Douglas R. Hofstadter und die Fluid Analogies Group:: Die FARGonauten.Über Analogie und Kreativität.
Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Klett-Cotta, Stuttgart 1996. 608 Seiten, DM 68,–.
Was verhält sich zu mno wie abd zu abc? Die Lösung liegt fast auf der Hand: mnp. Aber was verhält sich zu xyz wie abd zu abc?
Es geht in diesem Buch nicht um die Antwort, sondern darum, was in meinem Bewußtsein geschieht, wenn ich die Antwort suche. Das ist eine ganze Menge.
Douglas R. Hofstadter, Kognitionswissenschaftler, Autor des Bestsellers "Gödel, Escher, Bach" und der Rubrik "Metamagikum" Anfang der achtziger Jahre in dieser Zeitschrift, leitet an der Universität von Indiana in Bloomington eine Gruppe, die sich mit dem Entstehen von Vorstellungen, der Bildung von Analogien und der Modellierung dieser Prozesse in einem Computerprogramm beschäftigt. Aus diesem Team stammt das Material des Buches; Hofstadter hat die einzelnen Kapitel, die teilweise schon anderweitig veröffentlicht worden sind, kommentiert und gelegentlich mit einem Nachwort versehen.
Analogiebilden ist laut Hofstadter grundlegend für das Verständnis höherer Geistesvorgänge bis hin zum Bewußtsein. Wenn er diesen Prozeß statt in realistischen Situationen in der doch sehr einfachen Mikrowelt der Buchstabenfolgen untersucht und anhand vieler Beispiele sehr ausführlich erklärt, dann deshalb, weil die wesentlichen Phänomene dort bereits auftreten. Man kann sozusagen am klinisch reinen Modell studieren, wie Ideen und Vorstellungen entstehen, sich zu benachbarten verschieben oder plötzlich einfach wieder verworfen werden, weil es so nicht richtig weitergeht – bis hin zur Lösung, die oft nicht eindeutig ist und auch dem Computerprogramm nicht immer gelingt.
Eigentlich beginnt das Buch mit der Suche nach Bildungsregeln für Zahlenfolgen. Auch wenn es vom mathematischen Standpunkt aus nicht besonders sinnvoll ist, macht es einfach Spaß, in einer vorgelegten Zahlenfolge ein Bildungsgesetz zu suchen, zu entdecken und die Folge selbst fortzusetzen. Dabei können höchst interessante Beziehungen zutage treten.
Am meisten überrascht hat mich selbst folgendes: Man füge die Folge der Quadratzahlen und die der Dreieckszahlen (Zahlen der Form n(n+1)/2, im folgenden kursiv geschrieben) nach Größe sortiert ineinander – 1, 1, 3, 4, 6, 9, 10, 15, 16, 21, 25, 28, 36... – und zähle, wie viele Dreieckszahlen zwischen zwei aufeinanderfolgenden Quadratzahlen stehen: 2, 1, 2, 1... Wie ist diese Folge fortzusetzen? Voreilige Schlüsse liegen nahe; doch die Lösung ist ziemlich tiefsinnig, und die einschlägigen Programme würden sie vermutlich allesamt nicht finden.
Hofstadter kam als Student überhaupt auf die Idee, nach solchen Bildungsregeln zu suchen, weil er davon überzeugt war (und ist), daß sie existieren, erkennbar und relativ einfach sind. Er personifiziert diesen tiefen Glauben an mathematische Regelmäßigkeiten, den er mit den allermeisten Mathematikern und vielen andern Menschen teilt, in der Figur des "Mathegotts". Dem läßt sich allerlei entgegenhalten, aber das ist nicht Thema des Buches.
Nachfolger des Seek-Whence genannten Projekts, das Analogiebildung am Beispiel der Zahlen- und Buchstabenfolgen studierte, war Copycat. Ihm ist der zentrale Teil des Buches gewidmet. Hofstadters Gruppe untersuchte, wie fließende Vorstellungen (fluid analogies) zu modellieren sind, wie verschiedene konkurrierende Modelle quasi-parallel um Durchsetzung antreten und wie sich das System letztlich auf eine der Vorstellungen einstellt. In diesem Prozeß sind Wahrnehmung und Analogiebildung nahezu untrennbar miteinander verwoben.
Mit dieser These setzt sich Hofstadter deutlich von vielen Projekten der gleichen Zielrichtung ab. Und nicht nur das – auch Kreativität, meint er, sei mit Analogiebildung/Wahrnehmung sehr eng verbunden: "Kern der Kreativität bildet die Fähigkeit, etwas neu wahrzunehmen." Damit leuchtet ein, warum Hofstadter die Modellierung des Wahrnehmungsprozesses für so wichtig hält.
Den Rest des Buches teilen sich zwei andere Mikrowelten: Tischoberflächen mit diversen Gegenständen, bei denen zu einem der Dinge auf einer Seite die Entsprechung auf der anderen zu finden ist, und Schriftarten; dabei soll der graphische Stil, in dem ein einziger Buchstabe gezeichnet ist, so auf alle anderen Buchstaben übertragen werden, daß ein einheitlicher Font entsteht.
Bei der Einführung in die Tischoberflächen macht der Autor einen Exkurs in die analoge Frage nach Entsprechungen zwischen Städten in verschiedenen Bundesstaaten der USA: "Was ist das Bloomington von Kalifornien?" Dazu braucht der Leser allerdings einige Kenntnisse nordamerikanischer Geographie; die Beispiele etwa nach Deutschland zu übertragen wäre eine interessante Aufgabe für die Übersetzer gewesen.
Bis dahin wirkte Hofstadter auf mich allzusehr von seinen eigenen Ansätzen überzeugt. Deshalb überraschte mich der äußerst lesens- und bedenkenswerte Abschnitt, der an dieser Stelle der Detaildiskussion vorausgeht: Hofstadter gesteht seine Unsicherheit und Verwirrung über die ganze Kognitionswissenschaft und die künstliche Intelligenz sowie deren wissenschaftliche Grundlagen und Beurteilungsmaßstäbe ein. Aus solch kritischer Offenheit können sich stets Motivation und Ansätze ergeben, einen Forschungszweig auf ein festeres Fundament zu stellen.
In der Auseinandersetzung mit anderen, ziemlich hochtrabenden und spektakulären Projekten der künstlichen Intelligenz diskutiert Hofstadter den Eliza-Effekt, benannt nach einem frühen Programm von Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, das einen menschlichen Gesprächspartner – und zwar einen Psychotherapeuten – simuliert (Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1982, Seite 68). Die Wirkung, die es mit einfachsten Mitteln erzielt, ist erstaunlich. Man neigt offensichtlich dazu, sehr viel – das überhaupt nicht vorhanden ist – in das Programm hineinzuprojizieren, ähnlich wie in kleine Roboter, die sich mittels relativ einfacher Regelkreise in einem Raum zurechtfinden, Hindernisse vermeiden und ihren Akkumulator bei Bedarf an einer Steckdose wieder aufladen. Mit diesen – an sich lesenswerten – Passagen sprengt Hofstadter den Rahmen des eigentlichen Themas, kommt aber nicht weit über persönliche Ansichten hinaus.
Die eingangs gestellten Aufgabe, das sei nicht vergessen, hat mehrere Lösungen. Die schönste, weil insgesamt stimmigste ist wyz.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1998, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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