Editorial: Respekt, bitte sehr!
Wie wichtig ist es Ihnen persönlich, bewundert zu werden? Genießen Sie das Gefühl, für Ihr Können, Ihre Leistung oder Ihre Vertrauenswürdigkeit von anderen anerkannt zu werden? Sicher, solche Eitelkeiten gestehen wir uns selten offen ein. Dennoch gibt es laut psychologischer Forschung kaum ein wirksameres Elixier der Psyche: Wir dürsten nach sozialem Status – und tun viel dafür, um ihn zu gewinnen oder auch nur vorzugaukeln.
Sozialer Status ist dabei nicht einfach gleichzusetzen mit ökonomischem Erfolg oder klangvollen Titeln. Das psychologische Prestige speist sich aus einer Fülle von Quellen: Neben Kompetenzerleben und Einfluss zählen dazu vor allem moralische Eigenschaften. Viel Status besitzt demnach, wem andere vertrauen, zuhören und Autorität zubilligen. Wie ich im Titelthema dieser Ausgabe ab S. 12 beschreibe, reagieren schon Kleinkinder sehr sensibel auf Signale, die Status anzeigen. Sie spielen etwa bevorzugt mit Puppen, denen andere zuvor Respekt zollten, indem sie ihnen freiwillig den Vortritt ließen.
Warum bringen wir dieses Thema, mit dem ich seit Längerem liebäugelte, gerade jetzt? Nun, wie die wissenschaftliche Literatur zeigt, ist das Verwehren von Status, etwa durch dauernde Herabsetzung in der Kindheit oder spätere Demütigungen, eine häufige Ursache seelischer Notlagen. Und was für den Einzelnen gilt, zeigt sich auch auf der weltpolitischen Bühne: Ein Großteil der Kriege der Neuzeit galt nichts anderem als der (Wieder-)Herstellung von Glanz und Gloria einer Nation. Potentaten wie Putin oder Xi benutzen heute das Narrativ von der Demütigung ihrer Länder nicht umsonst als Rechtfertigung für Einschüchterungen nach innen sowie blanke Aggression nach außen. Uns Deutschen sollte dieses Muster nur allzu bekannt vorkommen.
Insofern ist dieses Schlaglicht auf die Kehrseite des Prestigestrebens auch ein Kommentar zu der bitteren politischen Lage, in die uns ein Krieg mitten in Europa gestürzt hat.
Eine erhellende Lektüre wünscht
Steve Ayan
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