Forschungsmethoden: Selbst ist das Versuchskaninchen
Berlin im Frühjahr 1880. Wilhelm I. ist Deutscher Kaiser, die Straßenbahnen werden noch von Pferden gezogen. In den Zeitungen diskutiert man über das Sozialistengesetz von Reichskanzler Bismarck und über die neueste Rechtschreibreform. In diesen Tagen legt ein Forscher an der Philosophischen Fakultät der Humboldt-Universität seine Habilitationsschrift vor, die aus mehreren Gründen bemerkenswert ist.
Zum einen ist der Verfasser, Herrmann Ebbinghaus, wissenschaftlich ein unbeschriebenes Blatt: Seit seiner sieben Jahre zuvor abgeschlossenen Doktorarbeit über das Unbewusste hat er nichts mehr veröffentlicht. Stattdessen war er gereist, hatte als Lehrer in Südengland, in Paris und am preußischen Königshof gearbeitet. Während dieser Zeit hatte er sich ganz im Privaten seinen weiteren Studien gewidmet.
Zum anderen waren die Experimente ungewöhnlich, zumindest aus heutiger Sicht. Denn der Forscher hatte das menschliche Gedächtnis untersucht – an sich selbst als einziger Versuchsperson. Er hatte dafür Tausende sinnloser Silbenreihen gelernt und genau erfasst, wie lange er dafür brauchte und wie schnell er sie wieder vergaß. Dabei versuchte er die äußeren Rahmenbedingungen möglichst gleich zu lassen. Das Ziel: die "mächtigen Hebel der exakten Naturforschung" anzuwenden, um geistige Vorgänge zu verstehen ...
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