Die Kern-Mantel-Grenze: Schaltstelle der Geodynamik
Wärme aus dem Erdkern treibt gewaltige Konvektionsströme im Erdmantel an, die ihrerseits das tektonische Geschehen an der Erdoberfläche bestimmen. Die Kern-Mantel-Grenze mit ihrer unregelmäßigen Form und der darüberliegenden äußerst inhomogenen D"-Schicht übt dabei einen entscheidenden Einfluß auf Lage und Schicksal der Konventionszellen aus
Daß Kräfte aus der Tiefe die Erdoberfläche unablässig in großem Maßstab umformen, erkannten Naturforscher schon vor mehreren Jahrhunderten. Wie sie feststellten, wurden im Laufe der Erdgeschichte in Zeiträumen, welche die Lebensspanne des Menschen vieltausendfach übersteigen, immer wieder großräumig Gesteinschichten gehoben oder auch abgesenkt, gefaltet und zerbrochen.
Der Ursache dieser Dynamik kam jedoch erst der deutsche Geophysiker und Meteorologe Alfred Wegener (1880 bis 1930) auf die Spur. Von 1912 bis zu seinem Tode entwickelte er die Theorie der Kontinentalverschiebung, wonach die großen Landmassen keineswegs einen unveränderlichen Platz auf der Erdoberfläche einnehmen, sondern langsam über sie hinwegdriften. In dieser Bewegung wiederum sah er die Ursache tektonischer Erscheinungen.
Bei seiner Argumentation stützte sich Wegener außer auf die zueinander passende Form der Küstenlinien von Kontinenten wie Afrika und Südamerika vor allem auf paläontologische Befunde, wonach in Gebieten, die heute durch den Atlantischen und den Indischen Ozean getrennt sind, in früheren Erdzeitaltern sehr ähnliche oder sogar identische Pflanzen- und Tiergemeinschaften lebten. Inzwischen versunkene Landverbindungen verwarf er als Erklärung; geophysikalische Untersuchungen hatten nämlich gezeigt, daß die Kontinente völlig anders aufgebaut sind als die Ozeanböden. Daraus leitete Wegener die Vorstellung ab, daß die leichteren Kontinentalblöcke dem archimedischen Prinzip entsprechend gleichsam in dem schwereren Material der Meeresböden schwimmen.
Der große Pionier der modernen Geologie stieß mit seinen radikalen Ideen allerdings auf Zurückhaltung, Skepsis oder gar völlige Ablehnung. Seine Gegner verwiesen auf theoretische Arbeiten, denen zufolge das Material des Erdmantels viel zu fest sei, um eine Wanderung riesiger Krustenblöcke zu ermöglichen. Außerdem konnte Wegener keine einleuchtende Ursache der Kontinentaldrift angeben. Erst in den sechziger Jahren zeigte sich, daß tiefgreifende Konvektionsströmungen im Erdinneren eine der Erklärungen, die Wegener erwogen, dann aber verworfen hatte die starre Erdkruste mitziehen.
Erste Hinweise auf die unregelmäßige Form des Erdkerns
Bereits einige Jahre vor der Rehabilitation von Wegeners Vorstellungen hatte ich Anzeichen einer Dynamik noch tiefer im Erdinneren entdeckt. Auf Vorschlag von Wilhelm Hiller, damals Leiter des Baden-Württembergischen Erdbebendienstes in Stuttgart, wertete ich Ende der fünfziger Jahre im Rahmen meiner Dissertation die Laufzeiten von Erdbebenwellen aus, die am äußeren Erdkern reflektiert worden waren. Damals wußte man bereits aus seismischen Untersuchungen, daß die Erde aus einer dünnen Kruste, einem darunterliegenden Mantel sowie einem flüssigen äußeren und einem festen inneren Kern besteht (Bild 1). Allerdings war die Datenbasis noch sehr schmal. Meinen Untersuchungen konnte ich lediglich Aufzeichnungen von 25 seismographischen Stationen über rund 500 Erdbeben zugrunde legen.
Ich verglich die gemessenen Laufzeiten mit theoretischen Werten für verschiedene Tiefen der Kern-Mantel-Grenze. Um Unsicherheiten auszugleichen, die von der teils ungenauen Lokalisierung der Bebenherde und von eventuellen Inhomogenitäten in Kruste und Mantel herrührten, benutzte ich nach Möglichkeit Laufzeitdifferenzen zwischen direkten und reflektierten Wellen. Obwohl die erhaltenen Tiefenwerte streuten und die Reflexionspunkte ungleichmäßig verteilt waren, ergab sich ein Profil der Kern-Mantel-Grenze, das deutliche Abweichungen von der normalen Tiefe von 2900 Kilometern aufwies. Insbesondere konnten Bereiche abgegrenzt werden, in denen der Erdkern um bis zu einige Dutzend Kilometer ausgebeult oder eingedellt schien (Bild 2 oben).
Das resultierende Bild paßte zu den wenigen damals bekannten Daten über regionale Schwankungen im Schwerefeld der Erde: Wo ich eine Aufwölbung des Erdkerns festgestellt hatte, war für die Gravitation ein Wert über dem globalen Durchschnitt gemessen worden. Außerdem zeigten sich Beziehungen zu lokalen Besonderheiten in Richtung und Stärke des Erdmagnetfelds. Dies war ein erster Hinweis darauf, daß großräumige Anomalien im Schwere- und Magnetfeld der Erde ihren Ursprung im Bereich der Kern-Mantel-Grenze haben.
Obwohl meine damaligen Befunde ein insgesamt stimmiges Bild ergaben, wurden sie überwiegend angezweifelt. Der Haupteinwand war, daß die Aussagekraft der seismischen Daten nicht ausreiche, die Form des Erdkerns in fast 3000 Kilometern Tiefe daraus abzuleiten. Ferner wurde argumentiert, daß die von mir ermittelten Abweichungen von der Kugelform viel größere Schwerkraftanomalien nach sich ziehen müßten, als tatsächlich beobachtet werden. Schließlich hielten Experten auf dem Gebiet der theoretischen Geodäsie derartige Abweichungen von der Gleichgewichtsfigur des Erdkerns schlicht für unmöglich.
Wegeners Rehabilitation und die Theorie der Plattentektonik
Während der Erdkern zunächst also weiterhin als ideale Kugel galt, die nur durch die von der Erdrotation herrührende Zentrifugalkraft etwas abgeplattet sei, wurde in den sechziger Jahren die Theorie der Kontinentaldrift grandios bestätigt. Forschungsschiffe hatten die Meeresböden ausgelotet und dabei die mittelozeanischen Rücken, die sich als gewaltige, Zehntausende von Kilometern lange Gebirgsketten über die Ozeanböden hinziehen, sowie die Tiefseegräben an den Rändern des Pazifik und Ketten von untermeerischen Plateaus entdeckt. Magnetische Streifenmuster im Meeresboden parallel zu den mittelozeanischen Rücken ließen sich als Zeugnisse von Polumkehrungen deuten. So erkannte man, daß aufdringende Lava an den mittelozeanischen Rücken unablässig neuen Ozeanboden erzeugt, der seitlich wegwandert eine Erscheinung, für die der Begriff Sea-Floor Spreading geprägt wurde. Die Tiefseegräben und die Tiefenverteilungen von Erdbeben an Kontinentalrändern andererseits zeigten, daß an diesen Stellen zum Ausgleich für die neu gebildete Kruste offenbar alter Ozeanboden in den Mantel abtaucht und dort aufgezehrt wird.
Seismologische Untersuchungen ergaben des weiteren, daß der äußere Bereich der Erde aus einer festen Gesteinsschale besteht, der Lithosphäre. In Übereinstimmung mit den Vorstellungen Wegeners schwimmt sie gleichsam auf einer Schicht von zähplastischem Mantelmaterial, die als Asthenosphäre bezeichnet wird.
All diese Erkenntnisse konvergierten im Modell der Plattentektonik, wonach die äußere Gesteinshülle der Erde aus etwa einem Dutzend starrer Lithosphärenplatten besteht, die sich auf der Asthenosphäre treibend relativ zueinander bewegen. Aktive Tektonik ist die Folge von Kräften, die an den Grenzen der driftenden Platten auftreten. Die Kontinentalblöcke sind in die Lithosphärenplatten eingebettet und werden von ihnen gleichsam huckepack mitgeführt.
Als verblüffend einfaches vereinheitlichendes Konzept, das geotektonische Abläufe, Erdbebentätigkeit und Vulkanismus weitgehend aus einer gemeinsamen Ursache heraus zu erklären vermag, hat sich die Theorie der Plattentektonik weltweit schnell durchgesetzt. In neuerer Zeit sind allerdings etliche Unzulänglichkeiten und innere Widersprüche zutage getreten, so daß das Konzept das geowissenschaftliche Denken inzwischen eher einengt als befruchtet.
So hat es sich als problematisch erwiesen, die in sich homogene, dünne und durchweg junge ozeanische Kruste mit der wesentlich dickeren und älteren, nach Ursprung und Beschaffenheit gänzlich verschiedenen sowie meist sehr heterogenen kontinentalen Kruste zu einer gemeinsamen, in sich festgefügten Platte zusammenzufassen. Allzu vereinfacht scheint zudem die Annahme, tektonische Vorgänge spielten sich nur am Rande der Platten ab: Auch inmitten von Kontinentalblöcken haben sich in geologisch junger Zeit Sedimentationsbecken gebildet, Plateaus herausgehoben und Gräben geöffnet; vor allem jedoch treten auch im Platteninneren Erdbeben auf, die zwar seltener, dafür aber oft um so heftiger sind als solche an den Rändern.
Eine entscheidende Frage, auf die eine völlig befriedigende Antwort bisher aussteht, ist ferner die nach der Triebkraft der Plattenbewegung. Nachdem dafür noch bis in neuere Zeit Schubkräfte durch aufsteigendes Magma an den mittelozeanischen Rücken und Zugkräfte von den abgekühlten, verdichteten Lithosphärenplatten, die an den Subduktionszonen in den Erdmantel hinabgleiten, angegeben worden sind, nimmt man heute im allgemeinen großräumige Konvektionsströme im Erdmantel als Ursache der Plattenbewegung an. Ungeklärt sind allerdings weiterhin die genaue Größe und Lage der Konvektionszellen; insbesondere darüber, ob die einzelnen Zellen von der Kruste bis zum Kern reichen oder ob die Konvektion in zwei Schichten abläuft, wogt derzeit der wissenschaftliche Streit.
Anhänger einer Zweischichten-Konvektion nehmen an, daß die seismisch definierte Grenze zwischen oberem und unterem Mantel in 670 Kilometern Tiefe chemischer Natur ist und keinerlei Material über sie hinweg ausgetauscht wird. Neuere Befunde sprechen allerdings eher dafür, daß es sich um eine Phasengrenze handelt, in der bedingt durch den mit der Tiefe zunehmenden Druck das Mantelgestein sich in Minerale höherer Dichte umwandelt. Beispielsweise zeigen die Tiefenverteilung von Erdbebenherden und die Störung seismischer Wellengeschwindigkeiten vielerorts, daß die Subduktion über die Grenze zum unteren Mantel hinweggeht und Teil eines mantelweiten Strömungssystems ist.
Neue Befunde zur Form des äußeren Erdkerns
Ein wesentlicher Mangel des plattentektonischen Weltbildes war schließlich, daß es dem Erdkern so gut wie keine Rolle in der Geodynamik zumaß. So wirkte es als kleine Sensation, als Ende der achtziger Jahre Andrea Morelli (heute am italienischen Nationalinstitut für Geophysik in Rom) und Adam M. Dziewonski von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) aus den Laufzeiten von rund 26000 Erdbebenwellen wiederum eine unregelmäßige Form für die Oberfläche des äußeren Erdkerns ermittelten (Bild 2 unten). Bei der Auswertung der seismischen Daten stützten sie sich auf moderne computertomographische Verfahren, wie sie zuerst in der Medizin zur Gewinnung von Schnittbildern des menschlichen Körpers verwendet worden waren.
Die neuen Befunde stimmten erstaunlich gut mit meinen früheren Ergebnissen überein. Nach beiden Sondierungen ist der Erdkern unter Nord- und Mittelamerika, unter Ostafrika und dem westlichen Pazifik sowie unter Osteuropa und Westasien eingedellt, unter dem östlichen Atlantik, Westeuropa und Westafrika sowie südwestlich von Australien dagegen ausgebeult. Statt einer ausgedehnten Aufwölbung im östlichen Pazifik zeigt meine ehemalige Karte eine wesentlich kleinere im Nordpazifik, und eine leichte Erhöhung der Kerngrenze unter Zentralasien in der tomographischen Karte befindet sich bei mir etwas weiter östlich. Diese geringfügigen Abweichungen betreffen allerdings Gebiete, aus denen vor 40 Jahren nur sehr wenige Daten vorlagen.
Entwickelt man die Laufzeitwerte von Morelli und Dziewonski nach einfachen Kugelfunktionen, so ergeben sich vertikale Abweichungen von der normalen Kerntiefe um bis zu sechs Kilometer. Mit Filterverfahren erhält man dagegen zweieinhalbmal so starke Schwankungen. Außerdem zeigen sich feinere Details wie eine lokale Aufwölbung südlich von Alaska, die auch ich bereits festgestellt hatte. Etwas vereinfachend läßt sich insgesamt festhalten, daß sich im Kern drei Beulen und Dellen abwechseln, wenn man die Erde in niederen Breiten umrundet.
Eine derart unregelmäßige Form des äußeren Kerns kann keinesfalls einer statischen Gleichgewichtssituation entsprechen, sondern muß durch großräumige dynamische Prozesse im tiefen Erdinnern aktiv aufrechterhalten werden. Denn ein flüssiger Körper, der nur Graviations- und Zentrifugalkräften ausgesetzt ist, sollte die Gestalt einer abgeplatteten Kugel eines Rotationsellipsoids annehmen; jede Abweichung davon läßt auf Instabilitäten und Massenbewegungen schließen.
Eine naheliegende Erklärung für das gefundene Muster von Vertiefungen und Aufwölbungen des Erdkerns ist, daß es ebenso wie die Plattendrift durch thermische Konvektionsströmungen im Mantel verursacht wird. Greift man auf Wegeners Vorstellungen von Kontinentalschollen zurück, die auf dem Mantelmaterial treiben, so kann man tatsächlich ein System mantelweiter Konvektionsströme konstruieren, das sowohl das beobachtete Bewegungsmuster der Kontinente als auch die Unregelmäßigkeiten in der Form des Erdkerns hervorrufen würde.
Grundsätzlich sollte die Kernoberfläche im Bereich aufsteigender Mantelströmungen aufgewölbt, dort wo das Mantelmaterial nach unten sinkt, dagegen eingedellt sein. An der Erdoberfläche andererseits lassen aufsteigende Konvektionsströme Kontinente zerbrechen und Ozeanbecken entstehen, während die Kontinentalblöcke zu Bereichen absinkender Mantelströme hingezogen werden.
Betrachtet man einen Schnitt durch die Erde in der Äquatorebene, so findet man einen Wechsel zwischen Ozeanen und Kontinenten, der zu sechs Konvektionswalzen mit jeweils drei auf- und absteigenden Strömungen paßt (Bild 3). Dieses Konvektionsmuster harmoniert zugleich gut mit dem Wechsel von drei Aufwölbungen und Vertiefungen im äußeren Erdkern. Außerdem erfüllt es die theoretisch abgeleitete Bedingung, wonach die Konvektionswalzen im Erdmantel etwa doppelt so breit wie hoch sein sollten. Bezieht man die höheren geographischen Breiten mit ein, erweist sich das Nordpolarmeer als Bereich aufsteigender und die Antarktis als Zone absinkender Mantelströme.
Das Strömungsmuster der Mantelkonvektion sollte sich auch im Schwerefeld der Erde widerspiegeln. So ist über aufsteigendem Material geringer Dichte ein Schwereminimum zu erwarten und umgekehrt. Allerdings werden diese Effekte durch dynamische Verformungen der Erdoberfläche und der Kern-Mantel-Grenze teilweise ausgeglichen oder sogar überkompensiert. Wegen der Störwirkung von Kontinentalmassen und Subduktionszonen sind jedenfalls nur im Bereich von Ozeanen einfache Beziehungen zwischen Konvektionsmuster und Schwerefeld zu erwarten.
Sichtbarer Ausdruck des Schwerefeldes ist das Geoid, also die äußere Form der Erdoberfläche mit all ihren Abweichungen von dem idealerweise zu erwartenden Rotationsellipsoid. Man kann es als Äquipotentialfläche des irdischen Gravitationsfeldes auffassen. Entsprechend haben Bradford H. Hager und Robert W. Clayton vom California Institute of Technology in Pasadena versucht, anhand vorliegender Informationen über die Dichteverteilung und die Strömungsverhältnisse im Erdmantel sowie über die Form der Kern-Mantel-Grenze das Geoid zu berechnen. Unter Verwendung von Dichtemodellen für Subduktionszonen und einfachen Beziehungen zwischen tomographisch bestimmten Wellengeschwindigkeiten und der Dichte des Gesteins im Erdmantel erhielten sie ein Konvektionsmodell, das zu 90 Prozent mit dem beobachteten Geoid übereistimmt. Dieses Modell deckt sich weitgehend mit dem oben von mir abgeleiteten.
Die D"-Schicht
Offenbar existiert also wirklich eine dynamische Kopplung zwischen Kern und Mantel. Um sie besser zu verstehen, ist es nötig, die Übergangsregion zwischen den beiden Erdschichten genauer zu erforschen. Dies ist in den letzten Jahren geschehen. Dabei konnten interessante neue Erkenntnisse gewonnen worden, die auch die Ursache der Mantelkonvektion weiter erhellen.
An der Kern-Mantel-Grenze stoßen zwei Erdschichten aneinander, die sich in der chemischen Zusammensetzung und den physikalischen Eigenschaften sehr stark unterscheiden. Ein vergleichbarer Kontrast existiert sonst allenfalls noch an der Oberfläche unseres Planeten: zwischen Erdkruste und Ozeanen beziehungsweise Atmosphäre.
Anhand seismischer Daten haben Frank D. Stacey von der Universität von Queensland in Brisbane (Australien) und David E. Loper von der Florida State University in Tallahassee einen Temperatursprung von 800 Celsiusgraden an dieser Grenze errechnet. Außerdem besteht der untere Erdmantel aus festem Gesteinsmaterial, genauer aus Silicaten mit Perowskitstruktur, während der äußere Kern metallischen Charakter hat und geschmolzen ist; im wesentlichen handelt es sich um eine Legierung aus Eisen und Nickel, der nur geringe, bislang nicht genau bekannte Mengen an leichten Elementen wie Sauerstoff und Schwefel beigemischt sind.
Schon 1949 hat K. E. Bullen von der Universität Sidney (Australien) an der Kern-Mantel-Grenze eine bis zu 200 Kilometer mächtige Übergangszone entdeckt und ihr den Namen D"-Schicht gegeben. Je detaillierter die seismischen Untersuchungen und je genauer ihre Ergebnisse wurden, desto ungewöhnlicher und rätselhafter erschien diese Schicht, deren Dicke regional beträchtlich schwankt. Sie ist geprägt durch starke Variationen in der Geschwindigkeit von Erdbebenwellen und erweist sich als sehr heterogen in Konsistenz und Struktur (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1993, Seite 48).
Beispielsweise fanden John H. Woodhouse von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) und Dziewonski innerhalb der D"-Schicht Variationen von 1 bis 1,5 Prozent in der Geschwindigkeit bestimmter seismischer Wellen. Bemerkenswert sind insbesondere eine ausgedehnte Region erhöhter Geschwindigkeit im zirkumpazifischen Raum, die sich bis in den Mantel hinein erstreckt, und ein Bereich erniedrigter Geschwindigkeit unter Afrika. Dabei zeigt sich eine auffallende Beziehung: Zonen erhöhter seismischer Geschwindigkeit in der D"-Schicht fallen mit Einbuchtungen in der Oberfläche des Erdkerns zusammen. Dies läßt vermuten, daß relativ kaltes, absinkendes Mantelmaterial, in dem sich Erbebenwellen besonders schnell ausbreiten, den Erdkern gewissermaßen eindellen eine Vorstellung, die durch Computersimulationen von Olafur Gudmundsson und seinen Mitarbeitern am seismologischen Labor des California Institute of Technology gestützt wird.
Aufschlußreiche Informationen über die Beschaffenheit der Kern-Mantel-Grenze liefert auch die Mineralphysik. Insbesondere die Entwicklung der laser-beheizten Diamantstempelzelle hat dabei aufregende neue Untersuchungsmöglichkeiten eröffnet. So kann man für ein Mineral nun Eigenschaften wie Elastizität, thermische und elektrische Leitfähigkeit, Bruchfestigkeit und Fließverhalten bis zu Drücken von 170 Milliarden Pascal (dem 1,7-Millionenfachen des irdischen Luftdrucks auf Meereshöhe) und Temperaturen von 3500 Kelvin ermitteln. Dies erlaubt Rückschlüsse auf den Zustand eines Materials tief im Erdinneren und liefert Zusatzinformationen für die Deutung seismischer Befunde. Ähnliche Daten erhält man durch Schockexperimente, bei denen Stoßwellen in einem Material lokal für kurze Zeit sehr hohe Drücke und Temperaturen erzeugen.
Solche Untersuchungen ergaben zum Beispiel für Perowskit-Silicate unter den Drücken an der Kern-Mantel-Grenze einen Schmelzpunkt von 3800 Kelvin. Die Temperatur im unteren Mantel wird auf 2600 bis 3100, die im äußeren Erdkern auf 3800 bis 4400 Kelvin geschätzt. Demnach kann die D"-Schicht stellenweise durchaus so heiß werden, daß das Gestein teilweise aufschmilzt. Vielleicht ist dies einer der Gründe für den anomalen Charakter dieser Region.
Nach den Ergebnissen jüngster Experimente reagieren metallisches Eisen sowie Eisen(II)-sulfid (FeS) und Eisen(II)-oxid (FeO) also Bestandteile des Erdkerns unter den Bedingungen, wie sie an der Grenze zum Mantel herrschen, merklich mit Silicatgestein. Dadurch könnte sich in der D"-Schicht Eisen anreichern und ihr auf diese Weise eine beträchtliche elektrische und thermische Leitfähigkeit verleihen. Allerdings muß dafür die Reaktionszone immer wieder freigelegt und fortlaufend frisches Mantelmaterial in Kontakt mit dem Kern gebracht werden.
Der enorme Temperaturunterschied von mindestens 700 Celsiusgraden zwischen äußerem Kern und unterem Mantel sollte die D"-Schicht dynamisch instabil machen, weil der obere, relativ kühle Bereich spezifisch schwerer wäre als der heißere darunter. Dieser Effekt läßt sich nur ausgleichen, wenn die chemische Zusammensetzung der Schicht derart variiert, daß die Dichte von oben nach unten zunimmt.
Interessanterweise besteht ein Zusammenhang zwischen dem Muster der seismischen Geschwindigkeiten im tiefen Mantel und Unregelmäßigkeiten sowohl im Magnet- als auch im Gravitationsfeld der Erde. Möglicherweise werden diese Anomalien zumindest teilweise von der Form der Kern-Mantel-Grenze verursacht. So beruht das Erdmagnetfeld auf Wirbelströmungen im äußeren Kern, die durch Dellen und Beulen an dessen Rand gestört werden könnten (Bild 4).
Die Steuerungsprozesse der Mantelkonvektion
Lassen sich die Befunde über die D"-Schicht mit dem oben skizzierten Konvektionsmodell für den Erdmantel in Beziehung setzen? Tatsächlich wird die Dicke und Konsistenz dieser Schicht offenbar von der Mantelkonvektion beeinflußt.
Dort nämlich, wo absteigende Konvektionsströme an Subduktionszonen Lithosphärenplatten in den Mantel hinabziehen, scheinen sich umgewandelte Reste dieser Platten an der Grenze zum Kern als Bodensatz abzulagern; entsprechend ist unter der Westküste Südamerikas und unter den südostasiatischen Inseln die D"-Schicht besonders mächtig. Als relativ dünn erweist sie sich dagegen beispielsweise unter dem Zentralpazifik, wo der Konvektionsstrom am Kern entlangstreicht und vermutlich chemische Reaktionen zwischen Kern- und Mantelmaterial stattfinden. Deren Produkte werden zu Bereichen aufwärts gerichteter Ströme verfrachtet und sammeln sich dort an, so daß an diesen Stellen die D"-Schicht wiederum relativ mächtig ist.
Damit ergibt sich unversehens ein überraschend klarer Einblick in die Steuerungsprozesse der Mantelkonvektion und somit auch in die Triebkraft der globalen Geotektonik. Die Mehrzahl der Geophysiker ist der Überzeugung, daß die Strömungsvorgänge im Mantel durch Zufuhr von Wärme aus dem festen inneren Erdkern angetrieben werden beispielsweise von Kristallisationswärme, die beim Erstarren von flüssigem Eisen an dessen Rand frei wird. Sie gelangt durch Konvektion schnell über den äußeren Kern zur Untergrenze des Mantels. Dort allerdings wird sie von der äußerst inhomogenen D"-Schicht in regional sehr unterschiedlichem Maße zurückgehalten beziehungsweise weitergeleitet. So wirken die Bodensätze unter den Subduktionszonen stark isolierend, während in Bereichen horizontaler Mantelströmung, in denen die D"-Schicht nur dünn ist, die Wärme leicht übertreten kann. In Aufstromregionen schließlich sorgen die dort angesammelten Produkte der Reaktion zwischen Kern- und Mantelmaterial durch ihre hohe Leitfähigkeit für einen besonders guten Wärmeübergang, so daß das aufsteigende Gestein zusätzlich aufgeheizt wird. Auf diese Weise fördert und unterhält die D"-Schicht den Konvektionsprozeß.
Andererseits kann sie aber ein bestehendes Konvektionsmuster auch durchaus wieder zerstören. Unterhalb der isolierenden Bodensätze sollte sich nämlich die Wärme aus dem Kern mit der Zeit stauen, bis der Bodensatz schließlich zerbricht, heißes Material aufsteigt und so einen neuen Konvektionskreislauf einleitet. Kontinentalmassen, die sich über der Abstromregion angesammelt haben, würden dabei aufsteigenden, divergierenden Strömen ausgesetzt. So wäre das historisch dokumentierte wiederholte Auseinanderbrechen von Großkontinenten zu erklären beispielsweise die Aufspaltung von Pangäa vor rund 200 Millionen Jahren.
Eine wichtige Erscheinungsform der Erddynamik, die im Rahmen der Plattentektonik zunächst nicht verständlich war, sind nahezu punktförmige vulkanische Zentren, die heiße Flecken oder nach dem englischen Fachbegriff Hot Spots genannt werden. Während der übliche Vulkanismus an Plattenrändern stattfindet und leicht mit den Prozessen dort erklärbar ist, treten Hot Spots größtenteils im Inneren von Platten auf. Meist bilden sie das geographische Endglied einer linearen Kette von Eruptionen oder im Meer von Vulkaninseln; der Archipel von Hawaii und die sich in nordwestlicher Richtung anschließenden unterseeischen Berge sind das bekannteste Beispiel. Dieses Muster läßt sich unter der Annahme verstehen, daß die Quellpunkte des Magma-Aufstroms relativ ortsfest sind, während die Lithosphäre allmählich über sie hinwegdriftet. Generell nutzt man sie deshalb auch als Referenzsystem, anhand dessen sich die Bewegungen der Erdoberfläche erschließen lassen.
Nach dem hier entwickelten Modell ist es wahrscheinlich, daß Hot Spots durch Aufheizen und Aufschmelzen von Resten subduzierten Materials im unteren Mantel entstehen. Weil das Konvektionsmuster sich nur langsam ändert, kann der Ort des Aufschmelzens über viele Jahrmillionen hinweg gleich bleiben. Dies bewirkt die orstfeste Position der Hot Spots relativ zur driftenden Platte darüber.
Heiße Flecken sind allerdings um es paradox zu formulieren nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs: die oberflächliche Manifestation des Aufstiegs von wesentlich größeren Magmamengen, die sich unter und in der Erdkruste ansammeln, diese aufwölben und anheben. Für die tiefreichende Wurzel hat sich der englische Ausdruck Plume eingebürgert, der auf die Struktur des Magmastroms anspielt, der den Erdmantel wie ein schmaler Säulenschaft durchdringt und sich an der Oberfläche pilzartig verbreitert.
Die aufgewölbte und angehobene Kruste ist durch die Schwerkraft seitlichen Dehnungsspannungen ausgesetzt. Sie reißt deshalb oft sekundär auf, und es kommt zu Grabenbrüchen. Das Neuwieder Becken, der Oberrheingraben und vermutlich auch das große ostafrikanische Rift Valley sind auf diese Weise entstanden.
Dies ist eines der Beispiele dafür, daß tektonische Kräfte keineswegs auf Plattengrenzen wie mittelozeanische Rücken oder Subduktionszonen beschränkt sind. Einen weiteren Widerspruch zu dem derzeit vorherrschenden geologischen Weltbild zeigt Bild 5, in dem das mit dem Referenzsystem der Hot Spots ermittelte Bewegungsmuster der Erdkruste dargestellt ist. Wie man deutlich sieht, sind die Platten nicht nur Verschiebungen, sondern auch Rotationsbewegungen unterworfen.
Mit meinem Konvektionsmodell läßt sich dies zwanglos vereinbaren. Theoretische Studien zu Konvektionsbewegungen in Kugelschalen haben nämlich gezeigt, daß an der Oberfläche außer Strömungen von Quellen zu Senken auch Rotationsbewegungen auftreten. Außerdem stören die Kontinentalblöcke ihrerseits die großräumigen Mantelströme und erzeugen sekundäre Konvektionswirbel. Alles zusammen bewirkt eine Vielfalt tektonischer Prozesse wie Blockbildungen mit Hebungen und Senkungen, Auf- und Abschiebungen, Scher- und Dehnbewegungen sowie Verformungen von kontinentalen Gesteinsmassen.
Noch weit stärker rütteln neueste Ergebnisse der Weltraumgeodäsie an den Grundfesten des Plattentektonikmodells. Mit Laserabstandsmessungen von Satelliten aus und mit der Methode der Interferometrie mit sehr großen Basislängen, die sich auf einen weltweiten Verbund von Radioteleskopen stützt, kann man heute Punktpositionen auf der Erdoberfläche und ihre Änderungen mit einer Genauigkeit von wenigen Zentimetern ermitteln. Auf der Grundlage solcher Daten hat Hermann Drewes vom Deutschen Geodätischen Forschungsinstitut in München jüngst die Verschiebungen der Erdkruste im Mittelmeerraum direkt bestimmt und in Form eines Geschwindigkeitsfeldes dargestellt (Bild 6). Dieses ist vollkommen kontinuierlich und läßt keinerlei Grenzen zwischen Europäischer, Afrikanischer und Arabischer Platte erkennen: Ohne Brüche oder Sprünge windet es sich S-förmig zunächst von Arabien über die Türkei nach Syrien und dann wieder über Griechenland und Italien nach Norden. Sehr wahrscheinlich liegt ihm ein ebenso kurvig verlaufender Konvektionsstrom im Mantel zugrunde.
Auch Erdbeben, die im Innern von Kontentalblöcken auftreten, zeugen von tektonischer Aktivität abseits der Plattengrenzen. Beispiele aus jüngster Zeit sind katastrophale Beben in China, Australien, Afrika, Armenien und Indien. Solche Erschütterungen sind zwar viel seltener als die an mittelozeanischen Rücken oder Subduktionszonen, dafür aber meist wesentlich stärker und verheerender (siehe Spektrum der Wissenschaft, August 1994, Seite 114). Dies läßt sich mit der hohen Bruchfestigkeit des Gesteins alter Kontinentalblöcke erklären, in denen sich stärkere Spannungsfelder aufbauen können, bevor sie nachgeben.
Von der Platten- zur Konvektionstektonik
Angesichts der neuen Erkenntnisse über die geodynamischen Prozesse im Erdinnern und der vielen zutage getretenen Widersprüche zum Konzept der Plattentektonik scheint es mir sinnvoll, dieses Modell durch ein erweitertes Theoriegebäude zu ersetzen, für das ich den Namen Konvektionstektonik vorgeschlagen habe. Statt auf fiktiven Platten, deren Existenz als geologische Einheiten immer fragwürdiger geworden ist, liegt die Betonung dabei auf den Vorgängen im Erdinnern, die das geologische Geschehen an der Oberfläche antreiben (Bild 7).
Beispielsweise unterstellt die Theorie der Plattentektonik ein stationäres Konvektionsmuster im Erdmantel. In der neueren Erdgeschichte gibt es jedoch klare Indizien für eine Wanderung der Konvektionswalzen. So sind am Nordwestrand des nordamerikanischen Kontinents buchstäblich Krustenschollen gestrandet, die ihren Ursprung im Südwestpazifik haben (siehe "Terrane" von David G. Howell, Spektrum der Wissenschaft, Januar 1986, Seite 64). Dies läßt sich nur mit der Annahme erklären, daß die Spreizungszone im Nordostpazifik ihre heutige Position nicht schon immer eingenommen, sondern sich vom Südwestpazifik dorthin verlagert hat.
Ein weiteres Beispiel ist die Wanderung des indischen Subkontinents. Da es am westlichen und östlichen Kontinentalrand von Afrika keine Subduktionszone gibt, müssen sich die Spreizungszonen im Indischen und Atlantischen Ozean voneinander entfernen. Dadurch wurde Indien mit einer Geschwindigkeit, die gleich der Summe der Spreizungsrate des Carlsberg-Rückens und der Eigenbewegung dieser Spreizungsachse östlich von Afrika ist, nach Nordwesten verlagert und schließlich in den Eurasischen Kontinent hineingeschoben. In der Kollisionszone hat sich das Gebirgsmassiv des Himalaya aufgetürmt.
Offensichtlich sind die Konvektionszellen im Erdmantel in gewisser Weise vergleichbar mit den Zyklonen in der Atmosphäre: Sie entstehen, wandern und zerfallen wieder; nur beträgt der Zeitrahmen statt mehrerer Tage bis Wochen einige 100 Millionen Jahre. Als Ursache für die Bildung neuer Konvektionskreisläufe hatte ich bereits das Aufbrechen von Bodensätzen aus Subduktionsprodukten an der Kern-Mantel-Grenze unter dem Einfluß aufgestauter Wärme aus dem Erdkern erwähnt.
Im Laufe der Erdgeschichte haben sich die Landmassen wiederholt zu einem gewaltigen Superkontinent vereinigt, der jedoch nie auf Dauer stabil war, sondern stets nach einiger Zeit wieder in eine Reihe von Bruchstücken zerfallen ist, die sich nach etlichen 100 Millionen Jahren schließlich erneut zu einem Großkontinent zusammenfanden (Spektrum der Wissenschaft, Januar 1986, Seite 64). Im Rahmen der Konvektionstektonik lassen sich solche Wilson-Zyklen (benannt nach dem geistigen Vater des Plattentektonik-Modells J. Tuzo Wilson) leicht durch die beschriebenen Mantelzyklone erklären. Meeresböden sind darin die unmittelbaren Oberflächenprodukte strömenden Mantelmaterials, während sich die Kontinentalmassen als Mosaik von Strandgut darstellen, das die wandernden Böden heutiger und längst verschwundener Ozeane auf der Erdoberfläche hin und her geschoben haben.
So zeigen Altersbestimmungen von Gestein anhand des Zerfalls darin enthaltener radioaktiver Elemente, daß ein Großteil der kontinentalen Kruste bereits vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren entstanden ist (Bild 8). Aus jener Zeit stammen die alten kontinentalen Plattformen oder Kratone, an deren Zusammensetzung sich seither praktisch nichts mehr geändert hat. Sie sind lediglich umhergedriftet und haben sich in immer neuen Konstellationen zusammengelagert und wieder getrennt, wobei sich zwischen ihnen Meeresbecken öffneten und unter Auffaltung von Gebirgsketten wieder schlossen.
Während ihrer Wanderung sind die alten Kratone allerdings auch in sich von den Mantelströmen mechanisch beansprucht worden. Die Folge waren Hebungen und Senkungen unter Bildung von Schwellen und Becken. Durch Abtragung der Schwellen haben sich dann die Becken mit Sedimenten gefüllt. Spannungen innerhalb der Kratone ließen zugleich immer wieder kontinentale Gräben entstehen. All diese tektonischen Vorgänge waren begleitet von basaltischem Vulkanismus, der ausgedehnte Lavafelder erzeugt hat.
Daß die alten kontinentalen Plattformen ihrerseits auch schon eine bewegte Vergangenheit hatten, bezeugen die Granulit- und Grünsteingürtel, von denen sie durchzogen sind (Bild 8). Dabei handelt es sich um Suturzonen, an denen sie aus kleineren Krustenblöcken zusammengeschweißt wurden. Die Kratone bestehen also ihrerseits aus noch älteren Fragmenten, die unter dem Einfluß von Mantelzyklonen vor mehr als 2,5 Milliarden Jahren bereits über die Erdoberfläche gedriftet sind und sich unter Gebirgsbildung vereinigt haben. Nach heutigem Kenntnisstand haben sich im Verlauf der Erdgeschichte mindestens 20 Ozeane geöffnet und wieder geschlossen.
Auch in der Gegenwart erleben wir das Wirken von Mantelzyklonen in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Im Golf von Aden und im Roten Meer öffnet sich ein Ozean, und im Atlantik hat sich bereits ein ausgedehntes Meeresbecken gebildet, während sich im Pazifik, begleitet von Subduktion und Gebirgsbildung an den Rändern, ein älteres Becken schließt. Umfangreiche Gebirgsbildung gab und gibt es zugleich in der Kollisionszone zwischen Afrika, Arabien sowie Indien auf der einen und Eurasien auf der anderen Seite.
Die Mantelkonvektion prägt freilich nicht nur die Oberflächengestalt der Erde, sondern hat auch ihren Reichtum an mineralischen Rohstoffen geschaffen. Im Laufe der Erdgeschichte haben die tiefgreifenden Konvektionsströme fortwährend für uns Menschen wertvolle Metalle an die Oberfläche befördert. Durch aufsteigendes Magma in den Spreizungszonen deponiert, wurden sie von dort zunächst mit den wandernden Meeresböden in die Subduktionszonen verfrachtet. Beim Abtauchen in den Mantel sind die metallreichen Minerale dann wieder geschmolzen und mit dem Subduktionszonenvulkanismus in die kontinentale Kruste gelangt. Dort haben sie schließlich entweder direkt Erzgänge gebildet, oder die Metalle wurden nach Umlagerung in abbauwürdigen Lagerstätten angereichert.
Solche Ressourcen erscheinen dennoch nur als unbedeutendes Geschenk der Mantelkonvektion an uns Menschen, wenn man bedenkt, daß wir den sich stetig wandelnden Strömungen unter der festen Gesteinskruste letztlich unsere Existenz überhaupt verdanken. Indem sie das Erscheinungsbild des Erdkörpers vielfach veränderten, haben sie durch Schaffung immer neuer oder die Modifikation existierender Lebensräume sowie durch den Einfluß, den Verteilung und Topographie der Landmassen auf das Klima ausübten, die Evolution der Organismen wesentlich geprägt. Nachdem sich als Wurzel dieser Kräfte nun die Kern-Mantel-Grenze herausgestellt hat, bleibt die staunenswerte Erkenntnis, daß Vorgänge in der unvorstellbaren Tiefe von 2900 Kilometern das Schicksal des Pflanzen- und Tierreichs wie auch der Menschheit entscheidend mitbestimmt haben.
Literaturhinweise
- Messen und Modellieren der Erdkrustendeformationen im Erdbebengürtel Südeuropas. Von Hermann Drewes in: Zeitschrift für Vermessungswesen
– Struktur und Dynamik der Kern-Mantel-Grenze. Von Andreas Vogel in: Physik in unserer Zeit, 23. Jahrgang, Heft 3, Seiten 111 bis 120 (1992).
– Convection Tectonics Global Tectonics in the Light of Mantle-Wide Convection. Von Andreas Vogel in: Rhenohercynian and Subvariscian Fold Belts, herausgegeben von Rodney A. Gayer et al. Vieweg. Braunschweig, Wiesbaden 1991.
– The Irregular Shape of the Earth's Fluid Core A Comparison of Early Results with Modern Computer Tomography. Von Andreas Vogel in: Model Optimization in Exploration Geophysics, herausgegeben von ??? Vieweg. Braunschweig, Wiesbaden 1991.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1994, Seite 64
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