Editorial: Der Traum vom gläsernen Gehirn
Erstaunt las ich im Mai 2023 diese Schlagzeile: »Hirnscanner liest Gedanken«. Einer Arbeitsgruppe um Alexander Huth von der University of Texas war es gelungen, mit recht hoher Genauigkeit den Inhalt von Geschichten wiederzugeben, die eine Person im Magentresonanztomografen gerade hörte oder sich vorstellte. Zur Hilfe kam den Forschern dabei künstliche Intelligenz. In der Tat stellt die Studie einen technischen Sprung dar. Dennoch ist sie vom Auslesen beliebiger »Gedanken« weit entfernt.
Oder nehmen wir diese Meldung, die kürzlich durch die Medien geisterte: Der Tech-Milliardär Elon Musk plane, mittels eines künstlichen Supernetzwerks die Aktivität aller Zellen im Gehirn zu codieren, ja eines Tages sogar die Gedanken verschiedener Menschen in einer Cloud »hochzuladen« und miteinander zu verknüpfen. Schon auf Grund der immensen Datenmengen, die dabei anfallen würden, ist das selbst für Musks Verhältnisse ein verwegener Plan.
Dass derartige Technologien faszinieren, verwundert nicht – immerhin ist die Gedankenlesemaschine ein lang gehegter Menschheitstraum. Seit den 2000er Jahren hat das Neuroimaging zudem enorme Fortschritte gemacht. Und es kommen immer wieder Innovationen hinzu, etwa die des ultraschnellen Ultraschalls (heißt tatsächlich so), den wir ab S. 66 vorstellen. Trotzdem gibt es gute Gründe anzunehmen, dass das »gläserne Gehirn« noch in weiter Ferne liegt.
So existiert im menschlichen Denkorgan nichts, was einem Buchstaben oder einer Grammatikregel entspräche: Daher sollte man auch nicht davon sprechen, »Gedanken zu lesen«. Wie realistische technische Anwendungen aussehen könnten und welche Grenzen dem maschinellen »Brain Reading« gesetzt sind, erklärt im Titelthema dieser Ausgabe der Psychologe und Bildgebungsexperte John-Dylan Haynes. Seien Sie beruhigt: Die Gedanken sind frei. Vorerst jedenfalls …
Eine spannende Lektüre wünscht
Anna Lorenzen
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