Editorial
Am 29. September wurde in Berlin zum 20. Mal der Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus verliehen. Anlässlich des Jubiläums diskutierten die Gäste intensiv darüber, wie es denn wohl in den nächsten 20 Jahren um das Metier bestellt sein werde. Nach mehr als einem Jahrzehnt sinkender Auflagen bei vielen Zeitungen wie Zeitschriften und angesichts des Kostendrucks bei öffentlich-rechtlichen Sendern sehen viele die Zukunft düster. Auch die Wissenschaftsjournalismusforschung sorgt sich um ihren Untersuchungsgegenstand. So sieht der Experte Martin W. Bauer von der London School of Economics den Wissenschaftsjournalismus gleich von zwei Seiten in die Mangel genommen. Einerseits geben wissenschaftliche Institutionen heute selbst Magazine heraus, produzieren Filme und so fort. Andererseits rücken auch Wissenschaftler den Journalisten auf die Pelle, indem sie ihre Forschung etwa in Blogs präsentieren oder Mitschnitte ihrer Vorträge im Netz hochladen.
Und noch aus einer dritten Richtung bekommt die Branche Druck: Im Ringen um Aufmerksamkeit tritt längst ein neuer Schlag von Publizisten auf, die im Internet aus Enthusiasmus – oder schlicht, um Geld zu verdienen – mit meist sehr persönlicher Note über Wissenschaft berichten. Manche erzielen dabei Wirkungen, von denen selbst große Redaktionen nur träumen können. Ein fulminantes Beispiel ist die 2012 gestartete englischsprachige Seite "I fucking love science" (www.iflscience.com), deren Reichweite die der Portale großer Magazine wie "National Geographic" oder "Scientific American" locker in den Schatten stellt.
In einen Abgesang auf den Wissenschaftsjournalismus mag ich dennoch nicht einstimmen. So sehe ich es als großen Gewinn an, wenn Wissenschaftler ihre Arbeit selbst nach außen tragen und auch bereitstehen für Nachfragen und Diskussionen, denn das verankert Forschung fester in unserer Gesellschaft. Kritischer sehe ich institutionell erwünschte Selbstbeweihräucherung nach dem Strickmuster "Wir lösen bald das und das Problem und haben die und die Gelder eingeworben". Die neuen Wissenschaftspublizisten aus den sozialen Netzwerken schließlich entwickeln einerseits erfrischend neue Darstellungsformen und zugkräftige Ansprachen, andererseits erreichen sie mit meist kurzen Clips und Textschnipseln häufig nicht die Tiefe der Auseinandersetzung, die vielen Themen angemessen ist.
Für den Wissenschaftsjournalismus bedeutet all das: Da immer mehr Stimmen anheben, Forschung zu erklären, zu promoten oder auch unterhaltend durch den Kakao zu ziehen, braucht die Gesellschaft mehr denn je Instanzen, die in der Sache unabhängig berichten, die die einschlägige Fachliteratur auch wirklich sichten und einordnen können, die Querbezüge herstellen sowie den Wissenschaftsbetrieb und seine Protagonisten von außen betrachten. Wer hier gute redaktionelle Arbeit macht – und das nehmen wir bei "Spektrum" im Heft wie online für uns in Anspruch –, wird auch in Zukunft nachgefragt werden.
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