Bioinformatik: Die simulierte Zelle
Die Eingebung kam mir auf dem Fahrrad, am Valentinstag 2008. Während ich gemütlich von der Arbeit nach Hause radelte, brütete ich über einem Problem, das mich und viele Fachkollegen seit über einem Jahrzehnt beschäftigte: Könnten wir das Getriebe des Lebens – mit all seiner bewundernswerten, geheimnisvollen und Schwindel erregend komplexen Biochemie – mit dem Computer simulieren?
Unter dieser "Simulation des Lebens" verstehen wir ein Computerprogramm, das die Vorgänge in einer lebenden Zelle originalgetreu nachbildet – allen voran Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung. Das Modell arbeitet dann korrekt, wenn es das gleiche Verhalten zeigt wie das natürliche Vorbild, insbesondere im zeitlichen Ablauf.
Schon ein lückenhaftes und ungenaues Modell würde die Biologie gewaltig voranbringen und ganz neue Perspektiven eröffnen: Wissenschaftler probieren die Ideen für ihre Experimente "im Trockenen" aus, bevor sie viel Zeit und Geld auf "nasse" Laborversuche verwenden. Arzneimittelentwickler setzen probeweise gewisse Moleküle außer Funktion und machen so diejenigen ausfindig, deren Ausfall der Bakterienzelle am meisten schadet. Im Labor konzentrieren sie sich dann auf Medikamente, die genau diese Moleküle hemmen, und lassen alle anderen außer Acht. Bioingenieure wie ich betreiben Gentechnik am Modell und stellen dadurch simulierte Mikroorganismen mit speziellen Eigenschaften her, zum Beispiel solche, die aufleuchten, wenn sie mit einem gewissen Virus infiziert werden, oder Bakterien, die Wasserstoff aus Erdöl herstellen können. Das ist nicht nur einfacher als echte Gentechnik, sondern auch risikoärmer: Simulierte Bakterien können nicht in die Umwelt entweichen. Und eines Tages können wir sogar ganze menschliche Zellen nachbilden und revolutionieren damit die medizinische Forschung. Denn viele Studien scheitern heute daran, dass manche Arten natürlicher menschlicher Zellen nicht kultiviert werden können. ...
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