Astrophysik: Die rätselhafte Heizung der Sonnenkorona
Über der relativ kühlen Oberfläche der Sonne befindet sich eine ausgedehnte, aber dünne Atmosphäre, die um ein Vielfaches heißer ist. Wie es zur Aufheizung dieser Korona kommt, ist bis heute umstritten. Die Astronomen beginnen jetzt, dieses Paradoxon zu verstehen.
Am 11. August 1999 wurden viele Millionen Menschen in Europa und Asien Zeugen eines der schönsten Naturschauspiele überhaupt: einer totalen Sonnenfinsternis. Auch wir beide ließen uns dieses Ereignis nicht entgehen. Einer von uns (Phillips) schaute in Bulgarien zu, wie die gleißend helle Scheibe der Sonne vom dunklen Mond gleichsam ausgeknipst und die volle Pracht der strahlenden Korona sichtbar wurde. Der andere (Dwivedi) hatte leider Pech: An seinem Standort in Indien verschwand die Sonnenscheibe genau zur falschen Zeit hinter Wolken. Aber es war nicht alles umsonst gewesen, denn das himmlische Spektakel wurde durch ein anderes am Boden ersetzt: Entlang des heiligen Flusses Ganges hallten die Gesänge wider, als eine riesige Menschenmenge in das Wasser stieg und für die Wiederkehr des Sonnengottes betete.
Weitere Millionen hatten in diesem Juni ihre Chance, als der Mondschatten über das südliche Afrika hinwegstrich. Viele Astronomen nutzten auch hier die Gelegenheit, um die rätselhafte Korona im Detail vom Erdboden aus zu untersuchen – und nahmen einen neuen Anlauf, eines der hartnäckigsten Rätsel der Astronomie zu lösen.
Die Sonne mag wie eine einheitliche Kugel aus glühendem Gas erscheinen. Aber in Wirklichkeit besteht sie aus unterschiedlichen Schichten, deren Grenzen ähnlich gut definiert sind wie bei einem Planeten mit seiner festen Oberfläche und der gasförmigen Atmosphäre. Die Sonnenstrahlung, von der alles Leben auf der Erde letztlich abhängt, entsteht in Kernreaktionen tief im Innern der Sonne. Die Energie wandert von dort langsam nach außen, bis sie die sichtbare Oberfläche, die Photosphäre, erreicht und in den Weltraum abgestrahlt wird. Über dieser Oberfläche liegt eine dünne Atmosphäre, die Chromosphäre, die man während einer totalen Sonnenfinsternis kurz als hellroten Flammenrand wahrnehmen kann. Noch höher befindet sich die weiß strahlende Korona, die Millionen von Kilometern in den Raum hinausreicht. Aus der Korona stammt auch der Sonnenwind, ein Strom geladener Teilchen, der durch das Sonnensystem weht.
Die Temperatur der Sonne nimmt nach außen hin beständig ab – von 15 Millionen Kelvin im Zentrum auf 6000 Kelvin in der Photosphäre und auf 4000 Kelvin in der unteren Chromosphäre. Doch dann geschieht etwas Überraschendes: Der Temperatur-Gradient kehrt sich um! In der oberen Chromosphäre steigt die Temperatur auf 25000 Kelvin, und in der Korona springt sie gar auf eine Million Kelvin. Aktive Regionen der Koro-na – Bereiche, die mit Sonnenflecken auf der Oberfläche in Beziehung stehen – werden sogar noch heißer. Wie kann das sein, wo doch die Energie von unterhalb der Photosphäre stammen muss? Es ist, als würde einem immer wärmer, je weiter man sich von einem Ofen entfernt.
Die ersten Hinweise auf dieses mysteriöse Phänomen gab es im 19. Jahrhundert, als Astronomen während einer Sonnenfinsternis auf Emissionslinien im Spektrum der Korona gestoßen waren, die zu keinem bekannten chemischen Element passten. In den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts konnten Physiker die Linien schließlich Eisenatomen zuschreiben, die bis zur Hälfte ihrer 26 Elektronen verloren hatten. Ein solch hoch ionisierter Zustand erfordert extrem hohe Temperaturen. Später zeigten Messungen mit Raketen und Satelliten, dass die Sonne im Röntgen- und extremen Ultraviolettbereich des elektromagnetischen Spektrums intensiv strahlt. Das ist nur möglich, wenn die Temperatur der Korona in der Größenordnung von Millionen Kelvin liegt. Und unsere Sonne scheint kein Sonderfall zu sein: Die meisten sonnenähnlichen Sterne weisen ebenfalls Atmosphären auf, die Röntgenstrahlung aussenden.
Bögen im Röntgenlicht
Nun endlich scheint sich eine Erklärung für das Temperatur-Paradoxon abzuzeichnen: Offenbar spielen Magnetfelder eine Schlüsselrolle, denn dort, wo sie am stärksten sind, ist die Korona am heißesten. Solche Felder können Energie auch in anderer Form als Wärme transportieren und so die üblichen Einschränkungen der Thermodynamik überwinden. Die Energie muss aber letztlich immer noch in Wärme umgewandelt werden. Für diesen Umwandlungsmechanismus testen die Forscher jetzt zwei Theorien: Kurzschlüsse (englisch reconnection) zwischen entgegengesetzt gerichteten Magnetfeldlinien auf kleiner Skala – also denselben Prozess, der auch heftige chromosphärische Eruptionen kurzer Dauer, die so genannten Flares, entstehen lässt – und magnetische Wellen. Wichtige Hinweise kommen dabei von einander ergänzenden Beobachtungen: Während Satelliten und Raumsonden auch bei Wellenlängen messen können, die vom Erdboden aus unzugänglich sind, können Teleskope auf der Erde ungleich größere Datenmengen liefern, weil deren Übertragung nicht durch die schmale Bandbreite einer Funkverbindung begrenzt ist. Die Erkenntnisse könnten uns helfen zu verstehen, wie Vorgänge auf der Sonne die irdische Atmosphäre beeinflussen (siehe "Das Wüten der Weltraumstürme", Spektrum der Wissenschaft 7/2001, S. 30).
Die ersten Bilder der Korona mit hoher Auflösung lieferten die Ultraviolett- und Röntgenteleskope auf Skylab, der US-amerikanischen Raumstation, die 1973 bis 1974 genutzt wurde. Bilder von aktiven Regionen der Korona oberhalb von Sonnenfleckengruppen enthüllten komplexe Strukturen von Magnetfeldbögen (englisch loops), die innerhalb von Tagen entstehen und wieder verschwinden. Die im Röntgenlicht erkennbaren diffusen Bögen erstrecken sich über Millionen von Kilometern. Abseits der aktiven Regionen, in den "ruhigen" Gebieten der Sonne, zeichnet die UV-Strahlung ein Wabenmuster, das mit der Granulation – einer körnigen Struktur – der Photosphäre und der Supergranulation der Chromosphäre zusammenhängt. Und nahe den Sonnenpolen liegen Regionen, die kaum Röntgenstrahlung aussenden: die so genannten Koronalöcher.
Jede neue große Sonnensonde seit Skylab hat die räumliche Auflösung weiter gesteigert. Seit 1991 bildet das Röntgenteleskop des japanischen Satelliten Yohkoh die Sonnenkorona routinemäßig ab und hat auf diese Weise die Entwicklung der Bögen und anderer Strukturen schon über einen kompletten 11-Jahres-Zyklus der Sonnenaktivität verfolgt. Das "Solar and Heliospheric Observatory" (SOHO), eine europäisch-amerikanische Raumsonde, die 1995 gestartet wurde, befindet sich 1,5 Millionen Kilometer vor der Erde in Richtung Sonne, die sie so ohne Unterbrechung sehen kann ("Das Sonnenobservatorium SOHO", Spektrum der Wissenschaft 5/1997, S. 44). Eines ihrer Instrumente, der "Large Angle and Spectroscopic Coronagraph" (LASCO), beobachtet im sichtbaren Licht und deckt dabei die Sonne selbst mit einer dunklen Scheibe ab. Es hat große Koronastrukturen verfolgen können, die mit der Sonne rotieren – von der Erde aus gesehen einmal in 27 Tagen. Die Bilder zeigen auch, wie große Schwaden ionisierten Gases, die so genannten koronalen Massenauswürfe, mit Geschwindigkeiten von bis zu 2000 Kilometern pro Sekunde aus der Korona hervorbrechen. Diese Plasmawolken treffen gelegentlich auf die Erde oder die anderen Planeten.
Magnetfelder heizen die Korona
Der "Transition Region and Coronal Explorer" (TRACE), vom Stanford-Lockheed Institute for Space Research betrieben, umkreist die Erde seit 1998 auf einer polaren Bahn. Die Abbildungsschärfe seiner Ultraviolett-Teleskope ist unübertroffen, und sie haben eine enorme Detailfülle offenbart. Man weiß jetzt, dass sich die Plasmabögen in den aktiven Regionen der Sonne aus dünneren Plasmafäden zusammensetzen, die nur wenige hundert Kilometer breit sind. Und ihr unablässiges Flackern und Zittern liefert einen Hinweis auf die Ursache der hohen Koronatemperatur.
Die Bögen und Koronalöcher zeichnen offensichtlich die Magnetfeldlinien der Sonne nach. Diese Felder entstehen vermutlich im oberen Drittel des Sonneninneren, wo die Energie nicht durch Strahlung, sondern durch Konvektion – also durch Materieströmung – transportiert wird. Diese Strömungen wirken wie ein natürlicher Dynamo, der etwa ein Zehntausendstel der nach außen dringenden Strahlung in magnetische Energie umwandelt. Die differenzielle Rotation der Sonne – in der Nähe des Äquators rotiert sie schneller als in höheren Breiten – verformt die magnetischen Feldlinien auf bestimmte Weise und wickelt sie gewissermaßen entlang der Oberfläche auf. Die sichtbaren Sonnenfleckengruppen markieren dabei die Stellen, wo die seilartigen Bündel von Feldlinien die Photosphäre durchstoßen und sich in die Korona fortsetzen.
Schon ein Jahrhundert lang messen Astronomen die Magnetfelder der Photosphäre mit Magnetographen, die den Zeeman-Effekt nutzen: In Anwesenheit eines Magnetfelds kann sich eine Spektrallinie in zwei oder noch mehr Linien mit etwas unterschiedlichen Wellenlängen und Polarisationen aufspalten. Zeemann-Beobachtungen der Korona sind jedoch noch nicht gelungen: Die Aufspaltung ist bei den Spektrallinien, die sie ausstrahlt, für die heutige Messtechnik zu gering. Die Astronomen müssen sich deshalb auf mathematische Extrapolationen des photosphärischen Feldes verlassen: Sie besagen, dass das Feld der Korona generell eine Stärke von etwa 10 Gauß hat, das 20fache des Feldes an den Polen der Erde. In aktiven Regionen kann das Feld sogar 100 Gauß erreichen.
Diese Felder sind zwar schwach verglichen mit denen, die künstliche Magnete im Labor erzeugen können, aber sie üben doch einen entscheidenden Einfluss auf die Sonnenkorona aus. Die Temperatur der Korona ist nämlich so hoch, dass diese praktisch vollständig ionisiert ist: Sie ist ein Plasma, das nicht aus neutralen Atomen, sondern aus deren geladenen Bestandteilen, den positiven Atomkernen (überwiegend Protonen, den Kernen von Wasserstoffatomen) und den negativen Elektronen besteht. Plasmen unterliegen einer Vielzahl von Effekten, die es in neutralem Gas nicht gibt. Die Magnetfelder der Korona sind stark genug, um die geladenen Teilchen quasi an die Feldlinien zu fesseln: Sie bewegen sich auf engen Schraubenbahnen entlang der Linien, wie kleine Perlen an sehr langen Fäden. Ihre eingeschränkte Bewegungsfreiheit erklärt die scharfen Grenzen mancher Strukturen wie etwa der Koronalöcher. Innerhalb des dünnen Plasmas übertrifft der magnetische Druck (der quadratisch mit der Feldstärke zunimmt) den thermischen Druck um mindestens das Hundertfache.
Einer der Hauptgründe, warum die Astronomen die Magnetfelder für das Aufheizen der Korona verantwortlich machen, ist der offenkundige Zusammenhang von Feldstärke und Temperatur: Die hellen Bögen der aktiven Regionen haben eine Temperatur von etwa vier Millionen Kelvin, während die riesigen Bogenstrukturen in der allgemeinen Korona rund eine Million Kelvin heiß sind.
Bis vor kurzem gab es jedoch ein ernstes Problem mit dieser Art des Energietransports. Damit sich die Energie der Magnetfelder in Wärme umwandeln kann, müssen die Felder durch das Plasma diffundieren können, was wiederum erfordert, dass die Korona einen gewissen spezifischen elektrischen Widerstand hat. Mit anderen Worten: Sie darf kein idealer Leiter sein. In einem idealen Leiter kann nämlich kein elektrisches Feld bestehen bleiben, weil sich alle geladenen Teilchen sofort neu positionieren würden, um die Potenzialdifferenz auszugleichen. Und wenn ein Plasma kein elektrisches Feld aufrechterhalten kann, dann kann es sich relativ zum Magnetfeld nicht bewegen (oder umgekehrt). Deswegen sprechen die Astronomen auch davon, dass Magnetfelder in Plasmen "eingefroren" sind.
Eine quantitative Aussage lässt sich erhalten, wenn man die Zeit betrachtet, die ein Magnetfeld braucht, um über eine bestimmte Distanz durch ein Plasma zu diffundieren. Die Diffusionsrate ist umgekehrt proportional zum spezifischen Widerstand. In der klassischen Plasmaphysik nimmt man an, dass der elektrische Widerstand von so genannten Coulomb-Stößen herrührt: Elektrostatische Kräfte von geladenen Teilchen behindern den Strom der Elektronen. Wenn das auch in der Korona so wäre, dann würde es zehn Millionen Jahre dauern, die typischen 10000 Kilometer eines Bogens über einer aktiven Region zu durchqueren.
Vorgänge in der Korona laufen aber erheblich schneller ab. Flares zum Beispiel dauern nur wenige Minuten. Also ist entweder der spezifische Widerstand ungewöhnlich hoch oder die Diffusionsentfernung extrem klein – oder beides. In manchen Koronastrukturen könnten die maßgeblichen Entfernungen nur wenige Meter betragen, über die ein steiler Gradient des Magnetfeldes auftritt. Doch in den letzten Jahren ist den Forschern aufgegangen, dass der spezifische Widerstand höher als bisher angenommen sein könnte. In Laborplasmen, etwa in der Fusionsforschung, wurden Instabilitäten beobachtet, die Turbulenzen auf kleinen Größenskalen sowie Fluktuationen der Gesamtladung auslösen können, wodurch der Widerstand weit über den Coulomb-Anteil steigt, der durch zufällige Stöße zwischen Teilchen hervorgerufen wird.
Die Astronomen haben zwei grundlegende Ideen, wie die Heizung der Korona funktionieren könnte. Jahrelang haben sie sich auf Wellen konzentriert. Schallwellen aus der Photosphäre – bei denen sich Druckunterschiede fortpflanzen – waren zunächst die Hauptverdächtigen, aber in den späten 70er Jahren wurde klar, dass diese ihre Energie bereits in der Chromosphäre abgeben und die Korona gar nicht erreichen würden. Nun richtete sich der Verdacht auf magnetische Wellen. Diese können rein magnetohydrodynamisch (MHD) sein; bei solchen so genannten Alfvén-Wellen oszillieren nur die Feldlinien, der Druck aber nicht. Am wahrscheinlichsten weisen magnetische Wellen aber die Eigenschaften von Schall- und Alfvén-Wellen auf.
Die MHD-Theorie verbindet zwei Teilgebiete der Physik, die Hydrodynamik und den Elektromagnetismus. Plasmaphysiker unterscheiden zwei Arten von magnetohydrodynamischen Druckwellen, schnelle und langsame, je nachdem, ob die Phasengeschwindigkeit größer oder kleiner ist als die Geschwindigkeit einer Alfvén-Welle (etwa 2000 Kilometer pro Sekunde in der Korona). Um einen typischen Bogen über einer aktiven Region zu durchqueren, braucht eine Alfvén-Welle fünf Sekunden, eine schnelle MHD-Welle noch weniger, eine langsame aber mindestens eine halbe Minute. MHD-Wellen beginnen durch Konvektionsbewegungen in der Photosphäre und werden durch Magnetfelder in die Korona transportiert. Dort können sie ihre Energie in das Plasma übertragen, wenn es genügend spezifischen Widerstand oder Zähigkeit besitzt.
Kurzschlüsse im Magnetfeld
Ein Durchbruch kam 1998, als der Satellit TRACE beobachtete, wie ein kräftiger Flare in benachbarten Bögen Wellen auslöste. Die Bögen schwangen mehrere Male vor und zurück, bevor sie sich wieder beruhigten. Die Dämpfung erfolgte millionenmal schneller als von der klassischen Theorie vorhergesagt. Diese bahnbrechende Beobachtung einer "Koronaseismologie" durch die Arbeitsgruppe von Waleri M. Nakariakow – damals an der schottischen St. Andrews-Universität – hatte gezeigt, dass MHD-Wellen ihre Energie tatsächlich an die Korona übertragen können.
Trotz der Plausibilität des Energietransports durch Wellen hat eine zweite Idee an Popularität gewonnen: dass die Korona durch sehr kleine flareartige Ereignisse geheizt wird. Flares sind chromosphärische Eruptionen in aktiven Regionen auf der Sonne, die eine Energie von bis zu 10E25 Joule freisetzen. Sie werden offenbar durch den Kurzschluss magnetischer Feldlinien verursacht, wobei sich entgegengesetzt gerichtete Linien gegenseitig auslöschen und magnetische Energie in Wärme umwandeln. Dieser Prozess setzt voraus, dass die Feldlinien durch das Plasma diffundieren können.
Ein Flare setzt auch einen Schwall Röntgen- und UV-Strahlung frei. Im Maximum des elfjährigen Aktivitätszyklus (in dem sich die Sonne gerade befindet) gibt es mehrmals pro Stunde irgendwo auf der Sonne solche Ausbrüche. Weltraumobservatorien wie Yohkoh und SOHO haben aber gezeigt, dass es neben den energiereichen Flares in aktiven Regionen auch in den scheinbar ruhigen Gebieten eine Vielzahl von Eruptionen gibt, allerdings weit weniger heftig. Diese so genannten Mikroflares haben etwa ein Millionstel der Energie eines gewöhnlichen Flares. Dass diese relativ moderaten Energieausbrüche – Yohkoh hat während des Aktivitätsminimums 1996 noch Mikroflares von nur 10E17 Joule nachgewiesen – harte Röntgenstrahlung aussenden, hat zuerst eine Gruppe um Robert P. Lin von der Universität von Kalifornien in Berkeley 1980 mit einem Ballondetektor gemessen.
Flares sind indes nicht die einzigen kurzlebigen Phänomene auf der Sonne. Aus der unteren Korona sieht man im Röntgen- und UV-Licht oft Materiesäulen ("Jets") mit einigen hundert Kilometern pro Sekunde aufsteigen. Kleine Röntgenflares sind besonders interessant, weil sie Temperaturen von rund einer Million Kelvin erreichen, die für die Heizung der Korona erforderlich sind. Aus den beobachteten Ereignissen kann man auf die Häufigkeit noch kleinerer Ausbrüche – der Nanoflares – schließen. Das haben wir und Pawel T. Pres von der Universität Breslau (Polen) gezeigt, aufbauend auf den Arbeiten von Eugene N. Parker an der Universität Chicago. Die Gesamtenergie aller Ausbrüche könnte dann die Strahlungsleistung der Korona von 3 x 10E18 Watt erklären.
Welcher Mechanismus dominiert aber nun – Wellen oder Nanoflares? Das hängt von den Bewegungen in der Photosphäre ab, die das Magnetfeld stören. Falls diese Bewegungen Zeitskalen von einer halben Minute oder länger haben sollten, dann könnten sie keine MHD-Wellen auslösen. Stattdessen würden sie schmale Ladungsschichten erzeugen, in denen sich Magnetfeldlinien kurzschließen könnten. Offenbar treten die photosphärischen Bewegungen auf allen möglichen Zeitskalen auf, wie hochaufgelöste optische Beobachtungen des schwedischen Vakuum-Sonnenteleskops auf der Kanareninsel La Palma sowie die Beobachtungen von SOHO und TRACE, die einen allgemeinen und sich ständig verändernden "magnetischen Teppich" auf der Sonnenoberfläche feststellten, zeigen. Die jetzigen Befunde sprechen also eher für Nanoflares als den Hauptheizmechanismus, doch könnten Wellen durchaus einen gewissen Anteil dazu beitragen.
Es ist zum Beispiel unwahrscheinlich, dass Nanoflares in Koronalöchern viel zur Heizung beitragen können. In diesen Regionen sind nämlich die Feldlinien zum Weltraum hin offen und krümmen sich nicht wieder zur Sonnenoberfläche zurück: Ein "Kurzschluss" der Feldlinien würde Plasma in den Raum hinaus schleudern anstatt es aufzuheizen. Dennoch ist die Korona auch in den Löchern heiß. Astronomen haben nach Anzeichen für Wellenbewegungen gesucht, die sich als periodische Fluktuationen der Helligkeit oder als Doppler-Verschiebung der Spektrallinien bemerkbar machen könnten. Das Problem ist, dass die für eine Aufheizung relevanten MHD-Wellen wohl nur sehr kurze Perioden von wenigen Sekunden haben. Gegenwärtig verfügt noch kein im Weltraum stationiertes Messinstrument über die geeignete Zeitauflösung, um so etwas zu sehen.
Aus diesem Grund kommt Beobachtungen mit irdischen Teleskopen auch weiterhin eine große Bedeutung zu. Ein Pionier auf diesem Gebiet ist Jay M. Pasachoff vom Williams College in Williamstown (Massachusetts), der seit den 80er Jahren zusammen mit seinen Studenten Hochgeschwindigkeitsdetektoren eingesetzt hat, um während totaler Sonnenfinsternisse nach Modulationen in der Strahlung der Korona zu suchen. Seine besten Resultate weisen auf Oszillationen mit Perioden von ein bis zwei Sekunden hin. Serge Koutchmy vom Institut d’astrophysique in Paris hat mit einem Koronographen Hinweise auf Perioden von 43, 80 und 300 Sekunden gefunden.
Es war die Suche nach diesen Oszillationen, die einen von uns (Phillips) und sein Team zur 1999er Sonnenfinsternis nach Shabla geführt hatte, in eine kleine Stadt an der bulgarischen Schwarzmeerküste. Unser Instrument besteht aus einem Paar elektronischer Kameras, die sowohl weißes Licht wie auch die grüne Spektrallinie von hochionisiertem Eisen registrieren. Ein drehbarer Spiegel, ein so genannter Heliostat, leitet das Sonnenlicht in einen waagrechten Strahl um, der in das stationäre Instrument fällt. Während der Totalität, die zwei Minuten und 23 Sekunden dauerte, machte das Instrument jede Sekunde 44 Aufnahmen. Die Auswertungen durch Pawel Rudawy aus Breslau und David A. Williams von der Queen’s-Universität in Belfast haben örtliche Oszillationen aufgespürt, die bevorzugt entlang der Bögen auftreten. Die Perioden liegen zwischen zwei und zehn Sekunden. Andernorts entdeckte unser Instrument jedoch keine Oszillationen: Mithin dürften MHD-Wellen zwar präsent sein, doch nicht weit verbreitet oder stark genug, um die Heizung der Korona zu dominieren. Auch bei der Sonnenfinsternis am 21. Juni in Sambia haben wir unser Instrument wieder eingesetzt. Als nächstes wollen wir es an einen Koronographen anpassen – der erzeugt zwar mittels einer dunklen Scheibe im Instrument eine künstliche Sonnenfinsternis, wann immer man will, doch kann er die Photosphäre bei weitem nicht so gut abdecken wie der Mond.
Einsichten in den Heizmechanismus der Korona konnten die Astronomen auch durch Beobachtungen von anderen Sternen gewinnen. Die heutigen Instrumente können zwar noch keine Oberflächendetails der fernen Sonnen direkt abbilden, doch spektroskopische Verfahren erlauben immerhin den Nachweis großer Sternflecken. Und UV- und Röntgenbeobachtungen künden von Koronen und Flares, die oft sehr viel energiereicher sind als auf unserer Sonne. Spektren hoher Auflösung vom Extreme Ultraviolet Explorer und den beiden neuesten Röntgensatelliten Chandra sowie XMM-Newton liefern Temperaturen und Dichten. Der Stern Capella etwa – ein Doppelsystem aus zwei Riesensternen – hat Photosphärentemperaturen wie die Sonne, aber die Koronen der Einzelsterne sind sechsmal heißer als bei unserem Zentralgestirn. Die Plasmadichte ist, wie man aus den Intensitäten einzelner Spektrallinien entnehmen kann, sogar 100-mal höher als in der Sonnenkorona. Diese hohe Dichte bedeutet, dass Capellas Koronen viel kleiner als die der Sonne sein müssen und nur ein Zehntel oder weniger eines Sterndurchmessers in den Raum reichen. Offenbar ist die Struktur des Magnetfelds von Stern zu Stern sehr unterschiedlich – und bei manchen mögen sogar Planeten auf engen Umlaufbahnen einen gewissen Einfluss ausüben.
Das Rätsel der heißen Sonnenkorona hat die Astronomen nun länger als ein halbes Jahrhundert beschäftigt, aber die Erklärung ist nun in Reichweite, dank der neuesten Generation von Raumsonden und dem Einsatz der Kurzzeitfotografie bei Sonnenfinsternissen. Doch mit jeder gelösten Frage tauchen weitere auf, die ihrer Antwort harren. Die Sonne und andere Sterne, mit ihren komplexen Schichten, Magnetfeldern und übersprudelnder Dynamik, widersetzen sich immer noch unserem Verständnis. Auch im Zeitalter von solch exotischer Astrophysik wie Schwarzen Löchern und Dunkler Materie kann so etwas scheinbar Triviales seinen Reiz behalten.
Literaturhinweise
Die Quellen des schnellen Sonnenwindes. Von K. Wilhelm et al. in: Physikalische Blätter, Bd. 56, S. 51, 2000.
SOHO: Der ungetrübte Blick auf die Sonne. Von R. Schwenn und K. Wilhelm in: Sterne und Weltraum, Spezial 4, S. 38, 1999.
Physik der Sterne und der Sonne. Von Helmut Scheffler und Hans Elsässer. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1990.
Nearest Star: The Exciting Science of Our Sun. Von Leon Golub und Jay M. Pasachoff. Harvard University Press, 2001.
The Sun from Space. Von Kenneth R. Lang. Springer-Verlag, 2000.
The Solar Corona above Polar Coronal Holes as Seen by SUMER on SOHO. Von Klaus Wilhelm et al. in: Astrophysical Journal, Bd. 500, Heft 2, S. 1023, 1998.
"Schallwellen heizen am besten"
Peter Ulmschneider, Professor am Institut für Theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg, forscht seit vielen Jahren über den Heizungsmechanismus der Sonnenkorona.
Spektrum der Wissenschaft: Herr Professor Ulmschneider, was genau ist das Problem mit der Heizung der Sonnenkorona?
Professor Peter Ulmschneider: Das Merkwürdige ist ja, dass die Temperatur auf der Sonnenoberfläche rund 6000 Grad beträgt, während sie wenige tausend Kilometer darüber – eine Strecke, die winzig ist im Vergleich zum Sonnendurchmesser von 1,4 Millionen Kilometern – auf zwei bis sechs Millionen Grad ansteigt. Es ist also in der Korona fast so heiß wie im Zentrum der Sonne, wo 15 Millionen Grad herrschen und wo die Energie durch Kernfusionsprozesse erzeugt wird. Eigentlich sollte die Temperatur, wie im Sonneninneren, nach außen hin weiter abnehmen.
Spektrum: Heißt das, dass es an der Sonnenoberfläche eine weitere Energiequelle gibt?
Ulmschneider: Keine zusätzliche Energiequelle, aber es wird dort aus dem Sonneninneren fließende Energie in nicht-thermische Energie umgewandelt, die dann ihrerseits hoch in der Korona an das Gas übertragen wird.
Spektrum: Was wissen die Astronomen bisher über den Übertragungsmechanismus?
Ulmschneider: Gesichert ist lediglich, dass Magnetfelder an der Koronaheizung beteiligt sind. Wir wissen jedoch nicht, ob diese Heizung primär durch Wellen hervorgerufen wird, die das Magnetfeld nur als Schienen benutzen, um die Wellenenergie heranzuführen, oder ob sie auf einer direkten Freisetzung magnetischer Energie durch "Kurzschlüsse" entgegengesetzt gerichteter Magnetfeldlinien beruht. Weiterhin ist nicht geklärt, ob man es vor allem mit longitudinalen, transversalen oder torsionalen Wellentypen zu tun hat.
Spektrum: Bereits seit sechzig Jahren ist bekannt, dass die Korona aus etwa eine Million Grad heißem Gas besteht. Warum konnte seitdem das Problem der Koronaheizung noch nicht befriedigend geklärt werden?
Ulmschneider: Man hat in irdischen Laboratorien – zum Beispiel in Kernfusionsexperimenten – eine ganze Reihe von Prozessen gefunden, mit denen man sehr hohe Temperaturen erzeugen kann und das über kleine Distanzen hinweg. Alle diese Prozesse treten im Prinzip auch bei der Sonne auf. Nur kann man dort die Vorgänge nicht in der erforderlichen Auflösung sehen. Wir müssten Einzelheiten im Meterbereich erkennen können, doch heute kann man mit viel Glück Details von 70 Kilometer Durchmesser auflösen. Auf der Sonne können wir deshalb das Wirken der Heizungsmechanismen nicht direkt beobachten. Paradoxerweise lassen sich die wichtigen Mechanismen aber durch Beobachtung anderer Sterne identifizieren, obwohl diese wegen ihrer großen Entfernung nur als Punktquellen am Himmel zu sehen sind.
Spektrum: Wie wollen Sie Heizungsmechanismen auf anderen Sternen identifizieren, wenn Sie diese noch nicht einmal bei der nahen Sonne aufklären können?
Ulmschneider: Andere Sterne unterscheiden sich von der Sonne in genau vier Parametern: Oberflächentemperatur, Schwerebeschleunigung, chemischer Elementgehalt und Rotationsgeschwindigkeit. Bei Sternen mit Oberflächentemperaturen von weniger als 10000 Kelvin, den so genannten späten Sternen, zu denen auch unsere Sonne gehört, hat man unterhalb der Oberfläche ausgedehnte Konvektionszonen, in denen unter stetem Brodeln heiße Gasblasen aufsteigen und kühle Gase wieder absinken. Diese turbulenten Bewegungen erzeugen Schallwellen, die in die äußeren Schichten des Sterns hineinlaufen und dort als Stoßwellen ihre Energie abgeben. Die Schallerzeugung kann berechnet werden und hängt sehr stark von der Oberflächentemperatur, der Schwerebeschleunigung und der chemischen Zusammensetzung ab. Vergleicht man die berechnete und die beobachtete Heizung von Sternen mit unterschiedlichen Werten dieser drei Parameter, so kann man Schallwellen jetzt eindeutig als den wichtigsten Heizungsmechanismus der Chromosphären später Sterne identifizieren, jener heißen Schichten, die zwischen der Sternoberfläche und der noch heißeren Korona liegen.
Spektrum: Sie erwähnten auch die Rotation. Welche Bedeutung hat sie?
Ulmschneider: Beobachtungen haben einen interessanten Zusammenhang ergeben: Je schneller späte Sterne rotieren, desto umfangreichere Magnetfelder haben sie und desto stärker ist die Aufheizung der Chromosphären und Koronen. Bisher gelingt es noch nicht, diesen Prozess der Magnetfelderzeugung befriedigend mit Computern zu simulieren. Jedoch kann man bei gegebenen Magnetfeldern die Erzeugung magnetohydrodynamischer Wellen berechnen und in einem Vergleich von Sternen mit verschiedener Magnetfeldbedeckung die berechnete magnetische Wellenheizung mit der Beobachtung vergleichen. Damit ist es gelungen, longitudinale und transversale magnetohydrodynamische Wellen als wichtigste Heizungsmechanismen zu identifizieren.
Spektrum: Gibt es noch andere Heizungsmechanismen?
Ulmschneider: In den höchsten Regionen der Chromosphäre, in denen der Übergang zur Korona stattfindet, reicht die Wellenheizung nicht mehr aus, und es wird wahrscheinlich die Heizung durch Mikroflares, also durch Kurzschlüsse von Feldlinien, relevant. Hier stoßen wir wieder auf die Heizung der Korona, wobei noch nicht klar ist, welcher Anteil auf Wellen und welcher auf Mikroflares entfällt. Ein großer Fortschritt in der Heizungsfrage kann deshalb erst erwartet werden, wenn man das Auftreten von Mikroflares zusammen mit der direkten Energiedissipation und der Wellenerzeugung simulieren kann.
Glossar
Korona: die äußere Atmosphäre der Sonne, die nur während einer totalen Sonnenfinsternis oder bei künstlicher Abschattung der Sonnenscheibe in einem speziellen Teleskop – einem Koronographen – zu beobachten ist. Mit ein bis vier Millionen Kelvin ist sie weitaus heißer als die Sonnenoberfläche, deren Temperatur nur 6000 Kelvin beträgt.
Plasma: Gas, dessen Atome einen Teil ihrer Elektronen verloren haben, also ionisiert sind.
Flares: heftige Eruptionen in der Chromosphäre der Sonne, die einige Minuten oder wenige Stunden andauern und durch die große Mengen von Plasma emporgeschleudert werden, teilweise bis in den interplanetaren Raum hinein. Flares entstehen vermutlich durch plötzliche Freisetzung magnetischer Energie, wenn sich entgegengesetzt gerichtete Magnetfeldlinien kurzschließen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 2001, Seite 28
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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