel gewöhnlich innerhalb mittelgroßer rotierender Luftmassen bilden. Eine solche Mesozyklone war dann 1953 auch auf dem Radarschirm des Flughafens von Urbana (Illinois) in Form eines hakenförmigen Fortsatzes auf der Südwestseite eines Gewitters zu erkennen (vergleiche Bild 4 rechts). Da Regen die Radarwellen reflektiert, zeigte der Haken an, daß der Niederschlag in einen zyklonal rotierenden Vorhang hineingezogen wurde. T. Theodore Fujita von der Universität Chicago untersuchte 1957 Photos und Filme, die Ortsansässige von der Wolkenbasis und den Seiten eines Gewitters mit Tornado in Nord-Dakota aufgenommen hatten; dabei stellte er fest, daß sich der gesamte Wolkenturm zyklonal drehte.

In den sechziger Jahren gelang es dem britischen Meteorologen Keith Browning als Gastwissenschaftler beim amerikanischen National Severe Storms Project, dem Vorgänger des NSSL, tornadoträchtige Gewitter anhand von Radardaten bereits sehr genau zu charakterisieren: Es handelt sich um besonders ausgedehnte und energiereiche Gewittersysteme, die Browning Superzellen nannte. Sie entwickeln sich, wenn Windstärke und -richtung mit der Höhe stark variieren und kühle, trockene Luft in etwa zwei Kilometern Höhe über warmen, feuchten Luftmassen liegt (Bild 2). Dabei handelt es sich um eine labile Anordnung, die nur durch eine dünne Trennschicht aufrechterhalten wird.

Diese kann jedoch aufbrechen, wenn die Sonne die bodennahe Luft weiter aufheizt oder ein anderes Wettersystem anrückt. Fronten, Strahlströme oder Störungen in der Höhe, wie sie in der Tornado-Saison häufig in den Great Plains vorkommen, vermögen die Luftmassen der unteren Schicht zum Aufsteigen zu zwingen. Da der Atmosphärendruck mit der Höhe abnimmt, dehnen sich die Luftpakete auf dem Weg nach oben aus und kühlen dabei ab. Schließlich sind sie so kalt, daß der enthaltene Wasserdampf zu kleinen Tröpfchen kondensiert, wobei eine flache Wolkenschicht entsteht.

Bei der Kondensation wird jedoch die Verdampfungsenergie frei. Dadurch können sich die Luftpakete über die Temperatur der Umgebung hinaus erwärmen. Infolgedessen erfahren sie einen starken Auftrieb und schießen mit Geschwindigkeiten bis zu 250 Kilometern pro Stunde weit in die Stratosphäre hinauf, wobei sie eine hohe Gewitterwolke auftürmen. Scherwinde lenken diesen Aufwind nach Nordosten ab.

Die Wolkentröpfchen verschmelzen beim Aufsteigen allerdings zu dicken Regentropfen, die schließlich gefrieren können. Das Eigengewicht der Tropfen und Eiskörner dämpft den Auftrieb der Luftpakete. Dadurch verbraucht sich ihr Impuls in der Stratosphäre, und sie sacken wieder bis auf eine Höhe von etwa 13 Kilometern ab, wobei sie zu den Seiten wegfließen und den sogenannten Gewitter-Amboß bilden.

Der Regen, der auf der Nordostseite der Superzelle aus dem umgelenkten Aufwind fällt, verdunstet in der trockenen Luft in mittlerer Höhe, die sich dadurch abkühlt und absinkt. So entsteht ein kühler Abwind, der mitsamt dem Regen durch die Drehung der Gewitterzelle mit der Zeit um den Aufwind herumgeschoben wird. Die kühle Luft hat eine höhere relative Luftfeuchtigkeit als die warme; gerät sie in den Sog des Aufwinds, kondensieren deshalb schon in niedrigerer Höhe Wassertröpfchen aus und bilden eine tiefhängende rotierende Ringwolke.

Während in den meisten Gewittern mehrere Auf- und Abstrombereiche miteinander verwoben sind, enthalten Superzellen nur ein oder zwei Systeme aus einem breiten rotierenden Auf- mit zugehörigem Abwind. Dank dieser hochgeordneten Struktur können sie lange in einem quasi stationären Zustand hoher Energie verharren, der die Entstehung eines Tornados begünstigt. Eine Aufwindregion von zwei bis fünf Kilometern Durchmesser beginnt dann mit Geschwindigkeiten von 80 Kilometern pro Stunde oder mehr zu rotieren und bildet eine Mesozyklone sowie eine tiefhängende, sich drehende Ringwolke. Der Wirbeltrichter senkt sich gewöhnlich an der Südwestseite des Aufwinds dicht bei dem anschließenden Abwind nieder, während die Zirkulationsströmung voll entwickelt ist oder bereits wieder zerfällt.

Schließlich kappt sehr kalte Luft, die aus dem Zentrum des Abwinds herausfließt, den Aufwind dicht über dem Erdboden, und die Mesozyklone löst sich in einem heftigen Regenguß auf. In dauerhaften Superzellen kann sich jedoch einige Kilometer südöstlich an der Böenfront – der Grenze zwischen Warm- und Kaltluft – schon der nächste zirkulierende Aufstrom gebildet haben, in dem sich wenig später vielleicht ein neuer Tornado entwickelt.


Tornado-Jagd

Um herauszufinden, wann und wo die rotierenden Luftschläuche – im amerikanischen Volksjargon twister genannt – am wahrscheinlichsten auftreten, hat das NSSL von 1972 bis 1986 das Tornado-Abfang-Projekt durchgeführt. Die beteiligten Wissenschaftler ermittelten anhand von Filmaufnahmen die maximalen Windgeschwindigkeiten und gewannen so Kalibrierwerte für die Radarbeobachtungen. Außerdem stellten sie fest, daß Tornados sich oft in solchen Gewitterzonen entwickeln, in denen es weder regnet noch blitzt; das widerlegte Theorien, die diese Phänomene als Auslöser postulierten. Und 1975 wurde auch einer der seltenen antizyklonalen Tornados beobachtet, die sich gegenläufig zur Erde drehen und somit nicht einfach deren Rotation in verstärkter Form widerspiegeln.

In den Frühjahren 1994 und 1995 betreute das NSSL dann ein weiteres Projekt namens VORTEX. Eine ganze Flotte von Fahrzeugen führte dabei Messungen in und dicht an Superzellen durch. Eines davon steuerte der Feldkoordinator Erik N. Rasmussen vom NSSL, der in Zusammenarbeit mit Meteorologen im Hauptquartier in Norman das zu untersuchende Gewitter auswählte und die Datenerfassung koordinierte. Fünf Fahrzeuge konnten mit Ballons direkt die Verhältnisse in höheren Luftschichten erkunden. Bei zwölf anderen war auf dem Dach eine Wetterstation montiert, deren Instrumente sich drei Meter über Grund befanden – hoch genug, daß sich der Einfluß des Fahrzeugs auf die Luftströmung vernachlässigen ließ. Die Meßdaten wurden auf tragbaren Computern im Wageninnern angezeigt und gespeichert.

Eines dieser zwölf Fahrzeuge sollte möglichst umfangreiches Filmmaterial von Tornados für die spätere Auswertung liefern. Zwei andere setzten neun sogenannte Schildkröten aus: 20 Kilogramm schwere, rundbucklige Instrumentenkapseln, die der Gewalt der Windhosen widerstehen können. Mit ihren gut geschützten Meßfühlern für Temperatur und Luftdruck wurden sie jeweils in Abständen von 90 Metern auf dem wahrscheinlichen Durchzugsweg abgestellt.

Die übrigen neun Wagen dienten als sogenannte Sonden nur zum Sammeln von Wetterdaten in bestimmten Zonen eines Gewitters. Aufgabe von Sonde 1 war es dabei, die Temperaturverteilung nördlich des Tornados oder der Mesozyklone in möglichst geringem Abstand zu messen. In diesem Bereich hagelt es oft; im Frühjahr 1995 haben denn auch tischtennisballgroße Schloßen zweimal die Windschutzscheibe zertrümmert.

An jenem Dienstag in Kansas rasten wir, während der zuerst entdeckte Tornado sich auflöste, Richtung Osten, um auf der Höhe der Gewitterfront zu bleiben und eine neue Mesozyklone zu finden. Als wir im Regen kreuz und quer die Kieswege entlangpreschten, sahen wir in den Feldern reihenweise Strommasten liegen, einen halben Meter über dem Boden wie Streichhölzer abgeknickt – die Spur eines Tornados, den wir verpaßt hatten. (Am nächsten Tag lasen wir in der Zeitung, daß 150 Masten umgestürzt waren.)

Etwa 50 Kilometer weiter östlich gewahrten wir eine dunkle Ringwolke mit einem Durchmesser von einigen Kilometern, die wie ein rotierendes Postament aus der Hauptwolke niederragte. Auch einen schlanken Tornado konnten wir erkennen; doch entsprang er nicht wie üblich der Ringwolke, sondern setzte an der höheren Wolkenbasis an. Er senkte sich nur kurz bis zur Erde und wirbelte loses Material auf; für den Rest seiner wenige Minuten währenden Existenz bildete er einen Trichter ohne Bodenkontakt.


Steckbrief eines Wirbels

Außer den erwähnten Automobilen wurden beim VORTEX-Projekt zwei Flugzeuge eingesetzt, welche die Gewitterzellen umflogen und – ebenso wie drei weitere Fahrzeuge – über ein Doppler-Radar verfügten. Diese Instrumente geben auch auf größere Entfernungen Aufschluß über die Luftströmungen in tornadoträchtigen Gewittern. Ihre Mikrowellensignale werden an Regentropfen oder Eiskörnchen reflektiert und die Echos spektroskopisch analysiert (Spektrum der Wissenschaft, Oktober 1986, Seite 20, und Juli 1989, Seite 30). Je nachdem ob sich die Partikel auf das Radargerät zu oder von ihm weg bewegen, haben die reflektierten Impulse eine geringere oder größere Wellenlänge als das Ausgangssignal, woraus man diese Komponente der Tropfenbewegung errechnen kann (ähnlich funktionieren die Radar-Fallen der Polizei).

Bereits 1971 bestätigten erste Doppler-Messungen, daß die Winde in den hakenförmigen Gebilden tatsächlich rotieren, und zwar mit Geschwindigkeiten von etwa 90 Kilometern pro Stunde. Diese Zirkulation wird zuerst in einer Höhe von rund 5 Kilometern so stark, daß sie sich feststellen läßt; ihr folgt eine Rotation in viel tieferen Schichten, die der Ausbildung eines kräftigen Tornados vorausgeht. Im Jahre 1973 erwies sich, daß eine kleine Anomalie auf der Doppler-Geschwindigkeitskarte eines Gewitters bei Union City (Oklahoma) zeitlich und räumlich genau mit einem starken Tornado zusammenfiel.

Das Radar konnte den Wirbel also nicht unmittelbar registrieren, aber es zeigte dort, wo sich der Tornado und sein Vorläufer in den Wolken befanden, kräftige Winde wechselnder Richtung. Dieses charakteristische Wirbelmuster entwickelt sich typischerweise schon 10 bis 20 Minuten, bevor der Luftschlauch den Boden berührt, in etwa 3 Kilometern Höhe (Bild 4 links). Außer nach unten dehnt es sich manchmal auch nach oben aus – bei großen Tornados teils bis in 13 Kilometer Höhe.

Tritt ein solches Wirbelmuster auf, kann man die Bevölkerung mit Sirenen oder über Radio und Fernsehen alarmieren, damit sie umgehend im Keller oder in einem geschützten Innenraum Zuflucht sucht; doch ist es nur aus der Nähe – im Umkreis von höchstens 100 Kilometern – zu beobachten. Zeitigere Tornadowarnungen aus bis zu 250 Kilometern Entfernung lassen sich anhand von Doppler-Radar-Messungen an der zugehörigen Mesozyklone herausgeben. Die US-Bundesbehörden richten zur Zeit im ganzen Land ein Netzwerk hochentwickelter Doppler-Radars ein, um die Vorhersage zu verbessern.

Im Jahre 1991 maß Howard B. Bluestein von der Universität von Oklahoma mit einem tragbaren Gerät dicht bei einem heftigen Tornado in der Nähe von Red Rock (Oklahoma) Windgeschwindigkeiten bis zu 450 Kilometer pro Stunde (siehe Kasten auf Seite 68). Das ist zwar ein äußerst hoher Wert, aber immer noch weit entfernt von den hypothetischen 800 Kilometern pro Stunde, mit denen man vor 40 Jahren verblüffende Erscheinungen – zum Beispiel Strohhalme, die wie Pfeile in Bäumen steckten – zu erklären suchte. (Statt sich in das Holz zu bohren, könnten die Halme einfach in Spalten eingeklemmt worden sein, die aufrissen, als der Sturm den Baum niederbog.)

Für örtliche Warnungen reicht ein einzelnes Doppler-Radar aus, aber mit einem zweiten Gerät, das den Tornado in etwa 40 bis 60 Kilometern Entfernung aus einem anderen Winkel erfaßt, erhält man für Forschungszwecke ein aufschlußreicheres Bild. Solche dualen Systeme, wie das NSSL und andere Institutionen sie seit 1974 verwenden, messen die horizontale Geschwindigkeitskomponente des Niederschlags in zwei verschiedenen Richtungen. Da man weiß, daß für die Luft der Massenerhaltungssatz gilt, und sich abschätzen läßt, wie schnell der Regen relativ zur sich bewegenden Luft fällt, können die Meteorologen aus den beiden Datensätzen das dreidimensionale Windfeld rekonstruieren und physikalische Größen wie das Ausmaß der Luftverwirbelung – fachsprachlich: Vorticity – berechnen.

Solchen Untersuchungen war zu entnehmen, daß Tornados seitlich des Aufwindbereichs der Mesozyklone nahe der Abwindzone auftreten. Sie bestätigten auch, daß die in eine Mesozyklone einströmende Luft um die Strömungsrichtung rotiert.

Das Einsetzen der Drehbewegung

Einen Durchbruch im Verständnis der komplizierten Rotationen in tornadoträchtigen Gewittern erzielten 1978 Robert Wilhelmson von der Universität von Illinois in Urbana-Champaign und Joseph B. Klemp vom Nationalen Zentrum für Atmosphärenforschung (NCAR) der USA in Boulder (Colorado). Es gelang ihnen, Superzellen realistisch am Computer zu simulieren und dabei Phänomene wie die hakenförmigen Niederschlagsgebiete zu reproduzieren (Bild 3). Dazu lösten sie in einem dreidimensionalen Punktegitter für kleine Zeitintervalle numerisch jene Gleichungen, welche die Temperatur, die Windgeschwindigkeit und die Massenerhaltung für Luft und Wasser in seinen verschiedenen Formen als Dampf, Wolkentröpfchen und Regentropfen beschreiben.

Zumindest in der simulierten Welt waren die Wissenschaftler Herren des Geschehens. Dabei konnten sie auch ohne horizontale Störungen im Ausgangsfeld Superzellen erzeugen. Damit widerlegten sie die weitverbreitete Annahme, daß Tornados durch das Aufeinandertreffen verschiedener Luftmassen entstehen. Und indem sie in ihrem Modell die Erdrotation ausschalteten, zeigten sie, daß deren Einfluß während der ersten Stunden eines Gewitters gering ist. Als entscheidend für die Ausbildung der Rotation erwies sich vielmehr, daß sich die Windrichtung in den unteren Schichten mit der Höhe ändert.

Bei einer typischen Superzelle in den südlichen zentralen Staaten der USA weht der Wind in Bodennähe aus Südosten, in 1000 Metern Höhe aus Süden und in 2000 Metern Höhe aus Südwesten. Nun übt ein Luftstrom, der mit der Höhe seine Richtung oder Geschwindigkeit ändert, ein Drehmoment aus. Um das zu verstehen, stelle man sich einen langen, schmalen Ballon vor, der vertikal in der Luft schwebt. Weht ein Südwind in der Höhe schneller als in Bodennähe, wird der Ballon mit der Spitze nach Norden gedrückt, so daß er kippt und sich um eine Ost-West-Achse zu drehen beginnt.

Ändert der Wind statt der Geschwindigkeit dagegen seine Richtung von Südost auf Südwest, erfährt der Ballon, sofern er mit dem Luftstrom in etwa 1000 Metern Höhe nach Norden driftet, an der Spitze einen Impuls nach Osten und am unteren Ende nach Westen; dadurch fängt er an, um eine Nord-Süd-Achse zu rotieren. Die Luft hat also eine Vorticity in Strömungsrichtung ähnlich dem Drall einer Gewehrkugel, die beim Passieren eines gezogenen Laufs zur Stabilisierung in Rotation versetzt wird.

Sobald Luftpakete mit einer solchen Vorticity in einen Aufwind geraten, werden ihre Drehachsen in die Vertikale umgelenkt, und der gesamte Aufwindkanal dreht sich – bei den für Superzellen typischen Windverhältnissen – zyklonal. Diesen schon 1963 von Browning postulierten Zusammenhang haben Douglas K. Lilly von der Universität von Oklahoma und ich in den achtziger Jahren analytisch bewiesen.

Nun erklärt dies zwar, warum und wie der Aufwind in mittlerer Höhe rotiert, aber nicht, wie sich die Rotation in Bodennähe entwickelt. Diese Drehung hängt nach Simulationen, die Klemp und Richard Rotunno vom NCAR 1985 durchführten, mit dem Abwind der Superzelle zusammen, der durch Verdunstungskühlung entsteht: Sie tritt nicht auf, wenn die Verdunstung der Regentropfen ausgeschaltet wird.

Die Simulation zeigte überraschenderweise, daß die bodennahe Rotation im Norden der Mesozyklone in Luft beginnt, die durch Regen abgekühlt ist und absinkt. Wenn die zyklonale Drehbewegung in mittlerer Höhe diesen mäßig kühlen Abwind um den Aufwind herumführt, strömt er schließlich südwärts; dabei ist er zur Linken von warmer und zur Rechten von kälterer Luft umgeben. Durch ihren Auftrieb saugt die Warmluft die linke Seite der Luftpakete nach oben, während die kalte Luft die rechte Seite abwärts zieht. Infolgedessen beginnt sich die mäßig kühle Luft um ihre horizontale Bewegungsrichtung zu drehen. Weil sie aber mit dem Abwind sinkt, wird ihre Drehachse nach unten umgelenkt und sie selbst in antizyklonale Rotation versetzt.

Harold E. Brooks vom NSSL und ich konnten 1993 weiter zeigen, daß die absinkende kühle Luft, bevor sie den Boden erreicht, durch einen komplizierten Mechanismus ihren Drehsinn umkehrt. Nunmehr zyklonal rotierend, wird sie dann im Südwesten in den Aufwind hineingesogen. Da sie sich dabei auf einer Spiralbahn nach innen bewegt, beschleunigt sich die Rotation genauso, wie wenn eine Eisläuferin bei einer Pirouette die Arme anlegt.

Aber wie und warum bilden sich Tornados? Am einfachsten lassen sie sich mit der Bodenreibung erklären. Dies mag paradox scheinen, weil Reibung ja die Windgeschwindigkeit verringert. Im Endeffekt aber beschleunigt sie die Rotation.

Dies läßt sich gut beim Umrühren einer Tasse Tee beobachten. Mit der Geschwindigkeit verringert die Reibung auch die Zentrifugalkräfte in einer dünnen Schicht nahe dem Tassenboden. Dadurch strömt dort Flüssigkeit nach innen – wie man leicht daran erkennt, daß sich die Teeblätter in der Mitte sammeln. Wegen des Pirouetteneffekts aber erhöht sich die Drehgeschwindigkeit auf dem Weg zur Mitte, und es entsteht ein Wirbel entlang der Tassenachse. W. Stephen Lewellen von der Universität von West Virginia in Morgantown schließt daraus, daß die höchsten Windgeschwindigkeiten in einem Tornado in den untersten 100 Metern auftreten.

Wie Bruce Morton von der Monash-Universität in Clayton (Australien) schon 1969 gezeigt hat, könnte Reibung auch die Beständigkeit der Tornados trotz des Unterdrucks in ihrem Zentrum erklären. Einerseits verhindern die Zentrifugalkräfte, daß Luft durch die Seiten des Schlauchs einströmt, und der starke Auftrieb im Innern dichtet den Wirbel nach oben ab. Andererseits aber verringern Reibungskräfte über dem Erdboden die Tangentialgeschwindigkeit und somit die Zentrifugalkraft; dies erlaubt einen flachen Luftzustrom von unten, der aber durch die Reibung so weit gebremst wird, daß er nicht ausreicht, das partielle Vakuum im Zentrum aufzufüllen. Tornados verstärken sich und werden stabiler, nachdem sie zum Boden aufgeschlossen haben, weil dann der Lufteinstrom auf eine dünne Grenzschicht beschränkt bleibt. Die Reibungstheorie erklärt allerdings nicht, warum 10 bis 20 Minuten, bevor der Trichter den Boden berührt, oben in den Wolken eine typische Wirbelstruktur als Vorbote erscheint.


Bodenkontakt

An jenem Maitag in Kansas konnten wir viele der klassischen Merkmale von Tornados beobachten. Nachdem sich der oben beschriebene Wirbel aufgelöst hatte, fuhren wir zu einem neueren Gewitter im Süden. Als wir es erreicht hatten, brach zwar schon die Dunkelheit herein, und der Meßtrupp rüstete sich für die Heimfahrt. Doch da informierte der Feldkoordinator die Teams über eine schnell rotierende Ringwolke in unserer Nähe. Als die Warnsirenen zu heulen begannen, beobachteten wir, wie ein dünner, gewundener Tornado fünf Kilometer südöstlich von uns gerade den Boden berührte.

Wir fuhren Richtung Norden los, um vor den Wirbel zu gelangen, und übersahen in der Aufregung eine tiefe Entwässerungsrinne in der Straße. Der Schlag beschädigte die Lenkung und verbog die Halterung der Wetterstation, aber der Wagen ließ sich noch steuern. Bei nächster Gelegenheit bogen wir in einen Feldweg nach Osten ein. Der Tornado war inzwischen zu einer breiten Staubsäule unterhalb einer schüsselförmigen Absenkung der Wolkenbasis geworden, und bald darauf zerfiel er in mehrere kleinere Wirbel, die sich im wilden Tanz um eine gemeinsame Mittelachse drehten. (Schon 1957 hatte Fujita nach dem Durchzug von Tornados abgerissene Maispflanzen in mehreren, sich überlappenden Schwaden gesehen. Neil B. Ward vom NSSL erklärte diese seltsamen Muster später mit Nebenwirbeln, die wie die Punkte auf dem Rand eines rollenden Rads sogenannte Zykloiden beschreiben.)

Der Tank war schon fast leer, als wir bemerkten, daß der atmosphärische Staubsauger, der vielleicht noch zwei Kilometer entfernt war, sich von hinten auf uns zu bewegte und uns einzuholen drohte. Wir hatten keine Wahl, als weiterzufahren, so schnell es die Schotterpiste zuließ, und zu hoffen, daß der Weg nicht plötzlich endete oder das Benzin ausging. Aus dieser Bedrängnis erlöste uns die Stimme des Feldkoordinators, der uns per Funk über eine nahende Abzweigung nach Norden informierte. Erleichtert schwenkten wir auf sie ein. Nach knapp zwei Kilometern hielten wir an und konnten verfolgen, wie der Tornado, der nun schon mindestens 25 Kilometer zurückgelegt und die klassische Ofenrohrform angenommen hatte, südlich an uns vorbeizog und schließlich im Osten in der Dunkelheit entschwand.

Mit unserem lädierten Fahrzeug machten wir uns auf den Rückweg. Nach der Untersuchung des Meßgeräts stellte sich heraus, daß wir trotz aller Schwierigkeiten unser Teil zu dem exzellenten Datensatz beigetragen hatten, der an diesem Tag gewonnen werden konnte (Bild 4 oben). Dennoch wäre es vernünftiger gewesen, den Tornado einfach in sicherer Distanz zu begleiten statt ihn zu überholen – dann wären wir nicht aus Jägern zu Gejagten geworden.

Literaturhinweise

- Fine Scale Doppler Radar Observations of Tornados. Von J. Wurman, J. M. Straka und E. N. Rasmussen in: Science, Band 272, Seite 1774, 21. Juni 1996.

– Gewitter: Beobachtungen, Entstehung und Vorhersage. Von Peter Bissolli in: Naturwissenschaftliche Rundschau. 47. Jahrgang (1994), Heft 4, Seiten 137 bis 140.

– The Tornado: Its Structure, Dynamics, Prediction, and Hazards. Herausgegeben von C. Church, D. Burgess, C. Doswell und R. Davies-Jones. Geophysical Monograph 79. American Geophysical Union, 1993.

– Tornados. Von John T. Snow in: Spektrum der Wissenschaft, Juni 1984, Seite 86.

– Das Gewitter als elektrischer Generator. Von Earle R. Williams in: Spektrum der Wissenschaft, Januar 1989, Seite 80.

– Das Trombenrisiko in Europa nach Untersuchungen Alfred Wegeners. Von Gerhard Berz in: Annalen der Meteorologie, Neue Folge Nr. 15 (1980), Seiten 74 bis 76.

– Der Tornado im Raum Kiel und Kreis Plön am 18. Oktober 1971. Von Dietrich J. Werner in: Schriften der Naturwissenschaftlichen Vereinigung für Schleswig-Holstein, Band 43 (1973), Seiten 5 bis 24.

– Der Tornado vom 10. 7. 1968 im Raum Pforzheim. Von R. Nestle in: Meteorologische Rundschau, 22. Jahrgang (1969), Heft 1, Seiten 1 bis 3.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1996, Seite 62
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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