Die neuen Grenzen des Wachstums. Die Lage der Menschheit: Bedrohung und Zukunftschancen
Das Titelbild hat etwas Tragisches: Der Gürtel um die Erde ist eng geschnallt, besonders eng um Afrika und Südamerika, während Westeuropa sich hinter Nebelschwaden verbirgt und Nordamerika nur einen Schatten wirft.
Verheißungsvoller ist da schon der Inhalt. Wenn wir unverzüglich handeln, so die These der Autoren, dann kann die gesamte Weltbevölkerung mit dem durchschnittlichen Lebensstandard der heutigen Europäer leben, und zwar für Zeiträume, die nach menschlichem Ermessen unbeschränkt sind. Mit dieser Perspektive verbreitet das Buch bestimmt keine No-future-Stimmung.
Allerdings werden auch die Gefahren, die in der Fortsetzung unserer bisherigen Lebensweise liegen, sehr deutlich genannt. Wenn wir unsere Vorstellungen vom Wirtschaftswachstum sowie unser Verhalten gegenüber der Umwelt nicht drastisch ändern, droht der gesamten Menschheit die ökologische, soziale und wirtschaftliche Katastrophe. Seit der Studie „The Limits to Growth“ („Die Grenzen des Wachstums“), die – im Auftrag des Club of Rome erstellt – 1972 erschien und trotz mancher Mängel erhebliche Wirkung hatte, ist der verbleibende Handlungsspielraum sogar noch sehr viel enger geworden.
Donella H. Meadows, ehemals Biophysikerin an der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts), verließ vor 20 Jahren die Grundlagenforschung, um in einer Arbeitsgruppe des Massachusetts Institute of Technology die computergestützte globale Prognose zu erarbeiten, die den „Grenzen des Wachstums“ zugrunde lag; auch ihre jetzigen Koautoren gehörten zu diesem Team. Als im vergangenen Jahr eine Neuauflage geplant wurde, sahen sich die inzwischen an der Universität von New Hampshire in Durham beziehungsweise an der Norwegischen Hochschule für Management in Sandvika tätigen Autoren zu einer gründlichen Neubearbeitung veranlaßt. Deren Originaltitel „Beyond the Limits“ macht mit dem „jenseits“ deutlicher als der für die deutsche Übersetzung gewählte, daß wir unsere Lebensgrundlagen teilweise schon über die Maßen strapaziert haben.
Die Prognose basiert auf dem Computermodell „World3“, das seit 1972 im wesentlichen nicht verändert, aber mit aktuellen Daten über den Zustand der Welt neu gestartet wurde. Die Autoren machen den Leser mit der dem Modell zugrundeliegenden systemtheoretischen Denkweise in einer erfreulich verständlichen Sprache und anhand zahlreicher Graphiken vertraut; sie erläutern zudem ausführlich die Zusammenhänge der verschiedenen Modellbausteine Bevölkerung, Industrie, Landwirtschaft, Umwelt und Ressourcen. Hier steht vieles zu den Themen Bevölkerungswachstum, Wirtschaftsentwicklung und Ökologie, was ein kritischer Mensch unserer Zeit schon weiß oder ahnt. Aber es ist auf den Punkt gebracht, so daß sich wertvolle Argumente für Diskussionen ergeben und ein Pfad fort von diffuser Angst in Richtung begründeter Sorge gewiesen wird. Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Ausdünnen der stratosphärischen Ozonschicht, auch um zu zeigen, daß ein Umdenken auf internationaler Ebene möglich ist.
Insgesamt beschreibt das Buch dreizehn Computersimulationen mit jeweils unterschiedlichen Annahmen über die Ressourcenverfügbarkeit und die künftigen Handlungsweisen der Menschheit, was das Bevölkerungswachstum, die Investitionen, die Innovationen und das Umweltverhalten betrifft. Den Abschluß bildet ein Versuch, eine Welt zu beschreiben, deren Bevölkerung in sehr sozialer Weise so lebt, daß es auch nachfolgenden Generationen gutgehen kann. Der Anhang erläutert das Computermodell World3 und nennt Bezugsquellen für die Software, so daß ein interessierter Leser eigene Szenarien errechnen lassen kann.
Sind aus den Visionen der Propheten vergangener Zeiten die Computersimulationen der Wissenschaftler geworden? Sicherlich ist es fragwürdig, so komplexe Zusammenhänge, wie sie das Weltgeschehen bestimmen, zu modellieren und Prognosen daraus abzuleiten; möglicherweise sind solche Modelle nur für die Analyse des Status quo, aber grundsätzlich nicht für Vorhersagen geeignet. Schon an der Veröffentlichung von 1972 wurde kritisiert, daß sie zu stark von einem technisch-mechanistischen Weltbild ausgehe und Glaubensvorstellungen und Ideologien, die das Handeln der Menschen bestimmen, nicht berücksichtige. Gleichwohl sollte nachdenklich stimmen, daß selbst unter den günstigsten Annahmen über Ressourcenverfügbarkeit, Umweltbelastbarkeit und Innovationskraft des Menschen eine düstere Zukunft vorhergesagt wird, wenn wir unser Ziel vom Wirtschaftswachstum nicht durch das nachhaltiger Entwicklung ersetzen und unser Umweltverhalten nicht einschneidend ändern.
Die Beschreibung einer Welt, in der das Fortbestehen der Menschheit möglich ist, klingt vielversprechend. Als wünschenswert wird ein Gleichgewichtszustand mit nahezu konstanter Bevölkerungszahl angestrebt. Dem läßt sich entgegenhalten, daß das Streben nach Gleichgewichten zwar menschlich ist, aber alles Lebendige sich durch Veränderungen und Beweglichkeit auszeichnet; in der Natur sind solche Systeme robust, die unregelmäßig strukturiert sind oder zeitlichen Schwankungen unterliegen.
Wie der Weg in eine Welt mit Zukunft aussehen soll, bleibt leider unklar. Friedvoll soll er sein und eine dritte große Umwälzung in der Menschheitsgeschichte – nach der Erfindung des Ackerbaus und der industriellen Revolution – einleiten. Hier stellt sich die Frage nach politischen Konsequenzen. Sie bleibt unbeantwortet, weil nach politischen Ursachen nicht gefragt wird – mit einer seltsamen Begründung: Die Frage, ob die Reichen mit ihrem Schmarotzertum oder die Armen mit ihrem Bevölkerungswachstum am schlimmen Zustand der Welt schuldig seien, liefere Zündstoff. Es fragt sich nur, ob wir Reichen, die wir uns das Weltszenario am Fernseher oder Computerbildschirm ansehen können, nicht ein wenig Zündstoff brauchen, um unsere bequemen Sessel zu verlassen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1993, Seite 122
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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