Editorial: Zwei Tickets zum Mond, bitte!
Zu den 100 Wörtern, die das 20. Jahrhundert laut einer Jury aus prominenten Publizisten am besten repräsentieren, zählen die Mondlandung, das Gen und die Psychoanalyse. Das Gehirn gehört nicht dazu. Doch im 21. Jahrhundert dürfte es den Sprung auf die Liste schaffen. Dafür sorgen seit 2013 zwei milliardenschwere Mammutprojekte: Das europäische Human Brain Project will innerhalb von zehn Jahren das Gehirn und seine Funktionsweise am Computer nachbilden. Und das US-amerikanische Brain Activity Map Project soll im gleichen Zeitraum die Aktivität der schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen erfassen und ihr Netzwerk auf einer detaillierten Landkarte des Gehirns verzeichnen. Die Forscher versprechen sich davon nicht nur einen Schlüssel zu den großen Rätseln des menschlichen Geistes, sondern auch neue Therapiemethoden für Erkrankungen wie Depressionen und Alzheimer.
Doch bevor das gelingen kann, müssen sie noch viele kleine und große Probleme lösen, wie unsere Autoren ab S. 36 berichten. GuG-Redakteur Andreas Jahn, der dieses Titelthema betreute, erlebte als kleiner Junge das Happy End eines anderen legendären Mammutprojekts mit: die Mondlandung am 21. Juli 1969. Seine Lehrerin orakelte damals: "Wenn ihr mal groß seid, werden Mondlandungen etwas ganz Alltägliches sein." Darauf wartet unser Kollege noch heute.
Ein ähnlich magischer Moment wie 1969 wird sich für die Hirnforschung womöglich auch im 21. Jahrhundert nicht ereignen. Denn die Entschlüsselung des Gehirns gleicht weniger einer Reise zum Mond als vielmehr der Vermessung der rund 100 Milliarden Galaxien unseres Universums. Mit jedem Kubikmillimeter Gehirn müssen die Forscher 100 000 Neurone und bis zu eine Milliarde Synapsen kartieren – und erschließen, wie ihr Zusammenspiel Bewusstsein, Gedanken und Gefühle hervorbringt.
So behält die Lehrerin in gewisser Weise Recht: Wir sind täglich Zeitzeugen jener magischen Augenblicke, in denen Forscherteams mit ihrer eigenen kleinen Raumfähre zum Mond starten. Wie die beiden kostspieligen "Reisen zum Gehirn" begannen und welche Hürden sie bis zur Landung noch überwinden müssen, lesen Sie in dieser Ausgabe.
Einen guten Flug wünscht Ihre
Christiane Gelitz
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