Sommersmog: Die Stresssignale der Pflanzen
Bei Stress geben Pflanzen oft große Mengen flüchtiger Stoffe ab. Diese können über komplexe Reaktionsschleifen auf sie selbst zurückwirken. Bestes Beispiel ist das Ozon.
Ah, dieser Kiefernduft! Wenn die Sonne in einer Hitzeperiode ausdauernd scheint, riechen Nadelwälder besonders intensiv "nach Harz", wie viele Laien meinen. In Wahrheit sind es leichtflüchtige Kohlenwasserstoffe aus der Klasse der Terpene, die den würzigen Wohlgeruch hervorrufen. Und das besonders intensive Aroma, das uns erfreut, entströmt den Bäumen oft aus eher unerfreulichem Anlass: Sie haben Stress.
Ähnlich fragwürdig ist der menschliche Riechgenuss beim Rasenmähen, wenn das geschnittene Gras einen Duft verströmt, der uns angenehm frisch erscheint. Hinter dem Geruch stecken hier spezielle Alkohole, die bei der Zerstörung der Zellmembranen freigesetzt werden.
Aber auch ohne schädliche äußere Einflüsse geben viele Pflanzen flüchtige Substanzen an die Luft ab. Das erfahren schon Kleinkinder, wenn ihnen eine Blume zum Riechen unter die Nase gehalten wird. Solche Duftstoffe dienen als Lockmittel für Insekten, damit diese die Blüten besuchen und sie dabei nolens volens bestäuben.
Noch auf vielerlei andere Weise verschaffen sich Pflanzen einen Vorteil durch den Einsatz flüchtiger Verbindungen. Schon im ersten Jahrhundert berichtete der römische Gelehrte Plinius der Ältere, dass in der Umgebung von Walnussbäumen andere Pflanzen nicht recht gedeihen, und er führte das auf Ausdünstungen der Bäume zurück. Fachleute kennen heute zahlreiche Fälle von "Allelopathie", in denen Pflanzen sich durch Ausscheidung wachstumshemmender oder auch -fördernder Substanzen gegenseitig beeinflussen.
Im Überlebenskampf gilt es aber auch, sich gegen Angreifer zu wehren. Als Folge einer Infektion produzieren Pflanzen deshalb antibiotisch wirkende Abwehrstoffe oder Phytoalexine, die das Wachstum von Pilzen und Bakterien hemmen. Andere flüchtige Substanzen dienen dem Schutz vor Insektenfraß. Manche Pflanzen haben dabei eine besonders raffinierte Abwehrstrategie entwickelt: Sie produzieren Stoffe, die Insekten daran hindern, geschlechtsreif zu werden. Solche oft flüchtigen "Juvenilhormone" können bei einem Schädlingsbefall in erheblichen Mengen freigesetzt werden. So nebeln sich befallene Kiefern mit einem Stoff namens -Farnesen regelrecht ein.
Mittels flüchtiger Substanzen können sich Pflanzen sogar gegenseitig "warnen". So kurbeln im Falle der Eichen auch gesunde Bäume die Produktion von Abwehrstoffen gegen Raupenfraß an, wenn sie in Windrichtung von befallenen stehen. Es findet also ein Informationsfluss statt, den chemische Verbindungen über die Luft vermitteln.
Alles in allem geht der Stoffaustausch zwischen Vegetation und Atmosphäre in die Milliarden Tonnen jährlich. Den wichtigsten Beitrag leistet die Photosynthese, bei der die Pflanzen Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe der Sonnenenergie zu Kohlenhydraten verarbeiten. Schätzungsweise 200 bis 300 Milliarden Tonnen CO2 nehmen sie so weltweit jährlich aus der Luft auf. Zum Ausgleich geben sie Sauerstoff ab, der bei der Photosynthese als Nebenprodukt anfällt und als lebenswichtiges Atemgas für Mensch und Tier dient.
In die Schlagzeilen geriet der Stoffaustausch zwischen Pflanzen und Atmosphäre im letzten Jahrzehnt durch ein Phänomen, das nur indirekt damit zu tun hat: den Sommersmog. Dabei bilden sich – in erster Linie verursacht durch Emissionen von Kraftfahrzeugen – in Bodennähe große Mengen des gesundheitsschädlichen Reizgases Ozon. Nun tragen Pflanzen tatsächlich einerseits entscheidend zu diesem Vorgang bei, indem sie wichtige Vorprodukte dafür liefern. Andererseits entziehen sie jedoch der Atmosphäre erhebliche Mengen an Ozon: schätzungsweise zwischen 500 und 800 Millionen Tonnen jährlich. Dabei werden sie allerdings selbst geschädigt und geben als Folge davon ähnliche Stoffe ab wie bei einem Angriff von Insekten oder Bakterien. Fatalerweise können daraus wiederum Rückkopplungen entstehen, welche die Ozonbildung weiter verstärken.
Heikle Wechselwirkung zwischen Pflanzen und Ozon
Über die jeweils aufgenommenen und abgegebenen Gasmengen vermögen Hochrechnungen nur grobe Anhaltspunkte zu liefern, solange die Reaktionen der Pflanzen auf unterschiedliche Bedingungen – Reaktionen, die zudem zwischen den einzelnen Arten variieren – nicht genauer bekannt sind. Diese Beziehungen zu untersuchen, hat sich unsere Arbeitsgruppe am Forschungszentrum Jülich in einer Kooperation zwischen Atmosphärenchemikern und Biologen zum Ziel gesetzt.
Begonnen haben wir unsere Arbeiten 1986 unter dem Eindruck der Debatte über das so genannte "Waldsterben". In der Diskussion spielten Stickoxide aus anthropogenen Emissionen eine bedeutende Rolle. Deshalb wollten wir herausfinden, wie sich Stickstoffmonoxid (NO), das größtenteils aus Verbrennungsprozessen insbesondere in Kraftfahrzeugmotoren stammt, auf Pflanzen auswirkt. Diese nehmen das Gas in erheblichen Mengen durch die Blätter auf, geben es in geringerem Ausmaß aber auch ab. Wir kamen bald zu dem Schluss, dass es nicht sinnvoll ist, diese Emissionen isoliert zu betrachten. NO wird in der Atmosphäre in andere Stickstoffverbindungen umgewandelt, so in Salpetersäure, die den Regen sauer macht und zugleich den Boden düngt. Vor allem aber: Es ist entscheidend an der Bildung von Ozon in der unteren Atmosphäre, der Troposphäre, beteiligt.
So segensreich sich die Ozonschicht in 20 bis 30 Kilometer Höhe für das Leben auf der Erde auswirkt, weil sie dort den größten Teil der für Erdbewohner besonders gefährlichen UV-Strahlung aus dem Sonnenlicht herausfiltert, so wenig willkommen ist das Gas in Bodennähe. In Konzentrationen über 200 Mikrogramm pro Kubikmeter (µg/m3) Luft, wie sie an sonnigen Sommertagen immer wieder auftreten, kann Ozon die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtigen und belastet die Vegetation. Das machte den durch Ozon ausgelösten Sommersmog zum umweltpolitischen Reizthema, auch wenn sich der Verdacht, dass Ozon Hauptverursacher des Waldsterbens sei, letztlich nicht bestätigte.
Durch menschliche Aktivitäten gelangen viel mehr Stickoxide in die Luft als durch die Vegetation. Insofern ist der Sommersmog eindeutig anthropogen, ein Phänomen unserer Zeit. Die Pflanzen geben nur dann NO ab, wenn dessen Konzentration in der Luft unterhalb von etwa 2 µg/m3 liegt. Oberhalb dieses Wertes – in industrialisierten Gebieten der Normalfall – nehmen sie das Gas dagegen durch die Blätter auf.
Anders verhält es sich allerdings bei den flüchtigen organischen Verbindungen oderVOCs(kurz für englisch: volatile organic compounds), dem zweiten wichtigen Ausgangsprodukt für die Bildung von Ozon. Unter diesem Begriff werden zahlreiche Kohlenstoffverbindungen zusammengefasst, hauptsächlich Kohlenwasserstoffe, aber auch chemisch verwandte Substanzen. Davon liefert die Vegetation riesige Mengen: nach groben Schätzungen weltweit etwa eine Milliarde Tonnen pro Jahr, was gut zehnmal mehr ist als die anthropogenen VOC-Emissionen (Kasten unten). Sie leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Ozonbildung. Zwar ist in Ballungsräumen der starke Verkehr die Hauptquelle für VOCs. In nicht industrialisierten Regionen jedoch stammt der größte Teil der Emissionen von Pflanzen. Wird NO-haltige Luft aus den Ballungsgebieten in das Umland transportiert, können pflanzliche VOCs die Ozonbildung aufrechterhalten, ja sogar verstärken.
Dabei kommt es zu einem komplizierten Kreislauf. Vereinfacht dargestellt, reagieren VOCs mit Hydroxyl-Radikalen (OH), dem "Waschmittel" der Atmosphäre. Sie selbst werden dadurch schrittweise abgebaut, während aus den OH-Radikalen so genannte Peroxy-Radikale entstehen. Diese wandeln Stickstoffmonoxid in Stickstoffdioxid (NO2) um. Sonnenlicht spaltet das NO2, sodass wieder NO entsteht sowie ein einzelnes Sauerstoffatom, das sich mit "normalem", zweiatomigem Sauerstoff (O2) der Atmosphäre zu Ozon (O3) vereinigt. Auch Ozon wird schließlich vom Licht gespalten. Das abgetrennte O-Atom kann unter anderem mit Wasser (H2O) reagieren; heraus kommen zwei OH-Radikale, das Waschmittel ...
Zusammenfassend kann man sagen, dass Ozon in der Troposphäre immer dann gebildet wird, wenn VOCs, Stickoxide und Licht vorhanden sind. Fehlt einer dieser Faktoren, wird es abgebaut. Starke Sonnenstrahlung und die richtige Mischung von Stickoxiden und VOCs hingegen heizen die Ozonbildung regelrecht an. So kommt es zu den Sommersmog-Episoden. Dabei kann die Ozonkonzentration der Luft ein Vielfaches der durchschnittlichen Werte erreichen und im Extremfall 300 µg/m3 übersteigen.
Emissionstest in der Kammer
Im Einzelnen schwanken die pflanzlichen VOC-Emissionen je nach Spezies und Umweltbedingungen. Um den Sommersmog besser zu verstehen, bedarf es somit tieferer Einsichten in die Prozesse, die für diese Emissionen verantwortlich sind und sie steuern. Wir untersuchten daher, unter welchen Bedingungen bestimmte Testpflanzen welche VOCs in welchen Mengen an die Atmosphäre abgeben und wie sich einzelne Umweltfaktoren auf die Emissionen auswirken: Temperatur, Lichtintensität und Stress verschiedener Art, darunter Nährstoff- und Wassermangel, Verletzung und insbesondere auch eine Belastung durch Ozon.
Um den Stoffaustausch zwischen Pflanzen und Atmosphäre unter streng kontrollierten Bedingungen zu beobachten, haben wir in einer Halle auf dem Gelände des Forschungszentrums einen technisch höchst aufwändigen Versuchsaufbau eingerichtet. Kernstück der von uns "Vegatron" getauften Anlage sind drei Expositionskammern, in denen Versuchspflanzen einer genau definierten Umgebung ausgesetzt werden können. In mannshohen Glasbehältern sind sie dort von der Umgebung abgekapselt. Die zugeleitete Luft wird vor Eintritt in die Kammer auf die enthaltenen Spurenstoffe, insbesondere VOCs, Stickoxide und Ozon, analysiert, gereinigt und je nach Fragestellung des Experiments mit den nötigen Ingredienzien angereichert. Ebenso analysieren wir natürlich die aus der Kammer ausströmende Luft.
Zwölf Lampen von je 400 Watt lassen sich nach Bedarf einzeln schalten. Lichtintensität und Temperatur werden unabhängig voneinander geregelt. Damit wir die Einflüsse des Ernährungszustandes auf die pflanzlichen Emissionen bestimmen können, sind auch die Konzentrationen der Stoffe in der wässrigen Nährlösung einzeln einstellbar.
Um die Kammern herum befinden sich ein Dutzend Messplätze. Ein Besucher, der die Halle betritt, stößt auf ein verwirrendes Arrangement aus Rohren und Schläuchen, Gasflaschen, Heiz- und Kühlaggregaten, Schaltkästen und Kontrollanzeigen sowie elektronischen Geräten, PCs und Monitoren, das in seinen Ausmaßen die Kammern mit den Pflanzen beträchtlich übertrifft.
Bei unseren ersten Experimenten zu den VOC-Emissionen bestätigten gaschromatografische Analysen, dass einige Substanzen von fast allen Pflanzenarten abgegeben werden. Dazu gehören Isopren und Monoterpene; das sind Kohlenwasserstoffe mit fünf beziehungsweise zehn Kohlenstoff-Atomen.
Isopren, der Grundbaustein des Kautschuks und vieler anderer Naturstoffe, ist die wohl bekannteste und am längsten untersuchte flüchtige organische Verbindung. Es wird aus dem aufgenommenen Kohlendioxid schnell synthetisiert und kann ebenso rasch in die Atmosphäre abgegeben werden. Die Isopren-Emissionen hängen, wie die Aufnahme von CO2 in das Blatt, von der Temperatur und der Lichtintensität ab. Einige Pflanzenarten scheiden die Verbindung in großen Mengen aus – im Extremfall gelangen über zehn Prozent des Kohlenstoffs, der als CO2 aufgenommen wurde, schon bald wieder als Isopren ins Freie.
Auch die aus zwei Isopren-Einheiten zusammengesetzten Monoterpene entströmen vielen Gewächsen, vor allem Nadelbäumen, in großen Mengen. Sie sind dort in den Harzkanälen der Nadeln gespeichert. Über zehn Prozent der Trockenmasse einer Kiefernnadel bestehen aus Monoterpenen, die den typischen Geruch verbreiten, wenn man eine Kiefern- oder Fichtennadel zerbricht.
Warum synthetisieren die Pflanzen diese Substanzen unter enormem Energieaufwand und geben sie in solchen Mengen in die Atmosphäre ab? Über die Antwort ist wenig bekannt. Gewiss sind unter den Lockstoffen für bestäubende Insekten auch Monoterpene. Aber das kann nur ein Nebeneffekt sein, denn solche Pflanzen, die statt durch Insekten durch den Wind bestäubt werden, sondern ebenfalls reichlich Monoterpene ab. Rätselhaft erscheint zudem die geradezu verschwenderisch anmutende Vorratshaltung einiger Arten.
Wie unsere Untersuchungen zeigten, können äußere Faktoren die abgegebenen Mengen an Monoterpenen und anderen VOCs enorm beeinflussen. Beim Erwärmen um nur ein Grad Celsius stiegen die Emissionen um bis zu 20 Prozent. Eine Temperaturabhängigkeit hatten wir erwartet; denn die VOCs werden um so schneller mit dem Transpirationsstrom durch die Spaltöffnungen nach außen transportiert, je höher ihr Dampfdruck ist – und dieser nimmt mit der Temperatur zu. Doch die Steigerungsraten lagen weit über denen des Dampfdrucks, so dass es sich nicht um einen rein physikalischen Prozess handeln kann.
Auch intensivere Beleuchtung kurbelte die Emissionen an; allerdings galt das bei den einzelnen Substanzen in sehr unterschiedlichem Maße. So waren die Emissionsraten bei manchen Monoterpenen auch im Dunkeln schon ziemlich hoch, bei anderen hingegen noch kaum messbar.
Auf Nährstoff- und Wassermangel reagierten die Pflanzen gleichfalls sehr unterschiedlich. Sonnenblumen etwa steigern ihre Emissionen an Monoterpenen innerhalb weniger Tage auf das Zehnfache, wenn der Stickstoff knapp wird. Bei Raps ist die Wirkung dagegen deutlich schwächer. Kiefern schließlich lassen kurzfristig überhaupt keine Reaktion erkennen. Ganz ähnlich verhält es sich bei Wassermangel: Sonnenblumen sprechen schnell und heftig darauf an, Kiefern bleiben hingegen längere Zeit unbeeindruckt.
In die Höhe schoss die Abgabe von Monoterpenen auch bei mechanischer Beanspruchung – et-wa durch Berühren der oberen Blätter oder durch einen laufenden Ventilator; dasselbe galt für Verletzungsstress durch Abschneiden eines Blattes. Allerdings fielen die Werte innerhalb weniger Stunden vom steilen Gipfel wieder ab – selbst wenn der Ventilator weiter lief. Die Emissionsraten von Isopren hingegen blieben die ganze Zeit über konstant.
Schließlich setzten wir verschiedene Versuchspflanzen – Sonnenblumen, Raps und Kiefern, diverse Tabaksorten, Tomaten und Mais – Ozon aus. Die Ergebnisse waren spektakulär. Danach können die gesamten VOC-Emissionen während oder nach einer starken Ozonbelastung auf mehr als das 1000fache emporschnellen. Dies liefert dem Sommersmog reichlich Nahrung. So kann sich aus den unter Ozon-Einfluss abgegebenen VOCs, ausreichend Stickoxide und Sonnenlicht vorausgesetzt, sogar mehr Ozon bilden, als die Pflanzen aus der Atmosphäre herausgefiltert haben.
Wie wir feststellten, wirkt das Gas nicht durch äußerlichen Kontakt, sondern erst nachdem es durch die Spaltöffnungen in das Blatt eingedrungen ist. Dann aber ruft es schon in geringen Konzentrationen ähnliche Reaktionen hervor wie der Angriff von Insekten, Pilzen oder Bakterien. Außer Monoterpenen gaben die Pflanzen dabei auch langkettige Aldehyde wie Oktanal und Nonanal ab, die nach der Spaltung durch Sonnenlicht in der Atmosphäre ebenfalls zur Ozonbildung beitragen können.
Ihre Emission beginnt schon bei Ozon-Gehalten von 20 bis 30 µg/m3 Luft – weit unterhalb der Sommersmog-Konzentrationen von etwa 200 µg/m3 – und steigt mit zunehmendem Anteil des Reizgases auf ebenso hohe Werte wie bei starkem Schädlingsbefall. Wie entstehen sie? Denkbar wäre eine direkte Reaktion des ins Blattinnere eingedrungenen Ozons mit Fettsäuren. Dagegen spricht jedoch, dass auch Schädlinge und Krankheiten ganz ohne Ozon zur Absonderung der Aldehyde führen. Diese entstehen deshalb wohl eher auf enzymatischem Wege.
Bei hoher Belastung mit Ozon werden weitere flüchtige Substanzen emittiert – darunter Blattalkohole, oft auch C6-Verbindungen genannt. Zugleich erscheinen an den Blättern Nekrosen: Flecke aus abgestorbenem Gewebe (Bild rechts). Die Schwellenwerte für die Ozonkonzentrationen, die diese Reaktionen auslösen, sind für unterschiedliche Pflanzenarten recht verschieden. Mais- und Tomatenpflanzen etwa geben die C6-Verbindungen erst nach mehrstündiger extremer Ozonbelastung ab. Dagegen reagieren besonders empfindliche Tabaksorten schon bei 120 µg/m3, einer Konzentration, die heutzutage öfter auftritt.
Ungeeigneter Abwehrversuch
Die Emissionen von C6-Verbindungen scheinen unabhängig von der jeweiligen Pflanze und der Art der Belastung zu sein. In einer unspezifischen Stressreaktion läuft immer die gleiche Enzymkaskade ab. Wie erklärt sich diese überraschende Übereinstimmung? Es gibt dafür zumindest eine einleuchtende Hypothese. Ozoneinwirkung und Schädlingsbefall führen beide zur Zerstörung von Zellmembranen. Als Reaktion darauf aktiviert die Pflanze eine Sequenz von Enzymen, die dafür sorgt, dass das Blattgewebe im Umkreis der Beschädigung abstirbt. Das entstehende tote Pflanzenmaterial schützt vor einem weiteren Vordringen von Bakterien oder Pilzen. Die Emissionen der C6-Verbindungen sind schlicht Nebenprodukte dieses Abwehrmechanismus.
Ozon in den hohen Konzentrationen, wie sie bei Sommersmog auftreten, stellt für die Pflanzen eine neuartige Herausforderung dar. Sie begegnen ihr mit einem altbewährten Mechanismus, der sie in den Unbilden des Pflanzenlebens oft vor dem Schlimmsten bewahrt. Mit ihm schaffen sie es, Infektionen durch unzählige Pilze und Bakterien zu überstehen, sich gegen schätzungsweise 300000 Insektenarten, die sich von Pflanzen ernähren und dabei Blätter beschädigen, zu behaupten sowie mit Verletzungen aus vielfältigen anderen Ursachen fertig zu werden. Gegen Ozon nützt er freilich nichts – im Gegenteil: Die Pflanze vermehrt dadurch nur den erlittenen Schaden.
Der Anstieg der Emissionen bei starkem Stress läuft zeitlich immer nach dem gleichen Schema ab: Zuerst werden die C6-Verbindungen emittiert, erst einige Zeit später klettern auch die Monoterpen-Emissionen über die Normalwerte. Die Biosynthese dieser Stoffklasse verläuft dabei völlig anders als die der C6-Verbindungen. Dennoch legt die zeitlich gekoppelte Abgabe von beiden den Gedanken nahe, dass zwischen den Biosynthesewegen für die verschiedenen VOC-Gruppen eine Verbindung besteht.
Wie könnte sie aussehen? Schon im Jahre 1995 hat eine Arbeitsgruppe um Wilhelm Boland, damals an der Universität Bonn, heute am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie in Jena, eine Antwort auf diese Frage vorgeschlagen. Danach wird ein Vorläufer-Molekül der C6-Verbindungen, die 13-(S)-Hydroxy-linolensäure, in der Pflanze zu Jasmonsäure umgewandelt. Diese wirkt dann als Signalmolekül, das unter anderem die Biosynthese und Emission von Monoterpenen beschleunigt. Belege dafür lieferten Experimente, bei denen Bolands Ar-beitsgruppe Versuchspflanzen gasförmigem Methyljasmonat in der Umgebungsluft aussetzte. Dessen Aufnahme veranlasste die Pflanzen, mehr Jasmonsäure zu produzieren, was wiederum die Monoterpen-Emissionen steigerte.
Methyljasmonat wirkt demnach als Signalsubstanz, die schon in sehr geringen Mengen eine starke Reaktion auslöst. Bei einer Konzentration von nur 0,005 µg/m3 in der Umgebungsluft lässt es die Monoterpen-Emissionen aus Kiefern drastisch ansteigen: Die Menge der emittierten Terpene ist dabei 1000-mal größer als die des aufgenommenen Methyljasmonats. Kleine Ursache, große Wirkung.
Dennoch hat die Theorie von Boland und seinem Team einen Haken: Wie Versuche bei uns in Jülich ergaben, tritt nach der Begasung von Kiefern mit Methyljasmonat ein deutlich anderes Emissionsspektrum auf als beim Befall mit Insekten oder Bakterien oder bei hohen Ozonkonzentrationen.
Generell können unterschiedliche Stressfaktoren zu unterschiedlichen Terpenmustern führen. Das demonstrierten schon 1997 Paul W. Pare und James H. Tumlinson vom Center for Medical, Agricultural and Veterinary Entomology in Gainesville (Florida). Ihre Versuche ergaben, dass Baumwollpflanzen bei rein mechanischer Verletzung nur unmittelbar gespeicherte Terpene freisetzen, aber keine späteren Reaktionen mehr zeigen. Nach Raupenbefall verbreiten sie dagegen einige Stunden später andere VOCs, darunter auch aus drei Isopren-Einheiten bestehende Sesquiterpene. Diese werden nach der Attacke frisch synthetisiert; als Auslöser fungieren dabei Stoffe im Speichelsekret der Raupen. Auch wenn die Bedeutung der VOCs für uns vielfach noch im Dunkeln liegt, lassen solche Ergebnisse immerhin erahnen, dass ihre Abgabe im Überlebenskampf der Pflanzen sehr wohl eine wichtige Rolle spielen muss.
Weshalb aber, fragten wir uns, produzieren Pflanzen das Stickstoffmonoxid, mit dem unsere Untersuchungen begannen? In tierischen Geweben übt NO als Signalmolekül vielerlei regulatorische Funktionen aus, so bei der Erweiterung der Blutgefäße, bei der Signalübertragung im Gehirn und bei der Immunreaktion zur Abwehr von Viren und Bakterien. In Pflanzen könnte es gleichfalls als Signalmolekül zum Schutz gegen Krankheitserreger fungieren. Belegen ließ sich das bislang freilich nicht.
NO und die Pflanzen: ein typisches Beispiel für schwierig zu quantifizierende Verhältnisse. Pflanzen produzieren NO nur selbst, wenn sie nicht zu knapp, aber auch nicht zu üppig mit Stickstoff versorgt sind. Zudem nehmen sie es aus der Atmosphäre auf; ist die Konzentration in der Luft aber gering, geben sie das Gas ab. Wachsen Pflanzen in stark verschmutzter Luft, bedienen sie sich besonders reichlich. Sie nehmen dann sehr viel mehr NO auf, als sie in sauberer Luft freisetzen. Den enthaltenen Stickstoff können sie genauso verwerten und in pflanzliche Substanz einbauen wie Stickstoff, den sie sich über die Wurzeln einverleibt haben. Eine toxische Wirkung des aufgenommenen NO scheint daher eher unwahrscheinlich.
Ob das Gas auch Signalwirkungen ausübt, ist noch eine offene Frage. Da NO wegen seiner hohen Reaktivität sehr schnell abgebaut wird, ist bislang nicht einmal sicher, dass seine Aufnahme aus der Luft die durch pflanzliche Eigenproduktion verursachte NO-Konzentration wesentlich erhöht.
So bestimmen noch immer zahlreiche Ungewissheiten das Bild, das wir uns von den engen Beziehungen zwischen Pflanzen und Atmosphäre machen – kein Wunder angesichts der höchst verwickelten Verhältnisse. Auch die Ergebnisse unserer Versuche in der Klimakammer liefern nur Auskünfte über einzelne Faktoren. Wie aber soll man deren Einflüsse auf größere Gebiete oder gar ganze Kontinente hochrechnen? Eine flächenhafte Erfassung von Stress für eine Pflanzenart, geschweige denn für ganze Ökosysteme erscheint vorerst illusorisch. Bis wir auch nur einigermaßen fundierte Hochrechnungen über den Stoffaustausch zwischen Pflanzen und Atmosphäre, dieses unübersichtliche Geben und Nehmen, anstellen können, ist es noch ein weiter Weg. Angesichts der enormen ökologischen Bedeutung des Themas aber lohnt es sich, ihn zu gehen.
Literaturhinweise
Jasmonsäure- und Coronatininduzierte Duftproduktion in Pflanzen. Von W. Boland et al. in: Angewandte Chemie, Bd. 107, S. 1715 (1995).
Emission of volatile organic compounds from ozone-exposed plants. Von A. C. Heiden et al. in: Ecological Applications, Bd. 9, S. 1160 (1999).
De Novo Biosynthesis of Volatiles Induced by Insect Herbivory in Cotton Plants. Von P. W. Pare und J. H. Tumlinson in: Plant Physiology, Bd. 114, S. 1161 (1997).
Was Pflanzen in die Luft schicken
Pflanzen sind kleine Fabriken für flüchtige organische Verbindungen (englisch: volatile organic compounds, abgekürzt VOCs). Die Anzahl der an die Luft abgegebenen Substanzen erscheint unüberschaubar. Jeder von Pflanzen ausgehende Geruch beruht auf mindestens einer freigesetzten Molekülsorte, aber längst nicht alle flüchtigen Substanzen werden von unserer Nase wahrgenommen. Untersuchungen haben ergeben, dass eine einzelne Pflanze ohne Stress 40 bis 50 flüchtige Stoffe ausdünstet, unter Stress jedoch 300 bis 400. Bei Belastung nehmen auch die abgegebenen Mengen stark zu.
Hier sind die wichtigsten Verbindungen und Substanzklassen unter den VOCs:
- Isopren (C5H8), der Grundbaustein des Rohkautschuks, wird auch von vielen Pflanzen in größeren Mengen produziert und verbreitet, die keinen Kautschuk erzeugen. Die physiologische Bedeutung dieser Massenproduktion ist noch unbekannt. Die globale Emission wird auf 200 bis 450 Millionen Tonnen pro Jahr
- Monoterpene (C10H16) bestehen aus jeweils zwei Isopren-Einheiten. Beispiele sind a-Pinen, Myrcen, Limonen. Auch ihre physiologische Bedeutung ist noch ungeklärt. Geschätzte globale Emission: 100 bis 350 Millionen Tonnen pro Jahr.
- Sesquiterpene (C15H24) enthalten jeweils drei Isopren-Einheiten. Beispiele sind ß-Caryophyllen und Alloaromadendren. Sie dienen unter anderem als Abwehrstoffe gegen Schädlinge.
- Ethen (Äthylen, C2H4) hat mannigfache Funktionen als Pflanzenhormon, etwa bei der Fruchtreife. Globale Emission: bis 70 Millionen Tonnen pro Jahr.
- Blattalkoholesind hauptsächlich Substanzen mit 6 Kohlenstoff-Atomen. Diese C6-Verbindungen werden nach der Zerstörung von Zellmembranen aus freien Fettsäuren gebildet. Ein Beispiel für einen Blattalkohol ist Hexenol, der als Abwehrstoff eine Rolle spielt.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 2001, Seite 50
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