Die Vermessung der Raumzeit mit Supernovae
Weit entfernte explodierende Sterne weisen darauf hin, daß die Expansion des Universums beschleunigt sein könnte – als Wirkung einer neuen rätselhaften Energieform, die der Schwerkraft entgegen wirkt.
Vor ungefähr fünf Milliarden Jah-ren explodierte ein ausgebrannter Stern in einer Galaxie, die ebensoviele Lichtjahre von unserem Milchstraßensystem entfernt ist. Innerhalb von Tagen steigerte er seine Leuchtkraft um das Milliardenfache. Die freigesetzten Lichtteilchen – Photonen – sandten die Information vom Untergang des Sterns in alle Richtungen des Weltalls. Ein winziger Bruchteil von ihnen erreichte die Erde. Da wir den Vier-Meter-Spiegel des Blanco-Teleskops am Cerro Tololo Inter-American Observatory in Chile zufällig richtig orientiert hatten, konnten wir während einer zehnminütigen Belichtung einige dieser Photonen einfangen.
Eine elektronische CCD-Kamera registrierte sie zusammen mit dem Licht anderer Himmelskörper. Ein mit der Kamera verbundener Computer verwandelte die digitale Information in ein Bild, das wir auf einem Monitor betrachten konnten. Auf dem Bildschirm entdeckten wir einen neuen Lichtpunkt – nicht sehr eindrucksvoll, jedoch ein aufregender neuer Punkt zur Vermessung der kosmischen Raumzeit.
Wir und andere Kollegen registrierten weltweit einige Dutzend solcher Supernovae (Sternexplosionen) und suchten daraus die globale Struktur des Universums und die Chronologie seiner Expansion zu vermessen. Was dabei herausgekommen ist, steht im Widerspruch zu Jahrzehnte älteren Überzeugungen der Astronomen und läßt sich in zwei Thesen zusammenfassen: Das Weltall scheint größer und leerer zu sein als bisher angenommen; und seine Expansionsrate verringert sich nicht so stark wie bislang geglaubt – vielleicht nimmt sie sogar zu.
Wie stark expandiert das Weltall, und wie hat sich die Expansionsrate im Laufe der kosmischen Geschichte verändert? Diesen Fragen gehen die Astronomen fast seit Beginn des 20. Jahrhunderts mit großem Aufwand nach. Denn sie betreffen die Geometrie des Universums sowie seine Inhalte: Materie, Strahlung und möglicherweise noch weitere Formen von Energie.
Daß die Forscher sich schon so lange damit abmühen, liegt an der Schwierigkeit der Beobachtungen – die zugrunde liegenden Naturgesetze sind nämlich relativ einfach: Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein bestimmt die kosmische Energie- und Materiedichte die Geometrie des Universums; diese wiederum legt fest, wie sich Licht und Materie bewegen – zum Beispiel Galaxien, die von den Astronomen beobachtet werden können.
Einstein veröffentlichte seine Theorie im Jahre 1916. Bis dahin glaubten die allermeisten Wissenschaftler an ein statisches Weltall. Sogar Einstein selbst, dessen Theorie kein Universum konstanter Größe zuließ, traute seinen Gleichungen zunächst nicht. Daraufhin führte er die "kosmologische Konstante" ein, eine Art Antischwerkraft, welche die Anziehung der Gravitation zwischen den Galaxien ausgleichen und so ein statisches Universum herbeiführen kann.
Durch Messungen, die Edwin P. Hubble am kalifornischen Hale-Observatorium und andere Astronomen vornahmen, war eindeutig bewiesen, daß sich nahezu alle Galaxien von uns fortbewegen. Die Forscher bestimmten die Geschwindigkeiten der Galaxien durch Spektralzerlegung ihres Lichtes. Charakteristische Linien darin erschienen aufgrund des Doppler-Effektes zum längerwelligen (roten) Bereich hin verschoben – ähnlich wie die Hupe eines sich entfernenden Autos tiefer klingt als die eines parkenden. Noch heute messen die Astronomen die kosmische Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxie durch spektrale Bestimmung der Rotverschiebung.
Obwohl diese kosmische Rotverschiebung dem Doppler-Effekt zugeschrieben wird, so sind es in diesem Fall nicht die Galaxien, die sich bewegen. Vielmehr ist es – wie es auch Einsteins Theorie für einen expandierenden Kosmos vorhersagt, der die Galaxien mit sich führt – der Raum selbst, der expandiert. Die Rotverschiebung wäre dann zu interpretieren als von der Expansion des Raumes hervorgerufene Dehnung der Lichtwellen, die um so stärker ausfällt, je länger das Licht unterwegs ist, also je entfernter die Galaxie ist. Als Hubble diesen Befund 1929 durch neue Entfernungsmessungen untermauerte, setzte sich die Erkenntnis eines gleichmäßig expandierenden Universums in der Fachwelt durch. Das Verhältnis aus Fluchtgeschwindigkeit und Entfernung, das für alle beobachteten Galaxien etwa gleich war, erhielt den Namen Hubble-Konstante.
Später, als sich das Bild vom expandierenden Kosmos durchgesetzt hatte, verwarf Einstein die kosmologische Konstante wieder. In den zwanziger Jahren reichte die Beobachtungstechnik lediglich dazu aus, die kosmische Expansion im relativ nahen Universum zu messen. Die fernsten beobachtbaren Galaxien waren nur einige Millionen Lichtjahre weit weg, und das Universum expandierte in dem entsprechenden Zeitraum nur um einen winzigen Bruchteil seiner Gesamtgröße. Damit war also kein tiefer Blick in die kosmische Vergangenheit möglich, und die Astronomen konnten nicht feststellen, ob sich die Expansionsrate – also die Hubble-Konstante – mit der Zeit ändert.
Doch schon früh vermuteten die Forscher, daß für sehr viel weiter entfernte Galaxien das Verhältnis aus Fluchtgeschwindigkeit und Entfernung nicht mehr konstant ist. Dafür gibt es zwei mögliche Gründe: Erstens kann die Expansion früher schneller oder langsamer verlaufen sein, und zweitens kann auch die Krümmung der Raumzeit die Entfernungsskala verzerren. Um diese Effekte zu messen, müssen die Astronomen allerdings Galaxien beobachten, die einige Milliarden Lichtjahre weit weg sind. Hubble und seine Zeitgenossen schätzten die Entfernung der Galaxien ab, indem sie annahmen, diese Objekte hätten alle in etwa dieselbe Größe und dieselbe Leuchtkraft. Ein scheinbar kleines lichtschwaches Sternsystem wurde also als weiter entfernt angenommen als ein großes helles. Da Galaxien jedoch in vielen unterschiedlichen Typen vorkommen, ist diese Methode recht ungenau.
Sternexplosionenals Entfernungsmesser
Sie versagt sogar vollkommen für sehr weit entfernte Sternsysteme, bei denen man in eine frühere kosmische Epoche blickt. Denn die Größen und Leuchtkräfte der Galaxien verändern sich im Laufe der kosmischen Entwicklung. Das Hauptproblem der kosmischen Entfernungsbestimmung ist es also, geeignete "Standardkerzen" zu finden, deren Leuchtkraft besser bekannt ist. Zudem müssen sie hell genug sein, damit man sie auch noch in sehr großen Entfernungen nachweisen kann. Vor zwanzig Jahren begannen die Astronomen Quasare – sehr helle, explodierende Galaxienkerne, vermutlich mit Schwarzen Löchern in ihrem Zentrum – hinsichtlich ihrer Eignung als Standardkerzen zu prüfen.
Aber die Quasare erwiesen sich als noch vielfältiger als die Galaxien und waren darum für die Zwecke der Entfernungsbestimmung kaum zu gebrauchen. Etwa zeitgleich mit der Untersuchung der Quasare begannen andere Forscher mit Hilfe von Supernovae als Standardkerzen den Kosmos zu vermessen. Dieses Vorgehen war umstritten, denn auch diese explodierenden Sterne zeigen stark unterschiedliche Eigenschaften. Intensive Beobachtungen und theoretische Modellrechnungen – auch durch die Mitglieder unseres Teams – offenbarten dann jedoch eine vielversprechende Methode: Alle Supernovae vom sogenannten Typ Ia haben offenbar nahezu die gleiche Leuchtkraft.
Was ist eine Typ-Ia-Supernova? Während im allgemeinen auch einzelne Sterne als Supernovae explodieren können, ereignen sich die des Typs Ia ausschließlich in Doppelsternsystemen: Ihr Vorgänger ist ein normaler Stern, der in seinem Inneren Wasserstoff durch Kernfusion in Helium, Kohlen- und Sauerstoff sowie in Neon und andere Elemente umgewandelt hat. Wenn der nukleare Ofen erloschen ist, schrumpft der ausgebrannte Kern unter seiner eigenen Schwerkraft. So bildet sich im Inneren des Sterns eine etwa erdgroße, extrem heiße Kugel mit millionenfach höherer Dichte als gewöhnliche Materie.
Danach bläst dieser heiße Zentralkörper die umgebende Gashülle fort, und ein kompakter sogenannter Weißer Zwerg entsteht. Den meisten solcher stellaren Winzlinge steht nun ein langsames, unspektakuläres Ende bevor: Sie werden im Laufe von Milliarden Jahren immer kühler und leuchtschwächer. Ist einer von ihnen jedoch Teil eines engen Doppelsternsystems, so kann von seinem Partnerstern weiterhin Materie überströmen. Er sammelt dann unter Umständen soviel Masse an, bis diese einen kritischen Wert erreicht und in einem nuklearen Feuersturm zu einem noch viel kompakteren Objekt kollabiert: einem Neutronenstern. Dabei zerreißt es den Zwergstern, und er schleudert seine äußeren Schichten mit Geschwindigkeiten von etwa 10000 Kilometern pro Sekunde ins All.
Die Leuchtkraft des Feuerballs steigert sich etwa drei Wochen lang, bis sie ein Maximum erreicht und dann über Monate hinweg abfällt. Die Maximalleuchtkraft dieses Supernova-Typs variiert nur wenig, denn es ist immer dieselbe kritische Masse, bei welcher der Kollaps einsetzt, und damit auch dieselbe Energie, die frei wird. Dennoch gibt es ein Verhaltensmuster: Die etwas helleren Sternexplosionen leuchten ein wenig länger. Indem die Astronomen also die Dauer einer Supernova registrieren, können sie die Unterschiede herauskorrigieren und die Leuchtkraft bis auf 12 Prozent Genauigkeit berechnen. Aufgrund der detaillierten Beobachtungen naher Supernovae des Ia-Typs mit den modernsten Teleskopen gelang es den Forschern während der vergangenen zehn Jahre, diese Himmelsblitze zu den zuverlässigsten kosmologischen Standardkerzen zu machen.
Im Mittel leuchtet in jeder Galaxie nur etwa alle 300 Jahre eine Supernova des Typs Ia auf. Man muß also lange warten, bis sich in einer bestimmten Galaxie – zum Beispiel unserem Milchstraßensystem – solch eine Explosion ereignet. Überwacht ein Astronom jedoch regelmäßig ein paar tausend Galaxien, so kann er etwa jeden Monat ein Ereignis entdecken – vorausgesetzt, das Wetter ist gut. Insgesamt enthält das Universum so viele Galaxien, daß alle paar Sekunden eine von der Erde aus beobachtbare Supernova des Typs Ia zündet – die Himmelsforscher müssen sie nur entdecken und dann sorgfältig weiter verfolgen.
Suche nach den Todessternen
Zwei Forschungsgruppen waren mit dieser Arbeit über die letzten beiden Jahre rundum beschäftigt: unser "High-Z-Team" (z ist das physikalische Symbol für die Rotverschiebung), ein lockerer Zusammenschluß, den Brian P. Schmidt von den australischen Mount Stromlo and Siding Spring Observatories im Jahre 1995 gründete, sowie das Supernova Cosmology Project, das 1988 seine Arbeit aufnahm und von Saul Perlmutter vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien geleitet wird.
Obwohl beide Teams unabhängig voneinander arbeiten, verwenden sie die gleiche Technik: großflächige elektronische Detektoren an Großteleskopen, mit denen man digitale Aufnahmen relativ großer Himmelsareale erhält. Die etwa am Vier-Meter-Spiegel des Blanco-Teleskops auf dem Cerro Tololo in den chilenischen Anden eingesetzte Big Throughput Camera, die Gary M. Bernstein von der Universität Michigan und J. Anthony Tyson von der Firma Lucent Technologies entwickelt haben, benutzten sogar schon beide Teams. Eine Aufnahme damit fängt einen Himmelsausschnitt von der Größe des Vollmonds ein und registriert bei zehn Minuten Belichtungszeit das Licht von etwa 5000 Galaxien.
Die Suche nach einer Supernova ist im Prinzip einfach: Alle paar Wochen wiederholen wir die Aufnahme eines Bildfeldes und suchen nach Veränderungen, indem wir die digitalen Bilder im Computer voneinander subtrahieren. Eine Supernova erscheint dann als einzelnes sternförmiges Objekt vor einem ansonsten leeren Hintergrund. Zum Glück bietet der Cerro Tololo am Fuße der Anden fast immer klaren Himmel, denn er liegt am südlichen Rand der Atacama-Wüste, einer der trockensten Regionen der Erde. So können wir praktisch bei jeder Meßkampagne neue Supernovae entdecken. Daher beantragen wir für solche Aktionen schon im voraus weltweit Beobachtungszeit an einer Reihe anderer Observatorien, so daß dort Folgemessungen starten können, bevor die jeweilige Leuchterscheinung wieder verschwindet.
Die Suche nach Supernova-Ausbrüchen am Himmel löst daher auch auf der Erde einen enormen Ausbruch astronomischer Aktivitäten aus. Während jeder Kampagne müssen hunderte großformatige digitale Bilder so schnell wie möglich mit früheren Aufnahmen verglichen werden. Dazu bemächtigen wir uns auf dem Cerro-Tololo-Oberservatorium aller verfügbaren Computer, bereinigen zunächst die Einzelbilder von Fehlern, korrigieren ihre Orientierung und Pixelgröße, jagen sie durch Rechenprogramme, um die unterschiedliche Durchlässigkeit und Turbulenz der Atmosphäre zu berücksichtigen und subtrahieren schließlich paarweise die alten von den neuen Aufnahmen.
Neben einem unvermeidlichen statistischen Rauschen erscheinen in den Differenzbildern die Veränderungen am Himmel: unverhofft aufgetauchte Asteroiden, veränderliche Sterne oder Quasare – und, in seltenen Fällen, auch Supernovae. Unsere Software bestimmt die Himmelspositionen der neuen Objekte und versucht, diese auch zu klassifizieren. Aber die automatisch ablaufenden Tests arbeiten nicht völlig perfekt, so daß wir alle Objekte auch noch persönlich in Augenschein nehmen müssen, um unter den Supernova-Kandidaten die echten herauszufischen. Dies muß alles schnell gehen, da andere Teleskope ohne große Verzögerung die Weiterbeobachtung aufnehmen sollen. Während solcher Meßkampagnen ist unsere Sternwarte rund um die Uhr ein Hochleistungszentrum für Astronomen und ihre Studenten.
Im nächsten Schritt peilen wir die Supernova-Kandidaten mit den derzeit größten optischen Spiegeln der Welt an, etwa mit dem Zehn-Meter-Keck-Teleskop auf Hawaii, um die zugehörigen, meist sehr lichtschwachen Galaxien zu spektroskopieren und damit deren Rotverschiebungen zu bestimmen. So können wir ihre Entfernungen und Leuchtkräfte abschätzen, was unerläßlich ist, um darunter die besten Supernova-Kandidaten des Typs Ia herauszufiltern.
Andere Mitglieder unserer Teams vermessen dann an Teleskopen in Australien, Chile und den USA die sogenannte Lichtkurve eines Kandidaten: Die Beobachtungen ziehen sich über Monate hin, in denen die Helligkeit zunächst zu- und dann allmählich wieder abnimmt (Kasten auf Seite 45). Erst nach diesem Helligkeitsabfall kann die Wirtsgalaxie der Supernova fotografiert werden. Unsere besten Aufnahmen stammen vom Hubble-Weltraumteleskop, das ungestört von der irdischen Atmosphäre beobachten kann. Diese Aufnahme verwenden wir, um in jedem Bild der Serie das Licht der Galaxie zu subtrahieren. Erst so läßt sich die tatsächliche Lichtkurve der Supernova ermitteln.
Raumkrümmung beeinflußt Supernova-Helligkeiten
Beide Teams haben bisher erst wenige Typ-Ia-Supernovae beobachtet, die wirklich sehr weit entfernt sind: Diese explodierten vor vier bis sieben Milliarden Jahren, als das Universum erst die Hälfte bis zwei Drittel seines jetzigen Alters erreicht hatte. Ein Befund überraschte uns alle: Die Supernovae waren weniger hell als erwartet. Zwar im Mittel nur um 25 Prozent, doch reichte dies bereits, um die bisherigen kosmologischen Annahmen in Frage zu stellen. Noch bevor die beiden Forschergruppen solch dramatische Schlußfolgerungen zogen, suchten sie nach weniger aufregenden Erklärungsmöglichkeiten:
l Hatte eventuell Staub längs der Lichtwege die Strahlung der Supernovae abgeschwächt? Das konnten wir ausschließen, denn der Staub müßte – ähnlich der atmosphärischen Wirkung auf die tiefstehende Sonne – zugleich eine Rötung der Supernovae hervorrufen, die wir aber nicht feststellen konnten. Zudem sollte der im Kosmos unregelmäßig verteilte Staub von Lichtweg zu Lichtweg sehr unterschiedlich wirken. Eine entsprechende Variation in den Messungen haben wir ebenfalls nicht gefunden.
l Verringerte vielleicht eine spezielle Art des Gravitationslinseneffektes, nämlich die Verformung der Lichtbündel durch die Schwerkraft der am Lichtweg liegenden Galaxienhaufen, die Helligkeiten? Dies konnten wir ebenso ausschließen. Theoretische Modelle zeigten nämlich, daß der Gravitationslinseneffekt erst bei noch größeren Entfernungen zu deutlichen Lichtschwächungen führen kann.
l Unterscheiden sich – als dritte Option – entferntere Supernovae durch ihre inneren Eigenschaften systematisch von näheren, etwa, weil sich die Sterne in der Frühzeit des Universums noch nicht so stark mit schweren Elementen anreichern konnten? Obwohl wir diese Möglichkeit nicht ausschließen können, versuchen wir diesen Effekt bereits in unseren Korrekturen zu berücksichtigen.
Da keine dieser Hypothesen mit den neuen Beobachtungen im Einklang steht, sind wir und viele andere Wissenschaftler inzwischen der Meinung, daß tatsächlich die Struktur des Kosmos selbst, seine Raumzeit, für die unerwartet geringen Helligkeiten ferner Supernovae verantwortlich ist. Dabei könnten zwei Eigenschaften von Raum und Zeit eine Rolle spielen.
Erstens könnte der dreidimensionale Raum eine "negative Krümmung" aufweisen. Solche Raumkrümmungen lassen sich leichter im Zweidimensionalen, also bei Flächen, vorstellen. Für Lebewesen in einer völlig "flachen" Ebene (wie die Bewohner in dem Roman "Flächenland" von Edwin A. Abott) würde ein Kreis mit dem Radius r einen Umfang von exakt 2PIr haben. Eine leichte Deformation dieser Ebene in eine Sattelfläche – eine Fläche mit negativer Krümmung – würde diesen Kreisumfang vergrößern: Darauf wäre der Umfang eines Kreises mit Radius r größer als 2PIr. Bewohner von Sattelland würden diesen Umstand bemerken, sobald sie den Umfang eines Kreises mit einem bestimmten Radius vermaßen.
Die meisten Kosmologen glaubten bisher aus den verschiedensten theoretischen Gründen, daß unser dreidimensionaler Raum, ähnlich wie Flächenland, nicht gekrümmt sei. Wäre er aber leicht negativ gekrümmt, würde sich der Lichtblitz einer Supernova aus der Frühzeit des Universums auf einer Kugel mit größerer Fläche verteilen als in einem flachen Raum – die Supernova erschiene mithin lichtschwächer. Ein zweiter Grund für die unerwartet niedrigen Supernova-Helligkeiten könnte sein, daß diese Objekte weiter entfernt sind, als ihre Rotverschiebungen es nahelegen. Andersherum gesagt: Supernovae in dieser großen Entfernung haben vielleicht kleinere Rotverschiebungen als erwartet. Das könnte daran liegen, daß das All früher langsamer expandierte, als die Kosmologen bisher dachten. Die Dehnung der Lichtwellen wäre geringer gewesen, und zugehörigen Galaxien hätten trotz ihrer großen Entfernungen relativ geringe Rotverschiebungen.
Die Kraft des Vakuums
Welche Ursache könnte es haben, wenn sich die Expansionsbewegung des Weltalls weniger rasch verlangsamt als erwartet? Falls das Universum mit gewöhnlicher Materie gefüllt wäre, dann verlangsamte sich aufgrund der Gravitation die Expansionsrate kontinuierlich. Eine etwas geringere Expansions- beziehungsweise Verzögerungsrate in der Vergangenheit, wie es die Supernova-Helligkeiten nahelegen, ist also nur bei einer niedrigeren Materiedichte möglich. Obwohl diese Schlußfolgerung einige Vorstellungen der Theoretiker unterminiert, deckt sie sich mit anderen Beobachtungen. Die ältesten Kugelsternhaufen in unserem Milchstraßensystem erscheinen nämlich älter, als es das bisher angenommene Weltalter zulassen würde – ein klares Ding der Unmöglichkeit. Aber wenn als Konsequenz solch eines Expansionsverhaltens das Weltalter größer wäre als bisher vermutet, so könnte dies des Rätsels Lösung bedeuten. Die neuen Ergebnisse stehen auch im Einklang mit neueren Abschätzungen der in den Galaxienhaufen vorhandenen Masse (siehe "Die Entwicklung von Galaxienhaufen", Spektrum der Wissenschaft, Februar 1999, Seite 64).
Was bedeutet die neue Beurteilung der kosmischen Materiedichte für die Raumkrümmung? Nach der Allgemeinen Relativitätstheorie sind die Materiedichte und die Krümmung des Raumes miteinander verknüpft. Der früher an der Universität Princeton (New Jersey) lehrende Physiker John A. Wheeler beschreibt dies folgendermaßen: Die Materie diktiert, wie sich die Raumzeit krümmt, und die Raumzeit diktiert, wie sich die Materie bewegen muß. Unterschreitet die kosmische Materiedichte einen bestimmten Grenzwert, so bedeutet dies eine negative Raumkrümmung sowie eine geringe Abbremsung des Universums.
Für die Supernova-Helligkeiten wirken beide Effekte in dieselbe Richtung: Die Explosionen erscheinen für uns auf der Erde schwächer. Im Grenzfall eines fast leeren Universums mit maximaler negativer Krümmung hätten beide Effekte beinahe ihren maximalen Wert. Die große Überraschung, welche unsere Beobachtungen auslösten, war, daß die Supernova-Helligkeiten noch geringer sind, als man es selbst für ein fast leeres Universum erwarten würde.
Auf den ersten Blick verlangen unsere Beobachtungen, daß sich die Expansion des Universums mit der Zeit sogar beschleunigt. Irgendeine Ursache mußte dafür gesorgt haben, daß die kosmische Expansionsrate früher kleiner war als heute. Dies kann, so vermuten die Kosmologen, an einer exotischen Form von Energie liegen, die das Vakuum des Universums gleichmäßig erfüllt. Diese sogenannte Vakuumenergie wirke, so behaupten die Theoretiker, genau umgekehrt wie die normale Gravitation, nämlich abstoßend – als eine Art Antischwerkraft.
Die Vakuumenergie des Weltalls führe so zu einer gravitativen Abstoßung und nicht zu einer gegenseitigen Anziehung wie bei den aus gewöhnlicher Materie aufgebauten Galaxien. Mit solch einer treibenden Kraft könne das Weltall mit wachsender Rate expandieren. In den Einsteinschen Gleichungen taucht die Vakuumenergie in Form der "kosmologischen Konstanten" auf, die Einstein einst selbst in seine Theorie einführte, später aber wieder verwarf (siehe den folgenden Artikel). Akzeptiert man diese seltsame Energieform, so lassen sich unsere Beobachtungen problemlos erklären – sogar unter Annahme einer flachen Raumzeit, wie es die Theorie der kosmischen Inflation fordert.
Dieser Beleg für eine seltsame Energieform, die sich mit einer abstoßenden Schwerkraft bemerkbar macht, ist wohl das wichtiges Ergebnis unserer Arbeit, das wir kaum erwarten konnten. Die Bedeutung für die Kosmologie ist sogar so weitreichend, daß wir und andere Astronomen weiterhin skeptisch sind. Zum Glück werden wir – etwa mit neuen Infrarotdetektoren und dem Next Generation Space Telescope, dem Nachfolger des Hubble-Weltraumteleskops – noch lichtschwächere Supernovae in noch ferneren Galaxien aufspüren. Dann können wir unsere Schlußfolgerungen mit noch größerer Genauigkeit und Aussagekraft testen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1999, Seite 38
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