Die Pharaonen des Goldlandes - antike Königreiche im Sudan
Eine Ausstellung im Reiss-Museum Mannheim zeigt noch bis zum 18. Oktober Fundstücke aus einer kaum bekannten, gleichwohl historisch und kulturell bedeutsamen Region. Seit frühester Zeit besiedelt, brachte Nubien Hochkulturen hervor, deren wissenschaftliche Erkundung lange Zeit im Schatten der Ägyptologie gestanden hat.
Der europäische Nachrichtenkonsument verbindet mit dem Sudan hauptsächlich Bürgerkrieg und Hungerkatastrophen. Angesichts dieser bedrückenden Bilder und Meldungen fällt es schwer sich vorzustellen, daß der flächenmäßig größte Staat Afrikas – immerhin siebenmal so groß wie Deutschland – einst ein Brennpunkt der zivilisatorischen Entwicklung war, durchaus vergleichbar mit den anderen antiken Hochkulturen in Mesopotamien, Ägypten und Griechenland.
Die archäologische Erforschung des Sudan begann zwar bereits im 19. Jahrhundert, doch beschränkte sich der europäische Blickwinkel lange auf den überwältigenden Fundreichtum des nördlichen Nachbarlandes Ägypten. Erst die zum Teil spektakulären Rettungsaktionen für antike Bauwerke anläßlich der Errichtung von Staudämmen lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf Nubien, die Region zwischen Assuan und der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Und erst vor wenigen Jahren konnte nachgewiesen werden, daß die neolithischen Kulturen am oberen Nil denen am Unterlauf zeitlich vorangingen. Somit ist eine der Wurzeln der altägyptischen Kultur und der Pharaonenreiche im Gebiet des heutigen Sudan zu suchen. Andererseits reichte der Einfluß dieser Region bereits in frühesten Zeiten weit nach Süden in den afrikanischen Kontinent hinein. Der Sudan war offenbar seit jeher das Bindeglied zwischen der weißen Bevölkerung im Norden und den dunkelhäutigen Bewohnern Schwarzafrikas. In dieser Rolle war er aber auch stets Spannungen ausgesetzt, weil unterschiedliche Ethnien, Sprachen und Religionen aufeinanderprallten – Spannungen, die sich über die Jahrtausende hinweg fortsetzten und bis in die heutige Zeit hinein reichen.
Frühe Kulturen
Schon früh in der Geschichte dürfte das Niltal eine große Bedeutung für Wanderungsbewegungen des Menschen und für Handelsverbindungen gehabt haben. Jedoch sind nur wenige Gräber und Artefakte aus dem Paläolithikum bekannt; hier steckt die archäologische Forschung noch in ihren Anfängen.
Nachdem sich im 8. vorchristlichen Jahrtausend ein tiefgreifender Klimawandel in der Region vollzogen hatte, in dessen Folge beiderseits des Nil eine Steppenlandschaft entstand, nahm offenbar die Besiedelung zu. Lagerplätze und feste Siedlungen sind in Zonen nachweisbar, die später wieder von der Wüste zurückerobert wurden. Funde, die bis in das 6. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen und meist aus ausgedehnten Nekropolen stammen, bezeugen eine Keramikproduktion, die für diese Epoche in Nordostafrika als einmalig anzusehen ist. Einige besonders bemerkenswerte Gefäße und modellierte Frauenfiguren präsentiert die Ausstellung zu Anfang. Aus Ägypten sind vergleichbare Entwicklungen erst aus späteren Jahrhunderten bekannt.
Auch soziale Unterschiede und politische Verbände scheinen sich in Nubien eher ausgeprägt zu haben als weiter nördlich davon. Die Kultur der sogenannten A-Gruppe, deren Fundorte sich auf das Gebiet zwischen dem 1. und dem 2. Nilkatarakt konzentrieren, war offenbar bereits Mitte des 4. Jahrtausends v. Chr. in kleine Stammesgemeinschaften oder Fürstentümer gegliedert – zu einer Zeit also, in der in Ägypten die ersten Anfänge der Staatsbildung liegen.
Zwischen beiden Regionen gab es einen intensiven Handelsaustausch. Über das Einzugsgebiet der A-Gruppe wurden Elfenbein und Ebenholz aus Zentralafrika, Weihrauch vom Roten Meer und wohl erstmals auch Gold aus der nubischen Wüste nach Ägypten gebracht. In der Gegenrichtung wurden Vorratsgefäße für Bier, Wein, Öl und Korn sowie Waffen und Metallwerkzeuge transportiert.
Um 2800 v. Chr. begann sich eine Verschiebung der Einflußzonen abzuzeichnen. Die nun zu einem Gesamtstaat zusammengeschlossenen Stammesgebiete in Ägypten dehnten ihren Machtbereich nach Süden aus und gewannen offenbar gegen Ende der 1. Dynastie auch die Vorherrschaft über die Handelswege in Nubien, was sich aus dem Fehlen der vorher typischen Handelswaren in den Fundstätten aus jener Zeit schließen läßt. Auch könnten klimatische Veränderungen zu einer Entvölkerung Unternubiens beigetragen haben.
Wechselnde Machtverhältnisse
In der Folgezeit kam es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen, die zu wechselnden Herrschaftsverhältnissen führten. Jeweils in den Blütephasen des pharaonischen Ägypten im Alten, Mittleren und Neuen Reich geriet Unternubien unter die Kontrolle des nördlichen Nachbarn; in den Zwischenzeiten mußte sich Ägypten wieder zurückziehen, was ein Aufblühen der nubischen Kulturen unter Betonung ihrer Eigenständigkeit ermöglichte.
Zu Beginn des 2. Jahrtausends, während des Mittleren Reiches, sah sich Ägypten gezwungen, entlang seiner Südgrenze eine Reihe von Festungsanlagen zu errichten, eine Art früher Maginot-Linie. Südlich des 3. Kataraktes war ihm nämlich ein mächtiger Gegner erwachsen: das erste nubische Königreich, Kerma, dessen Herrscher nahezu ein Jahrtausend lang an der Macht blieben. Während der sogenannten Zweiten Zwischenzeit, als Ägypten von Norden her von den vorderasiatischen Hyksos-Völkern bedroht wurde, gelang es dem Königreich von Kerma seinen Machtbereich nordwärts auszudehnen. Erst im 16. Jahrhundert v. Chr., mit Beginn des Neuen Reiches, konnten die Ägypter erst die Hyksos vertreiben und schließlich im Verlauf mehrerer Feldzüge die Kontrolle über Nubien wiedergewinnen. Kerma wurde zerstört, seine Kultur vernichtet.
Die Herrschaft der Pharaonen des Neuen Reiches hinterließ in Nubien zahlreiche ägyptische Bauwerke. Die eindrucksvollste Anlage entstand um 1360 v. Chr. unter Amenophis III. in Soleb. Aus diesem Heiligtum stammt die Monumentalskulptur eines Widders, die später zu dem "Heiligen Berg" Gebel Barkal verschleppt wurde (Bild 4 links).
Die eroberten Gebiete fügten sich jedoch nicht widerstandslos der ägyptischen Herrschaft. Immer wieder kam es zu Aufständen, die durch Strafexpeditionen niedergeschlagen werden mußten. Diese ständigen militärischen Auseinandersetzungen prägten in Ägypten das Bild des Nubiers als typischen Feind, den es zu unterwerfen oder zu töten gelte. Zahlreiche Exponate in der Ausstellung zeugen davon: ein Pharao, der sich anschickt, ein ganzes Bündel von Nubiern zu erschlagen, ein gefesselter Neger sowie Schwarze, deren Köpfe in den Staub gestoßen werden.
Herrscher über Ägypten
Erst als sich Ägypten nach der außenpolitischen Bedrohung durch Seevölker und durch Zerrüttung des Staatswesens am Ende des Neuen Reiches, um 1100 v. Chr., aus seiner Kolonie zurückziehen mußte, vermochte sich im entstandenen Machtvakuum wieder eine nubische Kultur zu entwickeln. In der Stadt Nepata am Gebel Barkal, einem religiösen Zentrum, entstand binnen kurzem ein mächtiges Reich, das seinen Einflußbereich rasch nach Norden ausdehnte. Aus einem unbekannten nubischen Stammesverbund entwickelte sich ein Staat nach ägyptischem Vorbild. Zeitgenössische vorderasiatische Quellen nennen dieses Reich Kusch, griechische hingegen Äthiopien, das "Land der Sonnenverbrannten". Seinen Herrschern gelang schließlich das Unglaubliche: Sie gewannen die Vormacht über den nördlichen Nachbarn und gingen als 25. Dynastie in die Liste der ägyptischen Pharaonen ein. In der Blütezeit umfaßte ihr Reich das Gebiet vom Zusammenfluß des Weißen und Blauen Nils bis zum Mittelmeer.
Die ein knappes Jahrhundert währende Herrschaft der Kuschiten über Ägypten gab beiden Kulturen neue Impulse. In ägyptischen Statuen und Porträts machte sich dies durch veränderte Proportionen bemerkbar, die nun den kräftigeren Körperbau und die andere Physiognomie der Nubier widerspiegelten. Die neuen Herrscher übernahmen ihrerseits ägyptische Bräuche, zum Beispiel die Bestattungssitten und die Bauform der Pyramiden für ihre Gräber; in deren reicher Ausstattung fanden sich zahlreiche Schmuckgegenstände, Amulette (Bild 2) und sogenannte Uschebtis, die man auch aus späteren Gräbern des Königsfriedhofs von Nuri barg (Bild 3).
Durch Abwehrkämpfe gegen eindringende Assyrer geschwächt, mußten sich die Kuschiten schließlich wieder in ihr Stammland zurückziehen. Einige Zeit danach verlagerten sie ihre Residenz nach Meroë weiter im Süden. Dorthin verlegte in der zweiten Phase des Reiches von Kusch König Arkamani I (um 275 bis 250 v. Chr.) auch den Königsfriedhof von Nuri (Bild 1). Noch bis 350 nach Christus hielt sich ihr Reich, das den Schriftstellern der Antike weiterhin als Äthiopien geläufig war (Bild 4 rechts).
Die Sonderausstellung "Die Pharaonen des Goldlandes – antike Königreiche im Sudan" bietet einen umfangreichen Überblick über die Frühgeschichte und Kultur einer Region, die "eine historische terra incognita, ein Niemandsland zwischen Ägyptologie und Ethnologie" war, wie es im Vorwort des Kataloghandbuches heißt. Nach Stationen in München und Paris ist die Schau nun noch bis 18. Oktober in Mannheim zu sehen. Das Ausstellungsgebäude D5 des Reiss-Museums ist geöffnet dienstags sowie donnerstags bis samstags 10 bis 17 Uhr, mittwochs 10 bis 21 Uhr und sonntags 10 bis 19 Uhr; montags geschlossen
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 102
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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