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Die USA und der Rest der Welt

Die Vereinigten Staaten sind in den meisten Wissenschaftsdisziplinen führend; doch die europäischen Länder haben sich durch besondere Strukturen des Forschungsmanagements Kernkompetenzen aufgebaut.


Der Leistungsdruck ist nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Forschung immens. Während sich aber ökonomischer Erfolg von Unternehmen direkt aus den Bilanzen ablesen läßt, gibt es kein einfaches objektives und quantitatives Maß für die Qualität oder die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeit – weder auf der Ebene des individuellen Forschers, noch auf der von Forschungsinstitutionen oder gar von Ländern.

Aber gerade in Zeiten knapper Finanzmittel, des zunehmenden Konkurrenzdrucks und des ebenfalls stärker werdenden internationalen Wettbewerbs werden aussagefähige Indikatoren zur Bewertung der wissenschaftlichen Leistung benötigt. Um solche zu erhalten, macht man sich häufig die Mechanismen des Wissenschaftssystems – und die Möglichkeiten moderner Datenverarbeitung – zunutze: Wissenschaftler pflegen ihre Ergebnisse in Fachveröffentlichungen ihren Kollegen zur Kenntnis zu bringen; erachten diese die Resultate für wichtig genug, werden sie sich in Folgeveröffentlichungen darauf beziehen, indem sie die genauen bibliographischen Angaben in ihre Referenzenliste aufnehmen. Je größer die Wirkung einer Publikation in einem Fachgebiet ist, desto häufiger wird sie wohl zitiert werden – so jedenfalls die Annahme. Sofern man gewisse Vorsicht bei der Interpretation solcher Daten walten läßt, kann man die Anzahl der Zitierungen als direktes Maß für die Resonanz, also die Wirkung einer Publikation unter den Fachkollegen des Autors, ansehen.

Jede Studie, die bibliometrische Leistungsindikatoren errechnet, stützt sich auf die Datenbank des Institute for Scientific Information (ISI) in Philadelphia (Pennsylvania): eine umfassende, fachübergreifende Sammlung bibliographischer Daten aus etwa 8000 Fachzeitschriften. Im Gegensatz zu anderen Literatur-Datenbanken sind in ihr neben den üblichen Angaben zu Autoren, Titel, Quelle und Kurzfassung des Inhalts einer Veröffentlichung auch alle darin angegebenen Literaturverweise erfaßt. Die ISI-Datenbank erlaubt somit zum Beispiel das Aufsuchen aller Publikationen, die auf eine bestimmte Veröffentlichung eines Wissenschaftlers oder eines Instituts hinweisen.

Diese einzigartige Datenbasis hat nun Jonathan Adams von der Universität Leeds (England) genutzt, um eine Rangliste der in der Forschung führenden Nationen zu erstellen – fein säuberlich aufgeschlüsselt nach einzelnen Disziplinen ("Nature", Bd. 396, S. 615). Seine Studie, die von einer englischen Forschungsförderungsorganisation in Auftrag gegeben wurde, sollte die relativen Stärken und Schwächen in der Forschungsleistung verschiedener Länder identifizieren; verglichen wurden die Daten von England (wegen des Sitzes des Auftraggebers), Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan und den Vereinigten Staaten. Des weiteren sollte aufgezeigt werden, inwieweit die Unterschiede in der wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit der Länder auf Unterschiede im Forschungssystem und Forschungsmanagement zurückzufüh-ren sind.

Für eine Reihe von Fachgebieten und den Publikationszeitraum 1988 bis 1996 suchten Adams und seine Kollegen alle Veröffentlichungen aus der ISI-Datenbank heraus, die aus einem der zu untersuchenden Länder eingereicht worden waren, und verglichen deren Anzahl mit derjenigen aller erfaßten Publikationen aus diesen Disziplinen. Dadurch erhielten sie ein Maß für die relative wissenschaftliche Aktivität eines Landes, ausgedrückt als nationaler Anteil am weltweiten Aufkommen an Veröffentlichungen in dem jeweils betrachteten Fachgebiet. Als weitere Meßgröße wurde die Anzahl der Zitationen ermittelt, die auf die herausgesuchten Publikationen entfallen, und durch die Anzahl dieser Publikationen dividiert. Die so für jedes Land und Fachgebiet berechnete mittlere Zitierungszahl pro Veröffentlichung eignet sich ebenfalls zum internationalen Vergleich.

Für jedes der sieben untersuchten Länder und insgesamt 47 Fachgebiete errechneten die Autoren der Studie ein relatives Resonanzmaß für die wissenschaftliche Aktivität (Tabelle auf S. 108); je höher der Wert, desto größer die Wirkung in dieser Disziplin verglichen mit anderen Ländern. Es fällt auf, daß sich für die Vereinigten Staaten in fast allen Fachgebieten hohe Resonanzmaße ergeben; in 35 von ihnen erreichen die USA den höchsten Wert, in neun weiteren nehmen sie Platz 2 ein. Dieses gute Abschneiden ist zum Teil darauf zurückzuführen, daß etwa die Hälfte aller wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den USA stammt, was selbstverständlich nicht ohne Einfluß auf den weltweiten Mittelwert bleibt, auf den das jeweilige Resonanzmaß bezogen ist.

Wenngleich Japan nach den USA die zweithöchste Anzahl an Fachveröffentlichungen aufzuweisen hat, verzeichnet es praktisch in allen Fachgebieten die schlechtesten Resonanzmaße. Dies ist ein starkes Indiz dafür, daß das fernöstliche Land durchaus wichtige Beiträge für die Grundlagenforschung leistet, diese von der internationalen Forschergemeinde aber kaum wahrgenommen werden.

England rangiert zwar in der Regel hinter den USA, doch zeigt die Tabelle, daß die Kernkompetenzen in den Naturwissenschaften und der Biomedizin liegen. In diesen Disziplinen sind die Resonanzmaße größer als die von anderen europäischen Ländern.

Deutschland liegt mit einem mittleren Resonanzmaß von 0,82 in diesem Ländervergleich nur an fünfter Stelle. Aber auch hier lassen sich einige Fachbereiche identifizieren, in denen die Wirkung auf die internationale Forschergemeinschaft besonders hoch ist: allen voran die Angewandte Mathematik, gefolgt von den Agrarwissenschaften, der Physik sowie von einigen ingenieur- und materialwissenschaftlichen Disziplinen. Zu diesem hohen Stellenwert einiger Fachgebiete dürfte die besondere Infrastruktur mit Sonderforschungsbereichen, Großforschungszentren und anderen außeruniversitären Einrichtungen wie etwa der Max-Planck-Gesellschaft in erheblichem Maße beitragen.

Trotz eines relativ geringen Anteils von Frankreich an der Gesamtzahl der erfaßten Publikationen fällt eine Kernkompetenz in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern auf. Möglicherweise gibt es hier wie in Deutschland einen "Management-Effekt", der in diesem Falle der Forschungsbehörde CNRS zuzurechnen wäre. Die Autoren halten es für überlegenswert, daß Frankreich, Deutschland und England ihr spezielles Know-how stärker austauschen, um so die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern.

Zitierungsanalysen wie die hier vorgestellte sind vermutlich nie frei von systematischen Fehlern, welche die Interpretation erschweren. Nach Meinung der Autoren der Studie sollte aber zumindest der Gebrauch des Englischen in den Fachpublikationen sich nicht besonders nachteilig auf die untersuchten Länder auswirken, in denen Englisch nicht Muttersprache ist. Inwieweit andere Faktoren wie zum Beispiel Zitierungsgewohnheiten die Aussagekraft solcher Analysen beeinträchtigen, ist Gegenstand vieler Diskussionen und weitergehender Forschungen. Wie aber hier das Beispiel Japan belegt, können bibliometrische Indikatoren keine Hinweise auf die Qualität der Forschung liefern, sondern sie gestatten nur Aussagen über die Wirkung, welche die Publikationen unter Forscherkollegen erzielen


Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1999, Seite 107
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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