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Bildartikel: Die Erde aus dem All

Zweimal wurde ein Radarsystem an Bord der Raumfähre Endeavour erprobt. Die Aufnahmen ermöglichen vielfältige Einblicke in den Zustand unseres Planeten.

Kurz nach dem Start der Endeavour am 30. September 1994 begann unter den Augen der Astronauten ein dramatisches Naturschauspiel: Der Vulkan Kljutschewskoj auf der sibirischen Halbinsel Kamtschatka brach nach 49 Jahren scheinbarer Ruhe gerade an diesem Tag aus und schleuderte Aschewolken bis zu 20 Kilometer hoch in die Atmosphäre.

Die zuständige Planungsgruppe änderte daraufhin umgehend das Meßprogramm, um das Geschehen mit dem hochmodernen Radarsystem beobachten zu können, das erd- und umweltwissenschaftliche Daten sammeln sollte (Bild 2). Erst knapp sechs Monate zuvor, vom 9. bis 20. April, war es erstmals auf dem Space Shuttle eingesetzt worden.

Während des zwölftägigen Fluges der Endeavour erhielt die Crew Meldung von einem weiteren unerwarteten Ereignis. Am 4. Oktober bebte nahe der japanischen Insel Hokkaido die Erde. Bereits wenige Stunden später tastete das Radarsystem das betroffene Küstengebiet nach Schäden durch oft verheerende Flutwellen – Tsunamis – ab.

Im Gegensatz zu Photokameras und anderen Detektoren ist ein Radar ein aktives Gerät: Es sendet elektromagnetische Strahlung relativ großer Wellenlänge – zwischen einigen und mehreren Dutzend Zentimetern – aus und registriert dann das Echo. Der Vergleich von emittierten und reflektierten Pulsen gibt Aufschluß über Entfernung, Größe, Ausrichtung, Oberflächenrauhigkeit und andere Eigenschaften des reflektierenden Objekts. So ist beispielsweise die Rückstrahlung besonders stark, wenn die Größe des Gegenstandes der Wellenlänge der Strahlen entspricht.

Auch Form und Lage der vom Radar erfaßten Oberfläche beeinflussen die Stärke des Echos. Eine spiegelnde Fläche erscheint auf dem Radarbild hell, wenn sie so orientiert ist, daß der Strahl direkt zur Antenne zurückgeworfen wird; andernfalls dunkel. Unebenheiten von der Größe der verwendeten Wellenlänge streuen diese in alle Richtungen. Gepflügte Felder beispielsweise erscheinen demnach bei kurzwelliger Radarstrahlung hell und bei längerwelliger dunkel, während Waldgebiete wegen der unterschiedlichen Größe der streuenden Strukturen (Blätter, Zweige, Baumstämme) bei den meisten Wellenlängen hell erscheinen. Ebenso vermögen lange Radarwellen einen Hurrikan ungehindert zu durchdringen, während kürzere Details des Sturmzentrums offenbaren können.

Die beiden Instrumente an Bord der Endeavour sind ein europäisch-amerikanisches Gemeinschaftsprojekt. Während früher eingesetzte Satelliten-Radargeräte nur mit Strahlung einer Wellenlänge arbeiteten, sendet das neue System Pulse dreier verschiedener Wellenlängen aus: bei drei, sechs und 24 Zentimetern; sie liegen in Bereichen, die man im technischen Sprachgebrauch als X-, C- und L-Band bezeichnet.

Das am Jet Propulsion Laboratory (JPL) der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA in Pasadena (Kalifornien) entwickelte Gerät namens SIR-C (für Shuttle oder Spaceborne Im-aging Radar-C) arbeitet in den C- und L-Bändern. Die Strahlung ist polarisiert, so daß der Vektor des elektrischen Feldes entweder in horizontaler oder vertikaler Richtung schwingt. Die Echos können sowohl mit vertikaler als auch horizontaler Polarisation empfangen werden – für die Wissenschaftler am JPL, die auch für Empfang und Auswertung der Daten zuständig sind, ein weiteres Unterscheidungskriterium. Beispielsweise reflektieren senkrecht stehende Baumzweige eine bestimmte Polarisation stärker als eine andere, wodurch sich verschiedene Vegetationsarten unterscheiden lassen.

Das zweite Gerät, X-SAR (für X-Band-Radar mit synthetischer Apertur), arbeitet mit vertikal polarisierter Strahlung von drei Zentimetern Wellenlänge. Es wurde im Auftrag der Deutschen Agentur für Raumfahrtangelegenheiten (DARA) und der italienischen Raumfahrtorganisation (Agenza Spaziale Italiane, ASI) von den Firmen Dornier/Deutsche Aerospace und Alenia Spazio entwickelt. Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) hat die wissenschaftliche Leitung inne und führt den Missionsbetrieb sowie die Kalibrierung und Auswertung der Daten durch (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1995, Seite 86).

Bei den Flügen im April und Oktober 1994 war die Umlaufbahn der Endeavour um 57 Grad gegen den Äquator geneigt. Jeder der 90 Minuten dauernden Umläufe überstrich ein anderes Gebiet, so daß insgesamt zwölf Prozent der Erdoberfläche vermessen werden konnten.

Erprobt wurde auch ein neues Verfahren zum Erstellen exakter topographischer Karten. Dazu überlagert man zwei Radarbilder desselben Gebietes, die von unterschiedlichen Standpunkten, aber aus der gleichen Richtung aufgenommen worden sind. Dies kann beispielsweise mit zwei getrennten Antennen geschehen, wobei die Radarstrahlen wie bei einem Laser phasengleich emittiert werden; der gemessene Phasenunterschied in den Echos ist dann ein Maß für die Entfernung des Objekts. Den Wissenschaftlern ist es mit diesem interferometrischen Verfahren sogar gelungen, Bilder von den beiden Flügen der Endeavour zu kombinieren. Dabei stellten sie im Erdbebengebiet von Kalifornien und am Kraterrand des Kilauea auf Hawaii topographische Verschiebungen von wenigen Zentimetern fest. Man hofft, mit diesem Verfahren eines Tages Erdbeben und Vulkanausbrüche vorhersagen zu können.

Der größte Teil der vom SIR-C/X-SAR-System registrierten Daten – 60 Billionen Bit, die auf Magnetbändern von insgesamt 110 Kilometern Länge gespeichert sind – mußte den Auswertungszentren in Pasadena und Oberpfaffenhofen nach der Landung der Raumfähre übermittelt werden. Einige Bilder konnte man jedoch bereits während des Fluges prozessieren. Tonbandprotokolle der Astronauten darüber, was sie während der Aufnahmen sahen, und mehr als 20000 Photos sind für die Interpretation der Radardaten von hohem Wert.

Der zweite Flug der Endeavour mußte um einen Tag verlängert werden, um alle Projekte planmäßig abschließen zu können. Am 11. Oktober 1994 landete sie auf dem Luftwaffenstützpunkt Edwards in Kalifornien. Das Mehrfrequenzradar SIR-C/X-SAR erwies sich als überaus erfolgreich. Der Fernerkundung sind damit völlig neue Möglichkeiten eröffnet.

Aus dem umfangreichen Datenmaterial wird man die für künftige Missionen besten Kombinationen von Radarwellenlängen und Polarisationen ermitteln. Ein an Bord eines Satelliten stationiertes Radarsystem könnte eines Tages permanent aktuelle Informationen über den Zustand und den Wandel der Natur- und Kulturlandschaften sowie des Klimas liefern und vielleicht sogar vor Katastrophen wie Erdbeben, Vulkanausbrüchen und Überflutungen warnen.

Literaturhinweise

- The Shuttle Imaging Radar-C and X-Band Synthetic Aperture Radar (SIR-C/X-SAR) Mission. Von Diane L. Evans, Herwig Öttl und P. Pampaloni. Eos (Transactions of the American Geophysical Union), Band 74, Heft 13, Seiten 145 bis 158, 30. März 1993.

– Wissenschaftliche Zielsetzungen der Shuttle-Radar-Lab-Missionen und vorbereitende Meßkampagnen. Von Herwig Öttl. DLR-Nachrichten, Heft 60, Seiten 37 bis 41, Mai 1990.

– Fernerkundung landwirtschaftlicher Flächen mit Mehrfrequenzradar. Von Jürgen Nithack. DLR-Nachrichten, Heft 77/78, Februar 1995.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 2 / 1995, Seite 56
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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