Überblick: Die Krankheit des Vergessens
"Ich habe mich sozusagen verloren", sagte Auguste Deter in den wenigen lichten Momenten, die ihr noch blieben. Meist irrte die 51-Jährige völlig orientierungslos umher, sämtliche Erinnerungen an ihr früheres Leben schienen wie ausgelöscht, ihre Persönlichkeit hatte sich dramatisch verändert. Fünf Jahre später starb sie in geistiger Umnachtung. Der Frankfurter Neuropathologe Alois Alzheimer (1864 -1915) obduzierte ihr Gehirn und präsentierte seine Ergebnisse 1906 in Tübingen auf der 37. Tagung Südwestdeutscher Irrenärzte.
Morbus Alzheimer, wie die Krankheit von da an heißen sollte, galt zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch als Kuriosum. Die Lebenserwartung lag damals bei 50 Jahren; wer heute auf die Welt kommt, wird vermutlich das 80. Lebensjahr erreichen. Da Alter der entscheidende Risikofaktor für die Alzheimerdemenz darstellt, wird die Zahl der Betroffenen in unserer alternden Gesellschaft weiter ansteigen. Heute leben schätzungsweise 1,2 Millionen Demente in Deutschland; zwei Drittel von ihnen leiden an der Alzheimerkrankheit. Im Jahr 2050 könnten es 2,6 Millionen sein.
Alzheimerdemenz steht somit im Brennpunkt der medizinischen Forschung – und stellt ein immer wiederkehrendes Thema in G&G dar. Das Leiden gehört zu den so genannten neurodegenerativen Erkrankungen, die durch einen langsamen, unaufhaltsamen Nervenzelltod gekennzeichnet sind. Hierzu zählen auch Morbus Parkinson (siehe G&G 9/2005, S. 20), die amyotrophe Lateralsklerose (3/2007, S. 66), Chorea Huntington (11/2005, S. 34) sowie Prionenerkrankungen wie die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (1-2/2008, S. 30).
Die wesentliche Mechanismen der Alzheimerdemenz sind heute bekannt. Schon Alois Alzheimer fielen neben dem dramatischen Schwund des Hirngewebes zwei ungewöhnliche Veränderungen bei seiner verstorbenen Patientin auf: Außerhalb der Nervenzellen sah er viele Eiweißklumpen, senile Plaques genannt. Und in den Neuronen lagen seltsame Bündelstrukturen, die an verfilzte Fasern erinnerten.
Heute wissen wir, dass die Plaques aus dem so genannten Amyloid-Vorläuferprotein entstehen (siehe Grafik links). Die Funktion dieses in der Zellmembran sitzenden Eiweißes ist immer noch unklar; zumindest wird es wohl bei Alzheimerpatienten in kurze Abschnitte zerlegt, die sich zu den gefürchteten Plaques zusammenballen. Da diese Schnipsel eine ziehharmonikaartige Form einnehmen, die Biochemikern als beta-Faltblattstruktur bekannt ist, wird es A-beta-Peptid oder auch beta-Amyloid genannt.
Das zweite Eiweiß, das bei der Alzheimerkrankheit eine wichtige Rolle spielt, trägt den griechischen Buchstaben Tau in seinen Namen. Normalerweise stabilisiert es die Mikrotubuli, Röhrchen, die innerhalb der Nervenfaser für einen geordneten Stofftransport sorgen. Bei Alzheimerpatienten sitzen ungewöhnlich viele Phosphatgruppen am Tau-Protein, wodurch es zu den von Alois Alzheimer entdeckten langen, fasrigen Fibrillen verklebt (siehe Grafik links).
So spannend diese Erkenntnisse sind – heilbar ist die Krankheit damit noch lange nicht. "Alzheimer wird uns immer begleiten", fasst Konrad Beyreuther den Stand der Forschung ab S. 66 zusammen. Dennoch gibt sich der Biochemiker optimistisch: Mit einer gesunden Lebensweise lässt sich der geistige Verfall hinauszögern. Dass bei der Demenz auch Stress eine wesentliche Rolle spielt, konnten Wissenschaftler jüngst nachweisen (siehe Beitrag S. 72). Die Sichtweise eines Betroffenen schildert schließlich auf S. 76 der amerikanische Psychologe Richard Taylor. Seit über zehn Jahren an Demenz erkrankt, fordert er einen menschlichen Umgang mit Dementen.
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