Editorial: Die andere Gentherapie
Zerstörerische Krankheiten bereits im Ansatz unterbinden, noch bevor sie spürbar werden – das ist der Traum eines jeden Medizinforschers. Doch leider stellt man häufig erst spät anhand sich immer weiter verschlimmernder Symptome fest, dass eine solche Störung vorliegt, was eine erfolgreiche Behandlung stark erschwert.
Im Fall von vererbten Erkrankungen kann man zumindest prinzipiell die Patienten frühzeitig per Gentest identifizieren. Aber nur zu oft gibt es gerade hier keine wirkliche Hilfe. Zwar mehren sich erste Erfolge von Gentherapien (siehe unser Titelthema in der Juliausgabe 2019), doch diese lassen sich bislang nur bei wenigen Defekten einsetzen.
Neben den direkten Veränderungen des Erbguts existiert allerdings noch ein weiterer Weg, den Effekt krank machender Gene auszuschalten: indem man beeinflusst, inwieweit die ihnen innewohnende Bauanleitung in Proteine umgesetzt wird. Ein viel versprechender Ansatz dazu ist die Antisense-Therapie. Wie bei den Gentherapien arbeiten Forscher schon seit Jahrzehnten unter vielen Rückschlägen an dieser Methode, können nun aber eine Reihe von Erfolgen aufzeigen (S. 12). Einige darauf basierende Behandlungen sind inzwischen zugelassen und können den jeweiligen Krankheitsverlauf tatsächlich oft zum Stillstand bringen, wenn auch nicht die bereits vorliegenden Schäden reparieren. Daher sollten sie am besten prophylaktisch eingesetzt werden, noch bevor sich erste Symptome zeigen – im Idealfall gleich nach der Geburt.
Auch gegen die bisher unheilbaren Prionenkrankheiten, bei denen bestimmte fehlgefaltete Proteine im Lauf der Zeit das Gehirn zerstören, wären Antisense- Therapien denkbar. Ab S. 20 stellen wir den ungewöhnlichen Fall einer jungen Frau vor, die erfährt, dass sie einen entsprechenden Gendefekt trägt und daher davon ausgehen muss, irgendwann zu erkranken. Sie und ihr Ehemann hängen von einem Tag auf den nächsten ihre bisherigen Berufe an den Nagel und schwenken auf die Biomedizin um: Von nun an ist ihr einziges Streben, eine Therapie für die Krankheit zu finden, die wie ein Damoklesschwert über ihrem Haupt schwebt. Der von dem Forscherpaar selbst verfasste Artikel beschreibt eindrücklich ihre Suche nach einem präventiv wirkenden Arzneimittel. Der aktuell beste Kandidat: eine Antisense-Therapie. Ich kann nur die Daumen drücken, dass die beiden den Wettlauf gegen die Zeit gewinnen!
Herzlich Ihr
Hartwig Hanser
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