Editorial: Kopieren verboten
Mitte Mai machte die Nachricht Schlagzeilen, es sei Forschern erstmals gelungen, einen Menschen zu klonen. Sogleich erhoben sich kritische Stimmen, die vor einem ethischen Dammbruch warnten: Jeder Mensch habe ein Anrecht auf Einzigartigkeit, so der Tenor vieler Kommentare. Kopieren verboten!
Seit das Klonschaf Dolly um die Jahrtausendwende von mancher Titelseite grüßte, haben auch Literaten den fiktiven "Klon auf Bestellung" ausgiebig begutachtet. In Charlotte Kerners Roman "Blueprint" (1999) etwa lässt sich eine an multipler Sklerose erkrankte Pianistin reproduzieren, um die eigene Karriere in ihrer Tochter zu vollenden – ein Wunsch, der zum Scheitern verurteilt ist.
Denn bei aller äußerlichen Ähnlichkeit hat der Klon natürlich seinen eigenen Kopf. Biologisch betrachtet, ist er nicht mehr als eine genetische Kopie, ein jüngerer eineiiger Zwilling. Ein solches Individuum ist nicht minder einzigartig als das "Original". Ein Klon von Albert Einstein würde also nicht zwangsläufig Physiker, ein zweiter Sigmund Freud interessierte sich womöglich gar nicht für fremder Leute Träume.
Was macht uns einzigartig? Und warum streben wir danach, uns von anderen abzuheben? Diese Fragen treiben auch Psychologen und Neurowissenschaftler um. Sie haben inzwischen eine Reihe von Befunden zusammengetragen, die zeigen, wie individuell verschieden die Balance zwischen Ich und Wir tatsächlich ausfällt. Im Titelthema dieses Hefts stellen wir die Hintergründe vor (ab S. 38).
Eine gute Lektüre wünscht Ihr
Carsten Koenneker
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