Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser!
Sind Sie religiös? Diese Frage wird Sie überraschen, handelt dieses Magazin doch sonst überwiegend von rein naturwissenschaftlichen Themen. Doch ab Seite 74 stellen wir Ihnen die Resultate einer Untersuchung über den religiösen Glauben unter US-Wissenschaftlern vor. Das erstaunliche Ergebnis: Rund 40 Prozent amerikanischer Forscher sagen von sich selbst, sie glaubten an Gott. Noch mehr verblüfft, daß sich dieser Prozentsatz seit den zwanziger Jahren nicht verändert hat. Die Debatte um Naturwissenschaft und Religion ist inzwischen aus den USA längst zu uns herübergeschwappt und dabei nicht nur in Esoterikzirkeln gelandet. Allerorten finden Veranstaltungen statt, in denen Grenzüberschreitungen von der Wissenschaft zur Theologie und zurück Programm sind.
Vergleichbare Untersuchungen über religiöse Neigungen deutscher Wissenschaftler fehlen bislang. Doch Bernulf Kanitscheider, Philosoph an der Universität Gießen, schätzt, daß etwa ein Fünftel deutscher Hochschulprofessoren gläubig ist. Für den in Innsbruck habilitierten Physiker und Naturphilosophen basieren solche Grenzüberschreitungen auf intellektueller Unredlichkeit: Nimmt man den kritischen Rationalismus und die wissenschaftliche Methodologie ernst, dann sollte keiner die begrifflichen Grundprobleme „verschmieren“. Und man sollte dann auch weniger von gegenseitiger Befruchtung von Religion und Wissenschaft reden als von einem klaren Antagonismus der Weltbilder.
Denn es führt nicht weit, wenn manche Theologen Gott als die lange gesuchte Lösung naturwissenschaftlicher Probleme präsentieren: beim Urknall, der Entstehung des Lebens oder beim Ursprung des menschlichen Geistes. Wenn Gott als Lückenbüßer auftaucht, als „God of the Gaps“, kehre nur längst überwundenes Denken zurück. Umgekehrt, gibt Kanitscheider zu bedenken, könne sich auch der rationale Diskurs der Religion nicht allzuweit annähern, da diese mit logisch widersprüchlichen Konstrukten aufwarte: beim Gottesbegriff, beim Thema des unverschuldeten Leidens in der Welt, dem Sündenfall oder dem Status des Gott-und-Menschen Jesu. Wenn aber eine „begriffliche Sanierung der Religion“ scheitere, sei es intellektuell redlicher, die Unvereinbarkeit von Religion und Wissenschaft anzuerkennen.
Von jenseitigen zu diesseitigen Aussichten: In wenigen Tagen erscheint das Spektrum-Spezial „Der High-Tech-Körper“. Es geht der Frage nach, ob der Mensch eine reparierbare Maschine mit beliebig austauschbaren Ersatzteilen ist. Experten meinen , daß sich bald fast alle amputierten Gliedmaßen, versagenden Organe und verlorenen Sinnesfunktionen ersetzen lassen. Der Übergang zwischen Mensch und Maschine wird fließend.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 1999, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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