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Patente auf Gene: Die Kontroverse geht weiter

Menschliche DNA ist patentierbar, unter bestimmten Bedingungen. Dies besagt die 1998 verabschiedete EU-Biopatent-Richtlinie. Mit ihrer Umsetzung tun sich die nationalen Gesetzgeber in der Union jedoch schwer.


Gegen die Patentierung von DNA erheben sich in der Öffentlichkeit viele Stimmen. Abgesehen von allgemeinen ethischen Bedenken wird immer wieder der Einwand vorgebracht, dass Erbsubstanz nicht erfunden, sondern nur in der Natur entdeckt werden kann. Auch politische Gremien tun sich nicht leicht damit. Nach zehnjähriger kontroverser Debatte hatte jedoch das Europäische Parlament im Juli 1998 mit großer Mehrheit eine neue Richtlinie zum rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen verabschiedet. Darin regelte es unter anderem die Frage der Patentierbarkeit von DNA-Sequenzen menschlichen Ursprungs. Ziel: größere rechtliche Klarheit zu bringen und den europäischen Standort vor allem gegenüber den USA zu stärken.

Die Richtlinie geht davon aus, dass die Würde wie auch die Unversehrtheit des Menschen stets zu gewährleisten sind und Entdeckungen als solche nicht patentiert werden können. Nicht patentierbar bleiben daher:

- der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung, einschließlich seiner Keimzellen, sowie

- die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile oder seiner Produkte, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines menschlichen Gens.

Zugleich stellt die Richtlinie aber klar, dass zum Beispiel ein Körperbestandteil, der durch ein biotechnisches Verfahren gewonnen wird, durchaus eine patentierbare Erfindung sein kann, selbst wenn er denselben Aufbau hat wie der natürliche Bestandteil, sagen wir ein Protein. Das gilt genauso für eine komplette oder auch nur eine Teilsequenz eines Gens.

Dies entspricht der Rechtsprechung in vielen Mitgliedstaaten sowie der Praxis des Europäischen Patentamts: Die DNA, als Molekül, das die genetische Information trägt, wird danach wie andere in der Natur vorkommende biochemische Substanzen behandelt. Patentiert werden kann daher eine DNA-Sequenz unter drei Grundbedingungen:

- wenn sie vor dem Anmeldetag noch nicht öffentlich zugänglich war, etwa in einer freien Datenbank,

- der Anmelder ein vom Fachmann nachvollziehbares Verfahren – eine so genannte technische Lehre – zu ihrer Gewinnung darlegt

- sowie eine gewerbliche Anwendung offenbart.

Bloß eine vorher unbekannte DNA-Sequenz vorzustellen genügt also nicht; dies gilt weiterhin als nicht patentfähige Entdeckung.

Eine weitere wichtige Voraussetzung muss allerdings erfüllt sein: die Erfindungshöhe. Dies heißt, dass sich für den Fachmann die Erfindung nicht schon nahe liegend aus dem Stand der Technik ergeben darf. Man bedenke hier nur, wie vehe-ment die Automatisierung entscheidender Prozeduren voranschreitet – von der Sequenzierung über die Suche nach den Funktionen der entzifferten DNA bis hin zur Strukturaufklärung der Proteine, für die diese Sequenzen codieren. Somit ist jetzt bereits abzusehen, dass das Kriterium Erfindungshöhe für viele Patentanmeldungen künftig zu einer kaum überwindbaren Hürde wird.

Zusätzliche Hürden sollen spekulativen Anmeldungen entgegenwirken, die auf mehr oder minder gut begründeten Vermutungen basieren. Einfache DNA-Abschnitte ohne Angabe einer nachweislichen Funktion deklariert die Richtlinie daher als generell nicht patentierbar. Weitere Forderung: Die gewerbliche Anwendbarkeit einer kompletten oder partiellen Gensequenz muss bereits in der Patentanmeldung konkret beschrieben sein. Will der Anmelder die Sequenzen beispielsweise zur Produktion eines Proteins oder eines Teilstücks davon verwenden, muss er auch eben dieses Protein oder Stück einschließlich dessen jeweiliger Funktion angeben. Maßgeblich dürfte dabei nicht nur die rein biologische Funktion einer DNA oder eines Proteins sein, sondern auch jede andere Funktion, die ursächlich zur Lösung eines Problems beiträgt. Zum Beispiel kann eine DNA-Sequenz als Marker oder Sonde für die Diagnose einer bestimmten Krankheit dienen.

Der Mensch selbst – etwa der Empfänger eines patentierten Gens im Rahmen einer Gentherapie – kann niemals von der Wirkung solcher Patente berührt werden. Dies sieht die Richtlinie ebenso vor wie das so genannte Forschungsprivileg; Wissenschaftler dürfen mit dem geschützten Sequenzen weiterhin Grundlagenforschung betreiben.

Für den Fall, dass eine patentierte DNA-Sequenz sich teilweise mit einer bereits geschützten überschneidet, enthält die Richtlinie ebenfalls eine Regel. Beide Sequenzen sollen patentrechtlich als selbstständig behandelt werden, wenn die sich überlappenden Abschnitte für die jeweilige Erfindung "nicht wesentlich" sind. Diese Vorgabe kann aber nur dann wie gewünscht greifen, wenn sich die Bewertung, was wesentlich ist, strikt an der im Erstpatent definitiv dargelegten Verwendung orientiert.

Die Europäische Patentorganisation hat die Richtlinie bereits am 1. September in die Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen umgesetzt. Die nationalen Gesetzgeber in der Union tun sich indes mit der Umsetzung schwer: Die Frist bis zum 30.7.2000 haben viele Mitglieder, darunter die Bundesrepublik, nicht einhalten können. Es sieht ganz danach aus, als ob sich die kontroversen Debatten, die im Europaparlament über Jahre geführt wurden, auf nationaler Ebene wiederholen.

Unterdessen hat auch das US-Patent- und Markenamt neue Richtlinien veröffentlicht, die an der grundsätzlichen Patentierbarkeit der DNA-Sequenzen nicht rütteln, aber spekulativen Anmeldungen einen wichtigen Riegel vorschieben: So muss der Prüfer nunmehr feststellen:

- ob der Anmelder in seiner Patentbeschreibung klar nachweist, dass er am Anmeldetag tatsächlich die Erfindung in der gesamten beanspruchten Breite besessen hat,

- ob die behauptete Nützlichkeit tatsächlich konkret offenbart und wesentlich ist.

So genannte Wegwerf-Nützlichkeiten, selbst wenn sie ausdrücklich dargelegt sind, reichen nun nicht mehr aus!

Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2000, Seite 32
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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