Die Kunst, Menschen zu beeinflussen
Verkäufer, Politiker, Freunde, Familienmitglieder - jeder möchte uns in seinem Sinne manipulieren. Sozialpsychologen können immer besser erklären, mit welchen Mitteln sich Menschen überzeugen, verleiten oder überreden lassen.
Soziale Einflussnahme erforschen Psychologen seit ungefähr einem halben Jahrhundert. Besonders der Zweite Weltkrieg mit seinen Nachrichtenmaschinerien und Propagandakampagnen regte solche Studien an.
Zu den spannenden Fragen dieser Forschungsrichtung gehört aber auch, wie ein einzelner Mensch das Denken und Handeln von jemand anderem beeinflussen kann. Ich selbst bewege mich auf diesem Feld der Sozialpsychologie nun seit dreißig Jahren. Dabei interessiert mich besonders, was Menschen dazu bringt, sich von einem Ansuchen oder einer Aufforderung umstimmen zu lassen – welche Umstände darauf Einfluss haben, ob sie einem Ansinnen oder einer Bitte nachkommen.
Meines Erachtens lassen sich dabei sechs Hauptkomplexe erkennen. Diese menschlichen Grundtendenzen spielen im Geschäftsleben genauso mit wie auf gesellschaftlicher Ebene und in persönlichen sozialen Beziehungen. Um sie und ihre Macht zu wissen, gereicht uns deswegen in vieler Hinsicht zum Vorteil.
Reziprozität
Auf schriftliche Spendengesuche des amerikanischen Kriegsversehrtenbundes reagiert im Durchschnitt nicht einmal jeder fünfte Angeschriebene. Ist dem Brief jedoch ein kleines Geschenk beigefügt, in dem Fall einfach ein Satz persönlicher Adressetiketten, schicken fast doppelt so viele Personen der Organisation eine Spende. Wieso wirkt die ungebetene Gabe so stark? Hier wird ein ungeschriebenes Verhaltensgesetz mächtig: der Codex der Gegenseitigkeit oder Reziprozität.
Wohl in allen menschlichen Gesellschaften gilt eine Norm, dass man auf die eine oder andere Weise zurückgeben muss, was einem gegeben wurde. Dieses Verhaltensmuster dürfte der evolutionäre Selektionsdruck sozialen Tieren wie unsereins eingeprägt haben. Durch ein Geschenk – sogar ein vielleicht unerwünschtes – fühlen sich viele Menschen zu einer Gegenleistung gedrängt.
Nicht nur Wohltätigkeitsorganisationen nutzen das aus. Lebensmittelhändler offerieren Kostproben; Fitness-Studios bieten ein Probetraining an. Der Kunde lernt das Produkt oder die Dienstleistung kennen – und gerät psychisch in die Schuld des Anbieters. Nach dem gleichen Prinzip versuchen zum Beispiel Pharmafirmen unterschwellig Einfluss zu nehmen, indem sie etwa Wissenschaftler fördern oder an Ärzte Werbegeschenke ausgeben. In der Fachzeitschrift "New England Journal of Medicine" erschien 1998 eine Studie über
Bewertungen von so genannten Calcium-Blockern, Medikamenten, die einen bestimmten Zellmechanismus unterbinden. Von den Forschern, die in veröffentlichten Arbeiten Bedenken an den entsprechenden Wirkstoffen äußerten, hatten nur 37 Prozent zuvor von Herstellerfirmen eine Zuwendung erhalten. Aber unter denen, welche die Medikamente für unbedenklich hielten, befand sich keiner, der nicht von Firmen Forschungs- oder Reisegelder bekommen hatte oder dort beschäftigt war.
Das Prinzip der Gegenseitigkeit umfasst auch Zugeständnisse. Angenommen, Sie schlagen mir eine größere Bitte ab. Daraufhin ersuche ich Sie um einen kleinen Gefallen. Höchstwahrscheinlich werden Sie mir den jetzt erfüllen. Schließlich bin ich Ihnen gewissermaßen entgegengekommen, indem ich nur noch einen geringen Wunsch äußerte. Den mögen Sie mir nun nicht auch noch verweigern. Also kommen auch Sie mir jetzt entgegen.
Wie gut das funktioniert, demonstrierten meine Kollegen und ich in den siebziger Jahren in einem Versuch auf der Straße. Wir fragten damals Passanten, ob sie bereit wären, Insassen von Jugendstrafanstalten auf einem Tagesausflug in den Zoo zu begleiten. Wie zu erwarten, ließen sich nur ziemlich wenige Leute darauf ein, gerade einmal jeder Sechste. Andere Passanten baten wir zunächst um einen viel aufwändigeren Gefallen: Würden sie sich den Insassen einer Jugendstrafanstalt ehrenamtlich zwei Jahre lang zwei Stunden pro Woche für Beratungen zur Verfügung stellen? Niemand der Angesprochenen war dazu bereit. Doch wir setzten nach: "Würden Sie aber eine Gruppe jugendlicher Strafgefangener auf einem Tagesausflug in den Zoo begleiten?" Unser "Entgegenkommen" verfehlte seine Wirkung nicht. Fast dreimal so viele Leute sagten jetzt zu, jeder Zweite der Angesprochenen.
Konsistenz
Vor einigen Jahren war Gordon Sinclair es leid. Wie die meisten Restaurantbesitzer erlebte er als Inhaber eines bekannten Chicagoer Lokals allzu oft, dass Leute telefonisch einen Tisch reservierten und dann nicht erschienen. Sinclair bat seine Rezeptionistin, ihren Standardspruch bei Reservierungen geringfügig zu ändern. Sie sollte nicht mehr sagen: "Geben Sie uns bitte Bescheid, falls Ihnen etwas dazwischenkommt." – sondern: "Würden Sie uns bitte Bescheid geben, falls Ihnen etwas dazwischenkommt?" Dann sollte sie mit einer Pause höflich signalisieren, dass Sie eine Antwort erwartete, und die kam gewöhnlich auch. Von dem Tag an versetzten den Gastwirt zwei Drittel weniger Leute.
Das Geheimnis: Das Restaurant hatte den starken Drang der Menschen angesprochen, beständig zu sein und zuverlässig zu wirken. Gerade die kurze Pause nach der Frage war entscheidend, bewegte sie den Anrufer doch, gleichsam öffentlich "Ja" zu sagen. Dergleichen empfinden Menschen wie eine eingegangene Verpflichtung. Selbst in kleinen Dingen lenken solche quasi öffentlichen Äußerungen unser zukünftiges Handeln.
Noch ein Beispiel: Joseph Schwarzwald und seinen Mitarbeitern von der Bar-Ilan-Universität in Ramar-Gan (Israel) gelang es, das Spendenaufkommen für Behinderte in bestimmten Bezirken beinahe zu verdoppeln. Wie hatten sie das erreicht? In den betreffenden Bezirken hatte das Team zwei Wochen vor der Spendensammlung Unterschriften für die Förderung Behinderter eingeholt – somit hatten die Bewohner derselben Sache zuvor gewissermaßen öffentlich beigepflichtet.
Soziale Gültigkeit
Ende der sechziger Jahre, ein kalter Wintermorgen in New York. Mitten auf einem belebten Bürgersteig bleibt plötzlich ein Mann stehen und starrt eine volle Minute lang gen Himmel, einfach so. Drei Sozialpsychologen von der City University of New York haben ihn damit beauftragt: Stanley Milgram, Leonard Bickman und Lawrence Berkowitz. Sie wollen die Reaktion der Passanten beobachten. Die meisten Leute machen um den Mann einfach einen Bogen oder drücken sich an ihm vorbei. Aber ungefähr jeder Zwanzigste der Vorübereilenden bleibt stehen und guckt auch nach oben.
Die Forscher wiederholen den Versuch. Nur dass diesmal gleich fünf Mitarbeiter anhalten und in den Himmel blicken. Diesmal stellt sich annähernd jeder fünfte Passant dazu und schaut gleichfalls in die Luft. Und ganze Menschentrauben von Luftguckern bilden sich innerhalb der einen Versuchsminute, als fünfzehn Personen abgestellt sind, plötzlich intensiv zum Himmel hoch zu starren, als gäbe es dort höchst Interessantes zu sehen. Nun schließen sich den Lockvögeln vier von zehn Fußgängern an, so dass an der Menschtraube kaum noch jemand vorbeikommt.
Wieso wirkten die Folgeversuche so viel mehr? Menschen orientieren sich gern an anderen. Besonders wenn viele Leute das Gleiche tun oder in einer ähnlichen Situation getan haben, meinen wir leicht, ihr Verhalten sei in dem Fall wohl das richtige, das gültige. In viele unserer Entscheidungen fließt ein, wie die meisten anderen sich unter gleichen Umständen benehmen.
Das nutzen viele gezielt, wenn sie uns für etwas gewinnen wollen. Sie weisen auf – oder deuten an –, dass andere Leute unseres Schlages schon längst mitmachen. Zum Beispiel ergab eine Studie, dass Hauseigentümer einem Spendensammler eher Geld für eine örtliche Hilfsorganisation gaben, wenn der Sammler ihnen eine Liste mit den Namen von Nachbarn zeigte, die auch schon Geld gespendet hatten. Je länger die Namensliste war, umso bereitwilliger öffneten die Leute ihr Portemonnaie. Wegen dieser menschlichen Eigenschaft tun Firmen uns gern sogleich kund, wenn ein Produkt ihres Hauses das meistgefragte in der Branche ist oder die höchste Verkaufssteigerung aufweist. Auch in Werbespots stürmen nicht von ungefähr dauernd Menschenmassen Läden, die bestimmte Artikel anpreisen.
Eben diese psychische Eigenschaft unterminiert aber leider auch so manche wohlgemeinte Kampagne etwa zum Gesundheitsbewusstsein oder zum Umweltschutz. Den Initiatoren ist diese typische menschliche Reaktionsweise oft wenig klar. Gerade die Orientierung an anderen, an der Masse, kann bewirken, dass solche Appelle leicht das Gegenteil des Angestrebten bewirken. Es dürfte oft ungeschickt sein, wenn auch verständlich, dass solche Aktionen gern mit erschreckenden Statistiken aufwarten: über Alkoholmissbrauch, Drogenkonsum, Umweltverschmutzung. So richtig die angeführten Argumente gegen dergleichen Missstände sind, bedenken die Mahner doch nicht genügend, nach welchen Regeln Menschen sich auf etwas einlassen und ihr Verhalten ändern. Hinter einem Aufruf: "Seht, wie viele das Schlechte tun!" lauert die mächtige, verheerende Botschaft: "Seht, wie viele das Schlechte tun." Wissenschaftliche Untersuchungen belegen denn auch, dass viele solcher Programme das unerwünschte Verhalten eher noch fördern.
Den Fehler begingen auch die Mitarbeiter einer Kampagne im US-Bundesstaat New Jersey gegen die hohe Selbstmordquote bei Jugendlichen. Sie klärten Teenager darüber auf, wie viele ihrer Altersgenossen sich das Leben nehmen. Doch als der Gesundheitsforscher David Shaffer und seine Kollegen von der Columbia University in New York die jungen Leute später befragten, kam heraus, dass ein Selbstmord ihnen nun sogar eher als letzte Lösung erschien als vorher. Appelle haben mehr Erfolg, wenn sie klar herausstellen, welchen Schaden das angeprangerte Verhalten anrichtet, und dass der Schaden groß ist, obwohl sich relativ wenige Menschen verkehrt verhalten.
Zuneigung
Menschen, denen wir verbunden sind, tun wir gern einmal einen kleinen Gefallen. Das gilt umso mehr gegenüber Freunden und Bekannten, die uns sympathisch sind. Diesen menschlichen Zug flocht die amerikanische Firma Tupperware geschickt in ihr Verkaufskonzept ein und macht damit seit Jahrzehnten weltweit Gewinne: Eine Hausfrau lädt einen Kreis Freundinnen zum gemütlichen Beisammensein ein und organisiert mit einer freundlichen Vertreterin der Firma eine nette, kleine Verkaufsshow für verschließbare Plastikbehälter. Nur der Freundin oder Nachbarin zuliebe fühlt manche Teilnehmerin sich bemüßigt, etwas von dem Angebot zu erstehen. Unter günstigen Bedingungen erhält die Gastgeberin nämlich etwas umsonst oder zu besseren Konditionen. Dazu kann auch gehören, dass eine der Teilnehmerinnen demnächst auch zu der häuslichen Verkaufsveranstaltung einlädt. Mittlerweile startet nach Angaben der Firma auf der Erde alle 2,7 Sekunden eine so genannte Tupperparty. Drei Viertel der Ware wird heute sogar außerhalb der USA umgesetzt, in Ländern, in denen die Menschen auf enge soziale Bindungen noch mehr Wert legen. Das Hausparty-Konzept fand Nachahmer, die alle möglichen anderen Produkte präsentieren. Die persönliche Atmosphäre und das Gefühl, eigentlich der Freundin etwas abzukaufen, dürften zu dem großen Erfolg viel beitragen.
Die meisten Verkäufe spielen sich natürlich nicht in den Wohnungen von lieben Bekannten ab. Doch auch in einer weniger vertrauten Umgebung verstehen Händler, Politiker oder Spendensammler die Macht der Verbundenheit und Sympathie heraufzubeschwören. Wie wissenschaftliche Studien zeigen, taktieren sie geschickt mit bestimmten Mitteln. Äußerliche Attraktivität kann ein solcher Faktor sein. Dies prüften Peter H. Reingen von der Arizona State University in Tempe und Jerome B. Kernan von der University of Cincinnati (US-Bundesstaat Ohio) 1993.
Ihrer Studie zufolge brachten bei einer Sammlung für die amerikanische Herzliga gut aussehende Mitarbeiter fast doppelt so viele Spenden ein wie andere. Auch Politiker können von ihrer Erscheinung profitieren. Schon in den siebziger Jahren zeigten Michael G. Efran und E.W.J. Patterson von der Universität von Toronto, dass bei den kanadischen Parlamentswahlen gut aussehende Kandidaten deutlich mehr Stimmen erhalten hatten als ihre weniger attraktiven Kontrahenten. Auf Nachfrage versicherten die Leute trotzdem, dass sie ihre Stimme niemals nach dem Aussehen abgeben würden.
Auch vermeintliche Gemeinsamkeiten können schnell eine gewisse Vertrautheit schaffen. Deswegen suchen Verkäufer nach Bezugspunkten zwischen sich und dem Kunden, manchmal recht krampfhaft: "Nein, ehrlich, Sie sind aus Minneapolis? Ich bin in Minnesota zur Schule gegangen!" Bei Spendensammlungen hat sich dieser Trick gleichfalls bestens bewährt. In einer Studie der Psychologen R. Kelly Aune und Michael D. Basil von der Universität von Hawaii in Manoa beziehungsweise der Universität Denver (US-Bundesstaat Colorado) von 1994 sprachen Mitarbeiter auf einem College-Campus Studenten um Spenden für eine Hilfsorganisation an. Sie erhielten doppelt so viel Geld, wenn sie dabei kund taten: "Ich bin auch Student."
Komplimente sind eine andere beliebte Strategie, die Verkäufer lernen. Sogar unzutreffendes Lob verfehlt seine Wirkung selten. Forscher der Universität von North Carolina in Chapel Hill konnten zeigen, dass dies dem Schmeichler genauso viel Sympathie einbringt wie ein ehrliches Kompliment.
Menschen lassen sich auch durch scheinbare Kooperation gewinnen. Verkäufer beispielsweise setzen oft einiges daran, als jemand wahrgenommen zu werden, der für den Vorteil des Kunden ficht. Nicht selten spielt der Verkaufsmanager eines Autohauses den Bösewicht, damit der Verkäufer sich scheinbar für den Kunden einsetzen kann. Dieser Winkelzug fördert natürlich eine gefühlsmäßige Verbundenheit des Kunden mit dem Verkäufer – was den Geschäften nur dienlich sein kann.
Autoritätsgläubigkeit
Wer ist nicht schon hinterhergehastet, als jemand vor ihm bei Rot über eine Straße ging? Hierbei wirkt ganz klar der schon besprochene soziale Mechanismus, auch zu machen, was andere tun. Aber 1955 steckten Wissenschaftler der Universität von Texas in Austin einen Mitarbeiter in einen eleganten Anzug nebst Krawatte. Prompt liefen dreieinhalbmal mehr Passanten hinter ihm her über die rote Ampel als vorher, als er lässig gekleidet gewesen war. Denn jetzt trug er die Insignien der Autorität.
Auch wer seine langjährige Erfahrung betont, auf besondere Kenntnisse oder wissenschaftliche Zertifikate verweist, setzt vermutlich auf Autorität: "Mit Kindern kennen wir uns aus!" "Achtzig Prozent aller Ärzte empfehlen dies!" (Die Biografie des Autors am Ende dieses Artikels dient teilweise dem gleichen Zweck.) Solange die Angaben wahr sind, ist daran nichts auszusetzen. Menschen wünschen die Meinung von wirklichen Autoritäten zu erfahren. Deren Sachverstand verhilft uns zu schnellen und richtigen Entscheidungen.
Doch bedenklich wird die Sache, wenn wir einer falschen, nur gespielten Autorität aufsitzen. Allzu leicht blenden wir unseren Verstand angesichts von Autoritätssymbolen aus und merken nicht, dass ein Ersatzexperte sich nur mit einer solchen Aura umgibt. Der "farbenblinde" Ampelrowdy in Schlips und Kragen besaß im Straßenüberqueren bestimmt keine größere Autorität als die übrigen Fußgänger. Auch ein Schauspieler, der in einer Fernsehserie den Arzt mimt, versteht von Medizin nicht mehr als viele Durchschnittsbürger. Trotzdem verhalf Robert Young, allen Amerikanern einst als Dr. Marcus Welby sehr vertraut, einer Werbekampagne in den siebziger Jahren zu einem durchschlagenden Erfolg, in der er die gesundheitlichen Vorzüge von koffeinfreiem Kaffee pries. Das war eben damals der berühmteste Arzt Amerikas. Deutschen Lesern dürfte da die "Schwarzwaldklinik" einfallen, die viele Fernsehzuschauer tatsächlich besuchen wollten.
Wertschätzung von Knappheit
Die Studenten sollten angeben, wie gut ihnen das Mensaessen schmeckte. Von einer Woche auf die andere fielen die Noten plötzlich doppelt so gut aus. Da hatte das Studentenwerk angekündigt, dass wegen eines Feuerschadens die nächsten zwei Wochen kein Essen ausgegeben würde. Sonst war alles beim Alten geblieben.
Dieser verblüffende Befund des Psychologen Stephen West von der Florida State University stammt aus den siebziger Jahren. Er zeigt, wie krass eine vermeintliche oder tatsächliche Verknappung unsere Wertschätzung verändern kann. Dazu ließen sich viele andere Beispiele erzählen. Was rar erscheint, wollen wir gerade haben. Marketingstrategen wissen das nur zu gut. Ein Angebot verkauft sich umso besser, je begrenzter oder einmaliger es angeblich ist. Deswegen heißt es bei vielen Sonderaktionen: "Nur noch bis zum Ende der Woche" oder "So lange der Vorrat reicht". Der Kunde meint deswegen mit anderen um die Ware konkurrieren zu müssen und beeilt sich, sie zu erwerben.
Der Anreiz der Knappheit gilt jedoch auch für immaterielle Güter. Dazu gehören vor allem auch Informationen. "Exklusive" Nachrichten haben besonders viel Kraft. Als Beispiel seien Ergebnisse aus der Doktorarbeit meines früheren Studenten Amram Knishinsky zitiert. Er besitzt eine Firma, die Rindfleisch in die USA importiert und an Supermärkte vertreibt. Für seine Doktorarbeit testete er die Wirkung von Knappheit und Exklusivität auf die Auftragslage. In einem ersten Test sollten Firmenmitarbeiter Abnehmer anrufen und ihnen ein Standardangebot unterbreiten. Einem Teil der Kunden sollten sie gleichzeitig mitteilen, dass eine Verknappung von australischem Rindfleisch zu erwarten sei – was wegen der australischen Wetterverhältnisse stimmte. Die über den Engpass informierten Kunden bestellten mehr als doppelt so viel wie sonst.
Aber in einem zweiten Test bekamen andere Abnehmer zusätzlich die Information, die Firma habe ihre Kenntnisse aus exklusiver Quelle beim australischen Wetterdienst. Daraufhin bestellten diese Kunden über sechsmal so viel Fleisch wie sonst. Bei ihnen hatte der Anreiz von Knappheit gleich doppelt gewirkt: Nicht nur, dass das Rindfleisch Mangelware wurde, sondern auch dieses Wissen selbst war eine Mangelware.
Wissen ist Macht
Es ist kein Zufall, dass bei so vielen der in diesem Artikel erwähnten Befunde Marketingexperten, Werbestrategen, Verkäufer oder Spendensammler mitwirkten. Sie alle sind Profis im Überzeugen und Beeinflussen. Würden sie ihr Metier nicht beherrschen, wären sie bald ausgemustert. Umgekehrt pflanzen bewährte und lukrative Strategien sich fort. Darum finden sich in den althergebrachten Überzeugungsberufen die wirksamsten Methoden sozialer Einflussnahme. Diese psychischen Mittel dürften auf den hier beschriebenen sechs Grundtendenzen menschlichen Verhaltens beruhen.
Von der Evolution her betrachtet sollten die dargestellten Verhaltensprinzipien deswegen entstanden sein, weil es darauf ankam, in sozialen Gruppen bestmöglich zurechtzukommen. In den allermeisten Fällen weisen uns diese Mechanismen den richtigen Weg. Denn normalerweise ist es überaus sinnvoll, Gefälligkeiten zu erwidern, sich als beständig zu erweisen, an seinesgleichen zu orientieren, von Verbundenheit und Sympathie tragen zu lassen, an Autoritäten zu halten und knappe Ressourcen wertzuschätzen.
Wer diese Prinzipien gebraucht, um auf uns Einfluss nehmen, tut uns damit meistens wirklich einen Gefallen. Wenn Werbemacher bei einem Kopfschmerzmittel herausstellen, dass dieses Medikament besonders gut wirkt und vertragen wird, und sich dazu auf seriöse Forschungen berufen – sich also auf wissenschaftliche Autorität stützen –, so profitieren alle Seiten davon: die Werbeagentur, der Hersteller und der Verbraucher. Der Fall liegt anders, wenn ein Produkt sich nach wissenschaftlichem Ermessen nicht auszeichnet, dafür die Werbung mit Schauspielern im Laborkittel aber Autorität "einschmuggelt".
Hilflos ausgeliefert sind wir solchen Machenschaften jedoch nicht. Denn wie soziale Einflussnahme funktioniert, lässt sich verstehen. Das gibt uns die Chance, die eingesetzten Methoden zu durchschauen. Also können wir ein Angebot oder eine Aufforderung kritisch hinterfragen. Wir sind gefordert, Rechenschaft einzufordern, ob die Profis der Überzeugungskunst nun eine Ware, eine Dienstleistung oder eine politische Idee verkaufen oder eine Spendenkasse füllen wollen. Nur wenn diese Leute ehrlich vorgehen, sollten wir uns auf die Sache einlassen.
Wer darauf achtet, zwischen Schein und Sein zu unterscheiden, der lässt sich nicht mehr so leicht beschwatzen, vielmehr im besten Sinne des Wortes überzeugen – nämlich durch solide Information. Auch wir selbst dürfen ruhig die Kunstgriffe sozialer Einflussnahme gebrauchen, solange wir uns dabei an die Wahrheit halten. Es ist legitim, auf die eigene Fachkenntnis hinzuweisen, auf die Zustimmung anderer Menschen, auf Möglichkeiten der Kooperation. Damit dienen wir den Interessen beider Seiten und leisten unseren Beitrag zur Stärkung gesunder gesellschaftlicher Strukturen.
Literaturhinweise
Die Psychologie des Überzeugens. Ein Lehrbuch für alle, die ihren Mitmenschen und sich selbst auf die Schliche kommen wollen. Von Robert B. Cialdini. Verlag Hans Huber, 1997 (2. Nachdruck 1999).
Überzeugen im Handumdrehen. Wie und warum sich Menschen beeinflussen und überzeugen lassen. Von Robert B. Cialdini, mvg, 2. Auflage 1993.
Guten Tag, liebe Leser,
ich hoffe, bisher hat Ihnen dieses Heft gefallen. Mein Thema nun geht Sie persönlich an und betrifft auch Ihre Zukunft. Ist es Ihnen auch schon passiert, dass Sie etwas taten, was Sie gar nicht wollten, nur weil jemand Sie geschickt eingewickelt hat? Sind Sie auf einen Verkaufstrick hereingefallen? Oder haben Sie bei einer Sache mitgemacht, die Ihnen eigentlich etwas windig vorkam? Wahrscheinlich haben Sie sich nachher geärgert. Und Sie wollten schon immer wissen, warum Sie damals so blöd waren.
Fühlen Sie sich hiervon angesprochen? Dann sollten Sie meinen Artikel unbedingt lesen. Ich werde Ihnen die wirksamsten psychologischen Druckmittel aufzeigen, denen wir alle so leicht erliegen. Und ich stelle Ihnen dazu die allerneuesten Forschungsergebnisse vor. Sie erfahren auch die Hintergründe, weswegen Menschen so reagieren. Zögern Sie nicht! Nutzen Sie diese Möglichkeit und informieren Sie sich. Sie haben Ihr Interesse ja schon bekundet!
Jemand wie Sie, mit Ihrem Verstand, erkennt den Wert dieses Artikels natürlich sofort. Ich habe aber auch den Eindruck, dass Sie ein sehr freundlicher, hilfsbereiter Mensch sind. Sicher würden Sie auch gern andere an diesen Erkenntnissen teilhaben lassen. Deshalb möchte ich Sie um eine kleine Gefälligkeit bitten: Würden Sie dieses Heft wohl an zehn Freunde verschenken? Das ist zu viel verlangt? Nun, das verstehe ich gut. Aber sicher sind Sie so nett, diesen Artikel einem Bekannten zu zeigen! Halt, warten Sie noch! Ich schenke Ihnen dazu eine Liste mit wichtigen Büchern zu diesem hochinteressanten Thema. Die bekommen Sie völlig umsonst, einfach weil Sie so sympathisch sind.
Ihre Hilfsbereitschaft haben Sie signalisiert. Sie sind also einverstanden? ... Überlegen Sie sich das Ganze gern in aller Ruhe. Seien Sie aber versichert, dass Menschen aus Ihren Kreisen dieser Bitte häufig nachkommen. Übrigens finde ich Ihre Kleidung schick. Ganz ehrlich.
Soziale Einflussnahme im Spiegel der Kulturen
Die sechs Schlüsselfaktoren sozialer Einflussnahme wirken im Prinzip bei Menschen aller Kulturen. Dennoch gewichten Normen, Traditionen und Erfahrungen teilweise die einzelnen Methoden der Beeinflussung verschieden.
Kürzlich erschien dazu eine Studie von Michael W. Morris, Joel M. Podolny und Sheira Ariel von der Stanford University (US-Bundesstaat Kalifornien) über Mitarbeiter eines multinationalen Finanzunternehmens. Die Wissenschaftler beobachteten Angestellte in vier Ländern: USA, China, Spanien, Deutschland. Sie untersuchten, wie bereitwillig die Angestellten einem Kollegen beisprangen, wenn der sie bei einer Arbeit um Mithilfe bat. Oft spielten zwar mehrere der Schlüsselfaktoren mit, doch insgesamt fußte die Bereitschaft zur Kooperation je nach Land auf anderen Motivationen.
Die Amerikaner dachten hauptsächlich an Gegenseitigkeit. Sie fühlten sich verpflichtet, dem Kollegen unter die Arme zu greifen, wenn sie ihm noch einen Gefallen schuldig waren.
Die Chinesen richteten sich vorrangig nach Autorität. Sie sahen sich in der Pflicht, wenn der Betreffende jemandem in der eigenen Abteilung verbunden war, besonders wenn derjenige einen hohen Status besaß.
Bei den Spaniern zählten in erster Linie Freundschaft und Sympathie. Sie waren am ehesten hilfsbereit, wenn zwischen eigenen Freunden und dem Kollegen eine Verbindung bestand.
Die Deutschen suchten offizielle Regelungen einzuhalten. Sie sahen sich zur Hilfe angehalten, wenn sie meinten, dies würde im Betrieb so erwartet.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 56
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