Editorial: Programmierte Plaudertasche
Ende November 2022 veröffentlichte das US-amerikanische Unternehmen OpenAI eine neue Software mit bisher unerreichten Fähigkeiten im Verständnis und in der Produktion menschlicher Sprache. Man kann dieser »ChatGPT« genannten künstlichen Intelligenz alle möglichen Fragen und sprachliche Aufgaben stellen: Egal, ob es ein fiktives Interview mit einem berühmten Komponisten erstellen oder einen Essay zu den Folgen seiner eigenen Existenz verfassen soll, es ist selten um Worte verlegen. Zwar merkt man beim kritischen Gegenlesen doch schnell Begrenzungen, sowohl in der mangelnden Korrektheit vieler Fakten als auch im etwas repetitiven, klare Stellungnahmen vermeidenden Stil, der oft eher an ein Schülerreferat erinnert. Dennoch kommt das Ergebnis dem Bestehen des berühmten Turingtests insofern sehr nahe, als man die Texte durchaus als von einem Menschen geschaffen akzeptieren kann. Meine Kollegin Manon Bischoff beschreibt ab S. 58, wie die Entwicklung dieses »Generative Pre-trained Transformer« – so der unhandliche Name, der hinter der Abkürzung GPT steckt – ablief, und erläutert detailliert die Hintergründe der Funktionsweise solcher KI-Programme.
Manche sehen in der Entwicklung derartiger künstlicher Intelligenzen schon eine akute Gefahr für die Existenz der Menschheit. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der eindrucksvolle Auftritt von ChatGPT das Ergebnis eines extrem aufwändigen Trainings ist, für das Hochleistungsrechner mehrere Wochen lang schuften mussten. Solange das nötig ist, sehe ich wenig Gefahr. Bedrohlicher erscheint mir dann doch derzeit der Klimawandel mit all seinen komplexen Auswirkungen. Politik und Wissenschaft sind hier gemeinsam gefordert und auch bereits daran, Gegenmaßnahmen auszuarbeiten. Welches die richtigen sind, ist allerdings oft noch umstritten. So beabsichtigt der neue Klimaschutzplan »Fit for 55« der EU, der die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent senken will, unter anderem die Nutzung von Bioenergie stark zu fördern. Ab S. 50 kritisiert ein internationales Wissenschaftlerteam, die darin vorgesehene Wertung von Biomasse als »kohlenstoffneutral« führe zum Verbrauch wertvoller Flächen, die sowohl zur natürlichen Kohlenstoffspeicherung als auch für die Nahrungsmittelproduktion dringend benötigt würden. Europa müsse den Kohlenstoffverlust in Landökosystemen verringern, den die Land- und Forstwirtschaft verursacht. Mit der Förderung der Bioenergie steigt die Gefahr, dass dieser Kohlenstoff-Fußabdruck einfach in andere Weltregionen ausgelagert wird.
Zum Schluss noch ein Hinweis in eigener Sache: Leider macht die Inflation auch vor unserem Verlag nicht Halt. Die deutlich gestiegenen Kosten für Energie, Druck und Transport führen bei »Spektrum der Wissenschaft« ab dieser Ausgabe zu einer Preiserhöhung im Einzelverkauf auf 9,80 € und im Abo um 60 Cent pro Ausgabe. Die Digitalabos bleiben unverändert. Bei Vorauszahlungen gelten die neuen Abo-Preise ab der nächsten Rechnung.
Ich möchte Sie bei dieser Gelegenheit auch noch einmal auf »Spektrum Plus« hinweisen: unsere Internetseite mit zahlreichen Vorteilen, Zusatzangeboten und Vergünstigungen exklusiv für Abonnentinnen und Abonnenten. Sie finden dort unter anderem jeden Monat einen kostenfreien Download eines weiteren Produkts von »Spektrum« oder kostenfreie sowie kostenvergünstigte Veranstaltungen.
Ihr
Hartwig Hanser
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