Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Wo entstand die Schrift? Wer hatte die erste Verwaltung? Wie entwickelten sich Kunst und Kultur? Altertum ist schick, wieder einmal. In den Buchhandlungen stapeln sich historische Romane über das Leben und Sterben großer Pharaonen. Ramses II. wurde von „Geo“ als „Phänomen europäischer Ägyptomanie“ zum „Superstar“ gekürt. Das sagenumwitterte Atlantis schaffte es gar auf die Titelseite des „Spiegel“. Und immer wieder erfassen die Medienwellen auch Troja, den Ursprung großer Mythen und Schauplatz heroischer Schlachten.
Schenkt man Homer Glauben, läßt sich der trojanische Krieg zwischen 1240 und 1200 v. Chr. im sogenannten Troja VII ansiedeln. 1500 Jahre zuvor, in der frühen Bronzezeit (also vor über 4500 Jahren), als Troja („Troja II“) gerade ein befestigtes Dorf war, gab es zwölfhundert Kilometer weiter südöstlich bereits eine hochentwickelte Metropole, die eine europäisch-syrische Gruppe von Archäologen seit acht Jahren ins Gedächtnis zurückholt – und von der wir in diesem Heft berichten (ab Seite 42).
Glück im Unglück hatten die Forscher, als sie die Fundstätte entdeckten. Der Irak-Iran-Krieg hatte sie von anderen Grabungen ins nördliche Mesopotamien, den heutigen Nordosten von Syrien vertrieben. Gemessen an den Hochkulturen etwa von Babylon galt der Norden des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris als vergleichsweise unattraktiv. Doch gerade dort wurden die Forscher fündig.
Unter einem unscheinbaren Hügel, dem „Tell Beydar“, fanden die Archä-ologen zu ihrer Überraschung Zeugnisse einer Stadt mit Palästen, Tempeln und Vorratsspeichern: Nabada, so der Name der altorientalischen Stadt, bildete eine Kommune für tausende Menschen. Nabadas Fürsten trieben Handel mit allen Mächten der Region, von fern reisten andere Herrscher an, um Ratsversammlungen und rituellen Festen beizuwohnen. Auch eine hochentwickelte Verwaltung hatten die Nabadaner bereits, wie sich an ihren in Keilschrift auf Tontäfelchen dokumentierten „Akten“ ablesen läßt. In Troja II war Schrift noch unbekannt. Es war vom homerischen Troja VII zeitlich so weit entfernt wie Julius Cäsar von Friedrich dem Großen.
Nach fünf Jahrhunderten wurde Nabada zerstört. Zwar ist die Stadt noch zweimal wiederbesiedelt worden, doch heute ziehen nur noch Nomaden in braunen Zelten an dem kahlen Hügel vorbei.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 4 / 1999, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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