Hirnforschung: Die vielen Fassetten der Aufmerksamkeit
Nach einem anstrengenden Arbeitstag fährt Herr S. mit dem Auto nach Hause. Er nimmt seine übliche, vertraute Strecke und lässt im Geist noch einige Ereignisse des Tages Revue passieren. Plötzlich schrecken ihn Hupen und das Geräusch blockierender Räder auf. Er sieht gerade noch, wie ein Fahrzeug auf ihn zurast. Später wird ihm unerklärlich sein, wie er das Stoppschild und das andere Auto übersehen konnte. Vor Gericht wird man ihm vorwerfen, er habe dem Straßenverkehr nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt und sei schuld an dem Unfall.
Doch was heißt hier eigentlich "Aufmerksamkeit"? In den letzten Jahrzehnten hat sich bei Untersuchungen von Gesunden, von Heranwachsenden mit Aufmerksamkeitsstörungen und von hirngeschädigten Patienten gezeigt: Was wir alltagssprachlich als Aufmerksamkeit bezeichnen, setzt sich in Wirklichkeit aus mehreren voneinander unabhängigen Einzelleistungen unseres Gehirns zusammen. Entsprechend unterschiedlich können auch mögliche Einbußen ausfallen, denn jede dieser Komponenten kann für sich gestört sein, während andere intakt bleiben. Bis heute ist diese Erkenntnis allerdings weder in die gängigen diagnostischen Handbücher psychischer Störungen, das DSM-IV und den ICD-10, noch in die medizinischen Praxis eingegangen.
Eine zentrale Einzelleistung ist die Steuerung des Aufmerksamkeitsfelds – jenes Ausschnitts unserer Umgebung, auf den wir bewusst achten. Die Empfindlichkeit unseres Sehsystems passt sich den Umständen an. Erwarten wir beispielsweise, dass ein Auto von rechts im Gesichtsfeld auftauchen könnte, während wir die Augen geradeaus auf den Verkehr vor uns gerichtet halten, erhöhen wir willentlich die Sensibilität des Gehirns für Informationen im rechten Sehfeld...
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