Archäometallurgie: Die Rätsel des Zinns
Bronze war die erste gezielt hergestellte Metalllegierung. Sie prägte Kultur und Technik eines ganzen Zeitalters. Doch woher ihre Entdecker das benötigte Zinn nahmen, liegt nach wie vor im Dunkeln.
War es ein Zufall, dass um 3000 vor Christus in Vorderasien erstmals eine metallische Legierung die Schmelzöfen verließ, die nicht Naturprodukt, sondern das Ergebnis gezielter Mischung war? Die Bronze, eine Legierung von Kupfer und Zinn, war härter und doch leichter schmelzbar als das damals gebräuchliche reine Kupfer – Eigenschaften, die den Erfordernissen der zu jener Zeit entstehenden zentral regierten Staaten entsprechen. Um 2600 vor Christus hatte der neue Werkstoff dem Kupfer von der Ägäis bis Mesopotamien den Rang abgelaufen.
Andere Metalle wie reines Kupfer, Blei, Silber und Gold waren zwar längst schon in Gebrauch, doch verstand man nicht, Eigenschaften wie Gießbarkeit, Härte und Farbe gezielt zu beeinflussen. Auch Mischungen verschiedener Metalle gab es bereits tausend Jahre früher, vor allem Legierungen des Kupfers. Doch vermutlich stammten die Beimengungen von Arsen, Nickel oder Antimon schlicht aus dem Roherz. Die frühen "Metallurgen" dürften zwar die Andersartigkeit der resultierenden Werkstoffe erkannt haben, vielleicht hat man sie auch mit dem jeweiligen Erz in Verbindung gebracht, doch zu Legieren vermochten sie die Stoffe nicht.
Dass ein Gehalt von etwa zehn Prozent für eine gute Bronze erforderlich ist, ließ sich durch Versuch und Irrtum he-rausfinden. So wird dieses Metall ab 15 Prozent Zinnanteil brüchig. Zudem erscheint es mit zunehmendem Zinngehalt silber- statt goldfarben. Vermutlich hatte der ästhetische Charakter der Bronze anfänglich eine ebenso hohe Bedeutung wie ihr Gebrauchswert. Doch warum Handwerker begannen, dem Kupfer Zinn beizugeben, ist eines der großen Rätsel der Menschheitsgeschichte. Tatsächlich kennen wir nicht einmal die Lagerstätten des Zinns der frühen Bronze. Paradoxerweise kam sie zuerst in Gebieten auf, in denen bis heute keine Vorkommen zinnhaltiger Erze gefunden worden sind.
Eine einfache Erklärung wäre, dass die Zinnlager dort relativ früh erschöpft waren und deshalb in Vergessenheit gerieten. Diese Hypothese wurde auch für das älteste bekannte Zinnobjekt angenommen, einen Ring von der Insel Lesbos in der östlichen Ägäis. Lesbos gehört zum troianischen Kulturkreis, der seit Schliemanns Zeiten für seinen Reichtum an metallenen, auch bronzenen Artefakten bekannt ist. Es lag daher nahe, in dieser Region das Zinnbergwerk zu vermuten, das die Entwicklung der Bronze hervorgebracht hat.
Bis in die siebziger Jahre verglichen Chemiker und Metallurgen vor allem die jeweils enthaltenen Spurenelemente wie Arsen und Nickel im Kupfererz. Allerdings wird das "Muster" ihrer Anteile bei der Verhüttung stark verändert, sodass Unterschiede zwischen Metallobjekt und Lagerstätte nicht zwingend gegen eine Verwendung des dort gewonnenen Rohstoffs sprechen.
Dieser Unsicherheit half die in den 60er Jahren entwickelte Blei-Isotopen-Methode ab. Dieses Element kommt in vier Isotopen vor, Atomen mit unterschiedlicher Neutronenzahl im Kern und damit verschiedenem Atomgewicht. In Spuren findet man diese auch in Kupfer- und Zinnerz und zwar innerhalb einer Lagerstätte beziehungsweise einer begrenzten Region in einem konstanten Verhältnis (das mittels Massenspektrometrie erhoben werden kann). Im Unterschied zu den angesprochenen Spurenelementen bleibt dieses Muster – auch Signatur genannt – bei der Erzverarbeitung erhalten, denn allgemein gilt für Isotope: Erst wenn sich die Masse des schwersten und des leichtesten um mindestens zehn Prozent unterscheiden, verhalten sie sich bei chemischen oder physikalischen Prozessen verschieden. Bei Blei beträgt die Differenz aber nur zwei Prozent.
Die Annahme, dass beide Rohstoffe, Kupfer und Zinn, vermutlich aus der gleichen Region stammten, entspricht dem bisherigen Wissen über Handelsbeziehungen in der antiken Welt. Und sie vereinfacht die Sache, denn es reicht nun, die Blei-Isotopen-Relationen der Bronzen mit denen von Kupfererzen zu vergleichen: Das Metall ist Hauptbestandteil, und der vermutlich genutzte Rohstoff Zinnstein hat ohnehin einen geringen Bleigehalt, dürfte also kaum zur Isotopen-"Signatur" beitragen. Ergeben sich dann deutlich verschiedene Verhältnisse, lässt sich eine Herkunft der Rohstoffe des Artefakts aus der Vergleichsregion ausschließen. Demnach kann der Ring von Lesbos nicht aus Erzen der Ägäis gefertigt worden sein. Dasselbe gilt für die Mehrheit der Bronzen aus dem troianischen Kulturkreis. Nicht nur das: In ganz Südosteuropa und Anatolien gibt es unseren Untersuchungen zufolge keine passenden Erze. Gussformen belegen zwar, dass in Troia Metall verarbeitet worden ist, doch die Zutaten kamen von weit her.
Damit haben wir zwar ein weiteres Indiz entdeckt, das ein von Europa über Mesopotamien bis nach Asien und Afrika reichendes Fernhandelsnetz in der frühen Bronzezeit belegt, doch die Grundfrage ist noch ungeklärt. Drei Regionen kommen als Rohstoffquelle für Zinn in Betracht: Der so genannte Zinngürtel Zentralasiens, der sich von Usbekistan bis Nordwestchina erstreckt und erst seit wenigen Jahren westlichen Archäologen zugänglich ist, sowie Mittel- und Westeuropa, insbesondere das Erzgebirge.
Kam das Zinn aus Asien?
Bronzeobjekte waren zunächst Luxusgegenstände, die nicht zuletzt aufgrund ihrer Goldfarbe den Status einer Person zeigten. Die Funde aus der Ägäis, Anatolien und Mesopotamien ähneln einander und weisen auf eine Wertegemeinschaft, vergleichbar der heutigen Europäischen Union hin. Es lag deshalb nahe, mesopotamische Keilschrifttexte auf Angaben zu den Rohstoffquellen zu untersuchen. Leider lieferten die bislang entzifferten Tontafeln solche Auskunft nicht, doch Nennungen der Himmelsrichtung Süden und Osten weisen auf Asien hin. Mit den Bronzen wurden in Vorderasien zudem größere Mengen Lapislazuli verarbeitet, der bis heute vor allem aus einer Lagerstätte in Nordostafghanistan stammt.
Wir haben daher zunächst im Tal des Zerafshan, der vom Pamir in die Kizil Kum-Wüste fließt, bei Karnab in Usbekistan und bei
Muschiston in Tadschikistan zwei prähistorische Zinnreviere untersucht, deren Abbau nachweislich bis an den Anfang des zweiten Jahrtausends vor Christus reicht. Muschiston ist besonders interessant, weil das Zinn dort als Zinn-Kies auftritt, einem Mineral, das auch Kupfer enthält. Bei der Verhüttung kann daraus Bronze als Zufallsprodukt entstehen. Doch die Blei-Isotopenverhältnisse, ebenso die Spurenelementmuster, unterscheiden sich von denen der Bronzen aus dem troianischen Kulturkreis. Das widerlegt allerdings noch nicht völlig die Herkunft aus diesen Revieren: Sofern die Annahme einer kleinräumigen Abbauregion oder sogar gleicher Lagerstätten von Kupfer- und Zinnerz nicht zutrifft, können sich die Signaturen der beiden Metalle unterscheiden, aber aufgrund der Dominanz des Kupfers wird die des Zinns überdeckt.
Während wir nun auch Zinn aus dem Erzgebirge mit den fraglichen Metallen vergleichen, hoffen wir auf eine neue Technik, die allein das Zinn im Auge hat. Dieses Metall hat nämlich außergewöhnlich viele, nämlich zehn stabile Isotope. Anders als bei Blei beträgt der Massenunterschied zwischen dem leichtesten und dem schwersten etwa zehn Prozent. Bei der Anreicherung der Metalle in Lagerstätten verhalten sich die Isotope deshalb unterschiedlich, verdampfen beziehungsweise kondensieren bei anderen Temperaturen.
Theoretisch müsste es also möglich sein, Zinn-Isotopen-Signaturen zu finden. Tests am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, an denen ich beteiligt war, ergaben tatsächlich zwar geringe, aber doch systematische Unterschiede zwischen mitteleuropäischen und mediterranen Bronzen. Wir wollen in Freiberg diese Spur mit einer neuen Variante der Massenspektrometrie weiter verfolgen, insbesondere für die Vorkommen in Asien. Die Herkunft des Zinns in der Bronzezeit bleibt eines der großen Rätsel der Archäologie, dessen Lösung jede Anstrengung rechtfertigt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2000, Seite 88
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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