Hirnforschung: Die Epigenetik neurodegenerativer Erkrankungen
Als es zu Anfang des Jahrhunderts gelungen war, das menschliche Erbgut komplett zu entziffern, stellte der damalige US-Präsident Bill Clinton diese wissenschaftliche Großtat auf eine Stufe mit der Mondlandung. Seinerzeit setzten die Mediziner große Hoffnungen in die genaue Kenntnis unseres Genoms. Insbesondere versprachen sie sich bessere Behandlungsmethoden für die großen Volkskrankheiten wie Diabetes oder Morbus Alzheimer. Diese hochgespannten Erwartungen haben sich bisher jedoch nicht erfüllt. Es stellte sich nämlich heraus, dass die genetische Information, die in der Basenabfolge der DNA gespeichert ist, keineswegs all das beinhaltet, was einen Menschen ausmacht. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielt die Regulation der einzelnen Gene – und die hängt unter anderem von Umwelteinflüssen ab. Dieser zweiten Ebene der biologischen Kodierung von Informationen widmet sich das junge Gebiet der Epigenetik. Hier möchte ich mich vor allem mit epigenetischen Prozessen im zentralen Nervensystem befassen und darlegen, wie sie Lernen und Gedächtnis beeinflussen und zur Entstehung kognitiver Erkrankungen wie der Alzheimerdemenz beitragen.
Alle Zellen unseres Körpers enthalten jeweils das komplette menschliche Erbgut mit seinen rund 25 000 Genen. Dennoch unterscheiden sie sich in Funktion und Aussehen teils erheblich voneinander – man denke etwa an eine Leber- und eine Nervenzelle. Der Grund dafür ist, dass jeweils nur eine Teilmenge der Gene auch tatsächlich abgelesen und somit genutzt wird. Wenn Sie sich das Erbgut als Bibliothek und die Gene als Bücher vorstellen, dann verfügt jede Zelle über die gesamte Bibliothek, nimmt aber lediglich die für sie wichtigen Bücher aus den Regalen, um die enthaltene Information zu verwerten. Eine Leberzelle liest also einen anderen Teil des Genoms ab als eine Nervenzelle. Natürlich gibt es auch Gene, die überall gebraucht werden.
Damit dieses Prinzip funktioniert, müssen strenge Kontrollmechanismen existieren, die darüber entscheiden, wann in einer Zelle ein Gen aktiv oder stumm ist. Zu ihnen zählen auch die epigenetischen Prozesse. Sie verkörpern eine Art zweiten Kode. ...
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