Editorial: Ein bisschen Fifa sind wir alle
Es läge nahe, das Thema Macht mit einer Erdogan- oder Blatter-Schelte einzuleiten und Menschen in einflussreichen Positionen zu redlichem Verhalten zu ermahnen. Doch das kennen Sie schon zuhauf aus den Medien. Hat sich mal wieder ein prominenter Mandatsträger Vorteile verschafft, folgt die ritualisierte Empörung auf dem Fuße und vermittelt das angenehme Gefühl moralischer Überlegenheit. Unbequem wird es, wenn wir nach den Gesetzmäßigkeiten hinter Korruption und Selbstbereicherung fragen. Wer hierzu universelle Prinzipien der menschlichen Psyche erörtert, macht sich sogar verdächtig – denn Erklärungen könnten wie eine Rechtfertigung erscheinen. Aber um Verfehlungen vorzubeugen, müssen wir sie zunächst verstehen.
Macht verändert unsere Wahrnehmung, unser Denken und Handeln. Selbst dann, wenn wir nur kurzzeitig, in begrenztem Rahmen, über andere bestimmen dürfen. Das schildert unser Autor Theodor Schaarschmidt eindrücklich in seiner Titelgeschichte ab S. 12.
Dahinter stecken psychologische Effekte, die bei den meisten Menschen sichtbar werden: Mit steigendem Einfluss auf andere denken wir abstrakter und nehmen weniger Anteil an konkreten Schicksalen. Das hilft zwar dabei, hohe Ziele zu setzen. Um sie auch zu erreichen und sich nicht zu verrennen, sind jedoch konkretes Denken und Perspektivwechsel nötig. Beides fällt Mächtigen schwerer als dem Normalbürger. Was dabei helfen könnte, erläutert der Sozialpsychologe Joris Lammers im Interview ab S. 20.
Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft finden auf allen Sprossen der Karriereleiter statt. Man gesteht sich ein paar wohlverdiente Privilegien zu, das schadet ja niemandem. Korrupt sind die anderen, die treiben es noch viel bunter. Weil unser Selbstbild Werte und Handeln gern in Einklang bringt, biegen wir uns die Wahrheit notfalls ein bisschen zurecht. Das gilt nicht nur im Beruf. Unseren alltäglichen Selbstbetrug nimmt Kabarettist Vince Ebert ab S. 40 auf die Schippe – eine vergnügliche Flanke zum Titelthema.
Nahezu jeder verfügt über eigene Handlungsspielräume, in denen er versucht sein mag, den einfachsten Weg zu wählen: Eltern können die Bedürfnisse von Kindern ignorieren oder ernst nehmen. Therapeuten können einen unbequemen Patienten ablehnen oder aufnehmen. Journalisten können vorgefasste Meinungen bedienen oder sorgfältig recherchieren und aufklären. Für ein Wissenschaftsmagazin bedeutet Letzteres, die Gesetzmäßigkeiten hinter prominenten Fällen aufzudecken und bewusst zu machen. Unser Thema lautet deshalb nicht, was Macht mit den Mächtigen macht. Sondern was sie mit uns allen macht.
Mit guten Vorsätzen
Ihre Christiane Gelitz
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