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Teilchenphysik: Die Suche nach Dunkler Materie

Das Weltall ist offenbar von riesigen Mengen unbekannter Teilchen erfüllt, die sich nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar machen. Teilchenphysiker in aller Welt versuchen nun, das Wesen der exotischen Partikel zu enträtseln.


Eigentlich ist das Universum ganz anders, als es aussieht. Sämtliche Sterne machen weniger als ein Prozent der Gesamtmasse des Alls aus; interstellares Gas und andere Formen gewöhnlicher Materie bringen es alles in allem auf weniger als fünf Prozent. Die Bewegungen dieser sichtbaren Substanzen enthüllen, dass sie nichts weiter sind als Treibgut in einem dunklen Meer aus unbekanntem Material. Über diesen Ozean wissen wir kaum etwas. Die Namen, die wir seinen Bestandteilen geben – "Dunkle Materie" und "Dunkle Energie" –, drücken vor allem unsere Unkenntnis aus.

Seit siebzig Jahren sammeln die Astronomen immer mehr Indizien für die Existenz Dunkler Materie, und fast niemand mehr bezweifelt sie. Aber Indizienbeweise befriedigen nicht wirklich: Sie vermögen andere Erklärungen nicht endgültig auszuschließen, etwa gewisse Modifikationen physikalischer Gesetze (siehe "Gibt es Dunkle Materie?" von Mordehai Milgrom, Spektrum der Wissenschaft 10/2002, S. 34). Auch verraten sie nicht viel über die Eigenschaften der hypothetischen Substanz. Wir wissen praktisch nur, dass die Dunkle Materie sich zusammenklumpt und mit ihrer Schwerkraft Galaxien und Galaxienhaufen bindet. Sie besteht höchstwahrscheinlich aus einer bisher unentdeckten Art von Elementarteilchen. Hingegen ist die Dunkle Energie – trotz der verwirrenden Namensähnlichkeit – eine völlig andere Substanz, die erst 1998 kosmologische Prominenz erlangte; sie erfüllt den Raum gleichmäßig und bewirkt, dass die Expansion des Universums sich beschleunigt.

Letztlich wird nicht die Astronomie, sondern die Teilchenphysik die Details dieser dunklen Komponenten ergründen. In den vergangenen acht Jahren haben Forscher beider Disziplinen ihre Kräfte vereint und gemeinsame Konferenzen abgehalten. Das nächste "Symposium über Quellen und Nachweis von Dunkler Materie und Dunkler Energie im Universum" wird im Februar 2004 in Marina del Rey (Kalifornien) stattfinden.

Das Rätsel der unsichtbaren Partikel

Es geht darum, die Dunkle Materie mit denselben Techniken nachzuweisen und zu untersuchen, die sich unter anderem bei der Analyse von Positronen und Neutrinos bewährt haben. Statt die Existenz der unbekannten Materie aus der Beobachtung ferner Himmelsobjekte zu erschließen, möchten die Wissenschaftler hier auf Erden nach ihr suchen.

Die Suche nach den Partikeln der Dunklen Materie gehört zu den schwierigsten physikalischen Vorhaben überhaupt. Nur die Suche nach den Trägern der Dunklen Energie ist noch problematischer und nicht einmal in Umrissen absehbar. Auf dem ersten Symposium im Februar 1994 bezweifelten fast alle Teilnehmer, dass ein irdischer Detektor überhaupt jemals Dunkle Materie nachweisen könne. Selbst die besten Instrumente hätten damals noch tausendmal empfindlicher sein müssen, um mutmaßliche Dunkle Teilchen einzufangen. Doch seitdem ist die Empfindlichkeit der Detektoren um das Tausendfache gestiegen, und bald wollen die Instrumentenbauer einen weiteren Faktor tausend herausholen. Mehr als 15 Jahre Forschung und Entwicklung tragen endlich Früchte. Vielleicht wissen wir schon bald, woraus der Kosmos wirklich besteht. Entweder erweist sich dann die Dunkle Materie als real – oder die herrschenden Theorien der modernen Physik müssen abdanken.

Aus was für einer Sorte Teilchen könnte die Dunkle Materie bestehen? Astronomische Beobachtungen und physikalische Theorie liefern nur allgemeine Hinweise. Es können weder Protonen noch Neutronen sein noch irgendetwas, das einst aus Protonen oder Neutronen bestand, zum Beispiel massereiche Sterne, die zu Schwarzen Löchern kollabierten. Denn nach Berechnungen der Teilchensynthese beim Urknall – die durch die gemessenen Mengen von Wasserstoff, Helium und Lithium im Universum gut abgesichert sind – reicht die Anzahl solcher Teilchen einfach nicht für die Dunkle Materie aus.

Auch Neutrinos können nur einen kleinen Bruchteil der Dunklen Materie ausmachen. Diese extrem leichten Elementarteilchen, die sich fast ungehindert durchs All bewegen, galten zunächst als plausible Kandidaten für Dunkle Materie, doch hat sich ihre Masse dafür als zu gering erwiesen (Spektrum der Wissenschaft 10/1999, S. 44). Überdies sind Neutrinos "heiß", das heißt, sie jagten fast mit Lichtgeschwindigkeit durch das frühe Universum. Heiße Partikel waren aber zu leichtfüßig, um sich in den kosmischen Strukturen niederzulassen, die wir heute beobachten.

Zu den astronomischen Beobachtungen passt am besten die so genannte Kalte Dunkle Materie. Der Name bezeichnet eine hypothetische Teilchenart, die sich seit ihrer Entstehung nur träge von der Stelle bewegt. Zwar schafft die Kalte Dunkle Materie ihre eigenen Probleme bei der Erklärung kosmischer Strukturen (Spektrum der Wissenschaft 9/2002, S. 54). Dennoch halten die meisten Kosmologen diese Nachteile für gering gegenüber den Schwierigkeiten alternativer Hypothesen. Das gegenwärtige Standardmodell der Teilchenphysik bietet keine Partikel an, die als Kalte Dunkle Materie in Betracht kommen, doch Erweiterungen des Modells – die keineswegs aus astronomischen Gründen entwickelt wurden – liefern eine ganze Schar plausibler Kandidaten (siehe "Neue Physik jenseits des Standardmodells" von Gordon Kane, Spektrum der Wissenschaft 9/2003, S. 26).

Kür der Kandidaten

Als Dunkle-Materie-Teilchen käme das so genannte Axion in Frage, ein sehr leichtes neutrales Partikel, das von Theoretikern postuliert wurde, um gewisse Symmetrien der Starken Wechselwirkung zu erklären. Zum Nachweis eines kosmischen Axions müsste man es einem starken Magnetfeld unterwerfen. Dadurch könnte es sich in ein Photon im Mikrowellenbereich verwandeln, und dieses wiederum wäre in einem Mikrowellen-Resonator nachweisbar. Die Suche nach kosmischen Axionen hat begonnen, erfordert aber – falls es diese hypothetischen Teilchen überhaupt gibt offenbar empfindlichere Detektoren.

Die mit Abstand am besten untersuchte Erweiterung des Standardmodells ist die Supersymmetrie, auf die ich mich darum hier konzentrieren will. Sie ist eine attraktive Erklärung für die Dunkle Materie, weil sie eine komplett neue Teilchenfamilie postuliert – einen "Superpartner" für jedes bekannte Elementarteilchen. Diese neuen Partikel sind allesamt schwerer und somit träger als bekannte Teilchen. Als natürlicher Kandidat für die Kalte Dunkle Materie gilt vor allem das Neutralino, eine hypothetische Mischung aus den Superpartnern des Photons (das die elektromagnetische Kraft überträgt), des Z-Bosons (Träger der Schwachen Kernkraft) und vielleicht noch anderer Teilchentypen. Der Name ist etwas unglücklich, denn er erinnert zu sehr an "Neutrino"; zwar haben beide Teilchen gewisse Gemeinsamkeiten, sind aber doch grundverschieden.

Das Neutralino ist zwar nach normalen Maßstäben schwer, aber vermutlich das leichteste der supersymmetrischen Teilchen. Falls das zutrifft, muss es stabil sein: Wenn ein Superteilchen instabil ist, zerfällt es in zwei leichtere Superteilchen, aber das Neutralino ist schon das leichteste. Wie der Name sagt, trägt das Teilchen keine elektrische Ladung und wird darum von elektromagnetischen Kräften – etwa Licht – nicht tangiert. Mit seinen Eigenschaften – Neutralität, Masse und Stabilität – erfüllt das Neutralino alle Anforderungen an Kalte Dunkle Materie. Die Urknalltheorie ergibt eine Abschätzung für die Zahl der Neutralinos, die im heißen Urplasma des Kosmos entstanden sein können. Dieses Plasma war ein chaotisches Gebräu aus allen möglichen Arten von Partikeln.

Schöpferische Zerstörung

Jedes einzelne Teilchen kollidierte sofort mit einem anderen, sie vernichteten einander, daraus entstanden neue Teilchen, die wiederum mit anderen kollidierten und einen rasenden Kreislauf von Schöpfung und Zerstörung weitertrieben. Doch mit sinkender Temperatur und Dichte des Universums wurden die Kollisionen weniger heftig und der Kreislauf erlahmte. Eine Teilchenart nach der anderen kondensierte aus dem Plasma – erst diejenigen, die eher selten kollidierten, dann die kollisionsfreudigeren.

Da das Neutralino ein besonders kollisionsscheues Teilchen ist, fror es sehr früh aus dem Plasma aus. Zu jener Zeit war die Dichte des Universums noch so hoch, dass eine riesige Anzahl von Neutralinos erzeugt wurde. In der Tat entspricht die gesamte Masse der Neutralinos – berechnet aus ihrer mutmaßlichen Teilchenmasse und der geringen Kollisionswahrscheinlichkeit – fast exakt der astronomisch abgeleiteten Gesamtmasse der Dunklen Materie. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass Neutralinos die gesuchten Kandidaten sind.

Um Dunkle Materie nachzuweisen, müssen die Teilchenforscher wissen, wie sie mit normaler Materie wechselwirkt. Nach Meinung der Astronomen spielt dabei nur die Schwerkraft eine Rolle – die schwächste aller Naturkräfte. Träfe das wirklich zu, wäre der Nachweis Dunkler Materie im Labor aussichtslos. Aber obgleich sich im kosmischen Maßstab nur die Schwerkraft bemerkbar macht, schließen die astronomischen Beobachtungen zumindest nicht aus, dass die Teilchen der Dunklen Materie auch ganz schwach auf andere Kräfte reagieren.

Nach den Theorien der Supersymmetrie unterliegt das Neutralino einer stärkeren Wechselwirkung als der Schwerkraft, nämlich der Schwachen Kernkraft – derselben, die gelegentlich auch Neutrinos verrät. Ein Strom von Neutralinos würde ein Stück Materie praktisch ohne Wechselwirkung durchdringen, doch dann und wann müsste eines dieser Gespensterteilchen doch einen Atomkern treffen und einen kleinen Teil seiner Energie auf den Kern übertragen.

Die Unwahrscheinlichkeit und Schwäche dieser Reaktion wird durch die gigantische Partikelzahl ein wenig wettgemacht. Immerhin soll die Galaxis größtenteils aus Dunkler Materie bestehen. Diese Materie konnte, "dunkel" wie sie ist, niemals durch Aussenden von Strahlung Energie verlieren und daher auch nie subgalaktische Klumpen wie Sterne und Planeten bilden. Stattdessen erfüllt sie noch immer den interstellaren Raum wie ein Gas. Unser Sonnensystem kreist mit 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Somit rasen wir in ziemlichem Tempo durch das unsichtbare Gas. Vermutlich strömt pro Sekunde eine Milliarde Dunkle-Materie-Teilchen durch jeden Quadratmeter.

Detektoren für Neutralinos

Dick Arnowitt von der Texas A&M University, John Ellis vom Europäischen Teilchenlabor Cern, Leszek Roszkowski von der University of Lancaster (England) sowie Vadim Bednyakov vom Kernforschungsinstitut JINR Dubna (Russland) und Hans V. Klapdor-Kleingrothaus vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg haben kürzlich die Wechselwirkung zwischen Neutralinos und normaler Materie möglichst umfassend berechnet. Sie wird üblicherweise als die Anzahl der Ereignisse pro Tag in einem Kilogramm normaler Materie angegeben. Je nach den theoretischen Details liegt das Resultat zwischen 0,0001 und 0,1 Ereignissen pro Kilogramm und Tag. Die derzeit laufenden Experimente vermögen Ereignishäufigkeiten am oberen Rand dieses Bereichs zu entdecken.

Das Hauptproblem ist nicht mehr die mangelnde Empfindlichkeit, sondern die Unreinheit der Detektoren. Wie jede irdische Materie enthält auch das Detektormaterial Spuren radioaktiver Elemente, etwa Uran und Thorium. Bei deren Zerfall entstehen Teilchen mit derselben Signatur wie Dunkle Materie – und die irdische Radioaktivität übersteigt das erhoffte Neutralino-Signal um das Millionenfache. Falls der Detektor über der Erde liegt, verschlechtert die kosmische Strahlung die Situation noch einmal um einen gleich großen Faktor. Wenn die Forscher Teilchen der Dunklen Materie mit einiger Sicherheit nachweisen wollen, müssen sie jede dieser Störquellen um das Millionenfache verringern.

Die Physiker stehen damit vor zwei Herausforderungen: Sie müssen die extrem schwache Wechselwirkung zwischen Dunkler und normaler Materie nachweisen und zugleich das starke Hintergrundrauschen herausfiltern. Um das erste Problem zu lösen, muss der Rückstoß gemessen werden, den ein von einem Neutralino getroffener Atomkern erleidet. Dafür gibt es mehrere Verfahren. Im Prinzip besonders einfach ist der Nachweis der Erwärmung, die der Rückstoßkern in der umgebenden Materie erzeugt, wenn er unterwegs seine kinetische Energie an sie abgibt und ihre Temperatur geringfügig erhöht. Diese Erwärmung lässt sich nur entdecken, wenn das Material auf extrem geringe Ausgangstemperatur gekühlt wird. Das ist das Prinzip der kryogenen Detektoren.

Die kryogenen Detektoren der Suchprogramme CDMS (Cryogenic Dark Matter Search) und Edelweiss vermögen sogar einzelne Phononen – Wärmequanten – im Material zu messen. Sie arbeiten bei 25 Millikelvin (tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt) und verwenden empfindliche Halbleiter-Sensoren, so genannte Thermistoren, um den Temperaturanstieg in den verschiedenen Teilen des Apparats aufzuzeichnen. Die einzelnen Detektoren haben zwar nur eine Masse von wenigen hundert Gramm, aber die Forscher stapeln viele davon bis auf eine Gesamtmasse von mehreren Kilogramm, um das Signal zu verstärken. Die neueste Version von CDMS – angesiedelt in der Soudan-Mine im US-Bundesstaat Minnesota – soll Ende 2003 beginnen, Daten zu sammeln.

Die Nadel im Heuhaufen

Eine zweite Technik bedient sich der ionisierenden Wirkung des vom Neutralino angestoßenen Atomkerns: Der Rückstoßkern schlägt ein paar Elektronen aus benachbarten Atomen. In Germanium-Halbleiterdetektoren erzeugen diese Elektronen einen messbaren Strom. Dieser Effekt wird im Heidelberg-Moskau-Experiment (mit angereichertem Germanium-73), in der GENIUS Test Facility (GENIUS-TF), die am 5. Mai 2003 im Gran Sasso gestartet wurde, und im künftigen GENIUS-Projekt genutzt.

Ein drittes Verfahren nutzt die Anregung der vom Rückstoßkern erzeugten Ionen. Die angeregten Ionen – so genannte Excimere – fangen bald wieder ein Elektron ein und kehren in den Grundzustand zurück. In manchen Materialien, hauptsächlich in flüssigen Edelgasen wie Xenon, entstehen dabei Lichtblitze – so genanntes Szintillationslicht. Nach diesem Prinzip funktionieren übrigens die in der Augenheilkunde benutzten Excimer-Laser. Bei flüssigem Xenon ist das Licht sehr intensiv, und der Blitz dauert zehn Nanosekunden. Ein Photomultiplier kann ein solches Signal genügend verstärken, um es messbar zu machen.

Anfang der 1990er Jahre entwickelte das ZEPLIN-Projekt – unter Leitung von Hanguo Wang und mir an der University of California in Los Angeles sowie Pio Picchi an der Universität Turin (Italien) – Zweiphasen-Xenon-Detektoren. Diese Instrumente verstärken das Szintillationslicht durch eine Xenon-Gasschicht, die über dem flüssigen Xenon liegt und von einem elektrischen Feld durchzogen wird. Das Feld beschleunigt die von den Rückstoßkernen freigeschlagenen Elektronen und verwandelt dadurch eine Hand voll Partikel in eine Teilchenlawine. Fernziel ist ein Detektor aus zehn Tonnen flüssigem Xenon, der sogar sehr gering wechselwirkende Neutralinos nachweisen könnte.

Das Xenon braucht nicht flüssig zu sein. Manche Detektoren benutzen es in Gasform. Zwar hat Gas eine geringere Dichte, aber dafür ist die Spur des Rückstoßkerns darin leichter zu erkennen. Diese Spur gibt Auskunft über die Richtung, aus der die Dunkle Materie kommt, und kann damit ein zusätzliches Indiz liefern, dass es sich um ein galaktisches Neutralino handelt. Detektoren dieses Typs werden für die unterirdischen Labors in Boulby (England) entwickelt.

Xenon hat den Vorteil, keine natürlichen langlebigen radioaktiven Isotope zu besitzen, und erzeugt darum wenig Hintergrundrauschen. Außerdem lässt es sich leicht aus der Erdatmosphäre gewinnen; allerdings muss es von radioaktivem Krypton, einem Rückstand der Kernwaffentests, gesäubert werden. Doch Xenon ist nicht das einzige Szintillationsmaterial. Für das DAMA-Experiment im Gran-Sasso-Labor bei Rom wird Natriumiodid verwendet. Mit hundert Kilogramm Masse ist DAMA der derzeit größte Detektor der Welt.

Problem des Hintergrundrauschens

Um mit dem zweiten großen Problem – dem Hintergrundrauschen durch natürliche Radioaktivität und kosmische Strahlung – fertig zu werden, sind drei Schritte nötig. Erstens wird die kosmische Strahlung unterdrückt, indem die Forscher die Detektoren tief unter der Erdoberfläche platzieren und mit speziellen Abschirmungen umgeben. Zweitens wird das Detektormaterial gereinigt, um die radioaktive Kontaminierung zu verringern. Drittens konstruieren die Forscher spezielle Instrumente, die anhand verräterischer Signale die Dunkle Materie von anderen Teilchen unterscheiden können.

Da die ersten beiden Maßnahmen nicht ausreichen, verwenden die meisten Detektoren für Dunkle Materie ein gesondertes Diskriminationsverfahren, um die gesuchten Ereignisse von den übrigen zu unterscheiden. Ein erster Test ist die Suche nach einer jahreszeitlichen Variation des Signals. Wenn auf der Nordhalbkugel Sommer herrscht, sollte der Fluss Dunkler Materie höher sein, weil sich dann die Bewegung der Erde um die Sonne zur Bewegung des ganzen Sonnensystems durch die Milchstraße addiert; im Winter hingegen läuft die Erde gegensinnig, ihre Bewegung wird von der des Sonnensystems subtrahiert. Die Signalschwankung könnte mehrere Prozent ausmachen.

Die fortschrittlichsten Projekte benutzen einen Sekundärdetektor, der nach einem anderen Prinzip arbeitet als der Primärdetektor und auf unterschiedliche Teilchentypen etwas anders reagiert. Zum Beispiel verursachen Teilchen des Störhintergrunds meist mehr Ionisation als ein Atomkern, der von einer Neutralino-Kollision weggestoßen wird. Durch Kombinieren von zwei Detektoren lässt sich dieser Unterschied aufspüren.

Ein einsamer Ausreißer

Seit Ende der 1980er Jahre wird mit den hier beschriebenen Methoden systematisch nach Signalen der Dunklen Materie gesucht. Alle Experimente – mit einer einzigen Ausnahme – haben bislang nur Nullresultate geliefert. Das ist kein Wunder, denn sie erreichen erst seit kurzem die nötige Empfindlichkeit und Rauschtoleranz. Die einsame Ausnahme ist DAMA: Vor vier Jahren meldete dieses Projekt die Beobachtung einer jahreszeitlichen Schwankung, doch in der Fachwelt hielten sich Aufregung und Skepsis die Waage. Das Problem ist, dass DAMA keine Mehrfachdetektoren zur Diskrimination zwischen Signal und Rauschen verwendet. Drei andere Experimente mit Mehrfachdetektoren haben das DAMA-Resultat seither in Frage gestellt: Edelweiss, ZEPLIN I und CDMS I untersuchten praktisch denselben Parameterbereich wie DAMA und fanden nichts. Das CDMS-I-Team behauptet, das Nullresultat sei zu 98 Prozent zuverlässig. Wenn weitere Projekte ebenfalls nichts finden, müssen die DAMA-Forscher ihr Signal wohl auf radioaktive Prozesse oder andere Störeinflüsse zurückführen. Die Detektoren der nächsten Generation sollten in der Lage sein, die Existenz von Neutralinos eindeutig nachzuweisen oder auszuschließen. Wenn sie gar nichts finden, kann Supersymmetrie nicht die Erklärung für Dunkle Materie sein. Die Theoretiker würden sich anderen, weniger attraktiven Hypothesen zuwenden müssen. Doch falls die Detektoren ein Signal nachweisen, wäre das eine der größten Errungenschaften des 21. Jahrhunderts.

Die spektakulärste Konsequenz wäre gewiss die Enthüllung der geheimnisvollen Substanz, die ein Viertel der Masse des Universums ausmacht; offen bliebe nur noch das Wesen der Dunklen Energie. Ein solcher Durchbruch würde weitere Entdeckungen nach sich ziehen. Wenn die Detektoren Teilchen der Dunklen Materie aufspüren könnten, wären Teilchenbeschleuniger wie der Large Hadron Collider bei Cern vielleicht fähig, sie auch künstlich zu erzeugen und mit ihnen zu experimentieren. Die Bestätigung der Supersymmetrie würde bedeuten, dass Scharen neuer Teilchen der Entdeckung harren; zugleich würde die String-Theorie gestützt, in der die Supersymmetrie eine zentrale Rolle spielt. Kein Wunder, dass Teams in aller Welt begierig sind, eines der größten Geheimnisse der modernen Astrophysik bald zu lösen.

Literaturhinweise


New Light on Dark Matter. Von J.P. Ostriker und P. Steinhardt in: Science, Bd. 300, S. 1909 (2003).

Dark Matter in Astro- and Particle Physics. Von Hans V. Klapdor-Kleingrothaus und Raoul D. Viollier (Hg.). Springer Verlag, 2002.

Sources and Detection of Dark Matter and Dark Energy in the Universe. Von David B. Cline (Hg.). Springer Verlag, 2001.

Quintessence: The Mystery of the Missing Mass. Von Lawrence M. Krauss. Basic Books, 2001.

Just Six Numbers: The Deep Forces That Shape the Universe. Von Martin J. Rees. Basic Books, 1999.


In Kürze


Die meisten Astronomen glauben, dass das Universum von Dunkler Materie erfüllt ist, aber ihre Beobachtungen sind zu ungenau, um das eindeutig zu beweisen – oder gar die detaillierten Eigenschaften dieser geheimnisvollen Substanz zu messen. Die Teilchenphysiker versuchen ihrerseits, die Dunkle Materie, während sie fast ungehindert durch die Erde strömt, mit speziellen Detektoren zu erfassen.
-Die Teilchen der Dunklen Materie sollten hin und wieder mit gewöhn­lichen Atomen in Wechselwirkung treten. Wenn ein solches Teilchen von einem Atomkern abprallt, erleidet dieser einen Rückstoß, trifft auf umgebende Atome und setzt Energie in Form von Wärme oder Licht frei.
-Das Problem ist vor allem, wie dieser seltene Vorgang von viel häufigeren Prozessen – etwa radioaktiven Zerfällen – unterschieden werden kann. Da­rum betrachten die meisten Forscher die bisher einzige Meldung vom Nachweis Dunkler Materie mit Skepsis.


Der dunkle Wind im Wechsel der Jahreszeiten


Auf seinem Weg durchs All wird unser Planet von einem »Fahrtwind« aus Dunkler Materie durchströmt. Dunkle Materie verhält sich wie ein ruhendes Gas: Ihre Teilchen bewegen sich zufällig, ohne dass eine bestimmte Richtung ausgezeichnet wäre. Unser Sonnensystem fegt mit 220 Kilometern pro Sekunde durch diese Substanz. Außerdem umläuft die Erde mit 30 Kilometern pro Sekunde die Sonne. Wegen der Neigung dieser Umlaufbahn beträgt die Gesamtgeschwindigkeit des Fahrtwinds 235 Kilometer pro Sekunde, wenn auf der Nordhalbkugel Sommer herrscht, und im Winter 205 Kilometer pro Sekunde. Diese periodische Schwankung unterscheidet die Dunkle Materie vom Rauschhintergrund, der nicht mit den Jahreszeiten variiert.

Aus: Spektrum der Wissenschaft 10 / 2003, Seite 44
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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