Die Erde vor Pangäa
Eine halbe Jahrmilliarde, bevor am Ende des Erdaltertums der Superkontinent Pangäa entstand, waren die irdischen Landmassen schon einmal in einem einzigen Kontinent vereinigt. Nordamerika, das damals an die Antarktis grenzte, vollführte in der Folgezeit eine komplizierte Odyssee, bei der es Südamerika umrundete und schließlich an Nordafrika andockte.
Das kleine Flugzeug neigte sich nach rechts. Von meinem Platz an der Tür konnte ich seinen Schatten über das Eis huschen sehen. Mit seinen Schneekufen ähnelte es einer Ente, die sich anschickt, mit vorgestreckten Schwimmfüßen auf dem Wasser zu landen. Als der Pilot die Maschine wieder in die Horizontale brachte, kam ein riesiger Felsen in Sicht; sein dunkelbraunes Gestein hob sich deutlich gegen das unberührte Weiß von Schnee und Eis ab, das sich endlos bis zum Horizont erstreckte.
Die steil geneigten Schichten dieses präkambrischen Sandsteins sind wie ein Ziehharmonikabalg gefaltet. Ich machte mehrere Photos. Während wir den Felsen umflogen, kam ein weiterer in Sicht. An der Spitze trug der Sandstein diesmal eine dünne Kappe, die fast so weiß wie der Hintergrund war: kambrischen Kalk. "Faszinierend", dachte ich, als ich erneut zur Kamera griff. "Die geologische Grundstruktur ist der im Westen Nordamerikas erstaunlich ähnlich."
Meine Kollegen und ich waren damals, 1987, ins Pensacola-Gebirge in der Antarktis gekommen, um die Beziehung zwischen den beiden großen geologischen Untereinheiten des eisigen Kontinents zu ergründen. Die östliche Antarktis ist ein alter präkambrischer Schild, der einst an Australien, Indien und Afrika grenzte; der Westteil des Kontinents gehört dagegen zu dem geologisch jungen, aktiven vulkanischen Feuergürtel um den Pazifischen Ozean. An der Nahtstelle zwischen beiden wurde der ostantarktische Schild zum Transantarktischen Gebirge angehoben, von dem das Pensacola-Massiv ein nördlicher Ausläufer ist.
Es war eine lange Reise gewesen: 14 Stunden von Los Angeles nach Neuseeland in einem Verkehrsflugzeug, zehn Stunden von dort zur amerikanischen McMurdo-Station am Ross-Schelfeis in einer mit Kufen ausgerüsteten Hercules-Transportmaschine und schließlich fünf Stunden über den Südpol hinweg zum anderen Rande des Kontinents, dem das Ronne- und das Filchner-Schelfeis vorgelagert sind. Am Pensacola-Gebirge, das in dem 3660 Meter hohen Mount Hawkes gipfelt, errichteten wir unser Basislager.
Später flogen wir zu den Felsen selbst. Nachdem der Pilot eine Landestelle ausgesucht hatte, an der es keine Gletscherspalten zu geben schien, brachte er die Twin-Otter nach unten, um mit den Kufen zunächst eine Schleifspur zu ziehen. Dabei setzte er das Fahrwerk auf, behielt aber genügend Geschwindigkeit bei, um wieder abzuheben. Anschließend drehten wir eine Runde und untersuchten die Spur sorgfältig auf unter dem Schnee verborgene Spalten; doch wir konnten keine Anzeichen von blauen Rissen entdecken. Also flogen wir die Stelle erneut an, setzten auf und bremsten so schnell wie möglich, um das Risiko gering zu halten, auf rauhes Eis unter dem Schnee zu treffen.
Dennoch war es eine holprige Landung, bei der das Flugzeug ein paar Blessuren davontrug. Nach dem Aussteigen seilten wir uns aneinander an und begannen, über dem windverblasenen Schnee zum Fuß des Felsens zu wandern. Der Pilot inspizierte derweil besorgt seine ramponierte Maschine.
Fossile Spuren im ewigen Eis
Die Grenze zwischen den beiden Gesteinstypen, die im Pensacola-Gebirge zutage treten, markiert einen der wesentlichsten Einschnitte in der Erdgeschichte: das Ende des Präkambriums, der vier Milliarden Jahre währenden Frühzeit unseres Planeten. Damals – vor ungefähr 750 Millionen Jahren – entwickelten sich die ersten vielzelligen Weichtiere. Im gleichen Zeitraum wurden auch die braunen Sandsteine der Patuxent-Formation abgelagert, die wir vom Flugzeug aus gesehen hatten. Innerhalb des Kontinentalschildes, von dem ein Teil zur heutigen Antarktis gehört, öffnete sich ein Rift (ein Grabenbruch), und auf dem Boden des so entstehenden, sich allmählich vertiefenden Tals luden Flüsse ihre Erosionsfracht ab.
Vor ungefähr 540 Millionen Jahren begann mit einer geradezu explosionsartigen Entwicklung vielzelligen tierischen Lebens das als Kambrium bezeichnete Erdzeitalter (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1991, Seite 100). Das Rift-Tal hatte sich inzwischen zu einem flachen Meeresbecken erweitert. Auf seinem Sandstein-Boden sammelten sich nun unzählige kegelförmige Skelette von Archaeocyatha an, einem urtümlichen, heute ausgestorbenen marinen Tierstamm. Sie bildeten ein Riff, das schließlich in Kalk umgewandelt wurde. (Die Kappe auf der Patuxent-Formation wird Nelson-Kalk genannt.) Da Archaeocyatha in warmem Wasser lebten, muß das Gebiet, das jetzt den Westrand des ostantarktischen Schildes bildet, während des Kambriums in tropischen Breiten gelegen haben.
Die Bildung des Rift-Tals, in dem sich die Patuxent-Sandsteine ablagerten, leitete die Abspaltung der östlichen Antarktis von einer anderen kontinentalen Landmasse ein. In deren Verlauf begann sich vor etwa 750 Millionen Jahren das pazifische Ozeanbecken zu öffnen. (Die westliche Antarktis entstand, als sich später magmatische Gesteine, die von Vulkaninseln stammten, sowie abgeschabtes Material von Ozeanböden, die subduziert – das heißt vom Kontinent überdriftet und dabei an seinem Rand ins Erdinnere hinabgedrückt – wurden, an die östliche Antarktis anlagerten.) Diese Riftbildung ereignete sich, lange bevor am Ende des Erdaltertums oder Paläozoikums (vor etwa 250 Millionen Jahren) die irdischen Landmassen sich zum Superkontinent Pangäa vereinigten, bei dessen Zerfall, der vor ungefähr 170 Millionen Jahren (im Jura) begann, schließlich die heutigen Kontinente sowie der Atlantik und andere junge Ozeanbecken entstanden.
Als wir uns auf einem Grat zur Spit-ze des Felsens hocharbeiteten, sahen wir, daß die untersten Lagen der kambrischen Schichten – sie liegen noch unter dem Kalk – aus rosafarbenem Konglomerat und grobem Sandstein bestanden. Offenbar hatte das Meer, als es das sich vertiefende Rift und die absinkenden Kontinentalränder zu beiden Seiten überspülte, die präkambrischen Gesteine zu Geröllblöcken, Kieseln und Sand zerrieben. Je höher wir hinaufkamen, desto feinkörniger wurden die Ablagerungen; und die Quarz-Sandsteine unmittelbar unterhalb des Nelson-Kalks muteten mich mit ih-rer Vielzahl vertikaler Wurmgänge, die gemeinhin als Scolithus bezeichnet werden, altbekannt an.
Diese Röhren sind die einzigen Spuren ehemaliger Filtrierer – Tiere, die Nährstoffe aus Sedimenten aussiebten und einen tonigen Rückstand rund um ihre Gänge hinterließen. "Genau wie im Westen von Nordamerika", bemerkte ich laut, "aber auch genau wie die Durness-Felsen im Nordwesten von Schottland". Tatsächlich waren, wie zum Beispiel Überreste von kambrischen Meeresufern im US-Bundesstaat Wisconsin belegen, vor 540 Millionen Jahren große Teile der Kontinente vom Meer überflutet, und die Schichten, die sich daraus abgelagert haben, sind überall auf der Welt bemerkenswert ähnlich.
Zueinander passende Gebirge
Weil nichts stärker nachwirkt als persönliche Erfahrung, gingen mir meine ersten Eindrücke vom Transantarktischen Gebirge in der Folgezeit nicht mehr aus dem Sinn: Könnte es sich bei dem Kontinent, von dem sich die Antarktis gegen Ende des Präkambriums abspaltete, um das westliche Nordamerika gehandelt haben? Oder waren beide Kontinente zu jener fernen Zeit durch ein noch älteres pazifisches Ozeanbecken getrennt, und es herrschten nur zufällig an ihren Rändern ähnliche Umweltbedingungen?
Die Antwort hat weitreichende Konsequenzen. Die damalige Form und Verteilung der Kontinente ist bisher nicht bekannt. Vielleicht könnte sie die gewaltigen Umweltveränderungen erklären, die dem Kambrium vorausgingen. Damals gab es mehrere Eiszeiten, und die Chemie der Ozeane und wahrscheinlich auch der Atmosphäre veränderte sich stark. Die Tierwelt entwickelte sich zu einer später nie mehr erreichten Vielfalt.
Es ist schwierig, auf einem dynamischen Planeten mit wandernden Kontinenten die Geographie einer vergangenen Epoche zu rekonstruieren. Dem deutschen Geophysiker und Meteorologen Alfred Wegener (1880 bis 1930) sowie anderen Pionieren der Kontinentalverschiebungs-Theorie war bereits aufgefallen, daß verschiedene nord- und südamerikanische Gebirgsketten, die an den Rändern des Atlantiks wie abgeschnitten sind, mit solchen in Europa und Afrika zusammenpassen. Heute erlauben es magnetische Daten und Satellitenbilder vom Ozeanboden – die dar-auf erkennbaren Risse (die großräumige Bruchzonen anzeigen) sehen aus wie Eisenbahnschienen, an denen die Kontinente auseinandergleiten –, Pangäa sehr genau zu rekonstruieren.
Zahlreiche Indizien sprechen allerdings dafür, daß es sich bei diesem Superkontinent nicht um die ursprüngliche Anordnung der Landmassen gehandelt hat. Wenn eisenhaltige Lava erstarrt, wird die momentane Richtung des Erdmagnetfeldes darin festgehalten. Nun unterscheidet sich die Magnetisierung von Ergußgesteinen aus der Zeit vor mehr als 225 Millionen Jahren (dem Beginn des Erdmittelalters oder Mesozoikums) in Nordamerika und Afrika recht deutlich. Demnach sollten sich diese Kontinente in einer früheren Epoche unabhängig voneinander bewegt haben.
Außerdem wurden in Gebirgsketten innerhalb von Pangäa – zum Beispiel im Famatinischen Gürtel (Argentinien), im Mosambik-Gürtel (Südafrika) und in den älteren Appalachen (Nordamerika) – Vulkangesteine gefunden, die Bruchstücke eines alten Ozeanbodens sind. Diese frühen paläozoischen und präkambrischen Ophiolithe machen deutlich, daß zwischen den Komponenten von Pangäa ehemals Ozeanbecken lagen, die sich bei der Bildung des Superkontinents schlossen. Frappiert vom Fund paläozoischer Ophiolithe in den Appalachen, stellte der einfallsreiche kanadische Geophysiker J. Tuzo Wilson schon in den sechziger Jahren die Frage: Öffnete sich der Atlantik, schloß sich dann und tat sich erneut auf?
Will man die Anordnung der Kontinente vor Pangäa rekonstruieren, sind die Ozeanböden allerdings keine Hilfe. Zwar existierte das pazifische Ozeanbecken schon, doch ist bei so alten Meeren der damalige Boden in der Zwischenzeit längst unter die angrenzenden Kontinente geschoben und durch Krustenmaterial ersetzt worden, das sich an den mittelozeanischen Rücken kontinuierlich frisch bildet. Es gibt deshalb keinerlei Netz ozeanischer Bruchzonen mehr, das die Kontinentaldrift vor der Bildung von Pangäa anzeigen würde. Darum müssen wir genau wie Wegener, als er ohne moderne Ozeanographie und Satellitentechnik Pangäa zu rekonstruieren versuchte, auf Hinweise innerhalb der Kontinente selbst zurückgreifen.
Aufschlußreiche Kontinentalränder
Im Inneren von Pangäa liegen etliche ehemalige Kontinentalränder, zu denen keine Gegenstücke zu existieren scheinen. Die Pazifikküsten Nord- und Südamerikas sowie der Antarktis und Australiens wurden allesamt gegen Ende des Präkambriums gebildet, das heißt vor etwa 750 bis 550 Millionen Jahren. Der den Appalachen zugewandte Rand von Laurentia – dem alten nordamerikanischen Schild – driftete zu dieser Zeit ebenfalls von einem anderen Kontinent fort. Seit Wilson seine berühmte Frage stellte, hat man für gewöhnlich angenommen, daß es sich bei dem Gegenstück zu diesem Rand um Westeuro-pa und Nordwestafrika gehandelt habe. Aber es gibt keinen Beweis für diese Vermutung.
Im Jahre 1989 leitete ich im Rahmen des Internationalen Geologischen Kongresses, der damals in den USA stattfand, eine neuerliche Exkursion in die Antarktis. Sie sollte dazu beitragen, die Geologie dieses Kontinents, die lange die Domäne einer sehr kleinen Gruppe besonders verwegener Forscher (sogar nach geologischen Maßstäben) gewesen war, in den Blickpunkt der Erdwissenschaft zu rücken. Experten für den Himalaja, die europäischen Alpen, die Appalachen, die Rocky Mountains und viele andere Regionen nahmen daran teil.
Bald nach der Rückkehr stieß einer der mitgefahrenen Wissenschaftler, Eldridge M. Moores, in der Bibliothek der Universität von Kalifornien in Davis auf einen kurzen Artikel von Richard T. Bell und Charles W. Jefferson vom Geologischen Dienst Kanadas. Darin wurde auf Gemeinsamkeiten zwischen präkambrischen Schichten in Westkanada und Ostaustralien hingewiesen und daraus gefolgert, daß die dem Pazifik zugewandten Ränder der beiden Kontinente einst aneinandergegrenzt haben könnten. Durch seine jüngste Reise sensibilisiert, erkannte Moores, daß dann zwangsläufig die Westküste der USA mit der Antarktis verbunden gewesen wäre – die gleiche Idee, die auch ich gehabt hatte. Nach kurzem Literaturstudium schickte er mir eine Karte, in der er die strukturellen Parallelen zwischen dem Inneren von Laurentia und dem ostantarktischen Schild auflistete und seine überraschende Schlußfolgerung vorbrachte. "Ist das verrückt?" fragte er.
Moores zitierte insbesondere einen Bericht, wonach im Transantarktischen Gebirge – an einer Stelle, die nach dem britischen Antarktisforscher Sir Ernest Henry Shackleton (1874 bis 1922) Shackleton-Range genannt wird – Gesteine liegen, die in Alter und Typ denen in großen Teilen von Neu-Mexiko und Arizona ähneln. Er wies zugleich darauf hin, daß ungefähr eine Milliarde Jahre alte Gesteine, die man nahe der antarktischen Ostküste gefunden hatte, denen in einem alten Gesteinsgürtel ähnelten, der längs des östlichen und südlichen Kontinentalrands von Nordamerika von Labrador nach Texas verläuft und Grenville-Provinz genannt wird. Für seine Hypothese, daß die beiden Kontinente einst zusammenhingen, prägte er das Kürzel SWEAT (nach Southwest U.S./East Antarctica Theory).
Elektrisiert von der Aussicht auf ei-ne definitive Beantwortung meiner alten Frage wiederholte ich Moores' Rekonstruktion mit dem Computer-Programm "Plates", das an unserem Institut an der Universität von Texas in Austin entwickelt worden ist. Damit lassen sich die Kontinente oder Teile davon beliebig anordnen und geometrisch exakt über den Erdball bewegen.
Binnen kurzem hatten sich meine Kollegin Lisa M. Gahagan und ich vergewissert, daß die zwei alten Kontinentalränder in Maßstab und allgemeiner Form tatsächlich zusammenpassen. Sogar die Grenze zwischen den Grenville-Gesteinen in Texas und den noch älteren Formationen von Arizona und Neu-Mexiko setzte sich am Bildschirm genau dort in die Antarktis hinein fort, wo sich nach meiner Kenntnis unter dem Eis eine ähnliche Grenze befindet, nämlich zwischen der Shackleton-Range und einigen freiliegenden Felsen an der zugefrorenen Küste des Weddellmeeres. Es war, als tauchten die Gesteine des Llano-Rückens unter meinen Füßen, aus denen das Texas State Capitol gebaut ist, mehr als 12000 Kilometer entfernt in der Antarktis wieder auf!
Falls der Westrand von Nordamerika mit der östlichen Antarktis und Australien vereint war, muß sich allerdings ein anderer Kontinent von den Appalachen abgespalten haben. Paul F. Hoffman, der jetzt an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) tätig ist, und ich sind der Meinung, daß die Ostseite des Laurentia-Schildes einst an die präkambrischen Schilde von Südamerika grenzte, die als Amazonia und Rio de la Plata bezeichnet werden. Als wir die drei Schilde auf dem Computerschirm hin und her schoben, erschien es mir, als könne der Labrador-Grönland-Vorsprung von Laurentia mit der Einbuchtung in der Westküste Südamerikas zwischen Chile und Süd-Peru zusammenpassen, die nach der nordchilenischen Stadt Arica benannt ist.
Nach allgemeiner Überzeugung stammen sowohl die Landzunge als auch die Arica-Einbuchtung aus dem späten Präkambrium. Sie entsprechen sich in Größe und allgemeiner Form. Daß sie geometrisch nicht ganz exakt zusammenpassen, läßt sich damit erklären, daß beide stark verändert wurden, als sich die Gebirgsketten der Appalachen und der Anden bildeten.
Die Hypothese einer Verbindung zwischen dem Ostrand von Laurentia und Südamerika liefert eine mögliche Erklärung für ein lange ungelöstes Rätsel der Anden-Geologie, nämlich warum sich im Süden des ansonsten geologisch jungen, tektonisch aktiven Küstenstreifens von Peru 1,9 Milliarden Jahre alte kristalline Gesteine befinden. Hardolph A. Wasteneys vom Royal Ontario Museum in Toronto hat Zirkonkristalle vom Arequipa-Massiv an der Küste Süd-Perus datiert. Dabei fand er heraus, daß die Gesteine dieses Massivs hochgradig mineralogisch umgewandelt (metamorphosiert) wurden, als vor 1,3 bis 0,9 Milliarden Jahren das Grenville-Gebirge entstand. Somit könnte die peruanische Formation, die den Zirkon enthält, durchaus eine Fortsetzung der Grenville-Provinz nach Südamerika hinein darstellen.
Diese Schlußfolgerung brachte mich unerwartet zu den Anfängen meiner beruflichen Laufbahn zurück. In Schottland aufgewachsen, habe ich mir an den dortigen Gesteinen gewissermaßen meine geologischen Milchzähne ausgebissen. Das nordwestliche Schottland und das Rockall-Plateau, das vor dem Westrand der Britischen Inseln unter dem Meeresspiegel liegt, blieben ein Teil Nordamerikas, bis sich das nordatlantische Ozeanbecken fast vollständig geöffnet hatte. Schottland befand sich dabei an der Spitze des Labrador-Grönland-Vorsprungs. Wenn man im elektronischen "Plates"-Puzzle die Gesteine der schottischen Highlands, die ich in den sechziger Jahren für meine Doktorarbeit untersuchte, in die Arica-Einbuchtung einfügt, scheinen sie sich in gleich alten Gesteinen Perus und Boliviens fortzusetzen. Weil das schottische Hochland geologisch sehr genau untersucht ist, sollte das vorliegende Datenmaterial auch Informationen enthalten, die dazu beitragen können, die Frage einer früheren Verbindung von Nord- und Südamerika zu klären.
Gesetzt, die SWEAT-Hypothese ist gültig, und die panamerikanische Verbindung hat existiert; dann können wir versuchen, die globale Verteilung von Kontinenten und Ozeanen im ausgehenden Präkambrium zu rekonstruieren. Die meisten Geologen glauben, daß sich der relative Flächenanteil zwischen Festland und Meer seither nicht mehr verändert hat. Demnach muß es, falls die Antarktis, Australien, Nordamerika und Teile Südamerikas in einem Superkontinent vereint waren, den man heute Rodinia nennt, anderswo riesige Ozeane gege-ben haben. Diese sollten sich, wie Überreste von Ophiolithen auf den heutigen Kontinenten nahelegen, zwischen Indien und Ostafrika (Mosambik-Ozean) sowie innerhalb von Afrika und Südamerika (Panafrikanischer beziehungsweise Brasilianischer Ozean) befunden haben.
Irgendwann zwischen 750 und 550 Millionen Jahren vor der Gegenwart wurden diese Ozeanbecken geschlossen, und die präkambrischen Kerne von Afrika, Australien, der Antarktis, Südamerika und Indien verschmolzen zum gewaltigen Südkontinent Gondwana. Innerhalb dieses Zeitraums öffnete sich das pazifische Ozeanbecken zwischen Lauren-tia und der ostantarktisch-australischen Landmasse. Dagegen entstand das Ozeanbecken zwischen Laurentia und Südamerika, wie Datierungen vulkanischer Gesteine in Neufundland mittels radioaktiver Isotopen zeigen, nicht vor Beginn des Kambriums. Nordamerika dürfte sich demnach in zwei Schritten von Ro-dinia abgespalten haben.
Eine geologische Visitenkarte
Um die Verschiebungen des nordamerikanischen Kontinents zu rekonstruieren, braucht man eine entscheidende Zusatzinformation: die Magnetisierung alter Gesteine. Daraus lassen sich deren geographische Breite und Orientierung zur Zeit ihrer Bildung ermitteln. Weil das Magnetfeld der Erde axialsymmetrisch ist, verraten paläomagnetische Messungen allerdings nichts über die ursprüngliche geographische Länge. Aus erstarrten Lavaströmen auf Island und Hawaii könnte ein Geologe zum Beispiel die Breitenlage und Orientierung dieser Inseln während der letzten 100 Millionen Jahre ablesen, nicht jedoch den enormen Unterschied ihrer Längengrade: Er würde nicht erkennen, daß sie in verschiedenen Ozeanen liegen.
Bei Rekonstruktionen Laurentias wird der Appalachen-Rand im Paläozoikum, wie erwähnt, traditionell gegenüber von Nordwestafrika plaziert. Weil paläomagnetische Daten die geographische Länge offen lassen, sind jedoch auch andere Anordnungen denkbar. Beim Probieren auf dem Bildschirm stellte ich fest, daß Nordamerika während des Paläozoikums – ausgehend von einer Position nahe der Antarktis – etwas vollzogen haben könnte, was einer meiner Studenten einen Spurt um Südamerika nannte.
Als Luis H. Dalla Salda, Carlos A. Cingolani und Ricardo Varela von der Nationaluniversität von La Plata in Argentinien eine Skizze dieser Drift sahen, gerieten sie in helle Aufregung. Sie hatten nämlich kurz zuvor eine dazu passende Vermutung über den Ursprung eines paläozoischen Gebirgsgürtels geäußert, dessen erodierter Kern in den nordargentinischen Anden zutage tritt. Demnach könnte er das Relikt einer Kollision mit einem anderen Kontinent sein.
Außerdem befinden sich am Westrand dieses Famatinischen Gürtels Kalke aus dem Kambrium und dem unteren Ordovizium (zwischen 545 und 490 Millionen Jahre vor der Gegenwart), die für Nordamerika charakteristische Trilobiten – Fossilien mariner Gliederfüßer – enthalten. Dies sei vielleicht, so schlossen die argentinischen Wissenschaftler, eine geologische Visitenkarte, die Nordamerika beim Zusammenstoß mit Südamerika vor 450 Millionen Jahren (im mittleren Ordovizium) zurückließ.
Der Übersicht halber sei die Wanderungsgeschichte Nordamerikas hier kurz resümiert. Sie beginnt mit der Abspaltung von Rodinia gegen Ende des Präkambriums. Dabei trennte sich der neue Kontinent im Westen von Australien und der Antarktis sowie im Osten von Südamerika. Danach driftete er anscheinend zunächst recht weit von Südamerika weg; während des Kambriums, als Ozeanboden unter den südamerikanischen Kontinentalblock subduziert wurde und Gondwana teilweise vereist war, lag er jedenfalls am Äquator. Während des Or-doviziums bewegte er sich dann wieder auf Südamerika zu und kollidierte mit ihm. Wir nehmen an, daß der ältere Teil der Appalachen, der abrupt in Georgia endet, damals mit dem Famatinischen Gürtel zusammenhing. Demnach hätte die US-Hauptstadt Washington im mittleren Ordovizium nahe der peruanischen Hauptstadt Lima gelegen.
Ende einer Odyssee
Nach der Kollision trennten sich die Kontinente ein zweites Mal, wobei offenbar nordamerikanischer Kalk mit seinen charakteristischen Trilobiten in Nordwest-Argentinien zurückblieb. Die Kollegen in La Plata und ich sind der Meinung, daß diese Gesteine von der sogenannten Ouachita-Einbuchtung abgerissen wurden, aus der später der Golf von Mexiko hervorging. Gesteinsblöcke aus Schichten unterhalb der Kalke, von Anden-Vulkanen an die Oberfläche befördert, wurden vor kurzem auf ein Alter von etwa einer Milliarde Jahren datiert; sie sind demnach gleich alt wie jene der Grenville-Provinz, die sich vermutlich einst in der Ouachita-Einbuchtung befanden.
Eventuell kam Nordamerika noch einmal mit Südamerika in Kontakt, bevor es schließlich mit Nordwest-Afrika kollidierte und so Pangäa komplettierte. Nach Untersuchungen französischer Geologen bestehen paläozoische Sedimentgesteine in den peruanischen Anden aus Gesteinsschutt, der von einer benachbarten Landmasse auf dem Gebiet des heutigen Pazifiks erodiert sein muß. Die Franzosen nehmen zwar an, daß es sich dabei um eine Verlängerung des Arequipa-Massivs in Peru handelte; es könnte jedoch auch Nordamerika gewesen sein.
Heinrich Bahlburg von der Universität Heidelberg hat nämlich gezeigt, daß in 400 Millionen Jahre alten (devonischen) Schichten des nordwestlichen Südamerika eine alte Warmwasserfauna aus Nordamerika mit einer Kaltwasserfauna Südafrikas und der Falkland-Inseln (Malvinas) vermischt ist. Wenn man dazu die Deformation an der Ostküste Nordamerikas betrachtet, die als Acadia-Orogen bekannt ist, und die Tatsache bedenkt, daß Gebirgsstrukturen am südamerikanischen Kontinentalrand plötzlich abbrechen, dann deutet alles darauf hin, daß Laurentia das nordwestliche Südamerika während des Devons streifte. Es gibt sogar Kalke aus dem Ordovizium mit südamerikanischen Trilobiten – eine weitere Visitenkarte – in der mexikanischen Provinz Oaxaca. Erst nachdem sich Nordamerika endgültig vom Westrand Südamerikas fortbewegt hatte, begann die Entwicklung der heutigen Anden-Kette.
Etwa 150 Millionen Jahre später vereinigte sich der nomadisierende Kontinent dann mit Nordeuropa, Asien und Gondwana zum Superkontinent Pangäa, bei dessen Bildung der Ural, die Armorikanischen Gebirge in Belgien und Nordfrankreich, die Ouachitas und die jüngsten Teile der Appalachen als Schweißnähte entstanden. Nach einer 500 Millionen Jahre währenden Odyssee schien Nordamerika endlich zur Ruhe gekommen. Doch nicht für lange: Als 75 Millionen Jahre später Pangäa aufbrach, löste es sich von Afrika und bewegte sich zu seiner gegenwärtigen Position hin.
Im Südsommer 1993/94 – sechs Jahre nachdem ich zum ersten Mal das Pensacola-Gebirge erblickt und die bewegte Vergangenheit Nordamerikas dunkel erahnt hatte – kehrte ich wiederum in die Antarktis zurück. Dieses Mal erkunde-te ich gemeinsam mit meinem Kollegen Mark A. Helper, zwei Doktoranden und zwei Bergsteigern die Shackelton-Range und Coatsland in der Nähe des Weddellmeeres. Aus meinen Computer-Simulationen geht hervor, daß dies die Stelle ist, an der die nordamerikanische Grenville-Formation vor 750 Millionen Jahren in die Antarktis hineingeragt hatte.
Geologen, die sich mit der Antarktis auskennen, haben diese Gebiete schon seit langem für anomal erachtet. Die ersten paläomagnetischen Daten der Proben, die wir bei den Littlewood-Nunataks (Bergspitzen, die über das Eis hinausragen) in Coatsland sammelten, scheinen die SWEAT-Hypothese zu bestätigen. In den Laboratorien meiner Kollegen Wolf A. Gose und James N. Connelly werden wir indes noch eine Weile damit beschäftigt sein, die Ausbeute dieser Expedition auszuwerten.
Literaturhinweise
- Southwest U.S.-East Antarctic (SWEAT) Connection: A Hypothesis. Von E.M. Moores in: Geology, Band 19, Heft 5, Seiten 425 bis 428; Mai 1991.
– Did the Breakout of Laurentia Turn Gondwanaland Inside-Out? Von Paul F. Hoffman in: Science, Band 252, Seiten 1409 bis 1412; 7. Juni 1991.
– Pacific Margins of Laurentia and East Antarctica-Australia as a Conjugate Rift Pair: Evidence and Implications for an Eocambrian Supercontinent. Von Ian W.D. Dalziel in: Geology, Band 19, Heft 6, Seiten 598 bis 601; Juni 1991.
– On the Organization of American Plates in the Neoproterozoic and the Breakout of Laurentia. Von Ian W.D. Dalziel in: GSA Today, Band 2, Heft 11, Seiten 237 bis 241; November 1992.
– Paleozoic Laurentia-Gondwana Interaction and the Origin of the Appalachian-Andean Mountain System. Von Ian W.D. Dalziel, Luis H. Dalla Salda und Lisa M. Gahagan in: Geological Society of America Bulletin, Band 106, Heft 2, Seiten 243 bis 252; Februar 1994.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 64
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