Die Synthese überschwerer Elemente
Effekte in der Schalenstruktur von Atomkernen und eine einzigartige Experimentiertechnik haben es der Gesellschaft Schwerionenforschung in Darmstadt ermöglicht, die sechs bisher schwersten Elemente mit den Ordnungszahlen 107 bis 112 zu erzeugen und eindeutig nachzuweisen. Der künstliche Aufbau dieser Elemente ist aufs engste mit einer Entwicklung verknüpft, die vor 100 Jahren mit der Entdeckung der natürlichen Radioaktivität begann.
Das Jahr 1896 markiert einen Um- bruch im Wissensgebäude der Physik. Antoine Henri Becquerel (1852 bis 1908), Professor am Nationalmuseum für Naturgeschichte in Paris, bemerkte Ende Februar jenes Jahres, daß Uransalze eine Strahlung aussenden, die Photoplatten zu schwärzen und Metallfolien zu durchdringen vermag. Diese Entdeckung der Radioaktivität natürlicher Substanzen begründete einen neuen Forschungszweig, die Kernphysik.
Erst gegen Mitte des vorigen Jahrhunderts hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß Materie aus kleinen Grundbausteinen – Atomen und Molekülen – besteht. Die Atome (nach griechisch atomos für unteilbar) eines jeden Elements sollten jeweils eine bestimmte Masse und Größe haben und sich bei chemischen Umwandlungen nicht verändern. Becquerels Beobachtung löste eine Vielzahl von Forschungsarbeiten aus, durch die man schließlich erkannte, daß Atome durchaus nicht unteilbar sind, sondern in leichtere Einheiten zerfallen können.
Uran und Thorium waren zunächst die einzigen bekannten Schwermetalle, die diese Erscheinung zeigten. Doch vermochte das Forscherehepaar Marie (1867 bis 1934) und Pierre Curie (1859 bis 1906) bereits 1898 in uranhaltigen Pechblende-Proben zwei neue radioaktive Elemente – Polonium und Radium – zu identifizieren. Bis 1940 wurden fünf weitere instabile Elemente gefunden: Astat, Radon, Francium, Actinium und Protactinium. Im Periodensystem der chemischen Elemente konnte so die Lücke zwischen Bismut, dem schwersten stabilen Element (früher Wismut genannt), und Uran, dem schwersten natürlich vorkommenden radioaktiven Element, geschlossen werden (Bild 3).
In dieser Pionierzeit der Kernphysik – der Radioaktivitätsperiode – erkannte man, daß Atome einen positiv geladenen Kern haben, der von einer Hülle aus negativen Elektronen umgeben ist, wodurch das Gebilde nach außen hin als elektrisch neutral erscheint. Der Kern besteht aus zwei unterschiedlichen Bausteinen ähnlicher Masse, den positiven Protonen und den ungeladenen Neutronen; trotz der abstoßenden elektrischen Kräfte zwischen den Protonen hält der Atomkern zusammen, weil zwischen allen seinen Bausteinen – den Nukleonen – eine starke anziehende Kraft kurzer Reichweite wirkt.
Die chemischen Eigenschaften der Elemente werden durch die Anzahl der Hüllen-Elektronen bestimmt (die identisch ist mit derjenigen der Protonen im Kern, der sogenannten Ordnungszahl Z), ihr Atomgewicht hingegen durch die Anzahl der Protonen und Neutronen. Kerne eines bestimmten Elements können unterschiedlich viele Neutronen aufweisen; es gibt also verschiedene Isotope, die chemisch identisch sind, sich aber in der Nukleonenzahl und mithin im Atomgewicht unterscheiden. Während leichte Kerne ungefähr gleich viele Protonen und Neutronen enthalten, weisen schwerere einen Überschuß an Neutronen auf.
Manche Isotope sind weniger stabil als andere, und durch radioaktiven Zerfall können sie in stabilere Konfigurationen übergehen. Dies geschieht entweder durch Abspalten eines Alpha-Teilchens (eines Heliumkerns) oder durch Umwandeln eines Neutrons in ein Proton, wobei ein Elektron und ein Antineutrino aus dem Kern herausgeschleudert werden. Beide Prozesse – Alpha- beziehungsweise Beta-Zerfall genannt – verändern die Protonenzahl des Kerns; es entsteht demnach ein anderes Element, das seinerseits instabil sein und weiter zerfallen kann.
Elementsynthese durch Neutroneneinfang
Dieses grundlegend neue Verständnis vom Aufbau der Atome leitete eine zweite Phase der Kernphysik ein, die Neutronenperiode der Elementsynthese (Bild 2). Neutronen können ungehindert in den Atomkern eindringen und dabei Kernumwandlungen auslösen. Dies hatte der italienische Physiker Enrico Fermi (1901 bis 1954) bereits kurz nach der Entdeckung dieser Teilchen durch seinen britischen Fachkollegen James Chadwick (1891 bis 1974) im Jahre 1932 erkannt. Durch Absorption eines Neutrons und anschließenden Beta-Zerfall gewinnt der Kern ein Proton – ein Element mit der nächsthöheren Ordnungszahl entsteht.
Fermi schlug 1934 vor, auf diese Weise Elemente zu erzeugen, die schwerer sind als Uran (Z = 92). Mehrere Forschergruppen griffen seine Idee auf. In Berlin beispielsweise begannen die Physikerin Lise Meitner (1878 bis 1968) zusammen mit den Chemikern Otto Hahn (1879 bis 1968) und Fritz Straßmann (1902 bis 1980) nach solchen Transuranen zu suchen, indem sie Uran mit Neutronen aus einer damals üblichen Radium-Beryllium-Quelle bestrahlten und die Reaktionsprodukte radiochemisch analysierten. Hahn und Straßmann vermochten im Dezember 1938 zu zeigen, daß bei diesen Versuchen Barium (Z = 56) entstand. Die im Sommer jenes Jahres nach Schweden emigrierte Lise Meitner und ihr Neffe, der Physiker Otto Frisch (1904 bis 1979), deuteten diesen Befund richtig: Anstatt ein schwereres Element zu bilden, spaltete der Urankern unter dem Beschuß mit langsamen Neutronen in zwei leichtere Bruchstücke.
Der Umstand, daß bei der Spaltung von Urankernen eine große Energiemenge und auch im Mittel etwa zwei Neutronen freigesetzt werden, die weitere Spaltvorgänge auslösen können, ermöglichte den Bau von Reaktoren, in denen dieser Prozeß kontrolliert abläuft – aber auch von nuklearen Sprengsätzen und Bomben, die mit einer lawinenartig anwachsenden Kettenreaktion der Spaltungen detonieren und eine bis dahin ungeahnte Zerstörungskraft entwickeln.
Trotz des für die damaligen Physiker überraschenden Phänomens der Kernspaltung erwies sich Fermis Idee der Elementsynthese durch Neutroneneinfang als richtig. Die starken Neutronenflüsse von Kernreaktoren und von Teilchenbeschleunigern erlaubten die Erzeugung der ersten Transurane. Neutronen lassen sich zwar, weil sie keine Ladungen tragen, nicht direkt beschleunigen; doch entstehen sie in Kernreaktionen, wenn man beispielsweise Deuteronen – Kerne von schwerem Wasserstoff, die aus je einem Proton und Neutron bestehen – auf Berylliumkerne schießt, die sich daraufhin in Bor umwandeln und schnelle Neutronen freisetzen.
Eine besondere Rolle spielte das 1931 von dem Physiker Ernest O. Lawrence (1901 bis 1958) an der Universität von Kalifornien in Berkeley entwickelte Zyklotron. Bereits 1937 wiesen Emilio Segré (1905 bis 1989) und seine Mitarbeiter in Rom in einer Molybdän-Probe, die mit diesem Gerät mit Deuteronen bestrahlt worden war, das erste nur künstlich darstellbare Element, Technetium (Tc, Z = 43) nach. Edwin McMillan (1907 bis 1991) und Philip H. Abelson entdeckten 1940 in Berkeley in einer mit Neutronen bestrahlten Uran-Probe das erste Transuran: Neptunium (Np, Z = 93). Im folgenden Jahr fand eine von Glenn T. Seaborg geleitete Arbeitsgruppe im selben Labor das nächsthöhere Element Plutonium (Pu, Z = 94).
Nachdem Fermi und Leo Szilard (1898 bis 1964) mit ihren Mitarbeitern 1942 den ersten Kernreaktor errichtet hatten, ließ sich Plutonium in größeren Mengen produzieren. Durch dessen Bestrahlung mit Neutronen, Deuteronen oder Alpha-Teilchen hoffte man weitere Transurane synthetisieren zu können. Schwierigkeiten bereitete jedoch der chemische Nachweis. Der Durchbruch gelang erst, als Seaborg zeigte, daß die Transurane Mitglieder einer neuen Familie von chemisch den Lanthaniden ähnlichen Elementen, den Actiniden, sind. Im Jahre 1944 schließlich konnte seine Arbeitsgruppe Americium (Am, Z = 95) und Curium (Cm, Z = 96) nachweisen.
Zwei Isotope dieser neuen Elemente – Americium-241 und Curium-242 – wurden nun in genügend großer Menge in einem Reaktor erbrütet und im Zyklotron mit Alpha-Teilchen bestrahlt. Dabei bildeten sich zwei neue Elemente, die im Dezember 1949 und im Februar 1950 radiochemisch isoliert werden konnten: Berkelium (Bk, Z = 97) und Californium (Cf, Z = 98).
Hatte man bisher stets systematisch nach neuen Transuranen gesucht, entdeckte man die beiden nächsten Elemente Einsteinium (Es, Z = 99) und Fermium (Fm, Z = 100) auf unerwartete Weise – im Fallout der experimentellen Wasserstoffbomben-Explosion "Mike", welche die USA im November 1952 im Pazifik zündeten: Wissenschaftler aus dem Argonne-Nationallaboratorium in der Nähe von Chicago sowie aus Berkeley, darunter auch diesmal Seaborg und Albert Ghiorso, untersuchten Staubproben, die von Flugzeugen in Luftfiltern aufgesammelt worden waren. Der immens hohe Neutronenfluß der Fusionsreaktion hatte extrem neutronenreiche Urankerne gebildet, die durch sukzessiven Beta-Zerfall rasch in Elemente jenseits von Californium zerfallen waren.
Alle acht dieser Transurane konnten mit der von Fermi vorgeschlagenen Kombination von Neutroneneinfang und Beta-Zerfall in wägbaren Mengen hergestellt werden. Der Weltvorrat an Plutonium beträgt heute mehrere tausend Tonnen, der von Fermium allerdings nur einige billionstel Gramm (etwa 1010 Atome). Dies ist nun nicht nur das seltenste Element, das sich durch Neutronenbestrahlung synthetisieren läßt, sondern zugleich das schwerste: Keines seiner Isotope vermag sich durch Beta-Zerfall in ein Element noch höherer Ordnungszahl umzuwandeln. Zur Herstellung von Transfermium-Elementen scheidet folglich Neutronenbeschuß aus – schwerere Projektile mußten her.
Ionenbeschleuniger
Es bot sich an, die schwersten Actiniden in Hochflußreaktoren in ausreichender Menge zu erbrüten und sie dann im Beschleuniger mit Ionen – vom Alpha-Teilchen bis zum Sauerstoff – zu beschießen. Dies stellte jedoch neue Herausforderungen an die Experimentiertechnik, denn die Fusion zweier geladener Kerne hat gegenüber dem Neutroneneinfang erhebliche praktische Nachteile.
Zunächst einmal muß die elektrostatische Abstoßung zwischen den Kernen, die sogenannte Coulomb-Barriere, überwunden werden; dies gelingt nur, wenn die Stoßpartner zentral mit hoher Energie aufeinandertreffen. Zudem nimmt der Target-Kern beim Verschmelzen mit einem beschleunigten Ion eine sehr viel höhere Anregungsenergie auf als beim Absorbieren eines Neutrons. Diese kann er zwar durch Abdampfen eines oder mehrerer Neutronen abgeben; doch viel wahrscheinlicher ist, daß er spontan in zwei Bruchstücke zerplatzt. Die Chance der Bildung eines neuen Kerns ist demnach bei Fusionsreaktionen weit geringer als beim Neutroneneinfang.
Des weiteren sind Strahlen schwerer Ionen nicht mit derselben Intensität verfügbar wie Neutronen. Auch geben Ionen ihre Energie bereits in einer dünnen Materieschicht ab, so daß sich keine voluminösen Proben bestrahlen lassen; und wegen der hohen Energie der Projektile kann sich das Target bis zur Belastungsgrenze aufheizen.
Um solche Syntheseversuche durchzuführen, wurden nicht nur Zyklotrons weiterentwickelt, sondern auch erstmals Linearbeschleuniger gebaut. Weil die Experimente die schwersten Actiniden erforderten, konnten sie nur in den Kernwaffenstaaten durchgeführt werden, die über die entsprechenden Produktionsanlagen verfügten. Zwei Forschungsstätten beteiligten sich daran, die aber nicht nur wissenschaftliche, sondern in jener Zeit des Kalten Krieges auch politische Konkurrenten waren: die Universität von Kalifornien in Berkeley und das Vereinigte Institut für Kernforschung im russischen Dubna.
Bereits 1955 gelang es in Berkeley, durch Bestrahlen von lediglich 109 Atomen des Isotops Einsteinium-253 mit Alpha-Teilchen das Element Mendelevium (Md, Z = 101) zu erzeugen. Zur Bestätigung wurden erstmals radiochemische Verfahren eingesetzt, die noch einzelne Atome nachzuweisen vermögen. Mit schwereren Ionen als Projektilen wurden dann zwischen 1961 und 1974 in Berkeley und Dubna fünf weitere Elemente bis zur Ordnungszahl 106 synthetisiert: Nobelium (No, Z = 102), Lawrencium (Lr, Z = 103), Rutherfordium (Rf, Z = 104), Hahnium (Hn, Z = 105) und Seaborgium (Sg, Z = 106). Wie spannungsreich jene Zeit war zeigt sich auch daran, daß seither über die Priorität der Entdeckungen und die Namengebung gestritten wird (die hier angegebenen Namen entsprechen einer Empfehlung der American Chemical Society und sind noch immer nicht von der International Union of Pure and Applied Chemistry anerkannt).
Schalenstabilisierte Elemente
Aus theoretischer Sicht war bis Anfang der fünfziger Jahre eigentlich nicht zu erwarten gewesen, daß Elemente jenseits von Fermium synthetisiert werden könnten. Die damals akzeptierte Vorstellung, die aus einzelnen Nukleonen aufgebauten Atomkerne ließen sich wie aus Atomen bestehende Flüssigkeitströpfchen auffassen, beschrieb Effekte wie den Neutroneneinfang und die neutronen-induzierte Kernspaltung in zutreffender Weise. Doch sollten diesem Tröpfchenmodell zufolge Kerne mit höheren Ordnungszahlen als 100 spontan zerfallen.
Aus dem Umstand, daß für gewisse Protonenzahlen Z und Neutronenzahlen N besonders viele natürliche Kerne zu beobachten sind, hatten Otto Haxel und Hans E. Suess von der Universität Heidelberg geschlossen, daß deren Bindungsenergie erhöht sein müsse. Ähnliches war von der Atomhülle her bekannt, wo quantenmechanische Effekte die Elektronen veranlassen, verschiedene Energieschalen einzunehmen – diese Struktur drückt sich gerade in der speziellen Anordnung der Elemente im Periodensystem und in der besonderen Stabilität der Edelgase gegenüber chemischen Reaktionen aus.
In Analogie dazu entwickelten die aus Deutschland stammende Physikerin Maria Goeppert-Mayer (1906 bis 1972) vom Argonne-Nationallaboratorium der USA sowie unabhängig von ihr Hans D. Jensen (1907 bis 1973) von der Universität Heidelberg das Schalenmodell des Atomkerns (wofür ihnen 1963 der Nobelpreis für Physik verliehen wurde). Sie erklärten, bei welchen Protonen- und Neutronenzahlen eine Schale vollständig besetzt ist. Dies ist für die Elemente Helium (Z = 2), Sauerstoff (Z = 8), Calcium (Z = 20), Nickel (Z = 28), Zinn (Z = 50) und Blei (Z = 82) der Fall sowie für die Kerne mit derselben Anzahl an Neutronen. Weitere Schalenabschlüsse sind späteren Modellrechnungen zufolge bei Z = 114 sowie bei N = 126 und N = 184 zu erwarten. Die stabilsten Kerne überhaupt sind die sogenannten doppelt magischen Isotope Helium-4 (Z = 2, N = 4), Sauerstoff-16 (Z = 8, N = 8), Calcium-40 (Z = 20, N = 20), Calcium-48 (Z = 20, N = 28) und Blei-208 (Z = 82, N = 126).
Der quantenmechanische Effekt der Schalenbildung bewirkt, daß Atomkerne stabiler sein können als nach dem Tröpfchenmodell zu erwarten. So schien es nach ausführlichen Rechnungen 1966 sogar möglich, daß weit jenseits der vom Tröpfchenmodell vorhergesagten Stabilitätsgrenze bei Fermium (Z = 100) eine sogenannte Insel der Stabilität existieren könnte. Ein dem Blei-208 ähnliche doppelt-magische Konfiguration wurde für das Isotop 298114 (Z =114, N = 184) erwartet. Damit war die Idee der überschweren Elemente formuliert, und Theoretiker machten sich begeistert daran, Stabilität und Eigenschaften dieser hypothetischen Kerne zu ermitteln.
Der Weg der GSI: Elementsynthese durch sanfte Fusion
In dieser Situation schlug Mitte der sechziger Jahre Christoph Schmelzer von der Universität Heidelberg vor, in Deutschland einen universell einsetzbaren Schwerionenbeschleuniger zu bauen. Mit dieser Anlage sollten auch alle Kernreaktionen, die zum Erzeugen der überschweren Elemente beitragen könnten, systematisch untersucht werden.
Die Chance der deutschen Kernphysiker, sich an diesen bisher von Wissenschaftlern in den USA und Rußland dominierten Forschungen zu beteiligen, kam im Dezember 1969 mit der Gründung der Gesellschaft für Schwerionenforschung (GSI) in Darmstadt. Im Jahre 1975 wurde dort der von Schmelzer konzipierte Schwerionenbeschleuniger UNILAC (Universal Linear Accelerator) in Betrieb genommen – das erste derartige Gerät, mit dem sich alle Ionen einschließlich des Urans auf eine kontinuierlich einstellbare Energie beschleunigen ließen.
Eines der Forschungsziele war, die prognostizierte Insel überschwerer Elemente zu erreichen, die vom Kontinent der bekannten Isotope sozusagen durch einen Sumpf spontan spaltender Kerne im Bereich Z = 104 bis 112 getrennt sein sollte. Doch der Pfad dorthin mußte erst gefunden werden. Wie stark sollte man die theoretischen Vorhersagen bei der Planung der experimentellen Methoden berücksichtigen? Ließen sich bewährte Verfahren übernehmen, oder sollte man besser neue Wege erkunden – mit dem Risiko, sich zu verlaufen oder erst viel später als die internationale Konkurrenz anzukommen?
Anfangs schien alles vielversprechend. Die hypothetischen überschweren Elemente sollten lange Halbwertszeiten vergleichbar denen von Uran oder Thorium und große Erzeugungsquerschnitte von etwa 10-25 Quadratzentimetern haben (siehe Kasten auf dieser Seite); damit wären sie in nennenswerter Menge herzustellen gewesen. Für die Chemie ergäben sich womöglich neue Verbindungen, für die Materialforschung neue Werkstoffe, für die Atomphysik neue Atome und für die Kerntechnik neue Brennstoffe. Große Erzeugungsquerschnitte würden langwierige Entwicklungen neuer Methoden erübrigen; Empfindlichkeit, Selektivität und Schnelligkeit der vorhandenen Experimentiertechnik schienen ausreichend.
Nach einiger Zeit weltweiter Suche und Experimenten am UNILAC war indes Anfang der achtziger Jahre klar geworden, daß die Erzeugung überschwerer Elemente schwierig ist und daß sie mit kurzen Halbwertszeiten zerfallen. Alle Versuche, sie durch Kernverschmelzung oder durch tiefinelastische Reaktionen zu synthetisieren oder sie gar in der Natur aufzuspüren, waren gescheitert. Um mit diesen Elementen Chemie treiben zu können, erwiesen sich die Halbwertszeiten als zu kurz und die Erzeugungsraten als zu gering. Für die Physik zeigte sich, daß alle in den Kernreaktionen entstehenden Verbundkerne so stark angeregt sind, daß sie spontan zerbrechen. In diesen heißen Erzeugungsprozessen kann sich nämlich keine Ordnung in der Kernstruktur einstellen, wie sie für eine Schalenstabilisierung erforderlich wäre; und bevor sich der aus der Verschmelzung von Projektil und Target gebildete Verbundkern durch sukzessives Abdampfen mehrerer Neutronen abzukühlen vermag, zerfällt er mit um viele Größenordnungen höherer Wahrscheinlichkeit in zwei leichtere Bruchstücke.
Doch schon 1974 hatten Juri Oganessian und sein Mitarbeiter Alexander Demin in Dubna eine bahnbrechende Entdeckung gemacht. Anstatt wie bisher die schwersten Actiniden mit relativ leichten Ionen zu bestrahlen, beschossen sie Targets aus Blei oder Bismut mit Argon-Ionen und konnten so Isotope von Fermium synthetisieren. Bei dieser Reaktion war – wie Oganessian sofort erkannte – die Anregungsenergie des entstehenden Verbundkerns erheblich geringer, so daß dieser zum Abkühlen nur noch zwei Neutronen abzudampfen brauchte; und weil mit jedem abzutrennenden Neutron weniger sich die Wahrscheinlichkeit einer Spaltung stark reduziert, überstehen weitaus mehr Kerne den Erzeugungsprozeß. Wegen der geringeren Aufheizung des Verbundkerns bei diesem Verfahren prägte man den Begriff der kalten oder sanften Fusion (die freilich nichts mit der vor wenigen Jahren diskutierten angeblichen Verschmelzung von Deuteriumkernen im Reagenzglas zu tun hat).
Damit war eine mögliche Strategie vorgezeichnet. Von Vorteil für die GSI war zudem, daß Blei und Bismut als natürliche Elemente ohne Probleme verfügbar waren. Die Institute in Berkeley und Dubna hingegen, die als einzige stets Zugang zu reaktor-erbrüteten schweren Actiniden hatten, vernachlässigten die sanfte Fusion, die sie eher als Kuriosum ansahen. Die amerikanischen Kollegen meinten sogar, dieses Verfahren ließe sich überhaupt nicht zur Synthese neuer Elemente nutzen, weil schwere Target-Projektil-Kombinationen wegen der hohen Coulomb-Barriere nur sehr schlecht fusionieren würden.
Im Rückblick erweisen sich drei weitere Umstände als maßgeblich für unseren Erfolg. Der UNILAC mit seiner Kette von Einzelresonatoren erlaubte als erste Anlage dieser Art, alle beliebigen Ionen als Projektile einzusetzen sowie ihre Energie in kleinen Stufen zu ändern und reproduzierbar einzustellen. Zudem stand mit dem von der GSI gemeinsam mit dem Zweiten Physikalischen Institut der Universität Gießen unter Leitung von Gottfried Münzenberg gebauten Geschwindigkeitsfilter SHIP (Separator for Heavy Ion Reaction Products) ab 1975 genau das richtige Gerät zum Nachweis von Fusionsprodukten zur Verfügung. Deren eindeutige Identifizierung ermöglichte schließlich eine spezielle Korrelationstechnik.
Unabdingbar zur Identifizierung eines neuen überschweren Elements ist eine schnelle und eindeutige Zuordnung der gemessenen Aktivität. Bei herkömmlichen Verfahren war die zum Transport zwischen Entstehungsort und Nachweisapparatur benötigte Zeit durch Strömungsgeschwindigkeiten der Reaktionsprodukte in Gasen, deren Diffusionszeiten aus Festkörperoberflächen oder durch Drehgeschwindigkeiten von Rädern, die als Fänger für Reaktionsprodukte dienten und sie an Detektorstationen vorbeidrehten, bestimmt. Kürzere Trennzeiten lassen sich jedoch erreichen, wenn man die hohe Fluggeschwindigkeit von einigen Prozent der Lichtgeschwindigkeit nutzt, die den Kernreaktionsprodukten bei der Fusion infolge des Rückstoßes aufgeprägt wird.
Bereits in den sechziger Jahren – also vor Gründung der GSI – waren an den Forschungsreaktoren in Garching und in Jülich sowie am Institut Laue-Langevin in Grenoble neuartige Spektrometer zur Trennung von Spaltprodukten eingesetzt worden. Diese Erfahrungen im Bau großer Rückstoßspektrometer mit Ablenkkomponenten aus elektrischen und magnetischen Feldern konnten nun in die Entwicklung unseres Geschwindigkeitsfilters für Fusionsprodukte einfließen. Die mit SHIP erreichten Trennzeiten ergeben sich aus den Flugzeiten durch das Spektrometer und betragen weniger als 10-6 Sekunden.
Die Reaktionsprodukte fliegen bei der Fusion wegen der Impulserhaltung im Stoß mit eindeutiger Geschwindigkeit in Strahlrichtung; die Fusionskinematik begrenzt sie auf einen kleinen Raumwinkelbereich, was für die experimentelle Analyse vorteilhaft ist. Allerdings müssen besondere Vorkehrungen getroffen werden, um die seltenen Fusionsprodukte – von denen etwa eines pro Woche entsteht – von der Flut der Projektile im Strahl zu trennen, von denen immerhin pro Sekunde etwa 3 × 1012 in dieselbe Richtung fliegen. Durch Kopplung von zwei Ablenkstufen reduziert SHIP die Zahl der Projektile und der aller anderen Kernreaktionsprodukte um einen Faktor 1011 auf wenige Ereignisse pro Sekunde. Die gewünschten Fusionsprodukte erreichen hingegen den Fokus des Spektrometers fast verlustfrei mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 40 Prozent; dies ist insbesondere deshalb möglich, weil die durch sanfte Fusion gebildeten Verbundkerne lediglich ein Neutron abdampfen und dadurch nur eine geringe Impulsaufweitung erfahren.
SHIP erwies sich als ideales Instrument, den Fusionsprozeß an sich und die dabei entstehenden Nuklide nachzuweisen. Kurze Halbwertszeiten der Fusionsprodukte waren kein Problem. Durch Entwicklung eines rotierenden Targetsystems am Eingang des Geschwindigkeitsfilters wurde es möglich, die starken Ströme des UNILAC-Strahls tatsächlich zu nutzen. Durch entsprechende Detektorsysteme am Ausgang von SHIP hat sich die Empfindlichkeit noch um Größenordnungen steigern lassen (Bild 4).
Die Geschwindigkeit aller schweren Teilchen wird nach der doppelten Selektion im Spektrometer noch einmal mit einer Laufzeitanordnung am Ausgang von SHIP gemessen. Anschließend werden sie in einen Silicium-Sperrschichtzähler implantiert, der ihre Energie und ihren Auftreffort registriert. Die Kombination von Flugzeit- und Energiemessung ermöglicht eine grobe Massenbestimmung, die jedoch ausreicht, Projektile, Target-Rückstoßkerne und Fusionsprodukte zu unterscheiden. Es lassen sich noch Wirkungsquerschnitte von 10-31 Quadratzentimetern messen, ohne daß man auf Zerfallseigenschaften zurückgreifen müßte. Nur wenige in der Kernphysik eingesetzte Spektrometer haben diese Empfindlichkeit erreicht.
Zur Identifizierung eines Isotops sind dessen Zerfallseigenschaften mit den vorher sortierten und als Fusionsprodukte eingeordneten Kandidaten zu korrelieren. Alpha-Zerfälle oder Spontanspaltung der im Silicium-Detektor implantierten Kerne werden nach Ort, Zeit und Energie vermessen. Korrelierte Zerfälle eines implantierten Mutterkerns haben gleiche Ortskoordinaten im Zähler; je kürzer die Halbwertszeiten, desto eindeutiger ist die Korrelation.
Diese Methode ist eine Art Uhr, die Halbwertszeiten von wenigen Mikrosekunden bis zu vielen Minuten – über neun Größenordnungen hinweg – zu bestimmen gestattet. Der Zerfall eines neuen, bisher unbekannten Isotops muß eindeutig korreliert sein mit den bekannten Eigenschaften nachfolgender Generationen. Wir haben Zerfallsketten bis zur sechsten Generation beobachten können. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein solches Ereignis zufällig ist, läßt sich aus den bekannten Untergrundraten der Zähler berechnen; es ergeben sich Zufallswahrscheinlichkeiten von weniger als 10-16 – dies bedeutet, daß man bei einem registrierten Ereignis pro Tag etwa 1000 Weltenalter lang warten müßte, damit es einmal zufällig aufträte.
Die Entdeckung der Elemente 107, 108 und 109
Mit der Korrelationstechnik vermochte unsere Arbeitsgruppe bereits 1980 überzeugend zu bestätigen, daß die sanfte Fusion funktioniert: Beim Beschuß von Blei-208 mit Titan-50 entstand der Verbundkern 258104, der sich durch Emission nur eines Neutrons in das bereits bekannte Rutherfordium-257 umwandelte. Dieser Nachweis überzeugte alle bisherigen Skeptiker, daß Abregung durch ein einzelnes Neutron möglich ist – nur glaubte kaum jemand, daß diese Methode noch weiter führen würde.
Doch in den nachfolgenden vier Jahren gelang es unserer Gruppe mit Gottfried Münzenberg, Fritz-Peter Heßberger, Sigurd Hofmann, Matti E. Leino, Willibrord Reisdorf, Karl-Heinz Schmidt und mir, die Elemente 107, 108 und 109 eindeutig nachzuweisen.
Zunächst hatten wir uns an die Synthese von Element 107 gemacht (inzwischen zu Ehren des dänischen Physikers Niels Bohr, der das moderne Atommodell begründete, Nielsbohrium genannt). Dazu waren lange Vorarbeiten erforderlich. Helmut Folger und seine Gruppe entwickelte eine spezielle Target-Technologie: Extrem dünne Schichten aus Bismut-209 wurden auf einem Rad befestigt, das synchron zum gepulsten Ionenstrahl mit etwa tausend Umdrehungen pro Minuten rotierte, damit sich die durch die auftreffenden Ionen deponierte Wärme auf eine größere Fläche verteilen konnte (Bild 4 links). Nachdem Schmidt die Korrelationstechnik entwickelt und an bekannten Alpha-Strahlern getestet hatte und Hofmann ein ortsempfindliches Silicium-Detektorsystem konstruiert hatte, stand bereits 1978 das Nachweissystem fest (Bild 4 rechts). Dessen hohe Ortsauflösung erlaubte die exakte Zuordnung von Zerfällen zum Mutterkern und die Energieauflösung ihre Identifikation durch Vergleich der gemessenen Zerfallsenergien und Lebensdauern mit den entsprechenden Daten bereits bekannter Nuklide.
Als Projektile verwendeten wir Chrom-54 (Z = 24). Weil es nur einen Anteil von 2,4 Prozent am natürlich vorkommenden Isotopengemisch hat, mußte es angereichert werden. Wegen des hohen Preises hatten wir lediglich Material für ein Experiment, das etwa zwei Wochen dauern sollte. Wir hofften auf etwa ein Ereignis pro Tag.
Am 24. Februar 1981 war es soweit: Über die Alpha-Zerfallsketten vermochten wir den ersten Kern des Elements 107 nachzuweisen (Bild 5 und Kasten Seite 62) – 42 Jahre nach Entdeckung des Franciums und nach zwischenzeitlich 16 in den USA entdeckten Elementen war erstmals wieder ein neues Element in Europa identifiziert worden. Mit Eisen-58 (Z = 26), das je zwei Protonen und Neutronen mehr hat als Chrom-54, und wiederum einem Bismut-209-Target erzeugten wir 18 Monate später das Element 109 (mittlerweile zu Ehren der Physikerin Lise Meitner Meitnerium genannt), das wir anhand einer einzigen Zerfallskette identifizierten. Erst 1988 wagten wir einen neuen Versuch und konnten unseren Fund bestätigen.
Warum hatten wir Element 108 übersprungen? Es gab gute Gründe dafür. Damals hielt sich noch die Legende vom Sumpf der Spontanspaltung zwischen den bekannten und jenen überschweren Elementen, die eine Insel der Stabilität bilden sollten. Kerne mit ungeraden Protonen- und Neutronenzahlen wie Nielsbohrium-262 (Z = 107, N = 155) und Meitnerium-266 (Z = 109, N = 157) sollten gegen Spontanspaltung stärker stabilisiert sein als Kerne mit geraden Nukleonenzahlen. Dies hätte bedeutet, daß Element 108 mit kurzer Halbwertszeit spalten würde und unsere Nachweistechnik dann zu langsam gewesen wäre.
Diese Vorstellung geriet erst ins Wanken, als Demin und seine Mitarbeiter in Dubna 1983 zeigten, daß sich Experimente zur Synthese von Seaborgium (Z = 106) nur unter der Annahme verstehen ließen, daß alle erzeugten Isotope dieses Elements Alpha-Emitter seien und die beobachtete Spontanspaltung auf die Tochter-Isotope von Rutherfordium (Z = 104) zurückzuführen sei. In einem nachfolgenden Experiment vermochten wir dies zu bestätigen: Die Isotope Seaborgium-259, -260 und -261 spalteten nicht spontan, sondern zerfielen jeweils durch Aussenden eines Alpha-Teilchens.
Endgültig zerstört wurde die Legende vom Sumpf der Spontanspaltung, als wir am 14. März 1984 das Element 108 entdeckten (nach der lateinischen Bezeichnung Hassia für das Bundesland Hessen, in dem die GSI ihren Sitz hat, Hassium genannt). Und zwar wiesen wir drei Kerne des Isotops Hassium-265 über Alpha-Zerfallsketten nach, die bei Nobelium-253 enden. Auch Seaborgium-260 (Z = 106, N = 154) und Hassium-264 (Z = 108, N = 156) erwiesen sich als Alpha-Strahler, waren also stabiler gegen Spontanspaltung als die Isotope des Elements Rutherfordium. Dies ließ sich nur durch hohe Schalenenergien erklären, die ihren Grundzustand energetisch absenken.
Die Elemente Nielsbohrium, Hassium und Meitnerium hätten als Flüssigkeitströpfchen keinerlei Stabilität. Allein die quantenmechanische Ordnung ihrer Nukleonen auf diskreten Energieniveaus schützt sie vor Spontanspaltung; sie haben hohe Spaltbarrieren. Das war eine für die überschweren Elemente um 298114 vorhergesagte Eigenschaft. Auch die Alpha-Zerfallsketten, die in Spontanspaltung enden, deuten auf zunehmende Stabilität gegen Spontanspaltung hin, wie für die hypothetische Insel der Stabilität kennzeichnend. Die Hinweise verdichteten sich, daß wir bereits drei Mitglieder der überschweren Elemente gefunden hatten, auch wenn ihre Halbwertszeiten vorerst nur einige Millisekunden betrugen.
Der Grund für die unerwartete Stabilität bereits im Bereich Z = 107 bis 109 wurde bald nach den Experimenten gefunden. Erste Berechnungen der Schalenenergien der Isotope im ehemaligen Sumpf der Spontanspaltung ergaben, daß diese Kerne nicht kugelförmig, sondern deformiert sind wie ein kleines Faß mit abgerundeten Kanten. Infolgedessen spalten sich Energieniveaus, die bei sphärischer Symmetrie des Kerns mehrfach von Nukleonen besetzt sind, in mehrere Unterniveaus auf; ein Teil wird zu höheren Energien angehoben, ein anderer zu niedrigeren abgesenkt. Diese Aufspaltung verschiebt sich mit der Deformation des Kerns. Dies hat zur Folge, daß die Schalenenergie für einen leicht deformierten Kern kleiner sein kann als für einen sphärischen, was höhere Stabilität bewirkt.
Die Entdeckung der Elemente 110, 111 und 112
Die GSI begann 1988, ein neues Beschleunigersystem zu bauen, und der UNILAC lieferte in den folgenden vier Jahren keine Schwerionenstrahlen für die Elementsynthese. Wollten wir nach noch schwereren Elementen suchen, mußten wir diese Zeit nutzen und die Empfindlichkeit unseres gesamten experimentellen Apparats erhöhen, denn die Bildungswahrscheinlichkeit der Kerne nimmt mit der Ordnungszahl ab. Zwischen Nobelium (Z = 102) und Meitnerium (Z = 109) sank sie von Element zu Element um den Faktor 3,5 (Bild 7 links). Die mittlere Produktionsrate für Meitnerium hatte bei einem Atom in zwei Wochen Strahlbetrieb gelegen.
Gab es mit der sanften Fusion überhaupt noch eine weitere Chance? Die Forscher in Berkeley und Dubna waren zu den Actiniden-Bestrahlungen zurückgekehrt, ohne Konsequenzen aus unseren bisherigen Versuchen zu ziehen. Deshalb erwuchs uns in dieser Zeit keine Konkurrenz. Durch verschiedene konstruktive Änderungen konnten wir die Strahlintensität des UNILAC auf das Dreifache erhöhen; gleiche Steigerungen erreichten wir für die Empfindlichkeit von SHIP und seinen Detektoren.
In der Zwischenzeit hatte sich die Zusammensetzung unseres Teams geändert: Außer Hofmann, Münzenberg, Heßberger, Folger, Leino und mir arbeiteten nun Viktor Ninov und Hans-Joachim Schött sowie Andrej G. Popeko, Alexander V. Yeremin und Andrej N. Andreyev vom Kernforschungszentrum Dubna und Stefan Saro und Rudolf Janik von der Comenius-Universität in Bratislawa (Slowakei) mit.
Als wir 1993 den Betrieb wieder aufnahmen, war unser Experiment für die Messung von Erzeugungsquerschnitten unter 10-36 Quadratzentimetern gerüstet; und nach der langen Pause bekamen wir großzügig Strahlzeiten zugeteilt. Tests mit Argon-40- und Titan-50-Strahlen begannen, wobei die jeweils leichtesten Isotope von Mendelevium und Rutherfordium entdeckt und untersucht wurden. Um die richtige Energie für die geplante Synthese des Elements 110 extrapolieren zu können, führten wir Vorversuche durch, unter anderem auch mit der Fusion von Eisen-58 mit Blei-208. Der Erfolg unserer apparativen Verbesserungen war offensichtlich: Von Hassium ließen sich anstelle der drei bei seiner Entdeckung gefundenen Zerfallsketten nun 75 registrieren.
Am 9. November 1994 konnten wir schließlich – nach mehr als zehnjähriger Pause – erneut ein bis dahin unbekanntes Element identifizieren: Bei der Verschmelzung von Nickel-62 mit Blei-208 hatte sich der entstehende Verbundkern durch Abdampfen eines Neutrons in das Isotop 269110 umgewandelt, das über seine Zerfallskette, die nur bereits bekannte Tochternuklide enthielt, nachzuweisen war (Bild 5; vergleiche auch Spektrum der Wissenschaft, Januar 1995, Seite 21); es wurden vier derartige Ereignisse registriert. Des weiteren lieferte die Fusion des schwersten stabilen Nickel-Isotops, Ni-64, mit Blei-208 insgesamt neun Zerfallsketten von 271110, dessen Tochternuklide ebenfalls alle bekannt waren. Der Erzeugungsquerschnitt dieser Reaktion betrug 15 × 10-36 Quadratzentimeter und war damit gegenüber der Produktion von 269110 vierfach höher.
Kurz darauf – am 17. Dezember 1994, dem 25. Gründungsjubiläum der GSI – wurde Element 111 entdeckt, als wir Bismut-209 mit Nickel-64 bestrahlten; drei Zerfallsketten des Isotops 272111 ließen sich nachweisen (Spektrum der Wissenschaft, März 1995, Seite 30). Identifiziert wurde es über die vierte und fünfte Zerfallsgeneration Hahnium-260 und Lawrencium-256. Die Halbwertszeiten der neuen Isotope Meitnerium-268 und Nielsbohrium-264 in der Kette sind erwartungsgemäß länger als die der bis dahin bekannten leichteren Isotope dieser Elemente (Bild 6). Die Halbwertszeit von 272111 selbst beträgt 1,5 Millisekunden; der Erzeugungsquerschnitt für dieses Isotop war auf 3,5 × 10-36 Quadratzentimeter gesunken.
Ein weiteres Experiment planten wir mit dem neutronenreicheren Projektil Zink-70 – in der Hoffnung, daß sich die Erhöhung des Erzeugungsquerschnitts, den wir beim Übergang von Nickel-62 auf Nickel-64 beobachtet hatten, wiederholen ließ. Vorversuche mit Eisen-58- und Nickel-64-Projektilen erlaubten, die erforderliche Energie für die Fusion von Zink-70 mit Blei-208 abzuschätzen. Im Februar 1996 – 100 Jahre nach Becquerels bahnbrechender Beobachtung der natürlichen Radioaktivität und 15 Jahre nach der Entdeckung unseres ersten künstlichen Elements Nielsbohrium – identifizierten wir schließlich in zwei Zerfallsketten das Element 112 (Spektrum der Wissenschaft, April 1996, Seite 17). Der Erzeugungsquerschnitt war mit 1 × 10-36 Quadratzentimetern allerdings sehr gering.
Das Isotop 277112 zerfiel unter sukzessiver Emission von sechs Alpha-Teilchen in Fermium-253. Während die drei letzten Glieder in dieser längsten bisher beobachteten Kette bekannt waren, wurden dabei erstmals auch 273110 und Hassium-269 nachgewiesen. Diese Zerfallskette war auch die erste, die über die abgeschlossene Schale mit 162 Neutronen hinüberführte. Daß dabei eine Stabilisierung auftritt, ist an der wesentlich größeren Halbwertszeit des Zwischenkerns Hassium-269 (der 161 Neutronen enthält) zu erkennen; auch die starke Abnahme der Energie des von ihm emittierten Alpha-Teilchens ist immer dann zu beobachten, wenn eine Schale überschritten worden ist.
Was haben wir gelernt, wie geht es weiter?
Von den Elementen oberhalb von Rutherfordium (Z = 104) sind mittlerweile 27 Isotope bekannt; davon wurden 19 in Darmstadt, fünf in Berkeley und drei in Dubna synthetisiert (Bild 6). Fast alle sind Alpha-Emitter, also stärker gegen Spontanspaltung stabilisiert als die Isotope von Rutherfordium und Nobelium (Z = 102). Ihren Nachweis verdanken wir der inneren Struktur ihrer Kerne: Die quantenmechanische Ordnung des Nukleonensystems senkt die Energie des Grundzustands ab, so daß zusätzliche Bindungsenergie gewonnen werden kann. Ohne diese Schalenstabilisierung könnten sie nicht existieren.
Die bei der GSI entdeckten Elemente zeigen alle Eigenschaften, die man in den sechziger Jahren den überschweren Elementen zugeschrieben hatte. Daß sie diesen wirklich zuzurechnen sind, wird durch neuere Berechnungen der Eigenschaften ihres Grundzustands voll gestützt. Anstelle eines Sumpfes der Spontanspaltung, der die bekannten Elemente von einer Insel der Stabilität bei noch höheren Protonen- und Neutronenzahlen trennt, haben wir eine schmale Furt gefunden und sie vom Festland der stabilen Kerne kommend betreten.
Den Rechnungen zufolge erstreckt sich von Z = 107 bis 124 und N = 154 bis 185 eine Region mit mehr als 300 schalenstabilisierten Kernen, die als Kerntröpfchen ungebunden wären (Bild 1). In der Nähe von Hassium-270 entlang der Neutronenzahl N = 162 sind alle Kerne fäßchenförmig deformiert; der experimentelle Nachweis dieser Deformation steht allerdings noch aus. Um die Neutronenzahl N = 170 nehmen die Kerne wieder kugelförmige Gestalt an. Es gibt demnach deformierte leichtere und sphärische schwerere Isotope ein und desselben überschweren Elements. Die letzteren dürften für Elemente jenseits von Z = 110 längere Halbwertszeiten aufweisen. Wegen ihrer hohen Neutronenzahlen sind sie jedoch mittels Fusion stabiler Isotope schwer erreichbar. Alle Syntheseversuche blieben bisher erfolglos.
Das Erzeugen der Elemente 113 und 114 wird mühsam sein; es ist zu erwarten, daß die Bildungsquerschnitte im Vergleich zu den bisherigen Synthesereaktionen weiter sinken. In den beiden kommenden Jahren werden wir versuchen, das Isotop 278113 durch Fusion von Zink-70 mit Bismut-209 und das Isotop 283114 durch Verschmelzen von Germanium-76 mit Blei-208 zu synthetisieren. Wir haben uns auf Meßzeiten von mehreren Monaten einzustellen, wobei selbst dann für Element 114 nicht mehr als ein Atom zu erwarten wäre.
Bei welchem Element die sanfte Fusion schließlich versagen wird ist offen. Das Gebiet der überschweren Elemente ist jedoch gefunden, auch wenn es anders aussieht als 1966 vermutet. Erstmals liegt das zentrale Element 114 in Reichweite. Es dreißig Jahre nach seiner Postulierung zu erzeugen wäre ein grandioser Erfolg der Kernstrukturphysik.
Literaturhinweise
- The Velocity Filter SHIP, a Separator for Unslowed Heavy-Ion Fusion Products. Von G. Münzenberg, W. Faust, S. Hofmann, P. Armbruster, K. Güttner und H. Ewald in: Nuclear Instruments and Methods, Band 161, Seiten 65 bis 82, 1979.
– On the Production of Heavy Elements by Cold Fusion. The Elements 106 to 109. Von Peter Armbruster in: Annual Review of Nuclear and Particle Science, Band 35, Seiten 135 bis 195, 1985.
– Die schalenstabilisierten schwersten Elemente. Von Peter Armbruster und Gottfried Münzenberg in: Spektrum der Wissenschaft, September 1988, Seiten 42 bis 52.
– Neue radioaktive Zerfallsarten. Von Walter Greiner und Aurel Sandulescu in: Spektrum der Wissenschaft, Mai 1990, Seiten 62 bis 71.
– Recent Advances in the Discovery of Transuranium Elements. Von Gottfried Münzenberg in: Reports on Progress in Physics, Band 51, Heft 1, Seiten 57 bis 104, 1988.
– The Elements Beyond Uranium. Von G. T. Seaborg und W. D. Loveland. John Wiley and Sons, 1990.
– Schwerionenforschung. Von Rudolf Bock, Günter Herrmann und Günter Siegert. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993.
– Chemistry of the Transactinide Elements. Von M. Schädel in: Radiochimica Acta, Band 70/71, Seiten 207 bis 223, 1995.
– Moderne Alchemie. Die Jagd nach den schwersten Elementen. Von Gottfried Münzenberg und Matthias Schädel. Vieweg, Braunschweig 1996.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1996, Seite 54
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