Die Verpackungsverordnung: ein Experiment mit Folgen
Mit der Verpackungsverordnung von 1991 und der im gleichen Jahr gegründeten Entsorgungsgesellschaft Duales System Deutschland (DSD) hat ein abfallpolitisches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Großexperiment begonnen, das Wirtschaft und Endverbraucher bei Verkaufsverpackungen mit Kosten von mehr als 9 Milliarden Mark pro Jahr belastet (Bild 3). Insbesondere der Verbraucher muß mehrfach zahlen. Erstens werden die Lizenzentgelte, welche die Hersteller von Verpackungen für die Nutzung des Symbols Grüner Punkt entrichten müssen, in Höhe von jährlich mehr als 4 Milliarden Mark auf ihn abgewälzt; hinzu kommen die mit der Be- und Abrechung verbundenen administrativen Kosten der betroffenen Unternehmen in Höhe von mindestens 2 Milliarden Mark pro Jahr. Zweitens übernimmt der Verbraucher das Reinigen, Vorsortieren, Lagern und Transportieren der Verpackungsabfälle, wofür mehr als 3 Milliarden Mark im Jahr zu veranschlagen sind. Drittens wird er für sein Umweltbewußtsein noch auf eine andere Weise bestraft: Zwar verringert die gut gemeinte Abfalltrennung die Restmüllmengen; trotzdem erhöhen sich wegen der hohen und stetig steigenden Fixkosten von Deponien und Müllverbrennungsanlagen die Abfallgebühren.
Der Verbraucher vermag auf die versteckten Kosten nicht zu reagieren, weil er sie nicht zurückverfolgen kann: Er zahlt, ohne zu wissen, wie hoch die einzelne Verpackung durch Lizenzentgelte belastet ist, und wird somit zum blinden Erfüllungsgehilfen eines nicht transparenten Systems.
Welche umweltentlastenden Effekte stehen diesen hohen Kosten gegenüber? Unsere Analysen am Institut für angewandte Innovationsforschung (IAI) in Bochum zeigen, daß die Reduzierung des Verpackungsmaterials in den Jahren 1991 bis 1995 um 900000 Tonnen nicht oder nur zu einem sehr geringen Teil auf die Verpackungsverordnung beziehungsweise das Duale System zurückzuführen ist. Als viel bedeutsamere Ursachen erweisen sich in einer volkswirtschaftlichen Betrachtung die konjunkturelle Entwicklung oder die Veränderung von Bevölkerungsstrukturen und Konsumgewohnheiten. Und auf der betriebswirtschaftlichen Ebene gilt, daß die einzelnen Unternehmen im Streben nach Kostensenkung schon seit Jahrzehnten beständig am Verpackungsmaterial gespart haben – auch ohne Verpackungsverordnung (Bild 1).
Anders als von den Initiatoren geplant, hat das Lizenzentgelt keinen oder nur einen untergeordneten Einfluß auf die Entscheidung über Art und Umfang der Verpackung. Das Lizenzentgelt bietet den Herstellern, der abpackenden Industrie und dem Handel nur dann Anreize, Material zu reduzieren, wenn es nicht auf den Produktpreis aufgeschlagen werden kann. Wie Verpackungen gestaltet sind, orientiert sich in erster Linie an den Erfordernissen des zu verpackenden Produkts und dessen Marktgegebenheiten, also daran, was Käufer und Han-del erwarten. Einen Einfluß haben außerdem rechtlich verbindliche Vorschriften – wie zum Beispiel das Lebensmittelrecht – sowie die technischen Möglichkeiten der Ver-packungsmaschinen und -anlagen. Andere Behauptungen, die einen kausalen Zusammenhang zwischen Verpackungsverordnung und Dualem System einerseits und dem Einsatz von Verpackungsmaterial andererseits unterstellen, sind aus wissenschaftlicher Sicht nicht haltbar; es handelt sich eher um vorgeschobene Argumente mit dem Zweck, den Erhalt des Systems zu rechtfertigen.
Kommen wir zur Verwertung, dem eigentlichen Ziel des Dualen Systems. Seine flächendeckende Einführung und die hohe Sammel- und Sortierbereitschaft der Verbraucher haben zur Folge, daß die in der Verpackungsverordnung vorgegebenen Verwertungsquoten übererfüllt werden. Dabei ist freilich zu berücksichtigen, daß auch schon ohne ein Duales System 2,5 Millionen Tonnen Verpackungen aus Glas, Papier/Pappe/Karton und Weißblech verwertet wurden. Weil Sekundärrohstoffe und -produkte aus Kunststoff- sowie aus Verbundverpackungen nur beschränkt wettbewerbsfähig sind, scheint es zwar fraglich, ob haushaltsnahe Erfassungssysteme für diese Materialien ohne die Verpackungsverordnung eingerichtet worden wären. Dennoch kann es als sicher gelten, daß die Erfassungsmengen für Behälterglas und Verpackungen aus Papier, Pappe und Karton auch ohne die Verordnung und das Duale System angestiegen wären – nach unseren Berechnungen auf etwa 3,6 Millionen Tonnen im Jahre 1997. Die tatsächlich erfaßte Verpackungsmenge im Jahre 1997 betrug 5,6 Millionen Tonnen (Bild 2). Das Duale System konnte also netto etwa 2 Millionen Tonnen zusätzlich verbuchen. Gemessen an den Kosten von mehr als 9 Milliarden Mark, belastet jede zusätzlich durch das Duale System erfaßte Tonne die betroffenen Unternehmen und Verbraucher jedoch mit durchschnittlich mehr als 4400 Mark. Demgegenüber kostet beispielsweise die Abfallverbrennung in Müllheizkraftwerken nur zwischen 500 und 800 Mark pro Tonne.
Die hohen Kosten des Dualen Systems rühren zum einen daher, daß die Verpackungsverordnung gesetzlich zur flächendeckenden, haushaltsnahen Erfassung aller Verpackungsmaterialien verpflichtet; ein weiterer Grund ist die Vorgabe von Verwertungsquoten. Um die geradezu planwirtschaftlich anmutenden Vorschriften der Verordnung zu erfüllen, mußte man bis in den letzten Winkel Deutschlands Sammelsysteme einrichten, mit deren Hilfe auch Klein- und Kleinstverpackungen erfaßt werden konnten. Wegen des enormen Logistik- und Sortieraufwandes waren die vorgegebenen Quoten nur zu überproportional steigenden Kosten erfüllbar.
Aber auch die ökologischen Effekte eines solchen Systems sind mehr als fragwürdig. So werden beispielsweise nur etwa 70 Prozent vom Inhalt der gelben Säcke oder Tonnen verwertet; die restlichen 30 Prozent werden zwar zu einem hohen Preis mitgesammelt und sortiert, landen dann aber als Fehlwürfe und Sortierreste auf einer Deponie oder in einer Müllverbrennungsanlage.
Zudem sind die Erfassungsmengen angestiegen, obwohl Möglichkeiten zur Verwertung und Vermarktung fehlten. Dieser Sammel- und Sortierwahn im Dienste einer reinen Quotenerfüllung führte zu Qualitätseinbußen und einem Preisverfall auf dem Altpapiermarkt; die Sammelkosten für Altglas haben sich verdoppelt, und die Verwertung von Kunststoffen mußte von Anfang an mit hohen Beträgen subventioniert werden – etwa 515 Millionen Mark im Jahre 1996 (ohne Erfassung und Sortierung).
Die vorgeschriebene Flächendeckung hatte zudem den Effekt, daß Deutschland in regional abgegrenzte Entsorgungsmonopole aufgeteilt wurde. Die entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaften haben eine rechtlich abgesicherte Schlüsselrolle, denn die Verpackungsverordnung schreibt eine Abstimmungspflicht vor: Danach konnten die Entsorger ohne Zustimmung der Gebietskörperschaften kein Erfassungssystem im Rahmen des Dualen Systems einrichten. Wie in einem Monopoly-Spiel sicherten sich insbesondere Konzerne im Deal mit den Kommunen den Löwenanteil an lokalen Pfründen – und zwangen alle, sich ihrem System anzuschließen und es zu benutzen. Die Folgen sind eine Vielzahl unterschiedlicher Erfassungssysteme (zum Teil sogar innerhalb einer entsorgungspflichtigen Gebietskörperschaft selbst), über deren Effektivität und Effizienz Uneinigkeit herrscht, sowie undurchschaubare Kooperationen und Verfilzungen in den Gebietsmonopolen.
Um das Maß dieser lokalen Entsorgungszwangswirtschaften voll zu machen, verpflichtete das Bundesverwaltungsgericht den Bürger auch noch zur Fronarbeit. Es legte fest, daß einer Hausfrau zuzumuten ist, bepackt mit ihren Wertstoffen bis zu zwei Kilometer zur Sammelstelle zu laufen, um ihrer Bringpflicht nachzukommen.
Hinderlich für den Wettbewerb ist auch, daß die Leistungsverträge sehr langfristig, etwa auf zehn Jahre, angelegt sind – und dies in Kombination mit der Vertragsvergabe an Alleinauftragnehmer. Das Kartellamt unterband zwar den Versuch der DSD, außer den Verkaufsverpackungen im Privat- und Kleingewerbebereich auch die Aufbereitung von Transportverpackungen bei gewerblichen und industriellen Verbrauchern zu übernehmen, toleriert aber Gebietsmonopole und Materialkartelle.
Durch die Novellierung der Verpackungsverordnung und deren Verabschiedung von Bundesrat und Bundestag in diesem Sommer wurden die bestehenden planwirtschaftlichen Vorgaben festgeschrieben und teilweise sogar noch ausgebaut. Weil es angeblich keine Alternativen gibt und die Quantität des verwerteten Materials für den Erfolg des Dualen Systems spricht, hat der Gesetzgeber an Symptomen kuriert, ohne – was notwendig gewesen wäre – das Modell selbst zu überdenken.
Aus den bisherigen Fehlentwicklungen hat er dabei offensichtlich nicht viel gelernt: So werden in der Novelle Wettbewerbs-Alibis – wie zum Beispiel die Verpflichtung zur Ausschreibung der Entsorgungsleistungen – eingebaut, die das bestehende System letztlich nur festigen. Und mit der Vorschrift, mindestens 60 Prozent der insgesamt zu verwertenden Kunststoffverpackungen in Recycling-Kunststoffprodukte zu überführen, werden zwar die Ergebnisse der Ökobilanzstudien der Arbeitsgemeinschaft Kunststoffverwertung über unterschiedliche Verwertungswege aufgegriffen; danach ist dieses werkstoffliche Recycling bei sortenreinen Kunststoffen ökologisch vorteilhaft. Ignoriert wird aber die Tatsache, daß über 60 Prozent der im Rahmen des Dualen Systems sortierten Kunststoffverpackungen Mischkunststoffe sind, die derzeit – ökonomisch und ökologisch sinnvoll – überwiegend rohstofflich verwertet, das heißt in ihre chemischen Grundbausteine Öl und Gas zurückgeführt werden. Beim Ausbau der werkstofflichen Verwertung steigen somit allein die Kosten – ohne zusätzlichen ökologischen Gewinn.
Zugleich wird der gegenwärtige Versuch des Dualen Systems konterkariert, die Kosten mittels wirtschaftlicherer Verwertungsverfahren zu senken – etwa durch den Einsatz als Rohstoff im Hochofen. Ob für die Endprodukte der werkstofflichen Verwertung überhaupt ein Markt existiert, wird indes nicht überprüft. Auf Druck der EU-Kommission hin hat man zwar die Möglichkeit der – grundsätzlich sinnvollen – energetischen Verwertung in die Novelle neu aufgenommen; es bleibt aber abzuwarten, inwieweit sie sich durchsetzen wird, da es schon heute Überkapazitäten bei der Kunststoffverwertung gibt.
Angesichts der beschriebenen Fehlentwicklungen muß man sich heute kritisch fragen, bis zu welchem Grad ein Recycling gebrauchter Verkaufsverpackungen ökonomisch und ökologisch sinnvoll ist. Ein Vergleich der Grenzkosten des Dualen Systems mit denen der Müllverbrennung liefert eine erste Antwort (Bild 4): Aus ökonomischer Sicht beträgt eine sinnvolle Verwertungsquote etwa 65 Prozent (mit einer Fehlertoleranz von 5 Prozentpunkten nach oben und unten). Dies liegt nur 15 Prozent über der Menge, die auch ohne die Verpackungsverordnung getrennt gesammelt und stofflich wiederaufgearbeitet worden wäre (Bild 2). Für den verbleibenden Rest, darunter insbesondere Klein- und Kleinstverpackungen sowie Verbundmaterialien, ist die Müllverbrennung die wirtschaftlichere Alternative.
Zudem sind die Ergebnisse der erwähnten Ökobilanzen zu berücksichtigen. Danach ist die Müllverbrennung auch aus ökologischer Sicht eine durchaus beachtenswerte Option – insbesondere wenn es sich um Müllheizkraftwerke mit hohen Wirkungsgraden und guter Einbindung in Kraft- und Wärmeversorgungsnetze handelt.
Vor diesem Hintergrund ist dringend zu überprüfen, welche alternativen Verwertungswege für die einzelnen Materialien zu welchen Kosten und mit welchem ökologischen Nutzen existieren und welche Alternativen unter den bestehenden Voraussetzungen (vorhandene Anlagen, Finanzierungsmöglichkeiten, rechtliche Rahmenbedingungen) in einzelnen Entsorgungsregionen umsetzbar sind. Unter dem Strich stellt sich dann die Aufgabe, die ökonomischen und ökologischen Effekte der Alternativen abzuwägen und zu beurteilen.
Im Moment bleibt nur die ernüchternde Feststellung, daß das System, das auf der Grundlage der Verpackungsverordnung entstanden ist, die Entwicklung der Abfallbewirtschaftung in eine Richtung treibt, die zwar der Quotensicherung dient, aber ökologisch widersinnig und ökonomisch unsinnig ist – weil die gleiche Umweltentlastung auch mit dem halben Aufwand zu erreichen wäre.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 9 / 1998, Seite 76
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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