Editorial: Selber denken
Was mich an den Menschen, mich selbst eingeschlossen, besonders erstaunt, ist ihr Talent, die offensichtlichen Fakten auszublenden. Nein, ich rede nicht davon, dass wir uns aus der leidigen Pandemieschleife nun einmal nur herausimpfen können. Ich meine noch Grundlegenderes: dass jemand, der von einer Sache nichts versteht, sich trotzdem hochkompetent fühlen kann. Dass man sich selbst auf seine Bescheidenheit noch etwas einzubilden vermag. Oder dass wir allzu oft ausgetretene Denkpfade beschreiten und dennoch meinen, wir seien offen und wendig im Kopf.
Wie kommt das? Einerseits ist es wohl pures Wunschdenken. Doch dahinter steckt auch, was Psychologen den »blinden Fleck« der Selbsterkenntnis nennen. Dieses Heft hilft dabei, diesen zumindest ein bisschen schrumpfen zu lassen. Und zwar gleich doppelt: Zunächst beschreibt meine Redaktionskollegin Anna von Hopffgarten im Titelthema ab S. 12, was geistige Flexibilität neuronal betrachtet ausmacht. Demnach tickt das Gehirn von echten (und nicht bloß eingebildeten) Denkakrobaten systematisch anders. Können wir uns davon eine Scheibe abschneiden? Und ob! Zum Beispiel durch das Bewusstmachen der eigenen Gewohnheiten.
Dann schildert die Psychologin Corinna Hartmann in ihrem Beitrag ab S. 20 die subtile Kunst der Alltagsmanipulation am Beispiel des »Gaslighting«. Dabei gaukeln andere uns auf teils perfide Weise falsche Tatsachen vor. Um diese Tricks auszuhebeln, ist es wichtig, die Motive des Gegenübers zu erkennen – und auch das erfordert geistige Wendigkeit.
So mühsam es manchmal sein mag, selber denken lohnt sich. Nicht immer, aber oft.
Eine aufschlussreiche Lektüre wünscht< br/>Steve Ayan
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