Zusatzbeitrag: Die Zukunft wissenschaftlicher Kommunikation aus Sicht der Mathematik
Die Deutsche Mathematiker-Vereinigung schlägt eine Strukturierung des wissenschaftlichen Informationsangebots im Internet vor, damit sich jeder mühelos darin zurechtfindet.
"Das System ist zerbrochen", so kennzeichnete Keith Dennis von der Cornell-Universität in Ithaca (New York) das bisherige Zusammenspiel von Wissenschaftlern, Verlegern und Bibliothekaren bei Publikation und Verfügbarhalten der mathematischen Fachzeitschriften. Und nach Andrew Odlyzko von den Bell-Laboratorien in Murray Hill (New Jersey) steht "den traditionellen wissenschaftlichen Journalen der nahe Tod bevor".
Die starken Worte fielen auf der Konferenz über "Die Zukunft der mathematischen Kommunikation" vom 30. November bis zum 3. Dezember 1994, zu der das Mathematical Science Research Institute (MSRI) der Universität von Kalifornien in Berkeley eingeladen hatte. Praktisch alle bedeutenden wissenschaftlichen Einrichtungen, die im Umfeld des elektronischen Publizierens aktiv sind, hatten Vertreter entsandt, auch die Physiker-Vereinigungen und die Association for Computing Machinery (ACM), die nicht nur eine Berufsvereinigung der Computerwissenschaftler, sondern auch einer der größten Verleger wissenschaftlicher Computer-Literatur ist.
Die Konferenz selbst war ein großes und für die Mathematik völlig neuartiges Experiment: Sie wurde nicht nur auf Video aufgezeichnet; Teilnehmer aus aller Welt konnten sie über den sogenannten multicast backbone (MBone) im Internet live miterleben.
In der allgemeinen Aufbruchstimmung und der Begeisterung über die Fülle neuer Möglichkeiten (vergleiche den vorstehenden Artikel) gab es auch warnende Stimmen. Peter Lyman etwa, Chefbibliothekar (Dean of Libraries) der Universität von Kalifornien in Berkeley, brachte zahlreiche Gegenargumente:
Soziale Organisationsformen brauchten sehr viel Zeit, manchmal Jahrzehnte, um sich neuen Technologien anzupassen. E-mail verändere grundlegend den gesamten Entstehungsprozeß einer wissenschaftlichen Arbeit, deren Publikation nur ihren dokumentierenden Abschluß bildet. Fragen der Qualitätskontrolle und der Archivierung seien ungelöst und die gegenwärtigen Organisationsformen vorerst äußerst verletztlich.
Paul Ginspargs Preprint-Dienst ist noch immer nicht mehr als seine Freizeitbeschäftigung, so spektakulär der Erfolg in der Physik auch ist. Falls das Los-Alamos-Laboratorium sich entscheiden sollte, diesen Service nicht weiter anzubieten, oder Ginsparg den Server aus anderen Gründen abschaltet (wie es schon einmal geschehen ist), stünde die Hochenergiephysik, die sich von ihm in hohem Maße abhängig gemacht hat, ohne Literaturversorgung da.
Die Physiker stellen deshalb inzwischen Überlegungen an, den Preprint-Service durch Beteiligung weiterer Institutionen auf eine breitere Basis zu stellen. Die Amerikanische Physikalische Gesellschaft (APS) erwägt außerdem, Experimente mit einer Variante von Peer Review auf elektronischen Artikelsammlungen zu unterstützen. Jeder Physiker soll einfach per e-mail einen elektronischen Artikel kommentieren dürfen, und der Autor ist frei, den Kommentar mitzuveröffentlichen oder zu verschweigen. Das Fehlen eines veröffentlichten Kommentars hätte dann annähernd die Bedeutung einer Ablehnung. Offensichtlich bietet dieses System keinen Ersatz für den vertrauenswürdigen Herausgeber einer klassischen Zeitschrift, sondern läßt Raum für manche Hinterhältigkeit, weswegen Michael Turner, Chef des zuständigen Komitees der APS, von "Guerilla-Experimenten" spricht.
Der Absender eines elektronischen Preprints kann allenfalls über seine E-mail-Adresse identifiziert werden; diese ist aber beliebig manipulierbar (Spektrum der Wissenschaft, Mai 1994, Seite 64). In Deutschland wären Dienstleistungen nach Ginspargs Modell deshalb schon aus Gründen des Datenschutzes nicht zulässig, denn ein Preprint gehört zu den persönlichen Daten des Autors; wer solche Texte speichert und verbreitet, müßte das Einverständnis des Autors durch dessen eigenhändige Unterschrift nachweisen können.
Ginsparg gab auf der Konferenz zu, daß ihn solche Fragen nicht interessieren. Er hatte seinen Service ursprünglich nur eingerichtet, um einigen Freunden zu helfen. Die langfristige Speicherung von Preprints kümmert ihn nicht; er kann sie ohnehin nicht selbst garantieren.
Auch der Autor eines elektronischen Preprints geht besondere Risiken ein. Es ist praktisch unmöglich, einer über das Netz verbreiteten, fehlerhaften Arbeit Korrekturen oder einen Widerruf hinterherzuschicken. Damit wird deutlich, daß das gegenwärtige System des Peer Review, das gerade in der Mathematik besonders streng gehandhabt wird, nicht nur die Gesamtheit der Wissenschaftler vor minderwertigem Material schützt, sondern auch die Autoren vor Blamagen.
Kostensenkungen
Schließlich, so Lyman, "gibt es noch kein lebensfähiges ökonomisches Modell für elektronische Publikationen".
Das gilt allerdings auch für das bestehende System der Versorgung mit Fachliteratur. Ann Okerson von der Association of Research Libraries (ARL) in den USA formulierte es so: "Wissenschaftliches Publizieren auf Papier ist gegenwärtig weit von einem System des freien Marktes entfernt. Der ganze Prozeß wird vielmehr außerordentlich stark von den Institutionen subventioniert, die einerseits durch ihre Wissenschaftler die Kosten der Erstellung und Begutachtung tragen, andererseits mit ihren Budgets den Ankauf des publizierten Materials ermöglichen."
Obendrein kommt das bisher übliche Verfahren, Preprints auf Papier zu drucken und zu versenden, die wissenschaftlichen Institutionen sehr teuer zu stehen. Das Konrad-Zuse-Zentrum in Berlin zum Beispiel hat im vorletzten Jahr 49 Reports in je 300 Exemplaren gedruckt und dafür – ohne Porto – 120000 DM ausgegeben. Wenn alle Partner elektronisch erreichbar wären, könnte man dieselbe Information an dieselben Empfänger für nur 500 DM verbreiten, anteilige Kosten für eine Workstation mit einer 4-Gigabyte-Festplatte und die Internet-Anbindung bereits eingerechnet. (Die Verbindung mit einer Kapazität von 2 Megabit pro Sekunde kostet zwar 400000 DM im Jahr, wird jedoch für die Übertragung von Preprints nur zu einem sehr geringen Anteil in Anspruch genommen.) Der Versand eines Reports an weitere 1000 Empfänger würde dann bescheidene 25 DM zusätzlich kosten.
In den Vereinigten Staaten fällt der Kostenvergleich noch dramatischer aus, denn dort betragen die Preise für den Netzzugang nur ungefähr ein Zehntel der hiesigen – mit fallender Tendenz. (Video on demand, die Übertragung ganzer Filme über das Netz zu akzeptablen Preisen, ist bereits in der Diskussion. Da die weltweite mathematische Jahresproduktion nur so viel Speicherplatz beansprucht wie ungefähr fünf Videofilme, wären die Kosten ihrer Übertragung zu Video-Tarifen vernachlässigbar.) Zudem haben praktisch alle gesellschaftlichen Gruppen Zugang zum Internet. Aus solchen Gründen wird das Stanford Linear Accelerator Center die Verteilung von Papier-Preprints nun nach 25 Jahren einstellen.
Durch elektronischen Versand verschiebt der Absender die Kosten für den Druck seiner Preprints auf die Empfänger. Gleichwohl ergibt sich für alle Beteiligten, die ja sowohl Absender als auch Empfänger sind, eine Ersparnis. Es werden nur noch die Texte ausgedruckt, die wirklich intensiv studiert werden. Für alles andere genügt der flüchtige Blick auf den Bildschirm.
Wenn alle mathematischen Hochschul-Fachbereiche und Forschungsinstitute der westlichen Welt (insgesamt etwa 1000) einander während der nächsten zehn Jahre ihre sämtlichen Preprints elektronisch zusenden würden, müßte jede der zuständigen Bibliotheken für das vollständige Archivieren und permanente Bereithalten nur etwa 100000 DM, verteilt über die zehn Jahre, investieren (gegenwärtige Trends der Preprintanzahl und der Hardware-Preise extrapoliert) – also wesentlich weniger, als durch eine Umstellung von Papier-Distribution auf elektronische Weitergabe schon im ersten Jahr eingespart werden könnte. Die erforderliche Infrastruktur aus schnellen Netzverbindungen, Workstations mit Großraumplatten und Laserdruckern ist noch nicht allgemein verbreitet, wäre aber in drei bis fünf Jahren ohne weiteres aufzubauen.
Wenn jedoch ein wissenschaftlicher Verlag seine Journale jetzt elektronisch anbietet und damit ebenfalls Herstellungs- und Vertriebskosten spart sowie Druckkosten abwälzt, wofür will er dann eigentlich noch Geld verlangen? Fast alle übrigen Leistungen – Erarbeiten der Ergebnisse, Textsatz und Begutachtung – werden ja bereits von den Mathematikern selbst erbracht und den Verlagen kostenlos zur Verfügung gestellt. Dem Verlag bleibt außer der Verwaltung nur noch eine Art Schlußredaktion (copy editing), durch die das elektronische Produkt ein einheitliches Gesicht erhält.
(Auf Publikumszeitschriften wie die vorliegende ist dieses Argument nicht anwendbar, weil sie Texte der Autoren nicht einfach abdruckt, sondern in einem aufwendigen Verfahren für einen weiten Leserkreis aufbereitet. Die Redaktion.)
Krise der Literaturversorgung
Einerseits wäre ohne Datennetz das heute brennende Problem der Literaturversorgung (vergleiche den vorstehenden Artikel) kaum lösbar; vielmehr erhält die Mathematik damit die Chance, ihr sensibelstes Instrument, die Fachliteratur, wieder pünktlich und zu vertretbaren Preisen zu beziehen. Andererseits sei von den Verlegern – so die vorherrschende Stimmung bei der American Mathematical Society (AMS) und der ARL – ein Ausweg aus der Krise kaum zu erwarten. Welcher Kaufmann verzichtet schon gern auf Subventionen? Obendrein wächst bei allen die Furcht, das eigene Geschäft zu unterminieren.
Die ACM reagiert darauf, indem sie ihre gesamte Literatur in strukturierte Datenbanken überführt. Außer Kostensenkung ist Verkürzung des Zeitraums zwischen Einreichung und Veröffentlichung ihr wichtigstes Ziel. "Es wird auch völlig neue Arten elektronischer Publikationen geben", so ihr Vertreter Gio Wiederholt. "Experimente sind nötig und immer wieder Experimente."
Für die Probleme des Copyrights glaubt die ACM eine Lösung gefunden zu haben, die auch in Europa zum Vorbild werden könnte. Elektronisches Kopieren für den persönlichen und den nicht-kommerziellen Gebrauch solle weitgehend zugelassen, insbesondere im Wissenschaftsbereich die elektronische Distribution von (auch bereits auf Papier veröffentlichten Artikeln) gestattet sein, solange der Zugriff auf kleine Gemeinschaften von Nutzern eingeschränkt werden kann. "Preprint-Server werden nicht nur akzeptiert, die ACM unterstützt das Verfahren sogar", sagt Wiederholt.
Nach unserer Überzeugung werden die wissenschaftlichen Verlage auch unter den veränderten Bedingungen neue Märkte und Marktnischen finden können. Die Menge an Information wird weiter zunehmen, wenn sie erst von den Fesseln des Papiers befreit ist. Damit wächst auch das Bedürfnis nach weiteren Publikationen, nach Sichtung (abstract service), Bewertung (reviews), Konzentration (surveys), Archivierung (on-line service) und Wiederauffinden (retrieval) von Information – ein weites Feld für professionelle Aktivitäten, die nicht einfach nebenbei (und kostenlos) von Wissenschaftlern erledigt werden können. Das Publizieren in Farbe und mit bewegten Bildern (Multimedia) ist ferner ein völlig neuer Bereich, der professioneller Unterstützung bedarf.
Hingegen sind die Bibliotheken das schwächste Glied in der Kette der Informationsversorger. Hier gibt es noch eine Fülle offener Fragen. Wie kann man Information in einer Welt, in der Hardware, Betriebssysteme, Dokumentformate und andere Standards sich mit großer Geschwindigkeit ändern, über 50 oder 100 Jahre konservieren? Wie können Bibliotheken überhaupt Information erfassen, die hochgradig dynamisch im Internet angeboten wird? Sie sind es auch nicht gewohnt, für die Nutzung ihrer Dienste Gebühren zu erheben; deshalb fällt es ihnen schwer, die hohen Ausgaben für die Umstellung auf elektronischen Betrieb zu rechtfertigen.
In Deutschland läuft gegenwärtig das vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF) geförderte Projekt SUBITO an, das die elektronische Übermittlung papierener Dokumente (bei Bestellung von einem PC aus) zum Inhalt hat. Dabei sind noch erhebliche Kosten- und Copyright-Probleme zu klären.
Ein verteiltes Informationssystem für die Mathematik
Wie soll sich der Wissenschaftler, der nicht zugleich Computer-Freak ist, in der verwirrenden Welt des Internet zurechtfinden? In aller Regel sucht er Information zu einem bestimmten Thema und will dafür nicht wahllos eine unbestimmte Zahl von Servern absuchen. Die schiere Menge an elektronisch verfügbarem Material verbietet eine zentralistische Lösung im Sinne eines mathematischen Weltarchivs auf einem Superrechner. Die Information muß dort bereitgehalten und aktualisiert werden, wo sie entstanden ist. Das wäre, insbesondere im Zusammenhang mit SUBITO, ein völlig neuartiges Tätigkeitsfeld für wissenschaftliche Bibliotheken. Immerhin sind allein im letzten Jahr in der Mathematik mehr als zehn elektronische, kostenlos zu beziehende Journale von Fachgesellschaften, einzelnen Wissenschaftlern oder Universitäten neu gegründet worden.
Ebenfalls dezentral ist die derzeit noch fehlende Strukturierung der Information mit Klassifizierungen und Querverbindungen herzustellen. Retrieval-Systeme wie Gopher und World Wide Web bieten dafür geeignete Software-Instrumente: Ein entsprechend geschulter Bibliothekar kann ein Dokument so mit elektronischen Suchhilfsmitteln und Verweisen versehen, daß selbst ein ungeübter Benutzer mit Leichtigkeit seinen Weg durch das Informationsgestrüpp findet. Das ist die Alternative zu den im vorstehenden Artikel beschriebenen Agentensystemen.
Auf Einladung des damaligen Bundesministeriums für Forschung und Technologie hat die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV) einen Vorschlag für ein "Verteiltes Informationssystem für die Mathematik" erarbeitet, der – im Dezember 1993 vorgestellt, elektronisch verbreitet und diskutiert – inzwischen unter den mathematischen Gremien in aller Welt einhellige Zustimmung gefunden hat. Die Idee ist, daß die mathematischen Fachbereiche und Forschungsinstitute in Deutschland eigene Informationsstationen aufbauen, um ihre örtlichen Ressourcen untereinander und zugleich weltweit verfügbar zu machen.
Das bezieht sich nicht nur auf Preprints, Reports, Vorlesungsskripte und Bücher, sondern auch auf Algorithmen, Software und Datensammlungen, die bisher nicht offiziell publiziert wurden, auf einschlägige mathematische Informationssysteme sowie auf historische Dokumente (auch Photos), die mittlerweile durch Einscannen problemlos elektronisch verfügbar zu machen sind (Bild 1). Keith Dennis bietet bereits etwa 1000 historische Bücher aus seiner privaten Sammlung im Internet an.
Ein virtuelles mathematisches Museum könnte zudem völlig Neues bieten: dynamische Darstellungen von Algorithmen, Visualisierungen von Simulationen, mathematische Experimente in Form von gewissermaßen lebenden Büchern, zeitgenössische Computerkunst (Bild 2) und mehr. Die DMV plant inzwischen auch, ein universelles elektronisches mathematisches Journal zu gründen.
Die örtliche Information soll zur leichteren Auffindbarkeit vielstufig hierarchisch gegliedert und systematisch klassifiziert sein. Zur Gliederung wollen wir in einem ersten Schritt das System "Hyper-G" verwenden. Für die Klassifikation gibt es zwei weltweit akzeptierte Schemata, die Mathematics Subjects Classification (MSC) für Publikationen und den Guide to Available Mathematics Software (GAMS) des amerikanischen Normeninstitutes NIST für Software.
Diese vertikalen Informationshierarchien sollen horizontal vernetzt sein, indem alle Kollektionen desselben Typs (auf jeder Hierarchie-Ebene) durch elektronische Verweise (Hypertext-Links) miteinander verbunden sind. Mit ihrer Hilfe wird man simultan quer durch Deutschland nach speziellen Inhalten suchen können.
Das System kann nun (so unser Plan) mit einer Art Nachrichtenagentur gekoppelt werden, die in gleicher Weise gegliedert ist. Ein Wissenschaftler grenzt dann mit Hilfe der Hierarchie- und Klassifikationsmerkmale sein Interessengebiet sehr präzise ein (schon um nicht mit irrelevanter Information überschwemmt zu werden) und erhält dann auf Bestellung in regelmäßigen Abständen Nachricht über alle neuen Einträge dazu.
Diese Konzepte können in die gesamte mathematische Welt des World Wide Web ausgedehnt werden, wenn alle Beteiligten ihre Informationsangebote entsprechend strukturieren und sie in das verteilte Informationssystem einspeisen. Innerhalb der Hyper-G-Welt allein kann dieser Vorgang vollautomatisch organisiert werden.
"Verteilt" bedeutet auch dezentrale Verantwortung. Welche Information in das Netz eingebracht wird, entscheidet die jeweilige Institution und nicht allein der Autor eines Dokuments. Das klärt zugleich die Frage, ob ein Forschungsvorhaben offiziell ist, sowie Probleme des Datenschutzes. Nicht zuletzt deshalb bedarf das Informationssystem einer personellen und organisatorischen Infrastruktur.
Dieses DMV-Vorhaben soll nicht nur die mathematischen Hochschul-Fachbereiche und Forschungsinstitute einbeziehen, sondern als Partner auch mathematische Forschungslabors der Industrie und die Informationsversorger der Mathematik, insbesondere die wissenschaftlichen Verlage, zentrale und Universitätsbibliotheken und das Fachinformationszentrum Karlruhe mit dem "Zentralblatt für Mathematik", einem international anerkannten Referateorgan.
Hier ist noch viel zu tun. In Industrie, Wirtschaft und Verwaltung sind E-mail-Anschlüsse noch selten. Die Deutsche Telekom bietet anstelle von Internet-Diensten nur sogenannte OSI-orientierte Dienste an, die in der Wissenschaft kaum mehr eine Rolle spielen. Während wir zum Beispiel von einer Workstation in unserem Berliner Institut in der Washingtoner Kongreßbibliothek – kostenfrei – recherchieren können, ist eine der bedeutendsten deutschen Bibliotheken, die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in unserer Stadt, elektronisch nicht erreichbar; sie arbeitet, wie viele andere Bibliotheken in Deutschland (auch in den mathematischen Fachbereichen), mit Katalogen auf Karteikarten. Konzepte der Offenheit und der globalen Kommunikation sind noch kaum ins öffentliche Bewußtsein gedrungen.
Die DMV begreift die beteiligten gesellschaftlichen Gruppen nicht als Kontrahenten, sondern als Partner, die gemeinsam neue Regeln und Formen der Interaktion finden müssen. Sie hält es für wichtig und dringend, diesen Dialog heute zu beginnen und den durch die elektronische Revolution eingeleiteten Prozeß der Wandlung fachlich zu begleiten. Dabei kooperiert sie mit der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der Gesellschaft Deutscher Chemiker und der Gesellschaft für Informatik, die in ähnlicher Weise ihre Mitglieder auf den Weg in die Informationsgesellschaft vorbereiten wollen.
Der Schwerpunkt unseres Vorhabens liegt zwar auf der Mathematik in Deutschland, aber der allgemeine Rahmen ist weiter gesteckt. Das Projekt ist offen für Diskussion, Koordination und Kooperation mit Partnern in anderen Wissenschaftsbereichen, in der Industrie und in anderen Ländern. Wir hoffen, daß es als Beispiel für die Entwicklung anderer Modelle elektronischer Information und Kommunikation dienen kann.
Literaturhinweise
– Peer Review in Cyberspace. Von Gary Taubes in: Science, Band 266, Seite 967, 11. November 1994.
– New Perspectives of a Distributed Information System for Mathematics. Von W. Dalitz, M. Grötschel, J. Lügger und W. Sperber in: Newsletter of the European Mathematical Society, Nummer 13, September 1994 (Part I), und Nummer 14, Dezember 1994 (Part II). Kurz- und Langfassungen erhältlich über die WWW-Adresse http://www.zib-berlin. de/SoftInf/NewPerspShort.html.
– Hintergrundmaterial zur Tagung "The Future of Mathematical Communication", 30. November bis 3. Dezember 1994. Bereitgestellt vom Mathematical Science Research Institute; erhältlich über die WWW-Adresse http://www. msri.org/fmc/fmc-refs.html.
– Tragic loss or good riddance? The impending demise of traditional scholarly journals. Von A. M. Odlyzko. Erhältlich (Lang- und Kurzfassungen) über ftp://elib.zib-berlin.de/netlib/att/math/odlyzko/index\. Erscheint auf Papier in: International Journal of Human-Computer Studies; eine Kurzfassung erscheint in in: Notices of the American Mathematical Society, Januar 1995.
– Reports of the AAU Task Forces on: (1) Acquisition and Distribution of Foreign Language and Area Studies Materials; (2) A National Strategy for Managing Scientific and Technological Information; (3) Intellectual Property Rights in an Electronic Environment. Association of American Universities Research Libraries Project in Collaboration with the Association of Research Libraries, Washington DC, Mai 1994; elektronisch verfügbar über gopher://arl.cni.org; dort unter dem Menü "Scholarly Communication".
Aus: Spektrum der Wissenschaft 3 / 1995, Seite 39
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