Editorial
Seit wir dazu übergegangen sind, Sie jeden Monat nach Ihrer Meinung zu fragen, haben wir u.a. gelernt, daß Sie sich – neben Ihren "Lieblingsthemen" Astronomie, Gehirnforschung und Genetik – durchaus mehr Archäologie-Artikel wünschen. Bei manchen entzündete sich das Interesse für versunkene Kulturen vielleicht an C. W. Cerams "Götter, Gräber und Gelehrte". Wer diesen Klassiker verschlungen hat, kennt das Faszinosum, in den Relikten der Antike dem "Hauch der Vergangenheit" nachzuspüren.
Schon bevor wir im April-Heft dieses Jahres über die Ausgrabung der antiken Stadt Nabada in Nordsyrien berichteten, fiel uns auf, daß Archäologen derzeit mehr als früher mit bestaunenswerten Funden an die Öffentlichkeit treten. Diese Zeugnisse der Vergangenheit wollen wir Ihnen daher im nächsten Jahr verstärkt präsentieren – wie immer in Spektrum in authentischer Darstellung durch die Wissenschaftler persönlich.
Seit 12 Jahren leitet Karol Mysliwiec die polnische Grabungsstätte in Sakkara, einer Nekropole unweit von Kairo, in der auch Alexander der Große begraben sein soll. Dort steht die älteste Steinpyramide der Welt, 2650 vor Christus von dem Architekten Imhoteb für seinen Pharao Djoser aus der III. Dynastie erbaut. Als erstes Bauwerk dieser Art geriet sie zum Vorbild für die Herrscher der IV. Dynastie mit den gigantischen Pyramiden von Gizeh.
Auf einem Gelände nahe der Djoser-Pyramide, das lange nur als Müllplatz der Nekropole eingestuft war, gelang dem polnischen Archäologen neben zahllosen Mumienfunden die Entdeckung eines verschlossenen Grabes. Es gehört dem zuvor unbekannten Wesir Meref-nebef ("Der seinen Herrscher liebt"), dem wichtigsten Berater Djosers. Dieser Höfling erlebte das Ende des Alten Reiches, das Bürgerkriege schließlich um 2200 vor Christus zu Fall brachten. Außer einer Frau, die mit Meref-nebef abgebildet ist, zeigt die Grabkammer fünf weitere Gespielinnen: "Ein langweiliger Bürokrat", findet Karol Mysliwiec, "war [der Wesir] wohl nicht".
Kurz nach dem Fund fühlte sich der Pole an den "Fluch der Pharaonen" erinnert, der die königlichen Gräber vor Räubern schützen sollte. Der "Hauch der Vergangenheit" ereilte den Störer der Totenruhe nämlich wörtlicher als erwartet. Als die Archäologen begannen, die Grabplatte des Wesirs freizulegen – über 4500 Jahre, nachdem das Grab verschlossen wurde – , brach ein höllischer Sandsturm los, "wie ihn noch keiner erlebt hatte". Für 24 Stunden mußten sie ihre Grabung unterbrechen (Seite 54).
Aus: Spektrum der Wissenschaft 12 / 1999, Seite 3
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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