Editorial: Gesang der Vögel
Zu meiner Lieblingslektüre gehören Expeditionsberichte – bevorzugt, wenn sie zu den letzten weißen Flecken der Erde führen: mit Uwe George von »GEO« zu den Tepuis im venezolanischen Regenwald, mit Jacques Cousteau in die Weltmeere oder mit dem US-Autor Don Stap in das peruanische Amazonasgebiet auf der Suche nach unbekannten Arten. Stap begleitet auf seiner Reise den leider viel zu früh verstorbenen Ornithologen Ted Parker, der eine Form von absolutem Gehör besaß: Er konnte zahlreiche lateinamerikanische Vogelarten allein an ihren Lautäußerungen unterscheiden – mehrere tausend Spezies.
Parkers Wissen war so groß, dass er sogar anhand der gehörten Vogelgesänge in bestimmten Regionen voraussagen konnte, ob sich dort noch unbekannte Arten verbergen. Oft genug führte die Spur dieser Klänge tatsächlich zu Vögeln, die wissenschaftlich bislang nicht beschrieben waren. Ted Parker hatte sie herausgehört! Zusammen mit dem kongenialen Botaniker Alwyn Gentry verstarb Parker 1993 nach einem Flugzeugabsturz während einer Expedition in Ecuador.
Inzwischen erkennen Biologen reihenweise neue, so genannte kryptische, Vogelarten, die einander praktisch gleichen, aber völlig unterschiedliche Gesänge aufweisen. Dadurch können sie nicht miteinander kommunizieren und sich letztlich wegen dieser Barriere auch nicht fortpflanzen. Und das ist womöglich noch lange nicht alles. Denn wie unser Artikel ab S. 36 zeigt, nehmen Vögel den Gesang ihrer Artgenossen noch mal ganz anders wahr als wir Menschen. Der Neurowissenschaftler Adam Fishbein hat durch Tests herausgefunden, dass die Tiere auf feinste akustische Details achten, die wir Menschen praktisch nicht erfassen können. Der zoologischen Kommunikationsforschung eröffnen sich damit völlig neue Möglichkeiten. Ted Parker wäre sicher begeistert gewesen.
Während wir uns mit dem nahenden Frühling auf das wohlklingende Vogelkonzert freuen können, vollzieht sich im Meer – für uns nicht hörbar – die gegenteilige Entwicklung: Die Ozeane leiden zunehmend unter Lärmverschmutzung, wie Tim Kalvelage in seinem Artikel (S. 46) beschreibt. Die Kakophonie aus Motoren, Schallkanonen, Baumaßnahmen und anderen menschlichen Geräuschquellen stört die Kommunikation der Meeresbewohner und kann bis zum Tod von Walen und Delfinen führen. Es wird Zeit für entsprechende Schutzmaßnahmen in den Weltmeeren, damit zukünftige Expeditionen noch Walgesängen oder plappernden Fischen lauschen können und nicht nur Krach aufzeichnen.
Leise grüßt
Daniel Lingenhöhl
Schreiben Sie uns!
Beitrag schreiben