Editorial: Visionen zwischen Hoffnung und Schrecken
"In einer düsteren Novembernacht war es so weit: Vor meinen Augen lag das Ergebnis all meiner Müh und Plage. Mit einer angstvollen Erwartung, welche um nichts der Todesfurcht nachstand, baute ich das Instrumentarium des Lebens rings um mich auf, um dem leblosen Körper, welcher da zu meinen Füßen lag, den lebensspendenden Funken einzuhauchen."
Das Experiment gelingt – und endet dennoch schrecklich: Die von dem Arzt Viktor Frankenstein geschaffene Kreatur entpuppt sich als mordendes Monster. Mit ihrem 1818 erschienenen Roman "Frankenstein oder Der neue Prometheus" schuf Mary Shelley (1797-1851) den Inbegriff des Horrors. Die englische Schriftstellerin war fasziniert von den Möglichkeiten der Naturwissenschaften und stellte die Frage: Darf die Forschung alles tun, was möglich ist?
Diese Frage stellen sich heute auch manche Hirnforscher. In unserer neuen dreiteiligen Serie "Methoden der Hirnmanipulation", die mit diesem Heft beginnt, wollen wir ergründen, welche Eingriffe in unser Denkorgan heute und in Zukunft möglich sind. Walter Paulus, ein Pionier auf dem Gebiet der transkraniellen Hirnstimulation, erklärt ab S. 36, wie sich mittels Elektrizität und Magnetismus die Arbeit der Neurone beeinflussen lässt. Dass dies sogar mit Ultraschall funktioniert, schildert sein ehemaliger Doktorand Alexander Opitz im Interview ab S. 45.
Natürlich soll die transkranielle Hirnstimulation nicht als Eintrittspforte für einen modernen Frankenstein fungieren. Medizinisch sinnvoll eingesetzt, kann sie sich als segensreich erweisen und etwa Menschen helfen, die unter chronischen Schmerzen oder Depressionen leiden. Doch wenn sie nicht der Heilung dient, erscheint die Manipulation des menschlichen Geistes bedenklich. Das US-Militär träumt bereits davon, mittels dieser Techniken die Reaktionsfähigkeit seiner Soldaten zu steigern. Der Traum könnte wie bei Shelley in einem Albtraum enden. Wie sich heute bereits das Gedächtnis manipulieren lässt, lesen Sie im nächsten Heft. Und wie neue Geräte für den Hausgebrauch das Hirn auf Trab bringen sollen, erfahren Sie in GuG 8/2015.
Mary Shelley selbst hielt ihre Geschichte übrigens für eher realitätsfern, wie sie im Vorwort ihres "Frankenstein" schreibt: "Die Begebenheit, auf welche der vorliegende Roman sich gründet, trägt nach dem Dafürhalten des Dr. Darwin sowie etlicher deutscher Physiologen nicht im eigentlichen Sinne den Anstrich des Unmöglichen. Dennoch möchte die Schreiberin dieser Zeilen sich gegen jede Unterstellung verwahren, sie hege auch nur im Entferntesten den ernstlichen Glauben an solche Ausgeburt menschlicher Imagination."
Eine spannende Lektüre wünscht Ihr
Andreas Jahn
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